Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Viertes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Der Kronprinz Friedrich Wilhelm

Staatsmann für unzweckmäßig gehalten hat, sich die Freiheit des Entschlusses
durch irgend eine Verpflichtung zu beschränken, daß er aber den Herzenswunsch
des Thronfolgers jder inzwischen, wie unsre Leser wissen, eine wesentlich andre
Gestalt angenommen hattej allmählich aufnahm und in seiner Weise möglich
und durchführbar machte." "Jedenfalls sagt Freytag war er es, der
dem Gedanken, soweit er ihm zweckmäßig erschien, zum Leben verholfen hat.
Der Kronprinz aber bewahrte die Auffassung, daß die neue Kaiserwürde nur
dann die rechte Weihe erhalte, wenn sie als Fortsetzung jener alten römisch¬
kaiserlichen Majestät betrachtet werde, und er war eS, welcher bei der
Eröffnung des ersten deutschen Reichstags 1871, zum Erstaunen der Abge¬
ordneten, den uralten Stuhl der Sachsenkaiser in die moderne Eröffnungs¬
feier hineinschob."

Von dem Verhältnis des Kronprinzen zu seiner Gemahlin berichtet Freytag
wiederholt. Wir geben nur folgendes wieder. "Seine Hingabe und Unter¬
ordnung s!j unter die geliebte Frau war eine völlige. Sie war die Herrin
seiner Jngend, die Vertraute aller seiner Gednukeu, seine Ratgeberin, überall,
wo sie Rat zu geben geneigt war. Anlage der Gärten, Schmuck der Wohnung,
Erziehung der Kinder, das Urteil über Menschen und Ereignisse j!j, alles richtete
er nach ihrer Persönlichkeit. Durch glückliche Jahre hatte sie mit Eifer und
zuweilen mit Geduld dahin gearbeitet, in der Seele des Gemahls die Interessen
großzuziehen, die ihr am Herzen lagen, und er empfand, was in ihm lebendig
geworden war, als ihr Werk. Ihm war, als hätte er erst durch sie sehen,
fühlen, das Wahre erkennen, das Schöne genießen gelernt. Es war leicht zu
verstehen, daß solche Herrschaft einer Frau dein Manne, dem künftigen Regenten
von Preußen Schwierigkeiten und Kämpfe zu bereiten drohte, größere vielleicht
der Frau selbst, welche da führte und hob, wo es dem Weibe Bedürfnis ist
geleitet zu werden."

Über den Kronprinzen in der Zeit nach 1871 schreibt Freytag u. a.
folgendes: "Nach seiner Erscheinung die glänzendste Heldengestalt, welche je
unter einem deutschen Helme geschritten ist, in der Auffassung des Volles
^natürlich des Volksteiles, der für Freytag das Volk bedeutet, der liberalen
Parteij ein erprobter, fester Mann, nach jeder Richtung berufen, Nachfolger
seines bejahrten Vaters zu werden, ein aufsteigender Stern für viele patrio¬
tische Wünsche und Hoffnungen ^z. B. für die der Patrioten Virchow, Richter
und Kompagniej, denen die Gegenwart völlige Erfüllung nicht bieten wollte,
kaum war ein schöneres und mehr glückverheißendes Dasein zu denken, als das
seine nach allgemeiner Meinung war. Aber nie sind durch das Geschick
irdischer Hoffnungen in gleich schmerzvoller Weise als eitel erwiesen worden.
Für die Nation waren die siebzehn Friedensjahre, in welchen Kaiser Wilhelm
uns noch erhalten blieb, eine Zeit des friedlichen Gedeihens, für den neuen
Staat, im ganzen betrachtet, eine glückliche Periode des allmählichen Eiulebens


Der Kronprinz Friedrich Wilhelm

Staatsmann für unzweckmäßig gehalten hat, sich die Freiheit des Entschlusses
durch irgend eine Verpflichtung zu beschränken, daß er aber den Herzenswunsch
des Thronfolgers jder inzwischen, wie unsre Leser wissen, eine wesentlich andre
Gestalt angenommen hattej allmählich aufnahm und in seiner Weise möglich
und durchführbar machte." „Jedenfalls sagt Freytag war er es, der
dem Gedanken, soweit er ihm zweckmäßig erschien, zum Leben verholfen hat.
Der Kronprinz aber bewahrte die Auffassung, daß die neue Kaiserwürde nur
dann die rechte Weihe erhalte, wenn sie als Fortsetzung jener alten römisch¬
kaiserlichen Majestät betrachtet werde, und er war eS, welcher bei der
Eröffnung des ersten deutschen Reichstags 1871, zum Erstaunen der Abge¬
ordneten, den uralten Stuhl der Sachsenkaiser in die moderne Eröffnungs¬
feier hineinschob."

Von dem Verhältnis des Kronprinzen zu seiner Gemahlin berichtet Freytag
wiederholt. Wir geben nur folgendes wieder. „Seine Hingabe und Unter¬
ordnung s!j unter die geliebte Frau war eine völlige. Sie war die Herrin
seiner Jngend, die Vertraute aller seiner Gednukeu, seine Ratgeberin, überall,
wo sie Rat zu geben geneigt war. Anlage der Gärten, Schmuck der Wohnung,
Erziehung der Kinder, das Urteil über Menschen und Ereignisse j!j, alles richtete
er nach ihrer Persönlichkeit. Durch glückliche Jahre hatte sie mit Eifer und
zuweilen mit Geduld dahin gearbeitet, in der Seele des Gemahls die Interessen
großzuziehen, die ihr am Herzen lagen, und er empfand, was in ihm lebendig
geworden war, als ihr Werk. Ihm war, als hätte er erst durch sie sehen,
fühlen, das Wahre erkennen, das Schöne genießen gelernt. Es war leicht zu
verstehen, daß solche Herrschaft einer Frau dein Manne, dem künftigen Regenten
von Preußen Schwierigkeiten und Kämpfe zu bereiten drohte, größere vielleicht
der Frau selbst, welche da führte und hob, wo es dem Weibe Bedürfnis ist
geleitet zu werden."

Über den Kronprinzen in der Zeit nach 1871 schreibt Freytag u. a.
folgendes: „Nach seiner Erscheinung die glänzendste Heldengestalt, welche je
unter einem deutschen Helme geschritten ist, in der Auffassung des Volles
^natürlich des Volksteiles, der für Freytag das Volk bedeutet, der liberalen
Parteij ein erprobter, fester Mann, nach jeder Richtung berufen, Nachfolger
seines bejahrten Vaters zu werden, ein aufsteigender Stern für viele patrio¬
tische Wünsche und Hoffnungen ^z. B. für die der Patrioten Virchow, Richter
und Kompagniej, denen die Gegenwart völlige Erfüllung nicht bieten wollte,
kaum war ein schöneres und mehr glückverheißendes Dasein zu denken, als das
seine nach allgemeiner Meinung war. Aber nie sind durch das Geschick
irdischer Hoffnungen in gleich schmerzvoller Weise als eitel erwiesen worden.
Für die Nation waren die siebzehn Friedensjahre, in welchen Kaiser Wilhelm
uns noch erhalten blieb, eine Zeit des friedlichen Gedeihens, für den neuen
Staat, im ganzen betrachtet, eine glückliche Periode des allmählichen Eiulebens


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0324" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/206323"/>
          <fw type="header" place="top"> Der Kronprinz Friedrich Wilhelm</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_1078" prev="#ID_1077"> Staatsmann für unzweckmäßig gehalten hat, sich die Freiheit des Entschlusses<lb/>
durch irgend eine Verpflichtung zu beschränken, daß er aber den Herzenswunsch<lb/>
des Thronfolgers jder inzwischen, wie unsre Leser wissen, eine wesentlich andre<lb/>
Gestalt angenommen hattej allmählich aufnahm und in seiner Weise möglich<lb/>
und durchführbar machte." &#x201E;Jedenfalls sagt Freytag war er es, der<lb/>
dem Gedanken, soweit er ihm zweckmäßig erschien, zum Leben verholfen hat.<lb/>
Der Kronprinz aber bewahrte die Auffassung, daß die neue Kaiserwürde nur<lb/>
dann die rechte Weihe erhalte, wenn sie als Fortsetzung jener alten römisch¬<lb/>
kaiserlichen Majestät betrachtet werde, und er war eS, welcher bei der<lb/>
Eröffnung des ersten deutschen Reichstags 1871, zum Erstaunen der Abge¬<lb/>
ordneten, den uralten Stuhl der Sachsenkaiser in die moderne Eröffnungs¬<lb/>
feier hineinschob."</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1079"> Von dem Verhältnis des Kronprinzen zu seiner Gemahlin berichtet Freytag<lb/>
wiederholt. Wir geben nur folgendes wieder. &#x201E;Seine Hingabe und Unter¬<lb/>
ordnung s!j unter die geliebte Frau war eine völlige. Sie war die Herrin<lb/>
seiner Jngend, die Vertraute aller seiner Gednukeu, seine Ratgeberin, überall,<lb/>
wo sie Rat zu geben geneigt war. Anlage der Gärten, Schmuck der Wohnung,<lb/>
Erziehung der Kinder, das Urteil über Menschen und Ereignisse j!j, alles richtete<lb/>
er nach ihrer Persönlichkeit. Durch glückliche Jahre hatte sie mit Eifer und<lb/>
zuweilen mit Geduld dahin gearbeitet, in der Seele des Gemahls die Interessen<lb/>
großzuziehen, die ihr am Herzen lagen, und er empfand, was in ihm lebendig<lb/>
geworden war, als ihr Werk. Ihm war, als hätte er erst durch sie sehen,<lb/>
fühlen, das Wahre erkennen, das Schöne genießen gelernt. Es war leicht zu<lb/>
verstehen, daß solche Herrschaft einer Frau dein Manne, dem künftigen Regenten<lb/>
von Preußen Schwierigkeiten und Kämpfe zu bereiten drohte, größere vielleicht<lb/>
der Frau selbst, welche da führte und hob, wo es dem Weibe Bedürfnis ist<lb/>
geleitet zu werden."</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1080" next="#ID_1081"> Über den Kronprinzen in der Zeit nach 1871 schreibt Freytag u. a.<lb/>
folgendes: &#x201E;Nach seiner Erscheinung die glänzendste Heldengestalt, welche je<lb/>
unter einem deutschen Helme geschritten ist, in der Auffassung des Volles<lb/>
^natürlich des Volksteiles, der für Freytag das Volk bedeutet, der liberalen<lb/>
Parteij ein erprobter, fester Mann, nach jeder Richtung berufen, Nachfolger<lb/>
seines bejahrten Vaters zu werden, ein aufsteigender Stern für viele patrio¬<lb/>
tische Wünsche und Hoffnungen ^z. B. für die der Patrioten Virchow, Richter<lb/>
und Kompagniej, denen die Gegenwart völlige Erfüllung nicht bieten wollte,<lb/>
kaum war ein schöneres und mehr glückverheißendes Dasein zu denken, als das<lb/>
seine nach allgemeiner Meinung war. Aber nie sind durch das Geschick<lb/>
irdischer Hoffnungen in gleich schmerzvoller Weise als eitel erwiesen worden.<lb/>
Für die Nation waren die siebzehn Friedensjahre, in welchen Kaiser Wilhelm<lb/>
uns noch erhalten blieb, eine Zeit des friedlichen Gedeihens, für den neuen<lb/>
Staat, im ganzen betrachtet, eine glückliche Periode des allmählichen Eiulebens</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0324] Der Kronprinz Friedrich Wilhelm Staatsmann für unzweckmäßig gehalten hat, sich die Freiheit des Entschlusses durch irgend eine Verpflichtung zu beschränken, daß er aber den Herzenswunsch des Thronfolgers jder inzwischen, wie unsre Leser wissen, eine wesentlich andre Gestalt angenommen hattej allmählich aufnahm und in seiner Weise möglich und durchführbar machte." „Jedenfalls sagt Freytag war er es, der dem Gedanken, soweit er ihm zweckmäßig erschien, zum Leben verholfen hat. Der Kronprinz aber bewahrte die Auffassung, daß die neue Kaiserwürde nur dann die rechte Weihe erhalte, wenn sie als Fortsetzung jener alten römisch¬ kaiserlichen Majestät betrachtet werde, und er war eS, welcher bei der Eröffnung des ersten deutschen Reichstags 1871, zum Erstaunen der Abge¬ ordneten, den uralten Stuhl der Sachsenkaiser in die moderne Eröffnungs¬ feier hineinschob." Von dem Verhältnis des Kronprinzen zu seiner Gemahlin berichtet Freytag wiederholt. Wir geben nur folgendes wieder. „Seine Hingabe und Unter¬ ordnung s!j unter die geliebte Frau war eine völlige. Sie war die Herrin seiner Jngend, die Vertraute aller seiner Gednukeu, seine Ratgeberin, überall, wo sie Rat zu geben geneigt war. Anlage der Gärten, Schmuck der Wohnung, Erziehung der Kinder, das Urteil über Menschen und Ereignisse j!j, alles richtete er nach ihrer Persönlichkeit. Durch glückliche Jahre hatte sie mit Eifer und zuweilen mit Geduld dahin gearbeitet, in der Seele des Gemahls die Interessen großzuziehen, die ihr am Herzen lagen, und er empfand, was in ihm lebendig geworden war, als ihr Werk. Ihm war, als hätte er erst durch sie sehen, fühlen, das Wahre erkennen, das Schöne genießen gelernt. Es war leicht zu verstehen, daß solche Herrschaft einer Frau dein Manne, dem künftigen Regenten von Preußen Schwierigkeiten und Kämpfe zu bereiten drohte, größere vielleicht der Frau selbst, welche da führte und hob, wo es dem Weibe Bedürfnis ist geleitet zu werden." Über den Kronprinzen in der Zeit nach 1871 schreibt Freytag u. a. folgendes: „Nach seiner Erscheinung die glänzendste Heldengestalt, welche je unter einem deutschen Helme geschritten ist, in der Auffassung des Volles ^natürlich des Volksteiles, der für Freytag das Volk bedeutet, der liberalen Parteij ein erprobter, fester Mann, nach jeder Richtung berufen, Nachfolger seines bejahrten Vaters zu werden, ein aufsteigender Stern für viele patrio¬ tische Wünsche und Hoffnungen ^z. B. für die der Patrioten Virchow, Richter und Kompagniej, denen die Gegenwart völlige Erfüllung nicht bieten wollte, kaum war ein schöneres und mehr glückverheißendes Dasein zu denken, als das seine nach allgemeiner Meinung war. Aber nie sind durch das Geschick irdischer Hoffnungen in gleich schmerzvoller Weise als eitel erwiesen worden. Für die Nation waren die siebzehn Friedensjahre, in welchen Kaiser Wilhelm uns noch erhalten blieb, eine Zeit des friedlichen Gedeihens, für den neuen Staat, im ganzen betrachtet, eine glückliche Periode des allmählichen Eiulebens

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_205998
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_205998/324
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_205998/324>, abgerufen am 02.07.2024.