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Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Viertes Vierteljahr.

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Pvrträtzüge nicht ordentlich zur Geltung kvmnren. Dieselben Künstler aber
haben eine Breite lind Sicherheit des malerischen Vvrtrnges, die an die besten
alten Meister gemahnt. Die Technik ist groß. Sie zeugt von der großen
Atmosphäre, in der wir leben. So ist denn auch eine Frucht gereift, die man
in jeder Beziehung anerkennen muß. Das erste große Historienbild ist da,
sichtbar unter dem Einfluß der großen Spanier der vorigen Ausstellung ent¬
standen -- das beweist die ganze Auffassung, die gesamte Haltung des Bildes:
Die Flagellanten von Karl Marr. Ein junger Künstler, bisher fast unbekannt,
tritt plötzlich mit dieser Niesenlcinwand auf. Es ist kein bedeutender geschicht¬
licher Angenblick gegeben, sondern eine von den Geißelprozessionen des Mittel¬
alters, die zur Abwendung von Pest und Not durch die Straßen der Städte
zogen. Das Gemälde wirkt trotz stellenweise zu starkem Hervortreten des
Einzelgenres historisch und monumental. Mochten ihm andre folgen! Die
Historienmalerei gehört dem Realismus an, und trotz alles Naturalismus steckt
von dein doch noch eine kräftige Ader in der Gegenwart. Der Idealismus
über ist gänzlich verloren gegangen. Die neue Pinakothek bewahrt von Löfftz
ein vortrefflich gemaltes Bild, eine Pietn. Es ist aber nur darum von
bedeutender Wirkung, weil der Maler seinen eigentlichen Gegenstand völlig außer
Acht gelassen und nur den Leichnam eines am Kreuze gewaltsam gestorbenen
Mannes gegeben hat. Nun hat Löfftz das Unglück gehabt, eine Bestellung
auf ein Altarbild für den Freisinger Dom zu bekommen. Das hat er geglaubt
möglichst ideal halten zu müssen, und so ist denn ein leeres, ja weichlich süßes
Riesengemälde entstanden, bei dein die ideale Zeichnung und die naturalistische
Farbe in einem höchst mißtönenden Gegensatz stehen. Die andern Bilder
religiösen Inhalts sind flau und lassen kalt, mit Ausnahme des ungläubigen
Thomas von Gebhardt, sie sind umso uninteressanter, da kein religiöses
Gemälde eines Pleinairisten zum Widerspruch reizt, wie auf der vorige"
Ausstellung. Eben bei den religiösen Bildern des Borjahres trat das Mi߬
verhältnis zwischen Vorwurf und Auffassung am grellsten hervor. Es ist aber
schon so weit gekommen, daß Titel und Auffassung auch bei andern Bildern
nur in losem Zusammenhange stehen, so bei den Gemälden des Belgiers
de Haas. Ochsen und Kühe nehmen fast die ganze Fläche ein, und nur in
schmalem Hintergründe wird der "Windstoß" und das "heranziehende Gewitter,"
"ach deuen die Bilder benannt sind, angedeutet, das Vieh bekümmert sich nicht
darum, sondern frißt ruhig sein Gras. Das sonst vortreffliche Bild des leider
zu früh verstorbenen Favrettv heißt "Susanna." Die traite Dirne daraus
läßt sich aber die Liebkosungen der beiden Alten, sehr ""gleich ihrer Namens¬
vetterin, recht gern gefallen.

Postkutsche und Eisenbahn! Das Reisen war "einst" sehr beschwerlich
und derer. "Jetzt" rollt man leicht und verhältnismäßig billig durch die
Länder dahin. Die größere Seßhaftigkeit, die Langsamkeit der Nachrichten-


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Pvrträtzüge nicht ordentlich zur Geltung kvmnren. Dieselben Künstler aber
haben eine Breite lind Sicherheit des malerischen Vvrtrnges, die an die besten
alten Meister gemahnt. Die Technik ist groß. Sie zeugt von der großen
Atmosphäre, in der wir leben. So ist denn auch eine Frucht gereift, die man
in jeder Beziehung anerkennen muß. Das erste große Historienbild ist da,
sichtbar unter dem Einfluß der großen Spanier der vorigen Ausstellung ent¬
standen — das beweist die ganze Auffassung, die gesamte Haltung des Bildes:
Die Flagellanten von Karl Marr. Ein junger Künstler, bisher fast unbekannt,
tritt plötzlich mit dieser Niesenlcinwand auf. Es ist kein bedeutender geschicht¬
licher Angenblick gegeben, sondern eine von den Geißelprozessionen des Mittel¬
alters, die zur Abwendung von Pest und Not durch die Straßen der Städte
zogen. Das Gemälde wirkt trotz stellenweise zu starkem Hervortreten des
Einzelgenres historisch und monumental. Mochten ihm andre folgen! Die
Historienmalerei gehört dem Realismus an, und trotz alles Naturalismus steckt
von dein doch noch eine kräftige Ader in der Gegenwart. Der Idealismus
über ist gänzlich verloren gegangen. Die neue Pinakothek bewahrt von Löfftz
ein vortrefflich gemaltes Bild, eine Pietn. Es ist aber nur darum von
bedeutender Wirkung, weil der Maler seinen eigentlichen Gegenstand völlig außer
Acht gelassen und nur den Leichnam eines am Kreuze gewaltsam gestorbenen
Mannes gegeben hat. Nun hat Löfftz das Unglück gehabt, eine Bestellung
auf ein Altarbild für den Freisinger Dom zu bekommen. Das hat er geglaubt
möglichst ideal halten zu müssen, und so ist denn ein leeres, ja weichlich süßes
Riesengemälde entstanden, bei dein die ideale Zeichnung und die naturalistische
Farbe in einem höchst mißtönenden Gegensatz stehen. Die andern Bilder
religiösen Inhalts sind flau und lassen kalt, mit Ausnahme des ungläubigen
Thomas von Gebhardt, sie sind umso uninteressanter, da kein religiöses
Gemälde eines Pleinairisten zum Widerspruch reizt, wie auf der vorige«
Ausstellung. Eben bei den religiösen Bildern des Borjahres trat das Mi߬
verhältnis zwischen Vorwurf und Auffassung am grellsten hervor. Es ist aber
schon so weit gekommen, daß Titel und Auffassung auch bei andern Bildern
nur in losem Zusammenhange stehen, so bei den Gemälden des Belgiers
de Haas. Ochsen und Kühe nehmen fast die ganze Fläche ein, und nur in
schmalem Hintergründe wird der „Windstoß" und das „heranziehende Gewitter,"
»ach deuen die Bilder benannt sind, angedeutet, das Vieh bekümmert sich nicht
darum, sondern frißt ruhig sein Gras. Das sonst vortreffliche Bild des leider
zu früh verstorbenen Favrettv heißt „Susanna." Die traite Dirne daraus
läßt sich aber die Liebkosungen der beiden Alten, sehr »»gleich ihrer Namens¬
vetterin, recht gern gefallen.

Postkutsche und Eisenbahn! Das Reisen war „einst" sehr beschwerlich
und derer. „Jetzt" rollt man leicht und verhältnismäßig billig durch die
Länder dahin. Die größere Seßhaftigkeit, die Langsamkeit der Nachrichten-


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[0291] Littst nett Jetzt Pvrträtzüge nicht ordentlich zur Geltung kvmnren. Dieselben Künstler aber haben eine Breite lind Sicherheit des malerischen Vvrtrnges, die an die besten alten Meister gemahnt. Die Technik ist groß. Sie zeugt von der großen Atmosphäre, in der wir leben. So ist denn auch eine Frucht gereift, die man in jeder Beziehung anerkennen muß. Das erste große Historienbild ist da, sichtbar unter dem Einfluß der großen Spanier der vorigen Ausstellung ent¬ standen — das beweist die ganze Auffassung, die gesamte Haltung des Bildes: Die Flagellanten von Karl Marr. Ein junger Künstler, bisher fast unbekannt, tritt plötzlich mit dieser Niesenlcinwand auf. Es ist kein bedeutender geschicht¬ licher Angenblick gegeben, sondern eine von den Geißelprozessionen des Mittel¬ alters, die zur Abwendung von Pest und Not durch die Straßen der Städte zogen. Das Gemälde wirkt trotz stellenweise zu starkem Hervortreten des Einzelgenres historisch und monumental. Mochten ihm andre folgen! Die Historienmalerei gehört dem Realismus an, und trotz alles Naturalismus steckt von dein doch noch eine kräftige Ader in der Gegenwart. Der Idealismus über ist gänzlich verloren gegangen. Die neue Pinakothek bewahrt von Löfftz ein vortrefflich gemaltes Bild, eine Pietn. Es ist aber nur darum von bedeutender Wirkung, weil der Maler seinen eigentlichen Gegenstand völlig außer Acht gelassen und nur den Leichnam eines am Kreuze gewaltsam gestorbenen Mannes gegeben hat. Nun hat Löfftz das Unglück gehabt, eine Bestellung auf ein Altarbild für den Freisinger Dom zu bekommen. Das hat er geglaubt möglichst ideal halten zu müssen, und so ist denn ein leeres, ja weichlich süßes Riesengemälde entstanden, bei dein die ideale Zeichnung und die naturalistische Farbe in einem höchst mißtönenden Gegensatz stehen. Die andern Bilder religiösen Inhalts sind flau und lassen kalt, mit Ausnahme des ungläubigen Thomas von Gebhardt, sie sind umso uninteressanter, da kein religiöses Gemälde eines Pleinairisten zum Widerspruch reizt, wie auf der vorige« Ausstellung. Eben bei den religiösen Bildern des Borjahres trat das Mi߬ verhältnis zwischen Vorwurf und Auffassung am grellsten hervor. Es ist aber schon so weit gekommen, daß Titel und Auffassung auch bei andern Bildern nur in losem Zusammenhange stehen, so bei den Gemälden des Belgiers de Haas. Ochsen und Kühe nehmen fast die ganze Fläche ein, und nur in schmalem Hintergründe wird der „Windstoß" und das „heranziehende Gewitter," »ach deuen die Bilder benannt sind, angedeutet, das Vieh bekümmert sich nicht darum, sondern frißt ruhig sein Gras. Das sonst vortreffliche Bild des leider zu früh verstorbenen Favrettv heißt „Susanna." Die traite Dirne daraus läßt sich aber die Liebkosungen der beiden Alten, sehr »»gleich ihrer Namens¬ vetterin, recht gern gefallen. Postkutsche und Eisenbahn! Das Reisen war „einst" sehr beschwerlich und derer. „Jetzt" rollt man leicht und verhältnismäßig billig durch die Länder dahin. Die größere Seßhaftigkeit, die Langsamkeit der Nachrichten-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_205998/291>, abgerufen am 02.07.2024.