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Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Viertes Vierteljahr.

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alles zu wissen und selbst das große Unbekannte zu ergründen. Er durcheilt
im Geiste die Lehren der griechischen Weisen von Thales bis Epikur, aber er
sieht nur ein unfruchtbares Chaos znsammengewürfelter Gedanken. Er wendet
sich zu den Lehren der Kirchenväter; er Prüft die Systeme der neuern Philo¬
sophen Bacon. Descartes. Malebrauche. Spinoza, Leibniz, Berkeley, Hobbes.
Hume, Condillac, Locke, Voltaire, Rousseau, Jacobi, Kant, Fichte, Schelling,
Hegel, und schließt mit Schopenhauer:


Vvlonti'i, t<in salut o'oft 6s tsmlro ".a Qv"ut.

Das sollte das letzte Wort des menschlichen Denkens sein? Unmöglich!
Faustus wendet sich von der Philosophie zu den Forschungen der empirischen
Wissenschaft; er durchfliegt das ganze Gebiet von Hipparch bis Darwin, aber
er findet auch hier keine Antwort ans seine Frage. Nirgends wird ihm eine
Losung des großen Rätsels geboten, überall wird die große Frage, die sein
Glück umschließt, mir verschleiert, verschoben und zurückgedrängt. Die Wi߬
begierde treibt ihn rastlos weiter; dn erscheint ihm Pascal und erklärt, daß
sein Streben vergeblich sei, daß der Mensch das höchste Wesen, Gott, mit dem
Verstände niemals begreifen könne. Des Menschen Geist hat zum Gebiete die
Dinge, die ihn umgeben; hier erkennt er die Ordnung und löst die Verwick¬
lungen; er beschreibt die Wege, die von den Gestirnen durchlaufen werdeu, da
er selbst Kraft und Stoss ist wie sie; aber das unendliche Sein liegt außer¬
halb seiner Grenzen:


Das cinzge Gilt im Weltgetriebe,
Uns näher als der Wahrheit Macht,
Das ist der reiche Schatz der Liebe,
Glaub mir, ich hab es lang bedacht!

So kehrt denn Fnustus, von seinen Zweifeln befreit, zu Stellas Liebe
zurück, und heitere Genien umschweben die Glücklichen. Alber wieder senkt sich
ein Stachel in sein Herz; von der Erde klingen die Kingestimmen der Sklaven
herauf, die nach Gerechtigkeit schreie", der Kranke" und Armen, die um Er¬
lösung stehen; er hört die Seufzer des Prometheus, Sokrates, Christus, die
um der Menschheit willen gelitten haben, und mächtig fühlt er sich mit einem-
male von Menschenliebe ergriffen. Er liebt die Erde um ihrer verwelkenden
Blumen willen, er liebt seine Brüder ans der Erde um ihrer Schmerzen willen.
Wenn wir, sagt er zu Stell", den Schrei ihres maßlosen Elends hören, wenn
wir in ihren Blicken die Angst einer endlosen Verzweiflung sehen, können wir
uns selbst dann noch glücklich fühlen? sollen wir von unserm Wissen, das
ihnen nützlich sein würde, nur einen nufrnchtbnren und eitlen Gebrauch macheu,
uur für uns leben und nichts für sie versuchen? stelln ist bereit, ihren Ge¬
liebten auf die Erde zlirückzubegleiten: auf den Flügeln des Todes, der in der


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alles zu wissen und selbst das große Unbekannte zu ergründen. Er durcheilt
im Geiste die Lehren der griechischen Weisen von Thales bis Epikur, aber er
sieht nur ein unfruchtbares Chaos znsammengewürfelter Gedanken. Er wendet
sich zu den Lehren der Kirchenväter; er Prüft die Systeme der neuern Philo¬
sophen Bacon. Descartes. Malebrauche. Spinoza, Leibniz, Berkeley, Hobbes.
Hume, Condillac, Locke, Voltaire, Rousseau, Jacobi, Kant, Fichte, Schelling,
Hegel, und schließt mit Schopenhauer:


Vvlonti'i, t<in salut o'oft 6s tsmlro «.a Qv»ut.

Das sollte das letzte Wort des menschlichen Denkens sein? Unmöglich!
Faustus wendet sich von der Philosophie zu den Forschungen der empirischen
Wissenschaft; er durchfliegt das ganze Gebiet von Hipparch bis Darwin, aber
er findet auch hier keine Antwort ans seine Frage. Nirgends wird ihm eine
Losung des großen Rätsels geboten, überall wird die große Frage, die sein
Glück umschließt, mir verschleiert, verschoben und zurückgedrängt. Die Wi߬
begierde treibt ihn rastlos weiter; dn erscheint ihm Pascal und erklärt, daß
sein Streben vergeblich sei, daß der Mensch das höchste Wesen, Gott, mit dem
Verstände niemals begreifen könne. Des Menschen Geist hat zum Gebiete die
Dinge, die ihn umgeben; hier erkennt er die Ordnung und löst die Verwick¬
lungen; er beschreibt die Wege, die von den Gestirnen durchlaufen werdeu, da
er selbst Kraft und Stoss ist wie sie; aber das unendliche Sein liegt außer¬
halb seiner Grenzen:


Das cinzge Gilt im Weltgetriebe,
Uns näher als der Wahrheit Macht,
Das ist der reiche Schatz der Liebe,
Glaub mir, ich hab es lang bedacht!

So kehrt denn Fnustus, von seinen Zweifeln befreit, zu Stellas Liebe
zurück, und heitere Genien umschweben die Glücklichen. Alber wieder senkt sich
ein Stachel in sein Herz; von der Erde klingen die Kingestimmen der Sklaven
herauf, die nach Gerechtigkeit schreie», der Kranke» und Armen, die um Er¬
lösung stehen; er hört die Seufzer des Prometheus, Sokrates, Christus, die
um der Menschheit willen gelitten haben, und mächtig fühlt er sich mit einem-
male von Menschenliebe ergriffen. Er liebt die Erde um ihrer verwelkenden
Blumen willen, er liebt seine Brüder ans der Erde um ihrer Schmerzen willen.
Wenn wir, sagt er zu Stell», den Schrei ihres maßlosen Elends hören, wenn
wir in ihren Blicken die Angst einer endlosen Verzweiflung sehen, können wir
uns selbst dann noch glücklich fühlen? sollen wir von unserm Wissen, das
ihnen nützlich sein würde, nur einen nufrnchtbnren und eitlen Gebrauch macheu,
uur für uns leben und nichts für sie versuchen? stelln ist bereit, ihren Ge¬
liebten auf die Erde zlirückzubegleiten: auf den Flügeln des Todes, der in der


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[0029] Unruhe: 'tout 1'Kouliuv vn wi n'6es.it x-is is-i.tiLkg.it ein qualvoller Trieb, alles zu wissen und selbst das große Unbekannte zu ergründen. Er durcheilt im Geiste die Lehren der griechischen Weisen von Thales bis Epikur, aber er sieht nur ein unfruchtbares Chaos znsammengewürfelter Gedanken. Er wendet sich zu den Lehren der Kirchenväter; er Prüft die Systeme der neuern Philo¬ sophen Bacon. Descartes. Malebrauche. Spinoza, Leibniz, Berkeley, Hobbes. Hume, Condillac, Locke, Voltaire, Rousseau, Jacobi, Kant, Fichte, Schelling, Hegel, und schließt mit Schopenhauer: Vvlonti'i, t<in salut o'oft 6s tsmlro «.a Qv»ut. Das sollte das letzte Wort des menschlichen Denkens sein? Unmöglich! Faustus wendet sich von der Philosophie zu den Forschungen der empirischen Wissenschaft; er durchfliegt das ganze Gebiet von Hipparch bis Darwin, aber er findet auch hier keine Antwort ans seine Frage. Nirgends wird ihm eine Losung des großen Rätsels geboten, überall wird die große Frage, die sein Glück umschließt, mir verschleiert, verschoben und zurückgedrängt. Die Wi߬ begierde treibt ihn rastlos weiter; dn erscheint ihm Pascal und erklärt, daß sein Streben vergeblich sei, daß der Mensch das höchste Wesen, Gott, mit dem Verstände niemals begreifen könne. Des Menschen Geist hat zum Gebiete die Dinge, die ihn umgeben; hier erkennt er die Ordnung und löst die Verwick¬ lungen; er beschreibt die Wege, die von den Gestirnen durchlaufen werdeu, da er selbst Kraft und Stoss ist wie sie; aber das unendliche Sein liegt außer¬ halb seiner Grenzen: Das cinzge Gilt im Weltgetriebe, Uns näher als der Wahrheit Macht, Das ist der reiche Schatz der Liebe, Glaub mir, ich hab es lang bedacht! So kehrt denn Fnustus, von seinen Zweifeln befreit, zu Stellas Liebe zurück, und heitere Genien umschweben die Glücklichen. Alber wieder senkt sich ein Stachel in sein Herz; von der Erde klingen die Kingestimmen der Sklaven herauf, die nach Gerechtigkeit schreie», der Kranke» und Armen, die um Er¬ lösung stehen; er hört die Seufzer des Prometheus, Sokrates, Christus, die um der Menschheit willen gelitten haben, und mächtig fühlt er sich mit einem- male von Menschenliebe ergriffen. Er liebt die Erde um ihrer verwelkenden Blumen willen, er liebt seine Brüder ans der Erde um ihrer Schmerzen willen. Wenn wir, sagt er zu Stell», den Schrei ihres maßlosen Elends hören, wenn wir in ihren Blicken die Angst einer endlosen Verzweiflung sehen, können wir uns selbst dann noch glücklich fühlen? sollen wir von unserm Wissen, das ihnen nützlich sein würde, nur einen nufrnchtbnren und eitlen Gebrauch macheu, uur für uns leben und nichts für sie versuchen? stelln ist bereit, ihren Ge¬ liebten auf die Erde zlirückzubegleiten: auf den Flügeln des Todes, der in der

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_205998/29>, abgerufen am 28.06.2024.