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Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Viertes Vierteljahr.

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Aarl Philipp Moritz als Romanschriftsteller

bringt -- und zwar nicht bloß im "Anton Reiser" -- kann nur willkommen
geheißen werden. Denn Moritz ist eben als Mensch, als Charakter am
wichtigsten. Selbst wenn alle seine Studien veraltet wären, würde seine feurige
und phantasievolle Art, zu leben und zu streben, die Blicke auf sich ziehen.

Verwandt mit dem "Anton Reiser" sind die Hartluopfiaden. "Andreas
Hartknopf, eine Allegorie" (Berlin, 1786) zeichnet einen ähnlichen Philvsophirer,
wie es Moritz selbst war. Auf mäßigem Raum schildert das Buch die Rück¬
kehr des Helden nach seinein Geburtsorte Gellenhausen, wo er seinen menschen¬
freundlichen Vetter Knapp, einen Gastwirt, und seinen ehemaligen Lehrer, einen
emeritirten Rektor, antrifft. Es wendet sich dabei gegen das Treiben einiger
"Weltresvrmatoren und Kosmopoliten," die das "philanthropinische Unwesen"
nach Gellenhausen verpflanzen, und verliert sich schließlich in Jugenderinne-
rungen und Betrachtungen über Resignation als höchste Lebensweisheit.
"Andreas Hartknvpfs Predigerjahre" (Berlin, 1790) sind als Fortsetzung jener
"Allegorie" anzusehen. Hier werden die Erlebnisse Hnrtknvpfs in Ribbeckenau,
seine Wirksamkeit als Prediger, sein Umgang mit Freund und Feind, seine
Vermählung und sein häuslicher Kummer, der zur Scheidung und zum Wegzug
führt, erzählt.

Die "Fragmente aus dein Tagebuche eines Geistersehers" (Berlin, 1787)
machen den Eindruck des Planlosen nud sind auch -- dnrch Moritzens "Flucht"
nach Italien -- zu zeitig abgebrochen worden, als daß man viel davon sagen
könnte. "Bloß ein Vehikel, um gewisse Ideen leichter nnter die Leute zu
bringen," nennt .Aischnig das Schriftchen.

Eine besondre Stellung nimmt die "Neue Ceeilin" (Berlin, 1794) ein.
Es ist der Anfang einer in Rom spielenden Erzählung von dem tragischen
Liebesverhältnis zwischen einem adlichen Jüngling und einem bürgerlichen
Mädchen. Des Jünglings stolzer Vater widersetzt sich: Mario und Cecilia
werden getrennt. Er kommt ins Staatsgefängnis; sie wirft sich vergebens
dem Papst zu Füßen, um die Rettung des Geliebten zu erlangen. Sie giebt
sich schließlich selbst den Tod, vergiftet sich, und Marios Laufbahn ist wieder
frei. Dies alles ist aber nur Entwurf. Was Moritz fertig gebracht hat, ehe
ihn der Tod abrief, find zehn Briefe -- in diese Form goß er nämlich sein
letztes Werk --, größtenteils Briefe der Liebenden ein ihre Vertrauten, und erst
im sechsten Brief beginnt die eigentliche Handlung, die übrigens breit angelegt
erscheint. In diesen "letzten Blättern" des Vielgewanderten herrscht jene klare,
schöne Einfachheit, wie sie Goethe um dieselbe Zeit Pflegte und lehrte.

Schließlich hat Moritz auch einige Romane aus dem Englischen übersetzt
und herausgegeben, von denen "Anna Se. Joch" (Berlin, 1792) und "Vaneenza
oder die Gefahren der Leichtgläubigkeit" (Berlin, 1793) kurz erwähnt sein
mögen. Es sind keine Werke von Bedeutung. Die Szenen haben wenig Be¬
sondres, nud der rhetorische Stil, der dabei herrscht, wird breitspurig. Die


Aarl Philipp Moritz als Romanschriftsteller

bringt — und zwar nicht bloß im „Anton Reiser" — kann nur willkommen
geheißen werden. Denn Moritz ist eben als Mensch, als Charakter am
wichtigsten. Selbst wenn alle seine Studien veraltet wären, würde seine feurige
und phantasievolle Art, zu leben und zu streben, die Blicke auf sich ziehen.

Verwandt mit dem „Anton Reiser" sind die Hartluopfiaden. „Andreas
Hartknopf, eine Allegorie" (Berlin, 1786) zeichnet einen ähnlichen Philvsophirer,
wie es Moritz selbst war. Auf mäßigem Raum schildert das Buch die Rück¬
kehr des Helden nach seinein Geburtsorte Gellenhausen, wo er seinen menschen¬
freundlichen Vetter Knapp, einen Gastwirt, und seinen ehemaligen Lehrer, einen
emeritirten Rektor, antrifft. Es wendet sich dabei gegen das Treiben einiger
„Weltresvrmatoren und Kosmopoliten," die das „philanthropinische Unwesen"
nach Gellenhausen verpflanzen, und verliert sich schließlich in Jugenderinne-
rungen und Betrachtungen über Resignation als höchste Lebensweisheit.
„Andreas Hartknvpfs Predigerjahre" (Berlin, 1790) sind als Fortsetzung jener
„Allegorie" anzusehen. Hier werden die Erlebnisse Hnrtknvpfs in Ribbeckenau,
seine Wirksamkeit als Prediger, sein Umgang mit Freund und Feind, seine
Vermählung und sein häuslicher Kummer, der zur Scheidung und zum Wegzug
führt, erzählt.

Die „Fragmente aus dein Tagebuche eines Geistersehers" (Berlin, 1787)
machen den Eindruck des Planlosen nud sind auch — dnrch Moritzens „Flucht"
nach Italien — zu zeitig abgebrochen worden, als daß man viel davon sagen
könnte. „Bloß ein Vehikel, um gewisse Ideen leichter nnter die Leute zu
bringen," nennt .Aischnig das Schriftchen.

Eine besondre Stellung nimmt die „Neue Ceeilin" (Berlin, 1794) ein.
Es ist der Anfang einer in Rom spielenden Erzählung von dem tragischen
Liebesverhältnis zwischen einem adlichen Jüngling und einem bürgerlichen
Mädchen. Des Jünglings stolzer Vater widersetzt sich: Mario und Cecilia
werden getrennt. Er kommt ins Staatsgefängnis; sie wirft sich vergebens
dem Papst zu Füßen, um die Rettung des Geliebten zu erlangen. Sie giebt
sich schließlich selbst den Tod, vergiftet sich, und Marios Laufbahn ist wieder
frei. Dies alles ist aber nur Entwurf. Was Moritz fertig gebracht hat, ehe
ihn der Tod abrief, find zehn Briefe — in diese Form goß er nämlich sein
letztes Werk —, größtenteils Briefe der Liebenden ein ihre Vertrauten, und erst
im sechsten Brief beginnt die eigentliche Handlung, die übrigens breit angelegt
erscheint. In diesen „letzten Blättern" des Vielgewanderten herrscht jene klare,
schöne Einfachheit, wie sie Goethe um dieselbe Zeit Pflegte und lehrte.

Schließlich hat Moritz auch einige Romane aus dem Englischen übersetzt
und herausgegeben, von denen „Anna Se. Joch" (Berlin, 1792) und „Vaneenza
oder die Gefahren der Leichtgläubigkeit" (Berlin, 1793) kurz erwähnt sein
mögen. Es sind keine Werke von Bedeutung. Die Szenen haben wenig Be¬
sondres, nud der rhetorische Stil, der dabei herrscht, wird breitspurig. Die


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_205998/280>, abgerufen am 28.06.2024.