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Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Viertes Vierteljahr.

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Das rauchfreie Pulver

denken unauslöschlich eingeprägt ist. Aber nicht allein die Thätigkeit der höhern
Führung im Gefecht ist beeinträchtigt, auch die vor dein Gefecht, die sich auf die
Bereitstellung der Streitkräfte zur Entscheidung bezieht. Je weniger von Gegner
bekannt ist, je weniger mau von seinen Maßnahmen gehört hat, desto schwie¬
riger ist sie, und vom Feinde wird vor dein Gefecht in Zukunft weniger als
früher zu erfahren sein, weil der Anfklnrnngsdienst mühevoller und trotzdem
unergiebiger geworden ist. Selbstverständlich muß die höhere Führung trotzdem
die Gefechtsleitung in der Hand behalten. Ausgiebige Zurückstellung von
Reserven wird dazu das beste Mittel sein, damit sie dort eingesetzt werden
können, wo es dem Führer nötig scheint, dem Gefecht Nachdruck zu geben.
Das klingt ganz einleuchtend. Aber woran soll man erkennen, wann die
richtige Zeit gekommen ist, wo der günstigste Ort zur Verwendung der Reserven
sich befindet? Hier liegt noch eine große Schwierigkeit. Bevbachtnngsoffiziere in
Fesselluftschiffen mögen unter günstigen Verhältnissen auch im Bewegungskrieg
Vorteilhaftes leisten, vorläufig würde man sich jedoch noch nicht auf sie verlassen
können. Dafür sind auf alle bedeutenden Punkte des Gefechtsfeldes besondre
Organe der höhern Führung zu entsenden, aufs genaueste vertraut mit den
Absichten der letztern und ausgerüstet mit allem Nötigen, um die Verbindung
mit der höhern Stelle stets aufrecht zu erhalten. Sollten besonders ausge¬
wählte Offiziere zu diesem Zweck nicht genügen, was wahrscheinlich ist, so muß
die Technik des Verkehrswesens Abhilfe schaffen, sie findet hier ein weites Feld
für ihre Erfindungsgabe. Am Ende aber wird man sich darauf verlassen
müssen, daß das gottbegnadete Führergenie der Zukunft den Ausweg aus
diesem Labyrinth der Schwierigkeiten finden werde.

Einfacher als für die höhere Führung sind die Vorschläge zur Abwehr
und zur Ausnutzung der Folgen des ranchfreien Pulvers für die Truppe.
Vergegenwärtigen wir uns zuerst noch einmal, was wir in dieser Beziehung
für die einzelne Waffengattung festgestellt haben. Infanterie und Artillerie
werden eigentlich wenig durch die Rauchfreiheit beeinflußt. Die Vor- und
Nachteile sind für diese Truppen derart, daß sie sich im allgemeinen gegenseitig
aufheben. Wir wollen damit nicht bestreiten, daß unter gewissen günstigen
Umständen die wirkliche Ausnutzung der Feuerwaffen erst jetzt bei der Rauch¬
freiheit möglich sein wird. Wir glauben aber nicht an das häufige Eintreten
solcher günstige" Umstände, sondern meinen vielmehr, daß sie nur ganz ver¬
einzelte Ausnahmen bilden werden.

Die Kavallerie hat schwerer nnter dem neuen Pulver zu leiden als die
beiden andern Truppengattungen; ihr Hauptvorzug, die Überraschung, wird ihr
zum Teil genommen. Sie muß diesen Verlust einzubringen suchen, und das
wirksamste Mittel dazu besteht darin, sich auf dem Schlachtfelde vor dem Augen¬
blicke des Eingreifens möglichst unsichtbar zu machen. Da dies nun nicht auf
die Weise angeht, die von französischen Fachzeitschriften ernsthaft besprochen


Das rauchfreie Pulver

denken unauslöschlich eingeprägt ist. Aber nicht allein die Thätigkeit der höhern
Führung im Gefecht ist beeinträchtigt, auch die vor dein Gefecht, die sich auf die
Bereitstellung der Streitkräfte zur Entscheidung bezieht. Je weniger von Gegner
bekannt ist, je weniger mau von seinen Maßnahmen gehört hat, desto schwie¬
riger ist sie, und vom Feinde wird vor dein Gefecht in Zukunft weniger als
früher zu erfahren sein, weil der Anfklnrnngsdienst mühevoller und trotzdem
unergiebiger geworden ist. Selbstverständlich muß die höhere Führung trotzdem
die Gefechtsleitung in der Hand behalten. Ausgiebige Zurückstellung von
Reserven wird dazu das beste Mittel sein, damit sie dort eingesetzt werden
können, wo es dem Führer nötig scheint, dem Gefecht Nachdruck zu geben.
Das klingt ganz einleuchtend. Aber woran soll man erkennen, wann die
richtige Zeit gekommen ist, wo der günstigste Ort zur Verwendung der Reserven
sich befindet? Hier liegt noch eine große Schwierigkeit. Bevbachtnngsoffiziere in
Fesselluftschiffen mögen unter günstigen Verhältnissen auch im Bewegungskrieg
Vorteilhaftes leisten, vorläufig würde man sich jedoch noch nicht auf sie verlassen
können. Dafür sind auf alle bedeutenden Punkte des Gefechtsfeldes besondre
Organe der höhern Führung zu entsenden, aufs genaueste vertraut mit den
Absichten der letztern und ausgerüstet mit allem Nötigen, um die Verbindung
mit der höhern Stelle stets aufrecht zu erhalten. Sollten besonders ausge¬
wählte Offiziere zu diesem Zweck nicht genügen, was wahrscheinlich ist, so muß
die Technik des Verkehrswesens Abhilfe schaffen, sie findet hier ein weites Feld
für ihre Erfindungsgabe. Am Ende aber wird man sich darauf verlassen
müssen, daß das gottbegnadete Führergenie der Zukunft den Ausweg aus
diesem Labyrinth der Schwierigkeiten finden werde.

Einfacher als für die höhere Führung sind die Vorschläge zur Abwehr
und zur Ausnutzung der Folgen des ranchfreien Pulvers für die Truppe.
Vergegenwärtigen wir uns zuerst noch einmal, was wir in dieser Beziehung
für die einzelne Waffengattung festgestellt haben. Infanterie und Artillerie
werden eigentlich wenig durch die Rauchfreiheit beeinflußt. Die Vor- und
Nachteile sind für diese Truppen derart, daß sie sich im allgemeinen gegenseitig
aufheben. Wir wollen damit nicht bestreiten, daß unter gewissen günstigen
Umständen die wirkliche Ausnutzung der Feuerwaffen erst jetzt bei der Rauch¬
freiheit möglich sein wird. Wir glauben aber nicht an das häufige Eintreten
solcher günstige» Umstände, sondern meinen vielmehr, daß sie nur ganz ver¬
einzelte Ausnahmen bilden werden.

Die Kavallerie hat schwerer nnter dem neuen Pulver zu leiden als die
beiden andern Truppengattungen; ihr Hauptvorzug, die Überraschung, wird ihr
zum Teil genommen. Sie muß diesen Verlust einzubringen suchen, und das
wirksamste Mittel dazu besteht darin, sich auf dem Schlachtfelde vor dem Augen¬
blicke des Eingreifens möglichst unsichtbar zu machen. Da dies nun nicht auf
die Weise angeht, die von französischen Fachzeitschriften ernsthaft besprochen


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[0318] Das rauchfreie Pulver denken unauslöschlich eingeprägt ist. Aber nicht allein die Thätigkeit der höhern Führung im Gefecht ist beeinträchtigt, auch die vor dein Gefecht, die sich auf die Bereitstellung der Streitkräfte zur Entscheidung bezieht. Je weniger von Gegner bekannt ist, je weniger mau von seinen Maßnahmen gehört hat, desto schwie¬ riger ist sie, und vom Feinde wird vor dein Gefecht in Zukunft weniger als früher zu erfahren sein, weil der Anfklnrnngsdienst mühevoller und trotzdem unergiebiger geworden ist. Selbstverständlich muß die höhere Führung trotzdem die Gefechtsleitung in der Hand behalten. Ausgiebige Zurückstellung von Reserven wird dazu das beste Mittel sein, damit sie dort eingesetzt werden können, wo es dem Führer nötig scheint, dem Gefecht Nachdruck zu geben. Das klingt ganz einleuchtend. Aber woran soll man erkennen, wann die richtige Zeit gekommen ist, wo der günstigste Ort zur Verwendung der Reserven sich befindet? Hier liegt noch eine große Schwierigkeit. Bevbachtnngsoffiziere in Fesselluftschiffen mögen unter günstigen Verhältnissen auch im Bewegungskrieg Vorteilhaftes leisten, vorläufig würde man sich jedoch noch nicht auf sie verlassen können. Dafür sind auf alle bedeutenden Punkte des Gefechtsfeldes besondre Organe der höhern Führung zu entsenden, aufs genaueste vertraut mit den Absichten der letztern und ausgerüstet mit allem Nötigen, um die Verbindung mit der höhern Stelle stets aufrecht zu erhalten. Sollten besonders ausge¬ wählte Offiziere zu diesem Zweck nicht genügen, was wahrscheinlich ist, so muß die Technik des Verkehrswesens Abhilfe schaffen, sie findet hier ein weites Feld für ihre Erfindungsgabe. Am Ende aber wird man sich darauf verlassen müssen, daß das gottbegnadete Führergenie der Zukunft den Ausweg aus diesem Labyrinth der Schwierigkeiten finden werde. Einfacher als für die höhere Führung sind die Vorschläge zur Abwehr und zur Ausnutzung der Folgen des ranchfreien Pulvers für die Truppe. Vergegenwärtigen wir uns zuerst noch einmal, was wir in dieser Beziehung für die einzelne Waffengattung festgestellt haben. Infanterie und Artillerie werden eigentlich wenig durch die Rauchfreiheit beeinflußt. Die Vor- und Nachteile sind für diese Truppen derart, daß sie sich im allgemeinen gegenseitig aufheben. Wir wollen damit nicht bestreiten, daß unter gewissen günstigen Umständen die wirkliche Ausnutzung der Feuerwaffen erst jetzt bei der Rauch¬ freiheit möglich sein wird. Wir glauben aber nicht an das häufige Eintreten solcher günstige» Umstände, sondern meinen vielmehr, daß sie nur ganz ver¬ einzelte Ausnahmen bilden werden. Die Kavallerie hat schwerer nnter dem neuen Pulver zu leiden als die beiden andern Truppengattungen; ihr Hauptvorzug, die Überraschung, wird ihr zum Teil genommen. Sie muß diesen Verlust einzubringen suchen, und das wirksamste Mittel dazu besteht darin, sich auf dem Schlachtfelde vor dem Augen¬ blicke des Eingreifens möglichst unsichtbar zu machen. Da dies nun nicht auf die Weise angeht, die von französischen Fachzeitschriften ernsthaft besprochen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_205998/318>, abgerufen am 02.07.2024.