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Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Viertes Vierteljahr.

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Streisziige durch die französische Litteratur der Gegenwart

samen Spötterin, einschmeichelnd wie die Honigworte der schlauen Verführerin".
Jeder Wohlgeruch erweckt andre Empfindungen, andre Gedanken, andre Ideale
in Faustus; inmitten dieser Duftsymphonieen versetzt ihn der Geruch einer
blauen Blume in solche Verzückung, daß er überwältigt in Thränen ausbricht
und ohnmächtig zusammensinkt. Stelle, bringt ihn dnrch einen Labetrunk wieder
zu sich.

Alle idealen Zustände, die der Forscher in ^u, -lustics vergebens auf der
Erde gesucht hat, findet Faustus auf dem neuen Sterne. Kein Wesen lebt
hier auf Kosten eines andern, niemand braucht zu schaden, um zu genieße",
die Gattungen bekämpfen sich nicht mehr, und das Bedürfnis ist nicht mehr
Schmerz. Aber dumpf und verworren klingen die Stimmen des menschlichen
Elends von der Erde herauf. Doch Faustus und Stell" eilen weiter in das
Reich der Formen und Farben, wo jeder Künstler vor seinem erträumten Ideale
steht, Correggio vor dem glänzenden Morgen, Rubens vor dem flammenden
Mittag, Tizian vor dem purpurnen Abendlicht, Rembrandt vor seinein Hell¬
dunkel, Poussin und Ruisdal vor dem Prächtigen Himmel, den sprühenden
Kaskaden, den herrlichen Laubbildungen. Dann kommen die beiden Verklärten
in das Reich der Harmonie und der Schönheit, sie hören die Nachtigall
schlagen, und in schwärmerischer Stimmung erinnert sich Faustus der irdischen
Liebesstunden. Hier bietet uns der Dichter eine Elegie, die wir zu den
schönsten der ganzen französischen Litteratur rechne". Folgende Stelle ist be¬
sonders bezeichnend:


Gedenkst du noch des Hags, dnrch den wir traurig irrten?
Wir schritten beide einsam und versteckt
Auf einem Pfad, von Flieder ganz bedeckt,
Wo Dämmrnngsfarben mit den Blüten sich verwirrten.
Und unsre Herzen schweiften in ein fernes Land,
Wo alles wächst in einer andern Sonne,
Als sich ein goldner Klang voll sicher Wonne
Im Widerhall zu uns erhob vom Waldesrand.
Und du berührtest deine Lippen still:
"Die Nachtigall! Ihr klagend Liebeszeichen,"
Dn horchtest bang, dem Engel zu vergleichen,
Der wieder heim zum Paradiese will.
Und melancholisch stieg in stiller Feier
Die Nacht hernieder auf den Blütenpark,
Die wie mit leichter Asche zartem Schleier
Der Formen Umrisi uach und nach verbarg.

Allein stelln erscheint plötzlich mit allen Reizen ihrer unsterblichen Schön¬
heit, und berauscht ruht Faustus in ihren Armen, und hört nicht auf die
irdischen Stimmen ""ter sich. Doch bald ergreift ihn eine unbestimmte, dumpfe


Streisziige durch die französische Litteratur der Gegenwart

samen Spötterin, einschmeichelnd wie die Honigworte der schlauen Verführerin".
Jeder Wohlgeruch erweckt andre Empfindungen, andre Gedanken, andre Ideale
in Faustus; inmitten dieser Duftsymphonieen versetzt ihn der Geruch einer
blauen Blume in solche Verzückung, daß er überwältigt in Thränen ausbricht
und ohnmächtig zusammensinkt. Stelle, bringt ihn dnrch einen Labetrunk wieder
zu sich.

Alle idealen Zustände, die der Forscher in ^u, -lustics vergebens auf der
Erde gesucht hat, findet Faustus auf dem neuen Sterne. Kein Wesen lebt
hier auf Kosten eines andern, niemand braucht zu schaden, um zu genieße»,
die Gattungen bekämpfen sich nicht mehr, und das Bedürfnis ist nicht mehr
Schmerz. Aber dumpf und verworren klingen die Stimmen des menschlichen
Elends von der Erde herauf. Doch Faustus und Stell« eilen weiter in das
Reich der Formen und Farben, wo jeder Künstler vor seinem erträumten Ideale
steht, Correggio vor dem glänzenden Morgen, Rubens vor dem flammenden
Mittag, Tizian vor dem purpurnen Abendlicht, Rembrandt vor seinein Hell¬
dunkel, Poussin und Ruisdal vor dem Prächtigen Himmel, den sprühenden
Kaskaden, den herrlichen Laubbildungen. Dann kommen die beiden Verklärten
in das Reich der Harmonie und der Schönheit, sie hören die Nachtigall
schlagen, und in schwärmerischer Stimmung erinnert sich Faustus der irdischen
Liebesstunden. Hier bietet uns der Dichter eine Elegie, die wir zu den
schönsten der ganzen französischen Litteratur rechne». Folgende Stelle ist be¬
sonders bezeichnend:


Gedenkst du noch des Hags, dnrch den wir traurig irrten?
Wir schritten beide einsam und versteckt
Auf einem Pfad, von Flieder ganz bedeckt,
Wo Dämmrnngsfarben mit den Blüten sich verwirrten.
Und unsre Herzen schweiften in ein fernes Land,
Wo alles wächst in einer andern Sonne,
Als sich ein goldner Klang voll sicher Wonne
Im Widerhall zu uns erhob vom Waldesrand.
Und du berührtest deine Lippen still:
„Die Nachtigall! Ihr klagend Liebeszeichen,"
Dn horchtest bang, dem Engel zu vergleichen,
Der wieder heim zum Paradiese will.
Und melancholisch stieg in stiller Feier
Die Nacht hernieder auf den Blütenpark,
Die wie mit leichter Asche zartem Schleier
Der Formen Umrisi uach und nach verbarg.

Allein stelln erscheint plötzlich mit allen Reizen ihrer unsterblichen Schön¬
heit, und berauscht ruht Faustus in ihren Armen, und hört nicht auf die
irdischen Stimmen »»ter sich. Doch bald ergreift ihn eine unbestimmte, dumpfe


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[0028] Streisziige durch die französische Litteratur der Gegenwart samen Spötterin, einschmeichelnd wie die Honigworte der schlauen Verführerin". Jeder Wohlgeruch erweckt andre Empfindungen, andre Gedanken, andre Ideale in Faustus; inmitten dieser Duftsymphonieen versetzt ihn der Geruch einer blauen Blume in solche Verzückung, daß er überwältigt in Thränen ausbricht und ohnmächtig zusammensinkt. Stelle, bringt ihn dnrch einen Labetrunk wieder zu sich. Alle idealen Zustände, die der Forscher in ^u, -lustics vergebens auf der Erde gesucht hat, findet Faustus auf dem neuen Sterne. Kein Wesen lebt hier auf Kosten eines andern, niemand braucht zu schaden, um zu genieße», die Gattungen bekämpfen sich nicht mehr, und das Bedürfnis ist nicht mehr Schmerz. Aber dumpf und verworren klingen die Stimmen des menschlichen Elends von der Erde herauf. Doch Faustus und Stell« eilen weiter in das Reich der Formen und Farben, wo jeder Künstler vor seinem erträumten Ideale steht, Correggio vor dem glänzenden Morgen, Rubens vor dem flammenden Mittag, Tizian vor dem purpurnen Abendlicht, Rembrandt vor seinein Hell¬ dunkel, Poussin und Ruisdal vor dem Prächtigen Himmel, den sprühenden Kaskaden, den herrlichen Laubbildungen. Dann kommen die beiden Verklärten in das Reich der Harmonie und der Schönheit, sie hören die Nachtigall schlagen, und in schwärmerischer Stimmung erinnert sich Faustus der irdischen Liebesstunden. Hier bietet uns der Dichter eine Elegie, die wir zu den schönsten der ganzen französischen Litteratur rechne». Folgende Stelle ist be¬ sonders bezeichnend: Gedenkst du noch des Hags, dnrch den wir traurig irrten? Wir schritten beide einsam und versteckt Auf einem Pfad, von Flieder ganz bedeckt, Wo Dämmrnngsfarben mit den Blüten sich verwirrten. Und unsre Herzen schweiften in ein fernes Land, Wo alles wächst in einer andern Sonne, Als sich ein goldner Klang voll sicher Wonne Im Widerhall zu uns erhob vom Waldesrand. Und du berührtest deine Lippen still: „Die Nachtigall! Ihr klagend Liebeszeichen," Dn horchtest bang, dem Engel zu vergleichen, Der wieder heim zum Paradiese will. Und melancholisch stieg in stiller Feier Die Nacht hernieder auf den Blütenpark, Die wie mit leichter Asche zartem Schleier Der Formen Umrisi uach und nach verbarg. Allein stelln erscheint plötzlich mit allen Reizen ihrer unsterblichen Schön¬ heit, und berauscht ruht Faustus in ihren Armen, und hört nicht auf die irdischen Stimmen »»ter sich. Doch bald ergreift ihn eine unbestimmte, dumpfe

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_205998/28>, abgerufen am 22.07.2024.