Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Viertes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Linse und Jetzt

Verbindung nötigte die Menschen früher zu größerer Ruhe; der Künstler konnte
seine Ideale langsam ausreifen lassen, und das gehört zum künstlerischen
Schaffen, Darum werden heute fast nur noch Skizzen gemalt. Man kommt
nicht dazu, seine Studien zu verwerten, zu Kunstwerken zusammenzustellen.
Die Einführung der Jahresausstellungen ist ein Unglück für die Kunst, Wohl
wird dem Künstler dadurch ein Markt geboten zum leichtern Absatz seiner
Arbeit, aber das ist eine gefährliche, verlockende Gelegenheit, Immer schneller
wird er mit seinen Bildern fertig sein, immer weniger wird er sie durchführen,
durchdenken. Schon ist die Komposition vollständig über Bord geworfen, und
bloße Studie" werden als Bilder gebracht, Darum auch der stetige Rückgang
in der Ausübung und Beachtung der Plastik, Diese leidet das Skizzenhafte
viel weniger, ein plastisches Kunstwerk muß viel mehr abgewogen werden, sonst
fällt selbst dem ungeübten Blick auf, das; hier nichts Fertiges vorliegt. Freilich
ist in dieser Ausstellung der Plastik ein Raum geschaffen wie früher nie: ihre
Werke sind in einer schönen Gartenanlage aufgestellt. Aber wie wenig schon
beachtet sie die Künstlerschaft! Die Prümiirnng zeigt deutlich, daß man nur
notgedrungen und da ohne viel Besinne", um die lästige Arbeit so bald als
möglich los zu sein, einige Preise gegeben hat. Wie wäre es sonst möglich,
daß der "sliegenfangende Teufel" vou Nngust Sommer in Rom keinen Preis
bekommen hat, ein Werk, das sich den besten der kleinen antiken Bronzen im
Museum zu Neapel, die dem Künstler zum Studium (wohlverstanden nicht
zur Nachahmung) gedient haben, an die Seite stellen kaun, daß desselben
Künstlers vortreffliche lebensgroße Brunnenfigur des Sklaven mit dem ge¬
stohlenen Weinschlauch auf der vorigen Ausstellung nicht als Brunnenfigur,
Wasser speiend eingerichtet war, und auf diese Weise ihr eigentlicher, hübscher
Gedanke verloren ging? Der tapfere Künstler, der die Fahne der echten Kunst
in Not und Sorge hoch gehalten hat, ist grau geworden, ehe er es zu einer
eiuigermnßeu sichern Lebensstellung gebracht hat. Leute mit so hohen Idealen
bringen es spät zur Anerkennung, Aufgabe der Künstlerschaft wäre es, ihnen
dabei zu helfen. Doch der Wahlspruch ist ja gegenwärtig Formlosigkeit, und
der hat tief Wurzel geschlagen. Richard Wagner hat in der Musik die Form
fast gänzlich aufgelöst, nachdem sie andre schon durchbrochen hatten, viele
Schauspieler, und unter ihnen die talentvollsten, wollen heute keine Verse mehr
spreche". Welch unverantwortliche Gewaltthat ist es, die Verse eines Dichters
zu zerreiße" und sie wie Prosa vorzutragen! Vollständiges Verkennen der
Kunst ist die Forderung vou Ibsen, daß ein draiuatischer Dichter keine Mono¬
loge mehr schreiben dürfe, weil sie in Wirklichkeit nicht vorkämen. Nicht einmal
die Behauptung über die Natürlichkeit ist richtig, wie so viele derartige der
modernen Künstler und ihrer Nachfolger, Wer hätte nicht schon einmal ein
Selbstgespräch gehalten und eine Sache nach allen Seiten in sich überlegt?
Der berühmte Monolog des Wallenstein: "Wars möglich, konnt ich nicht mehr,


Linse und Jetzt

Verbindung nötigte die Menschen früher zu größerer Ruhe; der Künstler konnte
seine Ideale langsam ausreifen lassen, und das gehört zum künstlerischen
Schaffen, Darum werden heute fast nur noch Skizzen gemalt. Man kommt
nicht dazu, seine Studien zu verwerten, zu Kunstwerken zusammenzustellen.
Die Einführung der Jahresausstellungen ist ein Unglück für die Kunst, Wohl
wird dem Künstler dadurch ein Markt geboten zum leichtern Absatz seiner
Arbeit, aber das ist eine gefährliche, verlockende Gelegenheit, Immer schneller
wird er mit seinen Bildern fertig sein, immer weniger wird er sie durchführen,
durchdenken. Schon ist die Komposition vollständig über Bord geworfen, und
bloße Studie» werden als Bilder gebracht, Darum auch der stetige Rückgang
in der Ausübung und Beachtung der Plastik, Diese leidet das Skizzenhafte
viel weniger, ein plastisches Kunstwerk muß viel mehr abgewogen werden, sonst
fällt selbst dem ungeübten Blick auf, das; hier nichts Fertiges vorliegt. Freilich
ist in dieser Ausstellung der Plastik ein Raum geschaffen wie früher nie: ihre
Werke sind in einer schönen Gartenanlage aufgestellt. Aber wie wenig schon
beachtet sie die Künstlerschaft! Die Prümiirnng zeigt deutlich, daß man nur
notgedrungen und da ohne viel Besinne», um die lästige Arbeit so bald als
möglich los zu sein, einige Preise gegeben hat. Wie wäre es sonst möglich,
daß der „sliegenfangende Teufel" vou Nngust Sommer in Rom keinen Preis
bekommen hat, ein Werk, das sich den besten der kleinen antiken Bronzen im
Museum zu Neapel, die dem Künstler zum Studium (wohlverstanden nicht
zur Nachahmung) gedient haben, an die Seite stellen kaun, daß desselben
Künstlers vortreffliche lebensgroße Brunnenfigur des Sklaven mit dem ge¬
stohlenen Weinschlauch auf der vorigen Ausstellung nicht als Brunnenfigur,
Wasser speiend eingerichtet war, und auf diese Weise ihr eigentlicher, hübscher
Gedanke verloren ging? Der tapfere Künstler, der die Fahne der echten Kunst
in Not und Sorge hoch gehalten hat, ist grau geworden, ehe er es zu einer
eiuigermnßeu sichern Lebensstellung gebracht hat. Leute mit so hohen Idealen
bringen es spät zur Anerkennung, Aufgabe der Künstlerschaft wäre es, ihnen
dabei zu helfen. Doch der Wahlspruch ist ja gegenwärtig Formlosigkeit, und
der hat tief Wurzel geschlagen. Richard Wagner hat in der Musik die Form
fast gänzlich aufgelöst, nachdem sie andre schon durchbrochen hatten, viele
Schauspieler, und unter ihnen die talentvollsten, wollen heute keine Verse mehr
spreche». Welch unverantwortliche Gewaltthat ist es, die Verse eines Dichters
zu zerreiße» und sie wie Prosa vorzutragen! Vollständiges Verkennen der
Kunst ist die Forderung vou Ibsen, daß ein draiuatischer Dichter keine Mono¬
loge mehr schreiben dürfe, weil sie in Wirklichkeit nicht vorkämen. Nicht einmal
die Behauptung über die Natürlichkeit ist richtig, wie so viele derartige der
modernen Künstler und ihrer Nachfolger, Wer hätte nicht schon einmal ein
Selbstgespräch gehalten und eine Sache nach allen Seiten in sich überlegt?
Der berühmte Monolog des Wallenstein: „Wars möglich, konnt ich nicht mehr,


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0292" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/206291"/>
          <fw type="header" place="top"> Linse und Jetzt</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_968" prev="#ID_967" next="#ID_969"> Verbindung nötigte die Menschen früher zu größerer Ruhe; der Künstler konnte<lb/>
seine Ideale langsam ausreifen lassen, und das gehört zum künstlerischen<lb/>
Schaffen, Darum werden heute fast nur noch Skizzen gemalt. Man kommt<lb/>
nicht dazu, seine Studien zu verwerten, zu Kunstwerken zusammenzustellen.<lb/>
Die Einführung der Jahresausstellungen ist ein Unglück für die Kunst, Wohl<lb/>
wird dem Künstler dadurch ein Markt geboten zum leichtern Absatz seiner<lb/>
Arbeit, aber das ist eine gefährliche, verlockende Gelegenheit, Immer schneller<lb/>
wird er mit seinen Bildern fertig sein, immer weniger wird er sie durchführen,<lb/>
durchdenken. Schon ist die Komposition vollständig über Bord geworfen, und<lb/>
bloße Studie» werden als Bilder gebracht, Darum auch der stetige Rückgang<lb/>
in der Ausübung und Beachtung der Plastik, Diese leidet das Skizzenhafte<lb/>
viel weniger, ein plastisches Kunstwerk muß viel mehr abgewogen werden, sonst<lb/>
fällt selbst dem ungeübten Blick auf, das; hier nichts Fertiges vorliegt. Freilich<lb/>
ist in dieser Ausstellung der Plastik ein Raum geschaffen wie früher nie: ihre<lb/>
Werke sind in einer schönen Gartenanlage aufgestellt. Aber wie wenig schon<lb/>
beachtet sie die Künstlerschaft! Die Prümiirnng zeigt deutlich, daß man nur<lb/>
notgedrungen und da ohne viel Besinne», um die lästige Arbeit so bald als<lb/>
möglich los zu sein, einige Preise gegeben hat. Wie wäre es sonst möglich,<lb/>
daß der &#x201E;sliegenfangende Teufel" vou Nngust Sommer in Rom keinen Preis<lb/>
bekommen hat, ein Werk, das sich den besten der kleinen antiken Bronzen im<lb/>
Museum zu Neapel, die dem Künstler zum Studium (wohlverstanden nicht<lb/>
zur Nachahmung) gedient haben, an die Seite stellen kaun, daß desselben<lb/>
Künstlers vortreffliche lebensgroße Brunnenfigur des Sklaven mit dem ge¬<lb/>
stohlenen Weinschlauch auf der vorigen Ausstellung nicht als Brunnenfigur,<lb/>
Wasser speiend eingerichtet war, und auf diese Weise ihr eigentlicher, hübscher<lb/>
Gedanke verloren ging? Der tapfere Künstler, der die Fahne der echten Kunst<lb/>
in Not und Sorge hoch gehalten hat, ist grau geworden, ehe er es zu einer<lb/>
eiuigermnßeu sichern Lebensstellung gebracht hat. Leute mit so hohen Idealen<lb/>
bringen es spät zur Anerkennung, Aufgabe der Künstlerschaft wäre es, ihnen<lb/>
dabei zu helfen. Doch der Wahlspruch ist ja gegenwärtig Formlosigkeit, und<lb/>
der hat tief Wurzel geschlagen. Richard Wagner hat in der Musik die Form<lb/>
fast gänzlich aufgelöst, nachdem sie andre schon durchbrochen hatten, viele<lb/>
Schauspieler, und unter ihnen die talentvollsten, wollen heute keine Verse mehr<lb/>
spreche». Welch unverantwortliche Gewaltthat ist es, die Verse eines Dichters<lb/>
zu zerreiße» und sie wie Prosa vorzutragen! Vollständiges Verkennen der<lb/>
Kunst ist die Forderung vou Ibsen, daß ein draiuatischer Dichter keine Mono¬<lb/>
loge mehr schreiben dürfe, weil sie in Wirklichkeit nicht vorkämen. Nicht einmal<lb/>
die Behauptung über die Natürlichkeit ist richtig, wie so viele derartige der<lb/>
modernen Künstler und ihrer Nachfolger, Wer hätte nicht schon einmal ein<lb/>
Selbstgespräch gehalten und eine Sache nach allen Seiten in sich überlegt?<lb/>
Der berühmte Monolog des Wallenstein: &#x201E;Wars möglich, konnt ich nicht mehr,</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0292] Linse und Jetzt Verbindung nötigte die Menschen früher zu größerer Ruhe; der Künstler konnte seine Ideale langsam ausreifen lassen, und das gehört zum künstlerischen Schaffen, Darum werden heute fast nur noch Skizzen gemalt. Man kommt nicht dazu, seine Studien zu verwerten, zu Kunstwerken zusammenzustellen. Die Einführung der Jahresausstellungen ist ein Unglück für die Kunst, Wohl wird dem Künstler dadurch ein Markt geboten zum leichtern Absatz seiner Arbeit, aber das ist eine gefährliche, verlockende Gelegenheit, Immer schneller wird er mit seinen Bildern fertig sein, immer weniger wird er sie durchführen, durchdenken. Schon ist die Komposition vollständig über Bord geworfen, und bloße Studie» werden als Bilder gebracht, Darum auch der stetige Rückgang in der Ausübung und Beachtung der Plastik, Diese leidet das Skizzenhafte viel weniger, ein plastisches Kunstwerk muß viel mehr abgewogen werden, sonst fällt selbst dem ungeübten Blick auf, das; hier nichts Fertiges vorliegt. Freilich ist in dieser Ausstellung der Plastik ein Raum geschaffen wie früher nie: ihre Werke sind in einer schönen Gartenanlage aufgestellt. Aber wie wenig schon beachtet sie die Künstlerschaft! Die Prümiirnng zeigt deutlich, daß man nur notgedrungen und da ohne viel Besinne», um die lästige Arbeit so bald als möglich los zu sein, einige Preise gegeben hat. Wie wäre es sonst möglich, daß der „sliegenfangende Teufel" vou Nngust Sommer in Rom keinen Preis bekommen hat, ein Werk, das sich den besten der kleinen antiken Bronzen im Museum zu Neapel, die dem Künstler zum Studium (wohlverstanden nicht zur Nachahmung) gedient haben, an die Seite stellen kaun, daß desselben Künstlers vortreffliche lebensgroße Brunnenfigur des Sklaven mit dem ge¬ stohlenen Weinschlauch auf der vorigen Ausstellung nicht als Brunnenfigur, Wasser speiend eingerichtet war, und auf diese Weise ihr eigentlicher, hübscher Gedanke verloren ging? Der tapfere Künstler, der die Fahne der echten Kunst in Not und Sorge hoch gehalten hat, ist grau geworden, ehe er es zu einer eiuigermnßeu sichern Lebensstellung gebracht hat. Leute mit so hohen Idealen bringen es spät zur Anerkennung, Aufgabe der Künstlerschaft wäre es, ihnen dabei zu helfen. Doch der Wahlspruch ist ja gegenwärtig Formlosigkeit, und der hat tief Wurzel geschlagen. Richard Wagner hat in der Musik die Form fast gänzlich aufgelöst, nachdem sie andre schon durchbrochen hatten, viele Schauspieler, und unter ihnen die talentvollsten, wollen heute keine Verse mehr spreche». Welch unverantwortliche Gewaltthat ist es, die Verse eines Dichters zu zerreiße» und sie wie Prosa vorzutragen! Vollständiges Verkennen der Kunst ist die Forderung vou Ibsen, daß ein draiuatischer Dichter keine Mono¬ loge mehr schreiben dürfe, weil sie in Wirklichkeit nicht vorkämen. Nicht einmal die Behauptung über die Natürlichkeit ist richtig, wie so viele derartige der modernen Künstler und ihrer Nachfolger, Wer hätte nicht schon einmal ein Selbstgespräch gehalten und eine Sache nach allen Seiten in sich überlegt? Der berühmte Monolog des Wallenstein: „Wars möglich, konnt ich nicht mehr,

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_205998
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_205998/292
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_205998/292>, abgerufen am 22.12.2024.