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Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Viertes Vierteljahr.

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Der 'Kronprinz Friedrich Wilhelm

darüber fragen wir auch nicht nach den Gründen, die ihn veranlaßt haben
könnten, der Wahrheit in so auffälliger Weise die Ehre zu geben, und begnügen
uns mit der etwas pathetischen Versicherung des Verfassers, daß er "nicht im¬
stande sei, vor der höchsten Erdenhoheit sein Urteil gefangen zu geben," und
daß er glaube, "daß den Gebietern unsers Staates besser gedeihen muß, über
solche zu herrschen, welche sich eine selbständige Auffassung bewahren, als über
die, welche Nacken und Meinung gefügig beugen." Andernfalls hätte sich wohl
eine Erklärung in ähnlichen erstaunlichen Erscheinungen der jüngsten Zeit suchen
lassen, z, B. in den Broschüren "Mitregenten und fremde Hände in Deutsch¬
land" und "Auch ein Programm ans den 9!" Tagen," mit deren Verfasser
Freytag gleichermaßen befreundet und gesinnungsverwandt ist. Aber gleichviel,
man muß nicht zu viel wissen wollen, und man darf Vergangnes vergessen, wenn
die Gegenwart erfreut. In dieser angenehmen Stimmung rechten wir auch darüber
nicht mit dem Verfasser unsrer Flugschrift, daß er ihr, wohl nur, um ihr eine
etwas ansehnlichere Seitenzahl zu verschaffen, als Anhang einige alte, schon abge¬
druckte Aufsätze, die teils wenig, teils gar nicht unter deu Titel passen und
überhaupt von geringer Bedeutung sind, und ein ebenfalls schon gedrucktes
Gedicht beigegeben hat, das keinen Anspruch darauf hatte, wieder ausgegraben
und aufgehoben zu werden.

Was über das Hauptthema, die Stellung des Kronprinzen zur Kaiser¬
frage, nach Erinnerungen ans den Tagen mitgeteilt wird, wo Freytag seinen
fürstlichen Freund von der Grenze bis nach Reims begleitete, ist zwar unvoll¬
ständig, aber neu und zum Teil sehr wichtig, insofern als es mehr Licht und
ein ganz verschiednes Licht ans die Beweggründe wirft, nach denen der Kron¬
prinz sich für die deutsche Kaiserkrone begeisterte, als Dr. Gesfkcn, ein andrer
Freund des verewigten Herrn und Freytags, mit seiner berüchtigten Veröffent¬
lichung über dieses Interesse zu verbreiten suchte. Im Folgenden geben nur
eine Zusammenstellung des hauptsächlichsten aus jenen Mitteilungen, wobei wir
uns bisweilen etwas zwischen den Zeilen zu lesen erlauben werden, unser
Ergebnis aber Wohl für uns behalten dürfen, da wir sicher sind, daß unsre
Leser dasselbe thun und ähnliches gewahren werden.

Am 11. August machte das Hauptquartier, mit dem Freytag in den Krieg
gezogen war, in dein Vogesendorfe Petersbach einen Rasttag, und der Kron¬
prinz hatte mit Freytag hier vor seinem Quartier eine Unterredung, wobei er
zunächst von einer Denkschrift für deu Bundeskanzler sprach, in der er diesem aus¬
einandergesetzt hatte, was ihm als nach Beendigung des Krieges für Deutschland
wünschenswert erscheine, und die er Freytag einige Tage zuvor zu lesen gegeben
hatte. Dann begann er: "Und was soll mit Deutschland werden, welche
Stellung soll der König von Preußen nach dem Kriege erhalten?" Der Ge¬
fragte antwortete: "Wenn es ein Friede wird, wie wir ihn jetzt hoffen dürfen,
so ist die Mainlinie kein Hindernis mehr, die Süddeutschen können unter ähn-


Grenzbotcn IV 1889 l0
Der 'Kronprinz Friedrich Wilhelm

darüber fragen wir auch nicht nach den Gründen, die ihn veranlaßt haben
könnten, der Wahrheit in so auffälliger Weise die Ehre zu geben, und begnügen
uns mit der etwas pathetischen Versicherung des Verfassers, daß er „nicht im¬
stande sei, vor der höchsten Erdenhoheit sein Urteil gefangen zu geben," und
daß er glaube, „daß den Gebietern unsers Staates besser gedeihen muß, über
solche zu herrschen, welche sich eine selbständige Auffassung bewahren, als über
die, welche Nacken und Meinung gefügig beugen." Andernfalls hätte sich wohl
eine Erklärung in ähnlichen erstaunlichen Erscheinungen der jüngsten Zeit suchen
lassen, z, B. in den Broschüren „Mitregenten und fremde Hände in Deutsch¬
land" und „Auch ein Programm ans den 9!» Tagen," mit deren Verfasser
Freytag gleichermaßen befreundet und gesinnungsverwandt ist. Aber gleichviel,
man muß nicht zu viel wissen wollen, und man darf Vergangnes vergessen, wenn
die Gegenwart erfreut. In dieser angenehmen Stimmung rechten wir auch darüber
nicht mit dem Verfasser unsrer Flugschrift, daß er ihr, wohl nur, um ihr eine
etwas ansehnlichere Seitenzahl zu verschaffen, als Anhang einige alte, schon abge¬
druckte Aufsätze, die teils wenig, teils gar nicht unter deu Titel passen und
überhaupt von geringer Bedeutung sind, und ein ebenfalls schon gedrucktes
Gedicht beigegeben hat, das keinen Anspruch darauf hatte, wieder ausgegraben
und aufgehoben zu werden.

Was über das Hauptthema, die Stellung des Kronprinzen zur Kaiser¬
frage, nach Erinnerungen ans den Tagen mitgeteilt wird, wo Freytag seinen
fürstlichen Freund von der Grenze bis nach Reims begleitete, ist zwar unvoll¬
ständig, aber neu und zum Teil sehr wichtig, insofern als es mehr Licht und
ein ganz verschiednes Licht ans die Beweggründe wirft, nach denen der Kron¬
prinz sich für die deutsche Kaiserkrone begeisterte, als Dr. Gesfkcn, ein andrer
Freund des verewigten Herrn und Freytags, mit seiner berüchtigten Veröffent¬
lichung über dieses Interesse zu verbreiten suchte. Im Folgenden geben nur
eine Zusammenstellung des hauptsächlichsten aus jenen Mitteilungen, wobei wir
uns bisweilen etwas zwischen den Zeilen zu lesen erlauben werden, unser
Ergebnis aber Wohl für uns behalten dürfen, da wir sicher sind, daß unsre
Leser dasselbe thun und ähnliches gewahren werden.

Am 11. August machte das Hauptquartier, mit dem Freytag in den Krieg
gezogen war, in dein Vogesendorfe Petersbach einen Rasttag, und der Kron¬
prinz hatte mit Freytag hier vor seinem Quartier eine Unterredung, wobei er
zunächst von einer Denkschrift für deu Bundeskanzler sprach, in der er diesem aus¬
einandergesetzt hatte, was ihm als nach Beendigung des Krieges für Deutschland
wünschenswert erscheine, und die er Freytag einige Tage zuvor zu lesen gegeben
hatte. Dann begann er: „Und was soll mit Deutschland werden, welche
Stellung soll der König von Preußen nach dem Kriege erhalten?" Der Ge¬
fragte antwortete: „Wenn es ein Friede wird, wie wir ihn jetzt hoffen dürfen,
so ist die Mainlinie kein Hindernis mehr, die Süddeutschen können unter ähn-


Grenzbotcn IV 1889 l0
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[0321] Der 'Kronprinz Friedrich Wilhelm darüber fragen wir auch nicht nach den Gründen, die ihn veranlaßt haben könnten, der Wahrheit in so auffälliger Weise die Ehre zu geben, und begnügen uns mit der etwas pathetischen Versicherung des Verfassers, daß er „nicht im¬ stande sei, vor der höchsten Erdenhoheit sein Urteil gefangen zu geben," und daß er glaube, „daß den Gebietern unsers Staates besser gedeihen muß, über solche zu herrschen, welche sich eine selbständige Auffassung bewahren, als über die, welche Nacken und Meinung gefügig beugen." Andernfalls hätte sich wohl eine Erklärung in ähnlichen erstaunlichen Erscheinungen der jüngsten Zeit suchen lassen, z, B. in den Broschüren „Mitregenten und fremde Hände in Deutsch¬ land" und „Auch ein Programm ans den 9!» Tagen," mit deren Verfasser Freytag gleichermaßen befreundet und gesinnungsverwandt ist. Aber gleichviel, man muß nicht zu viel wissen wollen, und man darf Vergangnes vergessen, wenn die Gegenwart erfreut. In dieser angenehmen Stimmung rechten wir auch darüber nicht mit dem Verfasser unsrer Flugschrift, daß er ihr, wohl nur, um ihr eine etwas ansehnlichere Seitenzahl zu verschaffen, als Anhang einige alte, schon abge¬ druckte Aufsätze, die teils wenig, teils gar nicht unter deu Titel passen und überhaupt von geringer Bedeutung sind, und ein ebenfalls schon gedrucktes Gedicht beigegeben hat, das keinen Anspruch darauf hatte, wieder ausgegraben und aufgehoben zu werden. Was über das Hauptthema, die Stellung des Kronprinzen zur Kaiser¬ frage, nach Erinnerungen ans den Tagen mitgeteilt wird, wo Freytag seinen fürstlichen Freund von der Grenze bis nach Reims begleitete, ist zwar unvoll¬ ständig, aber neu und zum Teil sehr wichtig, insofern als es mehr Licht und ein ganz verschiednes Licht ans die Beweggründe wirft, nach denen der Kron¬ prinz sich für die deutsche Kaiserkrone begeisterte, als Dr. Gesfkcn, ein andrer Freund des verewigten Herrn und Freytags, mit seiner berüchtigten Veröffent¬ lichung über dieses Interesse zu verbreiten suchte. Im Folgenden geben nur eine Zusammenstellung des hauptsächlichsten aus jenen Mitteilungen, wobei wir uns bisweilen etwas zwischen den Zeilen zu lesen erlauben werden, unser Ergebnis aber Wohl für uns behalten dürfen, da wir sicher sind, daß unsre Leser dasselbe thun und ähnliches gewahren werden. Am 11. August machte das Hauptquartier, mit dem Freytag in den Krieg gezogen war, in dein Vogesendorfe Petersbach einen Rasttag, und der Kron¬ prinz hatte mit Freytag hier vor seinem Quartier eine Unterredung, wobei er zunächst von einer Denkschrift für deu Bundeskanzler sprach, in der er diesem aus¬ einandergesetzt hatte, was ihm als nach Beendigung des Krieges für Deutschland wünschenswert erscheine, und die er Freytag einige Tage zuvor zu lesen gegeben hatte. Dann begann er: „Und was soll mit Deutschland werden, welche Stellung soll der König von Preußen nach dem Kriege erhalten?" Der Ge¬ fragte antwortete: „Wenn es ein Friede wird, wie wir ihn jetzt hoffen dürfen, so ist die Mainlinie kein Hindernis mehr, die Süddeutschen können unter ähn- Grenzbotcn IV 1889 l0

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_205998/321>, abgerufen am 02.07.2024.