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Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Viertes Vierteljahr.

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ihre höfische Würde zu dem Posten bestimmt wurden. Die Erkenntnis, daß
der Intendant Fachkenntnisse besitzen müsse, war damals den maßgebenden
Hofkreisen noch nicht aufgegangen. Das Theater wurde nur als Vergnügnngs-
anstalt betrachtet. Aber auch das Publikum, zumal der kleinen Städte, war
noch nicht gebildet genug und ließ sich von denselben Brettern, ans denen
heute z. B. der "Don Juan" gespielt wurde, morgen läppische Bauchredner-
küuste bieten. Dieses Deutschland der langen Friedenszeit nach den heldenhaften
Befreiungskriegen war noch sehr philiströs, wohl auch arm, und die Reichen
hatten kein genügendes Interesse am Theater. Die mittelmäßigste Lustspiel¬
ware fand mehr Teilnahme als alle klassische Tragödie. Auch war die un¬
umgängliche Trennung von Oper und Schauspiel noch nicht überall vollzogen;
dieselbe Bühne wurde heute für das Drama, morgen für das Ballet
benutzt. Das Beispiel, das Kaiser Josef II. in Wien mit der strengen Trennung
der beiden Formen gegeben hatte, als er das k. k. Hof- und Nationaltheater
1776 gründete, hatte keine Nachahmung gefunden. Und mit den Ausstattuugs-
künsten der Oper konnte das Schauspiel nicht den Kampf aufnehmen, es litt
darunter.

Alle diese Übelstände hatte der Landgerichtsrat Immermann auf seinen in
der zweiten Hälfte der zwanziger Jahre jährlich von Düsseldorf aus durch
Deutschland unternommenen Ferienreisen schmerzlich kennen gelernt. Denn
seine dichterische Seele hing mit aller ihrer tiefen Leidenschaft am Schauspiele.
Von Jugend auf hatte er dem Theater seine Neigung gewidmet. Als Drama¬
tiker hatte er sich zuerst einen in ganz Deutschland berühmten Namen geschaffen,
als Dichter des "Trauerspiels in Tirol," des "Kaiser Friedrich," der "Alexis"-
Trilogie. Aber wegen der ängstlichen politischen Verhältnisse konnte er auf
den Bühnen nicht festen Fuß fassen, obgleich seine Hofer-Tragödie die Feuer¬
probe der Aufführung glücklich bestanden hatte. Sein "Alexis" wurde vom
Grafen Nedern, dem Intendanten des Berliner Hofschauspiels, trotz anfänglichen
Entgegenkommens nicht aufgeführt, einzig aus Rücksicht auf deu Petersburger
Hof, dem diese Tragödie allerdings keine Schmeicheleien sagte. Erst in seinem
eignen Theater vermochte Immermann endlich seine eignen Werke teilweise zur
Geltung zu bringen. Nur allmählich und kaum mit bewußter Absicht geriet
er in die Bahn, die ihn schließlich zu einem Intendanten machte. Um dieselbe
Zeit nämlich, wo Immermann in der Nheinstadt lebte, nahm sie von andrer
Seite einen unvergeßlichen Aufschwung. Erstens durch den in ihre Mauern
verlegten Hof des kunstliebenden.^Prinzen Friedrich von Preußen, der die in
den Franzosenkriegen gewonnene Rheinprovinz an das alte Königreich enger zu
fesseln berufen war, sodann aber durch die neubelebte Kunstakademie, an deren
Spitze Schadow gestellt worden war und die sich rasch mit hervorragenden
Talenten wie Lessing, Schirmer, Sohn, Bendemann u. a. füllte, denen
dann wieder viele Schüler zuströmten. Diese Akademie mit ihrer lebens-


Grenzboten IV 18"9 I I

ihre höfische Würde zu dem Posten bestimmt wurden. Die Erkenntnis, daß
der Intendant Fachkenntnisse besitzen müsse, war damals den maßgebenden
Hofkreisen noch nicht aufgegangen. Das Theater wurde nur als Vergnügnngs-
anstalt betrachtet. Aber auch das Publikum, zumal der kleinen Städte, war
noch nicht gebildet genug und ließ sich von denselben Brettern, ans denen
heute z. B. der „Don Juan" gespielt wurde, morgen läppische Bauchredner-
küuste bieten. Dieses Deutschland der langen Friedenszeit nach den heldenhaften
Befreiungskriegen war noch sehr philiströs, wohl auch arm, und die Reichen
hatten kein genügendes Interesse am Theater. Die mittelmäßigste Lustspiel¬
ware fand mehr Teilnahme als alle klassische Tragödie. Auch war die un¬
umgängliche Trennung von Oper und Schauspiel noch nicht überall vollzogen;
dieselbe Bühne wurde heute für das Drama, morgen für das Ballet
benutzt. Das Beispiel, das Kaiser Josef II. in Wien mit der strengen Trennung
der beiden Formen gegeben hatte, als er das k. k. Hof- und Nationaltheater
1776 gründete, hatte keine Nachahmung gefunden. Und mit den Ausstattuugs-
künsten der Oper konnte das Schauspiel nicht den Kampf aufnehmen, es litt
darunter.

Alle diese Übelstände hatte der Landgerichtsrat Immermann auf seinen in
der zweiten Hälfte der zwanziger Jahre jährlich von Düsseldorf aus durch
Deutschland unternommenen Ferienreisen schmerzlich kennen gelernt. Denn
seine dichterische Seele hing mit aller ihrer tiefen Leidenschaft am Schauspiele.
Von Jugend auf hatte er dem Theater seine Neigung gewidmet. Als Drama¬
tiker hatte er sich zuerst einen in ganz Deutschland berühmten Namen geschaffen,
als Dichter des „Trauerspiels in Tirol," des „Kaiser Friedrich," der „Alexis"-
Trilogie. Aber wegen der ängstlichen politischen Verhältnisse konnte er auf
den Bühnen nicht festen Fuß fassen, obgleich seine Hofer-Tragödie die Feuer¬
probe der Aufführung glücklich bestanden hatte. Sein „Alexis" wurde vom
Grafen Nedern, dem Intendanten des Berliner Hofschauspiels, trotz anfänglichen
Entgegenkommens nicht aufgeführt, einzig aus Rücksicht auf deu Petersburger
Hof, dem diese Tragödie allerdings keine Schmeicheleien sagte. Erst in seinem
eignen Theater vermochte Immermann endlich seine eignen Werke teilweise zur
Geltung zu bringen. Nur allmählich und kaum mit bewußter Absicht geriet
er in die Bahn, die ihn schließlich zu einem Intendanten machte. Um dieselbe
Zeit nämlich, wo Immermann in der Nheinstadt lebte, nahm sie von andrer
Seite einen unvergeßlichen Aufschwung. Erstens durch den in ihre Mauern
verlegten Hof des kunstliebenden.^Prinzen Friedrich von Preußen, der die in
den Franzosenkriegen gewonnene Rheinprovinz an das alte Königreich enger zu
fesseln berufen war, sodann aber durch die neubelebte Kunstakademie, an deren
Spitze Schadow gestellt worden war und die sich rasch mit hervorragenden
Talenten wie Lessing, Schirmer, Sohn, Bendemann u. a. füllte, denen
dann wieder viele Schüler zuströmten. Diese Akademie mit ihrer lebens-


Grenzboten IV 18»9 I I
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[0329] ihre höfische Würde zu dem Posten bestimmt wurden. Die Erkenntnis, daß der Intendant Fachkenntnisse besitzen müsse, war damals den maßgebenden Hofkreisen noch nicht aufgegangen. Das Theater wurde nur als Vergnügnngs- anstalt betrachtet. Aber auch das Publikum, zumal der kleinen Städte, war noch nicht gebildet genug und ließ sich von denselben Brettern, ans denen heute z. B. der „Don Juan" gespielt wurde, morgen läppische Bauchredner- küuste bieten. Dieses Deutschland der langen Friedenszeit nach den heldenhaften Befreiungskriegen war noch sehr philiströs, wohl auch arm, und die Reichen hatten kein genügendes Interesse am Theater. Die mittelmäßigste Lustspiel¬ ware fand mehr Teilnahme als alle klassische Tragödie. Auch war die un¬ umgängliche Trennung von Oper und Schauspiel noch nicht überall vollzogen; dieselbe Bühne wurde heute für das Drama, morgen für das Ballet benutzt. Das Beispiel, das Kaiser Josef II. in Wien mit der strengen Trennung der beiden Formen gegeben hatte, als er das k. k. Hof- und Nationaltheater 1776 gründete, hatte keine Nachahmung gefunden. Und mit den Ausstattuugs- künsten der Oper konnte das Schauspiel nicht den Kampf aufnehmen, es litt darunter. Alle diese Übelstände hatte der Landgerichtsrat Immermann auf seinen in der zweiten Hälfte der zwanziger Jahre jährlich von Düsseldorf aus durch Deutschland unternommenen Ferienreisen schmerzlich kennen gelernt. Denn seine dichterische Seele hing mit aller ihrer tiefen Leidenschaft am Schauspiele. Von Jugend auf hatte er dem Theater seine Neigung gewidmet. Als Drama¬ tiker hatte er sich zuerst einen in ganz Deutschland berühmten Namen geschaffen, als Dichter des „Trauerspiels in Tirol," des „Kaiser Friedrich," der „Alexis"- Trilogie. Aber wegen der ängstlichen politischen Verhältnisse konnte er auf den Bühnen nicht festen Fuß fassen, obgleich seine Hofer-Tragödie die Feuer¬ probe der Aufführung glücklich bestanden hatte. Sein „Alexis" wurde vom Grafen Nedern, dem Intendanten des Berliner Hofschauspiels, trotz anfänglichen Entgegenkommens nicht aufgeführt, einzig aus Rücksicht auf deu Petersburger Hof, dem diese Tragödie allerdings keine Schmeicheleien sagte. Erst in seinem eignen Theater vermochte Immermann endlich seine eignen Werke teilweise zur Geltung zu bringen. Nur allmählich und kaum mit bewußter Absicht geriet er in die Bahn, die ihn schließlich zu einem Intendanten machte. Um dieselbe Zeit nämlich, wo Immermann in der Nheinstadt lebte, nahm sie von andrer Seite einen unvergeßlichen Aufschwung. Erstens durch den in ihre Mauern verlegten Hof des kunstliebenden.^Prinzen Friedrich von Preußen, der die in den Franzosenkriegen gewonnene Rheinprovinz an das alte Königreich enger zu fesseln berufen war, sodann aber durch die neubelebte Kunstakademie, an deren Spitze Schadow gestellt worden war und die sich rasch mit hervorragenden Talenten wie Lessing, Schirmer, Sohn, Bendemann u. a. füllte, denen dann wieder viele Schüler zuströmten. Diese Akademie mit ihrer lebens- Grenzboten IV 18»9 I I

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_205998/329>, abgerufen am 02.07.2024.