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Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Viertes Vierteljahr.

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Linse und Jetzt

Zweiflers," "Die letzte Freistndt des Weisen," "Das Edelste in der Natur,"
"Das menschliche Elend," "Rede über die Vereinfachung der menschlichen Kennt¬
nisse." "Sind nicht die Gedanken des Menschen, womit er die Ordnung und
Harmonie in der ganzen Nntnr bemerkt, das Edelste in der ganzen Natur!""')
Dieser Ausruf kennzeichnet den letzten Moritz.

Wenn es ein allgemeiner Satz ist, daß zwischen dem Charakter eines be¬
deutenden Menschen und seinen Geistesschvpfungen ein Zusammenhang herrscht,
und daß wir nicht die Werke lieben können, während uns der Lebende selbst
abstößt, so kann dies in hervorragender Weise ans Moritz angewendet werden.
Wie schon erwähnt, dürfte an Moritzen das eigenste persönliche Wesen im
allgemeinen mehr interessiren als irgend ein objektiv gehaltenes Produkt seiner
Feder. Wie bedeutsam ist es da, daß unser Held nicht bloß im Denken, sondern
auch im Thun den Standpunkt der Ungebundenheit überwand, daß er eine
glückliche Entwicklung durchmachte, die ihn von exzentrischen Eigentümlichkeiten
befreite und zu einem reifen Geiste stempelte! Und wie erfreulich ist hierbei
das Urteil des kundigen Wilibald Nlexis, Moritz sei "mehr als der kapriziöse
Sonderling, zu dem ihn seine nächsten Umgebungen in Berlin machen wollten,"
gewesen!°"°) Alexis ergänzt dadurch das schlichte Zeugnis, das Klischnig dem
dahingeschiednen Freunde giebt: "Er war bei vielen Launen, Sonderbarkeiten
und Gebrechen ein wahrhaft guter Mensch."




Linse und )etzt
Betrachtungen bei Gelegenheit der Münchener Iahresausstellung
von Max Zimmer manu (Schluß)

lust und Jetzt! Wann war denn das Einst, das nur dem Jetzt
entgegengestellt haben? Es ist wohl schon lange her, denn die
Kluft ist ja eine wahrhaft ungeheure. Graf Schack hat seine
Bildergalerie, aus der wir die Beispiele genommen haben, in
den sechziger Jahren zusammengebracht. Nicht möglich! Und
doch wahr. Seit dem großen französisch-deutschen Kriege, freilich nicht nur
im Zusammenhange mit ihm allein, ist ein vollständig neuer Geist aufgekommen.




") Launen und Phantasien, S. 45.
Ju Prutz' Literarhistorischem Taschenbuch 1347 (5. Jahrgnnc,).
Grenzboten IV 1889!i"
Linse und Jetzt

Zweiflers," „Die letzte Freistndt des Weisen," „Das Edelste in der Natur,"
„Das menschliche Elend," „Rede über die Vereinfachung der menschlichen Kennt¬
nisse." „Sind nicht die Gedanken des Menschen, womit er die Ordnung und
Harmonie in der ganzen Nntnr bemerkt, das Edelste in der ganzen Natur!""')
Dieser Ausruf kennzeichnet den letzten Moritz.

Wenn es ein allgemeiner Satz ist, daß zwischen dem Charakter eines be¬
deutenden Menschen und seinen Geistesschvpfungen ein Zusammenhang herrscht,
und daß wir nicht die Werke lieben können, während uns der Lebende selbst
abstößt, so kann dies in hervorragender Weise ans Moritz angewendet werden.
Wie schon erwähnt, dürfte an Moritzen das eigenste persönliche Wesen im
allgemeinen mehr interessiren als irgend ein objektiv gehaltenes Produkt seiner
Feder. Wie bedeutsam ist es da, daß unser Held nicht bloß im Denken, sondern
auch im Thun den Standpunkt der Ungebundenheit überwand, daß er eine
glückliche Entwicklung durchmachte, die ihn von exzentrischen Eigentümlichkeiten
befreite und zu einem reifen Geiste stempelte! Und wie erfreulich ist hierbei
das Urteil des kundigen Wilibald Nlexis, Moritz sei „mehr als der kapriziöse
Sonderling, zu dem ihn seine nächsten Umgebungen in Berlin machen wollten,"
gewesen!°"°) Alexis ergänzt dadurch das schlichte Zeugnis, das Klischnig dem
dahingeschiednen Freunde giebt: „Er war bei vielen Launen, Sonderbarkeiten
und Gebrechen ein wahrhaft guter Mensch."




Linse und )etzt
Betrachtungen bei Gelegenheit der Münchener Iahresausstellung
von Max Zimmer manu (Schluß)

lust und Jetzt! Wann war denn das Einst, das nur dem Jetzt
entgegengestellt haben? Es ist wohl schon lange her, denn die
Kluft ist ja eine wahrhaft ungeheure. Graf Schack hat seine
Bildergalerie, aus der wir die Beispiele genommen haben, in
den sechziger Jahren zusammengebracht. Nicht möglich! Und
doch wahr. Seit dem großen französisch-deutschen Kriege, freilich nicht nur
im Zusammenhange mit ihm allein, ist ein vollständig neuer Geist aufgekommen.




") Launen und Phantasien, S. 45.
Ju Prutz' Literarhistorischem Taschenbuch 1347 (5. Jahrgnnc,).
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[0289] Linse und Jetzt Zweiflers," „Die letzte Freistndt des Weisen," „Das Edelste in der Natur," „Das menschliche Elend," „Rede über die Vereinfachung der menschlichen Kennt¬ nisse." „Sind nicht die Gedanken des Menschen, womit er die Ordnung und Harmonie in der ganzen Nntnr bemerkt, das Edelste in der ganzen Natur!""') Dieser Ausruf kennzeichnet den letzten Moritz. Wenn es ein allgemeiner Satz ist, daß zwischen dem Charakter eines be¬ deutenden Menschen und seinen Geistesschvpfungen ein Zusammenhang herrscht, und daß wir nicht die Werke lieben können, während uns der Lebende selbst abstößt, so kann dies in hervorragender Weise ans Moritz angewendet werden. Wie schon erwähnt, dürfte an Moritzen das eigenste persönliche Wesen im allgemeinen mehr interessiren als irgend ein objektiv gehaltenes Produkt seiner Feder. Wie bedeutsam ist es da, daß unser Held nicht bloß im Denken, sondern auch im Thun den Standpunkt der Ungebundenheit überwand, daß er eine glückliche Entwicklung durchmachte, die ihn von exzentrischen Eigentümlichkeiten befreite und zu einem reifen Geiste stempelte! Und wie erfreulich ist hierbei das Urteil des kundigen Wilibald Nlexis, Moritz sei „mehr als der kapriziöse Sonderling, zu dem ihn seine nächsten Umgebungen in Berlin machen wollten," gewesen!°"°) Alexis ergänzt dadurch das schlichte Zeugnis, das Klischnig dem dahingeschiednen Freunde giebt: „Er war bei vielen Launen, Sonderbarkeiten und Gebrechen ein wahrhaft guter Mensch." Linse und )etzt Betrachtungen bei Gelegenheit der Münchener Iahresausstellung von Max Zimmer manu (Schluß) lust und Jetzt! Wann war denn das Einst, das nur dem Jetzt entgegengestellt haben? Es ist wohl schon lange her, denn die Kluft ist ja eine wahrhaft ungeheure. Graf Schack hat seine Bildergalerie, aus der wir die Beispiele genommen haben, in den sechziger Jahren zusammengebracht. Nicht möglich! Und doch wahr. Seit dem großen französisch-deutschen Kriege, freilich nicht nur im Zusammenhange mit ihm allein, ist ein vollständig neuer Geist aufgekommen. ") Launen und Phantasien, S. 45. Ju Prutz' Literarhistorischem Taschenbuch 1347 (5. Jahrgnnc,). Grenzboten IV 1889!i«

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_205998/289>, abgerufen am 02.07.2024.