Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Viertes Vierteljahr.Karl Philipp ZNoritz als Romauschriststellov Der Herr v. <Ä. . . war für das Leichte, Auflodernde, Himmelanstrebende. Was Moritzen vor neuern Erzählern, auch vor Jean Paul, aus¬ Bei Werken wie "Anton Reiser" markirt man nicht bloß die vvrwärts- Auch als kulturgeschichtliche Gemälde stehen die Moritzschen Erzählungen Karl Philipp ZNoritz als Romauschriststellov Der Herr v. <Ä. . . war für das Leichte, Auflodernde, Himmelanstrebende. Was Moritzen vor neuern Erzählern, auch vor Jean Paul, aus¬ Bei Werken wie „Anton Reiser" markirt man nicht bloß die vvrwärts- Auch als kulturgeschichtliche Gemälde stehen die Moritzschen Erzählungen <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0284" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/206283"/> <fw type="header" place="top"> Karl Philipp ZNoritz als Romauschriststellov</fw><lb/> <quote> Der Herr v. <Ä. . . war für das Leichte, Auflodernde, Himmelanstrebende.<lb/> Harttnopf für das Schwere, sich Niedersinkende, in sich selbst Ruhende.<lb/> Der Herr v. G . . . liebte die Pyramidalform.<lb/> Hartknopf den Kubus.<lb/> Und doch trafen beide immer in gewissen Punkten zusammen.<lb/> Dann war es, als ob sie sich über einem Abgrunde die Hände reichten.</quote><lb/> <p xml:id="ID_948"> Was Moritzen vor neuern Erzählern, auch vor Jean Paul, aus¬<lb/> zeichnet und ihn als hohem Typus erscheinen läßt, ist feine größere Ur¬<lb/> sprünglichkeit und Frische, sein Reichtum an wertvollen, eigenartigen Ideen.<lb/> Das war es anch, was Goethen an ihn fesselte: die gesunde Wärme und der<lb/> schone Enthusiasmus, mit dem er dachte und fühlte, die hochentwickelte Dichter¬<lb/> phantasie, mit der er allen Erscheinungen gcgenübertrat. Die bloßen Belle¬<lb/> tristen, im Sinne des neunzehnten Jahrhunders, stehen tiefer. Sie Pflegen<lb/> nicht zugleich solide, schöpferische Denker und Forscher zu sein. Was aber<lb/> Moritz in dieser Eigenschaft leisten konnte, weiß jeder, der die vortreffliche Ein¬<lb/> leitung zu seiner „Götterlehre der Griechen und Römer" gelesen hat.</p><lb/> <p xml:id="ID_949"> Bei Werken wie „Anton Reiser" markirt man nicht bloß die vvrwärts-<lb/> weisende Bedeutung, sondern bewundert auch den Wert solcher Bücher als ge¬<lb/> schichtlicher Denkmäler. Man darf dabei „Anton Reiser" mit den vortrefflichen<lb/> Selbstbiographien zweier Zeitgenossen vergleichen: mit Ifflands „Theatralischer<lb/> Laufbahn" und Jung-Stillings Lebensgeschichte. Auch über Stillings Er¬<lb/> zählung, namentlich über feiner Jugendgerichte, ruht ein großer, wahrhaft<lb/> poetischer Reiz. Sie läßt uns einen tiefen Blick in das stille deutsche Volks¬<lb/> leben thun und enthält Züge der rührendsten Innigkeit. Besonders ergänzen<lb/> sich Reiser und Stilling, indem sie die merkwürdige religiöse Bewegung, die<lb/> damals neben und außer der Orthodoxie herrschte, veranschaulichen. Ifflands<lb/> Bildungsgeschichte ist einfach gehalten, fesselt aber immer wieder — abgesehen<lb/> von ihrem theatergeschichtlichen Interesse — durch die herzliche Wärme und<lb/> durch den zarten Idealismus, mit dem uns hier die Geschicke eines durch Talent<lb/> wie dnrch Charaktertüchtigkeit und gesunden Sinn gleich ausgezeichneten Mannes<lb/> vorgeführt werden.</p><lb/> <p xml:id="ID_950" next="#ID_951"> Auch als kulturgeschichtliche Gemälde stehen die Moritzschen Erzählungen<lb/> auf einer besondern Höhe. Besonders „Anton Reiser" bietet ein deutliches und<lb/> vollständiges Bild der Sturm- und Drangzeit, und da diese ganze Periode den<lb/> Stempel des Rousseauschen Geistes trägt, so ist man versucht, Moritzens<lb/> klassisches Buch als Seitenstück zu den vonkössioris des berühmten Genfers zu<lb/> betrachten. Allerdings in kleinerm Maßstabe; insofern Moritzens Wirksamkeit<lb/> nicht mit Rousseaus weltbewegender Rolle verglichen werden kann. Aber wie<lb/> z. B. Salzmanns „Konrad Kiefer" an den limits erinnert und gewissermaßen<lb/> dieses klassische Werk des Franzosen in die engere Sphäre einer gewöhnlichen<lb/> deutschen Häuslichkeit überträgt, so reiht sich die Lebensgeschichte des arm-</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0284]
Karl Philipp ZNoritz als Romauschriststellov
Der Herr v. <Ä. . . war für das Leichte, Auflodernde, Himmelanstrebende.
Harttnopf für das Schwere, sich Niedersinkende, in sich selbst Ruhende.
Der Herr v. G . . . liebte die Pyramidalform.
Hartknopf den Kubus.
Und doch trafen beide immer in gewissen Punkten zusammen.
Dann war es, als ob sie sich über einem Abgrunde die Hände reichten.
Was Moritzen vor neuern Erzählern, auch vor Jean Paul, aus¬
zeichnet und ihn als hohem Typus erscheinen läßt, ist feine größere Ur¬
sprünglichkeit und Frische, sein Reichtum an wertvollen, eigenartigen Ideen.
Das war es anch, was Goethen an ihn fesselte: die gesunde Wärme und der
schone Enthusiasmus, mit dem er dachte und fühlte, die hochentwickelte Dichter¬
phantasie, mit der er allen Erscheinungen gcgenübertrat. Die bloßen Belle¬
tristen, im Sinne des neunzehnten Jahrhunders, stehen tiefer. Sie Pflegen
nicht zugleich solide, schöpferische Denker und Forscher zu sein. Was aber
Moritz in dieser Eigenschaft leisten konnte, weiß jeder, der die vortreffliche Ein¬
leitung zu seiner „Götterlehre der Griechen und Römer" gelesen hat.
Bei Werken wie „Anton Reiser" markirt man nicht bloß die vvrwärts-
weisende Bedeutung, sondern bewundert auch den Wert solcher Bücher als ge¬
schichtlicher Denkmäler. Man darf dabei „Anton Reiser" mit den vortrefflichen
Selbstbiographien zweier Zeitgenossen vergleichen: mit Ifflands „Theatralischer
Laufbahn" und Jung-Stillings Lebensgeschichte. Auch über Stillings Er¬
zählung, namentlich über feiner Jugendgerichte, ruht ein großer, wahrhaft
poetischer Reiz. Sie läßt uns einen tiefen Blick in das stille deutsche Volks¬
leben thun und enthält Züge der rührendsten Innigkeit. Besonders ergänzen
sich Reiser und Stilling, indem sie die merkwürdige religiöse Bewegung, die
damals neben und außer der Orthodoxie herrschte, veranschaulichen. Ifflands
Bildungsgeschichte ist einfach gehalten, fesselt aber immer wieder — abgesehen
von ihrem theatergeschichtlichen Interesse — durch die herzliche Wärme und
durch den zarten Idealismus, mit dem uns hier die Geschicke eines durch Talent
wie dnrch Charaktertüchtigkeit und gesunden Sinn gleich ausgezeichneten Mannes
vorgeführt werden.
Auch als kulturgeschichtliche Gemälde stehen die Moritzschen Erzählungen
auf einer besondern Höhe. Besonders „Anton Reiser" bietet ein deutliches und
vollständiges Bild der Sturm- und Drangzeit, und da diese ganze Periode den
Stempel des Rousseauschen Geistes trägt, so ist man versucht, Moritzens
klassisches Buch als Seitenstück zu den vonkössioris des berühmten Genfers zu
betrachten. Allerdings in kleinerm Maßstabe; insofern Moritzens Wirksamkeit
nicht mit Rousseaus weltbewegender Rolle verglichen werden kann. Aber wie
z. B. Salzmanns „Konrad Kiefer" an den limits erinnert und gewissermaßen
dieses klassische Werk des Franzosen in die engere Sphäre einer gewöhnlichen
deutschen Häuslichkeit überträgt, so reiht sich die Lebensgeschichte des arm-
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