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Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Viertes Vierteljahr.

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Rarl Philipp Moritz als Romanschriftsteller

Wenn man sich unsern Erzähler als einen widerspruchsvollen, unbestän¬
digen, immer des Wechsels bedürftige" Mann vorstellt, dessen Gedanken fort¬
während ins Melancholische fallen und dessen Schilderungen voll von Schmerzen
und Thränen sind, so ist dieses Bild doch nicht genügend. Es ist von hohem
Wert, zu wissen, daß auch der Verfasser des "Anton Reiser" und des "Hart¬
knopf" schließlich zu der harmonischen Geisteshaltung gelangte, die immer und
überall als das wahrhaft Schone und Weise gelten muß. Eine Gesinnung
ohne Bitterkeit gegen Welt und Leben, eine milde Vetrnchtungsart, eine be¬
friedigte Stimmung, das waren die Errungenschaften, deren sich Moritz, wenn
auch erst am Ende seiner Laufbahn, erfreuen durfte. Schon immer hatte sein
überaus wohlgearteter Stil die geistige Gesundheit angedeutet, die in ihm,
sobald die außer" Umstände günstiger wurden und die quälenden Eindrücke
der Jugend sich verwischte", Platz greifen konnte. "Moritz ward -- so rühmte
man bei seinem Tode -- durch Gefühl zu Kenntnissen geleitet. Dieses ein¬
fache Gefühl blieb, trotz der Zunahme seiner .Kenntnisse, nnvertünstelt. Er gab
seinem Ausdruck jene Älarheit, um derentwillen er so gern von denen gelesen
wird, die überall Verständlichkeit suchen,"") Auch der Inhalt seiner Schriften
klärte sich, soweit dies bei feinern ungleichen nud meist eiligen Arbeiten ersicht¬
lich ist, mehr und mehr ab; und in den letzten Monaten, die dem Frühver-
storbenen vergönnt waren, konnte er die erreichte Vollendung im praktischen
Leben selbst bethätigen.

Die "Neue Ceeilia" ist die Erzählung, in der sich dieser harmonische Geist
zum erstenmal ganz entfalten sollte. Wir können leider, da das Bruchstück so
gering ist, diesen bemerkenswerten Umstand im Werke selbst nicht handgreiflich
machen, dürfen uns aber ans die Worte des Herausgebers verlassen, der in
der Einleitung zu diesen "letzten.Blättern" schön und glaubwürdig schildert,
welch erquickenden, heitern Lebensabend Moritz genoß. Ihm ward -- heißt
es da -- das beneidenswürdige Los zu teil, "Zufriedenheit empfangend und
wiedergebend, von den weichen Händen einer liebenden Gattin gepflegt, mit der
Welt und mit sich selbst versöhnt, sanft und liebegesegnet, in den Schlaf der
ungestörten Ruhe zu sinken,"

Einen Ersatz für das, was Moritz als Romanschriftsteller voraussichtlich
noch geleistet hätte, wem: ihm einige weitere Jahre beschieden gewesen wären,
bieten die "Launen und Phantasien" (Berlin, 1796), eine Sammlung vermischter
Reden, Gedichte und Aufsätze, die Klischnig als neue vermehrte Auflage der
"Großen Loge" herausgab, und worin viele Stücke aus Moritzens letzter Zeit
enthalten sind. Hier findet man neben feinen knnsttheoretischen Kleinig¬
keiten -- philosophische Betrachtungen und Stimmungsbilder trefflichster Art.
Namentlich gilt dies von folgenden Abschnitten: "Amme," "Der Trost des



") Einleitung zur "Neuen Cecilin."
Rarl Philipp Moritz als Romanschriftsteller

Wenn man sich unsern Erzähler als einen widerspruchsvollen, unbestän¬
digen, immer des Wechsels bedürftige» Mann vorstellt, dessen Gedanken fort¬
während ins Melancholische fallen und dessen Schilderungen voll von Schmerzen
und Thränen sind, so ist dieses Bild doch nicht genügend. Es ist von hohem
Wert, zu wissen, daß auch der Verfasser des „Anton Reiser" und des „Hart¬
knopf" schließlich zu der harmonischen Geisteshaltung gelangte, die immer und
überall als das wahrhaft Schone und Weise gelten muß. Eine Gesinnung
ohne Bitterkeit gegen Welt und Leben, eine milde Vetrnchtungsart, eine be¬
friedigte Stimmung, das waren die Errungenschaften, deren sich Moritz, wenn
auch erst am Ende seiner Laufbahn, erfreuen durfte. Schon immer hatte sein
überaus wohlgearteter Stil die geistige Gesundheit angedeutet, die in ihm,
sobald die außer» Umstände günstiger wurden und die quälenden Eindrücke
der Jugend sich verwischte», Platz greifen konnte. „Moritz ward — so rühmte
man bei seinem Tode — durch Gefühl zu Kenntnissen geleitet. Dieses ein¬
fache Gefühl blieb, trotz der Zunahme seiner .Kenntnisse, nnvertünstelt. Er gab
seinem Ausdruck jene Älarheit, um derentwillen er so gern von denen gelesen
wird, die überall Verständlichkeit suchen,"") Auch der Inhalt seiner Schriften
klärte sich, soweit dies bei feinern ungleichen nud meist eiligen Arbeiten ersicht¬
lich ist, mehr und mehr ab; und in den letzten Monaten, die dem Frühver-
storbenen vergönnt waren, konnte er die erreichte Vollendung im praktischen
Leben selbst bethätigen.

Die „Neue Ceeilia" ist die Erzählung, in der sich dieser harmonische Geist
zum erstenmal ganz entfalten sollte. Wir können leider, da das Bruchstück so
gering ist, diesen bemerkenswerten Umstand im Werke selbst nicht handgreiflich
machen, dürfen uns aber ans die Worte des Herausgebers verlassen, der in
der Einleitung zu diesen „letzten.Blättern" schön und glaubwürdig schildert,
welch erquickenden, heitern Lebensabend Moritz genoß. Ihm ward — heißt
es da — das beneidenswürdige Los zu teil, „Zufriedenheit empfangend und
wiedergebend, von den weichen Händen einer liebenden Gattin gepflegt, mit der
Welt und mit sich selbst versöhnt, sanft und liebegesegnet, in den Schlaf der
ungestörten Ruhe zu sinken,"

Einen Ersatz für das, was Moritz als Romanschriftsteller voraussichtlich
noch geleistet hätte, wem: ihm einige weitere Jahre beschieden gewesen wären,
bieten die „Launen und Phantasien" (Berlin, 1796), eine Sammlung vermischter
Reden, Gedichte und Aufsätze, die Klischnig als neue vermehrte Auflage der
„Großen Loge" herausgab, und worin viele Stücke aus Moritzens letzter Zeit
enthalten sind. Hier findet man neben feinen knnsttheoretischen Kleinig¬
keiten — philosophische Betrachtungen und Stimmungsbilder trefflichster Art.
Namentlich gilt dies von folgenden Abschnitten: „Amme," „Der Trost des



") Einleitung zur „Neuen Cecilin."
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[0288] Rarl Philipp Moritz als Romanschriftsteller Wenn man sich unsern Erzähler als einen widerspruchsvollen, unbestän¬ digen, immer des Wechsels bedürftige» Mann vorstellt, dessen Gedanken fort¬ während ins Melancholische fallen und dessen Schilderungen voll von Schmerzen und Thränen sind, so ist dieses Bild doch nicht genügend. Es ist von hohem Wert, zu wissen, daß auch der Verfasser des „Anton Reiser" und des „Hart¬ knopf" schließlich zu der harmonischen Geisteshaltung gelangte, die immer und überall als das wahrhaft Schone und Weise gelten muß. Eine Gesinnung ohne Bitterkeit gegen Welt und Leben, eine milde Vetrnchtungsart, eine be¬ friedigte Stimmung, das waren die Errungenschaften, deren sich Moritz, wenn auch erst am Ende seiner Laufbahn, erfreuen durfte. Schon immer hatte sein überaus wohlgearteter Stil die geistige Gesundheit angedeutet, die in ihm, sobald die außer» Umstände günstiger wurden und die quälenden Eindrücke der Jugend sich verwischte», Platz greifen konnte. „Moritz ward — so rühmte man bei seinem Tode — durch Gefühl zu Kenntnissen geleitet. Dieses ein¬ fache Gefühl blieb, trotz der Zunahme seiner .Kenntnisse, nnvertünstelt. Er gab seinem Ausdruck jene Älarheit, um derentwillen er so gern von denen gelesen wird, die überall Verständlichkeit suchen,"") Auch der Inhalt seiner Schriften klärte sich, soweit dies bei feinern ungleichen nud meist eiligen Arbeiten ersicht¬ lich ist, mehr und mehr ab; und in den letzten Monaten, die dem Frühver- storbenen vergönnt waren, konnte er die erreichte Vollendung im praktischen Leben selbst bethätigen. Die „Neue Ceeilia" ist die Erzählung, in der sich dieser harmonische Geist zum erstenmal ganz entfalten sollte. Wir können leider, da das Bruchstück so gering ist, diesen bemerkenswerten Umstand im Werke selbst nicht handgreiflich machen, dürfen uns aber ans die Worte des Herausgebers verlassen, der in der Einleitung zu diesen „letzten.Blättern" schön und glaubwürdig schildert, welch erquickenden, heitern Lebensabend Moritz genoß. Ihm ward — heißt es da — das beneidenswürdige Los zu teil, „Zufriedenheit empfangend und wiedergebend, von den weichen Händen einer liebenden Gattin gepflegt, mit der Welt und mit sich selbst versöhnt, sanft und liebegesegnet, in den Schlaf der ungestörten Ruhe zu sinken," Einen Ersatz für das, was Moritz als Romanschriftsteller voraussichtlich noch geleistet hätte, wem: ihm einige weitere Jahre beschieden gewesen wären, bieten die „Launen und Phantasien" (Berlin, 1796), eine Sammlung vermischter Reden, Gedichte und Aufsätze, die Klischnig als neue vermehrte Auflage der „Großen Loge" herausgab, und worin viele Stücke aus Moritzens letzter Zeit enthalten sind. Hier findet man neben feinen knnsttheoretischen Kleinig¬ keiten — philosophische Betrachtungen und Stimmungsbilder trefflichster Art. Namentlich gilt dies von folgenden Abschnitten: „Amme," „Der Trost des ") Einleitung zur „Neuen Cecilin."

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_205998/288>, abgerufen am 02.07.2024.