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Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Viertes Vierteljahr.

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Littst nett Jetzt

In einem Stnrmlause wie der Siegeszug dnrch Frankreich hat man das Be¬
stehende über den Haufen geworfen. Früher galt es als erster Grundsatz, ans
den Errungenschaften der Väter weiter zu bauen. "Wir wollen nicht mehr
am alten Karren weiter ziehen -- Schalles ans dem Munde der Jungen --,
wir fühlen Kraft in uns, einen neuen für unsre Zwecke zu bauen." Wer
möchte ihnen da nicht ein kräftiges Hurrnh zujubeln? Wir brauchen nur das
Bild von Szymanowski auf der Ausstellung zu betrachten, um zu fühlen, das;
die Welt verjüngt ist. Da lacht eine Pierette so lebensfrisch, so daseinsdnrstig,
so weltfrendig aus dem Bilde heraus, daß uns das Herz aufgeht. Das ist
lebendigste Gegenwart. Dagegen erblassen freilich die Träume und Märchen
der alten Zeit, dagegen scheine!? die früher" philisterhaft in Schlafrock und
Pantoffeln zu gehen. Das frühere Sichversenken in Träume und in die Ver¬
gangenheit hatte seinen guten Grund. Das Leben bot zu wenig, die geistes¬
öden Jahre der Reaktion hatten alle frischen Keime getötet. Nur die Phantasie
durfte sich frei ergehen. Daß das Leichentuch uur einen Schlummernden deckte,
daß dieser Schlaf eine so gewaltige Kraft zeitigte, ahnte niemand. Sie ist
überraschend hervorgebrochen, und darum freuen wir uns an der köstlichen
Gegenwart. Der neue Besen kehrt nun aber auch gründlich. Alles wird
hinausgeworfen. Alles Alte wird mit Mißtrauen betrachtet. Nur fo läßt sich
die Abneigung der modernen Künstler gegen alte Kunst erklären. Sie Verfahren
nach dem Grundsatze der Opposition: Ich kenne die Absichten der Negierung
nicht, aber ich mißbillige sie. Neu, neu sein! Das ist der Schlachtruf. Wer
malte je das Licht so wie wir? Auf, werfen wir uns auf die Darstellung des
Lichtes! Wer neues bringt, wird für ein Talent, für ein Genie erklärt. Aber
welche Absonderlichkeiten dabei zum Vorschein kommen, davon hat sich die ganze
Welt, denn innerhalb der Grenzen der Zivilisation wird es wohl überall Hin-
gedrungen sein, durch das Ansstellungsplakat überzeugt. So hat die heutige
Kunst etwas vom archaischen Charakter, es ist das Suchen nach einer neuen
Form. Porträts in Lebensgröße in einer grünen Snuee -- das deutsche Wort
Tunke bezeichnets noch schärfer -- hat doch noch niemand gemalt. Abbe und
Kalkreuth setzen ihre Porträts auf grüne Wiesen mit so hohem Horizont, daß
er fast mit dem obern Rande des Bildes zusammenfällt. Und welches Grün!
Das ist kein Krantgrün mehr, es ist nur noch Arsenik. Und welch ein Ge¬
danke, das Porträt, vom Sonnenschein geblendet, mit den Augen blinzeln zu
lassen! Abgeschmackte Behauptung, daß ein Porträt einen Menschen nicht in
einem vorübergehenden Zustande darstellen dürfe! So blinzelt uns denn der
von Kalkreuth gemalte kleine Graf zu Eulenburg auf seinem braunen Pony
in der grünen Sauce an und verzerrt sein Gesichtchen, daß mau ihn sicher
nicht wiedererkennen würde, wenn man ihm im Schatten begegnete. Bei dem
lebensgroßen Damenporträt wird das Gesicht unnötig dnrch den Strohhut
beschattet und erscheint gegen das helle Stroh um so dunkler, sodaß die


Littst nett Jetzt

In einem Stnrmlause wie der Siegeszug dnrch Frankreich hat man das Be¬
stehende über den Haufen geworfen. Früher galt es als erster Grundsatz, ans
den Errungenschaften der Väter weiter zu bauen. „Wir wollen nicht mehr
am alten Karren weiter ziehen — Schalles ans dem Munde der Jungen —,
wir fühlen Kraft in uns, einen neuen für unsre Zwecke zu bauen." Wer
möchte ihnen da nicht ein kräftiges Hurrnh zujubeln? Wir brauchen nur das
Bild von Szymanowski auf der Ausstellung zu betrachten, um zu fühlen, das;
die Welt verjüngt ist. Da lacht eine Pierette so lebensfrisch, so daseinsdnrstig,
so weltfrendig aus dem Bilde heraus, daß uns das Herz aufgeht. Das ist
lebendigste Gegenwart. Dagegen erblassen freilich die Träume und Märchen
der alten Zeit, dagegen scheine!? die früher» philisterhaft in Schlafrock und
Pantoffeln zu gehen. Das frühere Sichversenken in Träume und in die Ver¬
gangenheit hatte seinen guten Grund. Das Leben bot zu wenig, die geistes¬
öden Jahre der Reaktion hatten alle frischen Keime getötet. Nur die Phantasie
durfte sich frei ergehen. Daß das Leichentuch uur einen Schlummernden deckte,
daß dieser Schlaf eine so gewaltige Kraft zeitigte, ahnte niemand. Sie ist
überraschend hervorgebrochen, und darum freuen wir uns an der köstlichen
Gegenwart. Der neue Besen kehrt nun aber auch gründlich. Alles wird
hinausgeworfen. Alles Alte wird mit Mißtrauen betrachtet. Nur fo läßt sich
die Abneigung der modernen Künstler gegen alte Kunst erklären. Sie Verfahren
nach dem Grundsatze der Opposition: Ich kenne die Absichten der Negierung
nicht, aber ich mißbillige sie. Neu, neu sein! Das ist der Schlachtruf. Wer
malte je das Licht so wie wir? Auf, werfen wir uns auf die Darstellung des
Lichtes! Wer neues bringt, wird für ein Talent, für ein Genie erklärt. Aber
welche Absonderlichkeiten dabei zum Vorschein kommen, davon hat sich die ganze
Welt, denn innerhalb der Grenzen der Zivilisation wird es wohl überall Hin-
gedrungen sein, durch das Ansstellungsplakat überzeugt. So hat die heutige
Kunst etwas vom archaischen Charakter, es ist das Suchen nach einer neuen
Form. Porträts in Lebensgröße in einer grünen Snuee — das deutsche Wort
Tunke bezeichnets noch schärfer — hat doch noch niemand gemalt. Abbe und
Kalkreuth setzen ihre Porträts auf grüne Wiesen mit so hohem Horizont, daß
er fast mit dem obern Rande des Bildes zusammenfällt. Und welches Grün!
Das ist kein Krantgrün mehr, es ist nur noch Arsenik. Und welch ein Ge¬
danke, das Porträt, vom Sonnenschein geblendet, mit den Augen blinzeln zu
lassen! Abgeschmackte Behauptung, daß ein Porträt einen Menschen nicht in
einem vorübergehenden Zustande darstellen dürfe! So blinzelt uns denn der
von Kalkreuth gemalte kleine Graf zu Eulenburg auf seinem braunen Pony
in der grünen Sauce an und verzerrt sein Gesichtchen, daß mau ihn sicher
nicht wiedererkennen würde, wenn man ihm im Schatten begegnete. Bei dem
lebensgroßen Damenporträt wird das Gesicht unnötig dnrch den Strohhut
beschattet und erscheint gegen das helle Stroh um so dunkler, sodaß die


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_205998/290>, abgerufen am 02.07.2024.