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Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Viertes Vierteljahr.

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I^art j)hilipp Moritz als Roinalischriftsteller

Verfasserin der "Vaneenza" schwelgt besonders in poetischen Bilder" uno Gleich¬
nissen. Manches, wie die Schilderung des patriarchalischen Lebens ans der
einsamen Burg, erinnert an Rousseau. In der Vorrede zum erstgenannte"
Werke stehen die bezeichnenden Worte, in unserm Zeitalter "herrsche mehr
Schwäche als Laster, mehr Feinheit als wahre Tugend." Auch folgenden
Satz -- einen Ausspruch der Heldin desselben Buches -- wird mau bemerkens¬
wert finden: "Die Liebe kann so gut besiegt werden als irgend eine andre
Leidenschaft; und kein Irrtum hat mehr Unglück angestiftet als der Wahn,
daß sie unwiderstehlich sei."

Suchen wir die Bedeutung der Moritzschen Erzählungen ins rechte Licht
zu setzen, so müssen wir zunächst gestehen, daß die formelle Seite zu wünschen
übrig läßt. Schon daß alle Erzählungen fragmentarisch sind, muß ihrer
Wirkung Abbruch thun. Aber die Komposition überhaupt ist vernachlässigt,
und namentlich "Hartknopf" macht nach dieser Hinsicht einen nnkünstlerischen
Eindruck. Alles erscheint hier rasch hingeworfen. Gegen Ende hin wird die
lose Erzählung immer dürftiger und bewegt sich in'bloßen Andeutungen, sodaß
man statt wirklicher Schilderung nur eine Skizze des Gegenstandes vor sich
zu haben meint. Die Kapitelüberschriften sind in den "Predigerjahren" das
eigentlich Leitende. Auf sie wird Bezug genommen, als gälte es Bilder zu
erläutern. Vollends auffallend sind Abschnitte wie die "Sinfonie," die dem
Prediger während des Gehens ertönt.

Kein Wunder, daß die Kritiken, die "Hartknopf" gefunden hat, nicht
immer warm sind. Klischnig z. B. berichtet, daß dies "fast das einzige von
Reihers Werken sei, das er anfing, ohne einen festen Plan dazu zu haben,"
erwähnt dann den satirischen Nebenzweck der "Allegorie" und meint: vöwrü.
kund, on'im vraLtörsÄMö nilril. Ja er sügt hinzu: "Ich muß uoch auführen,
daß ungefähr in der Mitte des Buches bei Reisern der Gedanke entstand, dar¬
auf hinzuarbeiten, daß er viel zu sagen scheinen möchte, wo er im Grunde
nichts sagte; und diesen Zweck hat er erreicht, wie mehrere Gedichte nu den
Versasser des Andreas Hartknopf beweisen." Wenn dies richtig ist, so erklärt
es sich nur daraus, daß Moritz das wahre Interesse an seiner Schöpfung
verloren battre. Die Mannichfaltigkeit und der häufige Wechsel seiner Nei¬
gungen sind ja bekannt.

Und doch ist dieser "Hartkuopf" -- dem nicht einmal der Verfassername mit
auf den Weg gegeben wurde -- ein bedeutsames Denkmal unsrer Litteratur.
Ihn zieren dieselben Vorzüge, die Hettner am "Anton Reiser" rühmt: herz¬
liche, liebevolle Schilderung deutschen Kleinlebens und vor allem Tiefe und
Reichtum der psychologischen Beobachtung. Reiser und Hartkuopf gehören
hier durchaus zusammen. Nur daß jener uicht als Mann, sondern als Knabe
und Jüngling erscheint und sonnt die Darlegung seiner innern Erlebnisse von
vornherein einen besondern pädagogischen Wert erhält. "


Grenzboten IV 1830 SS
I^art j)hilipp Moritz als Roinalischriftsteller

Verfasserin der „Vaneenza" schwelgt besonders in poetischen Bilder» uno Gleich¬
nissen. Manches, wie die Schilderung des patriarchalischen Lebens ans der
einsamen Burg, erinnert an Rousseau. In der Vorrede zum erstgenannte»
Werke stehen die bezeichnenden Worte, in unserm Zeitalter „herrsche mehr
Schwäche als Laster, mehr Feinheit als wahre Tugend." Auch folgenden
Satz — einen Ausspruch der Heldin desselben Buches — wird mau bemerkens¬
wert finden: „Die Liebe kann so gut besiegt werden als irgend eine andre
Leidenschaft; und kein Irrtum hat mehr Unglück angestiftet als der Wahn,
daß sie unwiderstehlich sei."

Suchen wir die Bedeutung der Moritzschen Erzählungen ins rechte Licht
zu setzen, so müssen wir zunächst gestehen, daß die formelle Seite zu wünschen
übrig läßt. Schon daß alle Erzählungen fragmentarisch sind, muß ihrer
Wirkung Abbruch thun. Aber die Komposition überhaupt ist vernachlässigt,
und namentlich „Hartknopf" macht nach dieser Hinsicht einen nnkünstlerischen
Eindruck. Alles erscheint hier rasch hingeworfen. Gegen Ende hin wird die
lose Erzählung immer dürftiger und bewegt sich in'bloßen Andeutungen, sodaß
man statt wirklicher Schilderung nur eine Skizze des Gegenstandes vor sich
zu haben meint. Die Kapitelüberschriften sind in den „Predigerjahren" das
eigentlich Leitende. Auf sie wird Bezug genommen, als gälte es Bilder zu
erläutern. Vollends auffallend sind Abschnitte wie die „Sinfonie," die dem
Prediger während des Gehens ertönt.

Kein Wunder, daß die Kritiken, die „Hartknopf" gefunden hat, nicht
immer warm sind. Klischnig z. B. berichtet, daß dies „fast das einzige von
Reihers Werken sei, das er anfing, ohne einen festen Plan dazu zu haben,"
erwähnt dann den satirischen Nebenzweck der „Allegorie" und meint: vöwrü.
kund, on'im vraLtörsÄMö nilril. Ja er sügt hinzu: „Ich muß uoch auführen,
daß ungefähr in der Mitte des Buches bei Reisern der Gedanke entstand, dar¬
auf hinzuarbeiten, daß er viel zu sagen scheinen möchte, wo er im Grunde
nichts sagte; und diesen Zweck hat er erreicht, wie mehrere Gedichte nu den
Versasser des Andreas Hartknopf beweisen." Wenn dies richtig ist, so erklärt
es sich nur daraus, daß Moritz das wahre Interesse an seiner Schöpfung
verloren battre. Die Mannichfaltigkeit und der häufige Wechsel seiner Nei¬
gungen sind ja bekannt.

Und doch ist dieser „Hartkuopf" — dem nicht einmal der Verfassername mit
auf den Weg gegeben wurde — ein bedeutsames Denkmal unsrer Litteratur.
Ihn zieren dieselben Vorzüge, die Hettner am „Anton Reiser" rühmt: herz¬
liche, liebevolle Schilderung deutschen Kleinlebens und vor allem Tiefe und
Reichtum der psychologischen Beobachtung. Reiser und Hartkuopf gehören
hier durchaus zusammen. Nur daß jener uicht als Mann, sondern als Knabe
und Jüngling erscheint und sonnt die Darlegung seiner innern Erlebnisse von
vornherein einen besondern pädagogischen Wert erhält. «


Grenzboten IV 1830 SS
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[0281] I^art j)hilipp Moritz als Roinalischriftsteller Verfasserin der „Vaneenza" schwelgt besonders in poetischen Bilder» uno Gleich¬ nissen. Manches, wie die Schilderung des patriarchalischen Lebens ans der einsamen Burg, erinnert an Rousseau. In der Vorrede zum erstgenannte» Werke stehen die bezeichnenden Worte, in unserm Zeitalter „herrsche mehr Schwäche als Laster, mehr Feinheit als wahre Tugend." Auch folgenden Satz — einen Ausspruch der Heldin desselben Buches — wird mau bemerkens¬ wert finden: „Die Liebe kann so gut besiegt werden als irgend eine andre Leidenschaft; und kein Irrtum hat mehr Unglück angestiftet als der Wahn, daß sie unwiderstehlich sei." Suchen wir die Bedeutung der Moritzschen Erzählungen ins rechte Licht zu setzen, so müssen wir zunächst gestehen, daß die formelle Seite zu wünschen übrig läßt. Schon daß alle Erzählungen fragmentarisch sind, muß ihrer Wirkung Abbruch thun. Aber die Komposition überhaupt ist vernachlässigt, und namentlich „Hartknopf" macht nach dieser Hinsicht einen nnkünstlerischen Eindruck. Alles erscheint hier rasch hingeworfen. Gegen Ende hin wird die lose Erzählung immer dürftiger und bewegt sich in'bloßen Andeutungen, sodaß man statt wirklicher Schilderung nur eine Skizze des Gegenstandes vor sich zu haben meint. Die Kapitelüberschriften sind in den „Predigerjahren" das eigentlich Leitende. Auf sie wird Bezug genommen, als gälte es Bilder zu erläutern. Vollends auffallend sind Abschnitte wie die „Sinfonie," die dem Prediger während des Gehens ertönt. Kein Wunder, daß die Kritiken, die „Hartknopf" gefunden hat, nicht immer warm sind. Klischnig z. B. berichtet, daß dies „fast das einzige von Reihers Werken sei, das er anfing, ohne einen festen Plan dazu zu haben," erwähnt dann den satirischen Nebenzweck der „Allegorie" und meint: vöwrü. kund, on'im vraLtörsÄMö nilril. Ja er sügt hinzu: „Ich muß uoch auführen, daß ungefähr in der Mitte des Buches bei Reisern der Gedanke entstand, dar¬ auf hinzuarbeiten, daß er viel zu sagen scheinen möchte, wo er im Grunde nichts sagte; und diesen Zweck hat er erreicht, wie mehrere Gedichte nu den Versasser des Andreas Hartknopf beweisen." Wenn dies richtig ist, so erklärt es sich nur daraus, daß Moritz das wahre Interesse an seiner Schöpfung verloren battre. Die Mannichfaltigkeit und der häufige Wechsel seiner Nei¬ gungen sind ja bekannt. Und doch ist dieser „Hartkuopf" — dem nicht einmal der Verfassername mit auf den Weg gegeben wurde — ein bedeutsames Denkmal unsrer Litteratur. Ihn zieren dieselben Vorzüge, die Hettner am „Anton Reiser" rühmt: herz¬ liche, liebevolle Schilderung deutschen Kleinlebens und vor allem Tiefe und Reichtum der psychologischen Beobachtung. Reiser und Hartkuopf gehören hier durchaus zusammen. Nur daß jener uicht als Mann, sondern als Knabe und Jüngling erscheint und sonnt die Darlegung seiner innern Erlebnisse von vornherein einen besondern pädagogischen Wert erhält. « Grenzboten IV 1830 SS

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_205998/281>, abgerufen am 22.12.2024.