Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Viertes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Linse und Jetzt

Wie ich wollte?" ist er nicht ganz natürlich, nur daß der Herzog ihn in
Wirklichkeit nicht in Versen und nicht in so geordneten Gedanken sprechen
wurde? Dafür ist die Kunst eben Kunst und uicht Natur, sie kann und
muß sich noch ganz andre Dinge erlauben. Der Künstler soll ein Priester
sein, aber wehe! er ist weit davon entfernt. Wie konnte Ibsen, wenn er
von der Hohe seines Berufes durchdrungen wäre, mit so ungeordneten
und unklaren Ideen vor das Publikum treten? Eine gewisse äußere Wahr¬
heit nimmt für sie ein. Der Dnrchschnittstheaterbcsucher und einzelne
fähige aber unzufriedne Köpfe merken nicht, daß er die bestehenden Zu¬
stände als Karikaturen zeichnet, das wäre um Platze in Lustspielen, die
dem Zuschauer gewisse Untugenden im Extrem vorführen und ihn dadurch
zur Vermeidung anregen wollen, Ibsen aber läßt seine Helden ganz ernst¬
haft dagegen kämpfen. So steht er in dieser Beziehung nicht viel über
dem Verfasser des berüchtigten Buches: "Konventionelle Lügen der Kultur-
menschheit."

Ein Zweig der bildenden Kunst kann niemals ganz auf Abwege geraten,
es ist die Bildniskunst. Ihre Ziele liegen zu klar vorgesteckt. Sie muß sich
immer um die vorhandne Persönlichkeit halten, deshalb kann sie nicht leicht
zu verschwommen idealistisch werden. Anderseits wird sie nicht leicht ganz
außer Acht lassen, Kunstwerke zu geben, weil das Erfordernis, mehr als Photo¬
graphie zu fein, zu klar vor Augen liegt. Freilich kann sie die dargestellten
Personen leicht zu äußerlich fassen, und das ist der Fehler der meisten Bild¬
nisse auf der Ausstellung.

Wie verhält sich das Publikum zu der herrschenden Kunstrichtung?
Einen würdig aussehenden ältern Herrn hörte ich vor dem Bilde von Exter,
das ein blau gekleidetes Mädchen auf dein grünen Grase eines Friedhofes
sitzend xlsin -ur darstellt, spöttisch ausrufen: "Ah, das ist nicht prämiirt?"
Dieselbe Ansicht zeigt sich beim Ankauf der Bilder. Sehr, sehr wenige xlein
zur-Bilder sind angekauft, und auch da nur solche kleinen Formats, die man
noch eher ertragen kann. Der Geschmack der Käufer wendet sich durchaus
den Künstlern zu, die in der alten Weise fortarbeiten. Den Käufer reizt noch
immer der Inhalt des Bildes, er will nicht eine große Leinwand haben, die
nur für den einen Sinn, das Auge, berechnet ist; außerdem stört ihn der helle
Fleck auf der Wand seines Zimmers. Diese Abneigung gegen xlLin iür ist so
stark, daß er mit geringern Talenten vorlieb nimmt, denn das ist wahr, die
bedeutendem von den Jüngern haben die Pleinairisten auf ihrer Seite. Sie
haben die führende Richtung und die andern, an Zahl ihnen überlegen, laufen
als zweite Qualität nebenher. Daß etwas Jugendliches und Kräftiges in der
Richtung liegt, haben wir betont, und auch das zeugt dafür, ja man könnte
es einen Heldenmut nennen, daß sie sich so wenig um die Verkäuflich den ihrer
Bilder kümmern, es ist eine Begeisterung, die einer bessern Sache würdig


Linse und Jetzt

Wie ich wollte?" ist er nicht ganz natürlich, nur daß der Herzog ihn in
Wirklichkeit nicht in Versen und nicht in so geordneten Gedanken sprechen
wurde? Dafür ist die Kunst eben Kunst und uicht Natur, sie kann und
muß sich noch ganz andre Dinge erlauben. Der Künstler soll ein Priester
sein, aber wehe! er ist weit davon entfernt. Wie konnte Ibsen, wenn er
von der Hohe seines Berufes durchdrungen wäre, mit so ungeordneten
und unklaren Ideen vor das Publikum treten? Eine gewisse äußere Wahr¬
heit nimmt für sie ein. Der Dnrchschnittstheaterbcsucher und einzelne
fähige aber unzufriedne Köpfe merken nicht, daß er die bestehenden Zu¬
stände als Karikaturen zeichnet, das wäre um Platze in Lustspielen, die
dem Zuschauer gewisse Untugenden im Extrem vorführen und ihn dadurch
zur Vermeidung anregen wollen, Ibsen aber läßt seine Helden ganz ernst¬
haft dagegen kämpfen. So steht er in dieser Beziehung nicht viel über
dem Verfasser des berüchtigten Buches: „Konventionelle Lügen der Kultur-
menschheit."

Ein Zweig der bildenden Kunst kann niemals ganz auf Abwege geraten,
es ist die Bildniskunst. Ihre Ziele liegen zu klar vorgesteckt. Sie muß sich
immer um die vorhandne Persönlichkeit halten, deshalb kann sie nicht leicht
zu verschwommen idealistisch werden. Anderseits wird sie nicht leicht ganz
außer Acht lassen, Kunstwerke zu geben, weil das Erfordernis, mehr als Photo¬
graphie zu fein, zu klar vor Augen liegt. Freilich kann sie die dargestellten
Personen leicht zu äußerlich fassen, und das ist der Fehler der meisten Bild¬
nisse auf der Ausstellung.

Wie verhält sich das Publikum zu der herrschenden Kunstrichtung?
Einen würdig aussehenden ältern Herrn hörte ich vor dem Bilde von Exter,
das ein blau gekleidetes Mädchen auf dein grünen Grase eines Friedhofes
sitzend xlsin -ur darstellt, spöttisch ausrufen: „Ah, das ist nicht prämiirt?"
Dieselbe Ansicht zeigt sich beim Ankauf der Bilder. Sehr, sehr wenige xlein
zur-Bilder sind angekauft, und auch da nur solche kleinen Formats, die man
noch eher ertragen kann. Der Geschmack der Käufer wendet sich durchaus
den Künstlern zu, die in der alten Weise fortarbeiten. Den Käufer reizt noch
immer der Inhalt des Bildes, er will nicht eine große Leinwand haben, die
nur für den einen Sinn, das Auge, berechnet ist; außerdem stört ihn der helle
Fleck auf der Wand seines Zimmers. Diese Abneigung gegen xlLin iür ist so
stark, daß er mit geringern Talenten vorlieb nimmt, denn das ist wahr, die
bedeutendem von den Jüngern haben die Pleinairisten auf ihrer Seite. Sie
haben die führende Richtung und die andern, an Zahl ihnen überlegen, laufen
als zweite Qualität nebenher. Daß etwas Jugendliches und Kräftiges in der
Richtung liegt, haben wir betont, und auch das zeugt dafür, ja man könnte
es einen Heldenmut nennen, daß sie sich so wenig um die Verkäuflich den ihrer
Bilder kümmern, es ist eine Begeisterung, die einer bessern Sache würdig


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0293" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/206292"/>
          <fw type="header" place="top"> Linse und Jetzt</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_969" prev="#ID_968"> Wie ich wollte?" ist er nicht ganz natürlich, nur daß der Herzog ihn in<lb/>
Wirklichkeit nicht in Versen und nicht in so geordneten Gedanken sprechen<lb/>
wurde? Dafür ist die Kunst eben Kunst und uicht Natur, sie kann und<lb/>
muß sich noch ganz andre Dinge erlauben. Der Künstler soll ein Priester<lb/>
sein, aber wehe! er ist weit davon entfernt. Wie konnte Ibsen, wenn er<lb/>
von der Hohe seines Berufes durchdrungen wäre, mit so ungeordneten<lb/>
und unklaren Ideen vor das Publikum treten? Eine gewisse äußere Wahr¬<lb/>
heit nimmt für sie ein. Der Dnrchschnittstheaterbcsucher und einzelne<lb/>
fähige aber unzufriedne Köpfe merken nicht, daß er die bestehenden Zu¬<lb/>
stände als Karikaturen zeichnet, das wäre um Platze in Lustspielen, die<lb/>
dem Zuschauer gewisse Untugenden im Extrem vorführen und ihn dadurch<lb/>
zur Vermeidung anregen wollen, Ibsen aber läßt seine Helden ganz ernst¬<lb/>
haft dagegen kämpfen. So steht er in dieser Beziehung nicht viel über<lb/>
dem Verfasser des berüchtigten Buches: &#x201E;Konventionelle Lügen der Kultur-<lb/>
menschheit."</p><lb/>
          <p xml:id="ID_970"> Ein Zweig der bildenden Kunst kann niemals ganz auf Abwege geraten,<lb/>
es ist die Bildniskunst. Ihre Ziele liegen zu klar vorgesteckt. Sie muß sich<lb/>
immer um die vorhandne Persönlichkeit halten, deshalb kann sie nicht leicht<lb/>
zu verschwommen idealistisch werden. Anderseits wird sie nicht leicht ganz<lb/>
außer Acht lassen, Kunstwerke zu geben, weil das Erfordernis, mehr als Photo¬<lb/>
graphie zu fein, zu klar vor Augen liegt. Freilich kann sie die dargestellten<lb/>
Personen leicht zu äußerlich fassen, und das ist der Fehler der meisten Bild¬<lb/>
nisse auf der Ausstellung.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_971" next="#ID_972"> Wie verhält sich das Publikum zu der herrschenden Kunstrichtung?<lb/>
Einen würdig aussehenden ältern Herrn hörte ich vor dem Bilde von Exter,<lb/>
das ein blau gekleidetes Mädchen auf dein grünen Grase eines Friedhofes<lb/>
sitzend xlsin -ur darstellt, spöttisch ausrufen: &#x201E;Ah, das ist nicht prämiirt?"<lb/>
Dieselbe Ansicht zeigt sich beim Ankauf der Bilder. Sehr, sehr wenige xlein<lb/>
zur-Bilder sind angekauft, und auch da nur solche kleinen Formats, die man<lb/>
noch eher ertragen kann. Der Geschmack der Käufer wendet sich durchaus<lb/>
den Künstlern zu, die in der alten Weise fortarbeiten. Den Käufer reizt noch<lb/>
immer der Inhalt des Bildes, er will nicht eine große Leinwand haben, die<lb/>
nur für den einen Sinn, das Auge, berechnet ist; außerdem stört ihn der helle<lb/>
Fleck auf der Wand seines Zimmers. Diese Abneigung gegen xlLin iür ist so<lb/>
stark, daß er mit geringern Talenten vorlieb nimmt, denn das ist wahr, die<lb/>
bedeutendem von den Jüngern haben die Pleinairisten auf ihrer Seite. Sie<lb/>
haben die führende Richtung und die andern, an Zahl ihnen überlegen, laufen<lb/>
als zweite Qualität nebenher. Daß etwas Jugendliches und Kräftiges in der<lb/>
Richtung liegt, haben wir betont, und auch das zeugt dafür, ja man könnte<lb/>
es einen Heldenmut nennen, daß sie sich so wenig um die Verkäuflich den ihrer<lb/>
Bilder kümmern, es ist eine Begeisterung, die einer bessern Sache würdig</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0293] Linse und Jetzt Wie ich wollte?" ist er nicht ganz natürlich, nur daß der Herzog ihn in Wirklichkeit nicht in Versen und nicht in so geordneten Gedanken sprechen wurde? Dafür ist die Kunst eben Kunst und uicht Natur, sie kann und muß sich noch ganz andre Dinge erlauben. Der Künstler soll ein Priester sein, aber wehe! er ist weit davon entfernt. Wie konnte Ibsen, wenn er von der Hohe seines Berufes durchdrungen wäre, mit so ungeordneten und unklaren Ideen vor das Publikum treten? Eine gewisse äußere Wahr¬ heit nimmt für sie ein. Der Dnrchschnittstheaterbcsucher und einzelne fähige aber unzufriedne Köpfe merken nicht, daß er die bestehenden Zu¬ stände als Karikaturen zeichnet, das wäre um Platze in Lustspielen, die dem Zuschauer gewisse Untugenden im Extrem vorführen und ihn dadurch zur Vermeidung anregen wollen, Ibsen aber läßt seine Helden ganz ernst¬ haft dagegen kämpfen. So steht er in dieser Beziehung nicht viel über dem Verfasser des berüchtigten Buches: „Konventionelle Lügen der Kultur- menschheit." Ein Zweig der bildenden Kunst kann niemals ganz auf Abwege geraten, es ist die Bildniskunst. Ihre Ziele liegen zu klar vorgesteckt. Sie muß sich immer um die vorhandne Persönlichkeit halten, deshalb kann sie nicht leicht zu verschwommen idealistisch werden. Anderseits wird sie nicht leicht ganz außer Acht lassen, Kunstwerke zu geben, weil das Erfordernis, mehr als Photo¬ graphie zu fein, zu klar vor Augen liegt. Freilich kann sie die dargestellten Personen leicht zu äußerlich fassen, und das ist der Fehler der meisten Bild¬ nisse auf der Ausstellung. Wie verhält sich das Publikum zu der herrschenden Kunstrichtung? Einen würdig aussehenden ältern Herrn hörte ich vor dem Bilde von Exter, das ein blau gekleidetes Mädchen auf dein grünen Grase eines Friedhofes sitzend xlsin -ur darstellt, spöttisch ausrufen: „Ah, das ist nicht prämiirt?" Dieselbe Ansicht zeigt sich beim Ankauf der Bilder. Sehr, sehr wenige xlein zur-Bilder sind angekauft, und auch da nur solche kleinen Formats, die man noch eher ertragen kann. Der Geschmack der Käufer wendet sich durchaus den Künstlern zu, die in der alten Weise fortarbeiten. Den Käufer reizt noch immer der Inhalt des Bildes, er will nicht eine große Leinwand haben, die nur für den einen Sinn, das Auge, berechnet ist; außerdem stört ihn der helle Fleck auf der Wand seines Zimmers. Diese Abneigung gegen xlLin iür ist so stark, daß er mit geringern Talenten vorlieb nimmt, denn das ist wahr, die bedeutendem von den Jüngern haben die Pleinairisten auf ihrer Seite. Sie haben die führende Richtung und die andern, an Zahl ihnen überlegen, laufen als zweite Qualität nebenher. Daß etwas Jugendliches und Kräftiges in der Richtung liegt, haben wir betont, und auch das zeugt dafür, ja man könnte es einen Heldenmut nennen, daß sie sich so wenig um die Verkäuflich den ihrer Bilder kümmern, es ist eine Begeisterung, die einer bessern Sache würdig

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_205998
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_205998/293
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_205998/293>, abgerufen am 22.12.2024.