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Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Viertes Vierteljahr.

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Die geschichtliche Bedeutung des Sedcmtages

aus diesem Grunde konnte Italien von deu deutschen Kmiigen nicht aufgegeben
werden, so lange sie zugleich Träger der abenteuerliche" "imperialistischen Idee"
blieben. Dagegen lehnte sich aber mehr und mehr das erstarkende Nntional-
gefühl der romanisirten Bevölkerung ans, deren Interesse auch hierin mit dem
päpstlichen zusammentraf. Und auf welche Machtmittel Sachen sich dem gegen¬
über unsre Kaiser und Könige angewiesen! Sie verfügten weder über zuverlässige
Heerführer noch über zuverlässige Beamte. Der Staatsgedanke war und blieb
im Mittelalter nnr sehr oberflächlich. So ist es ein weiterer bezeichnender Grund-
zug seiner politischen Ordnung, daß alle wichtigern Diener des Staates für
ihre Thätigkeit in Krieg und Frieden nicht nur mit Landbesitz, sondern zugleich
mit Hoheitsrechten gelohnt wurde", eine Einrichtung, die der urdeutschen Neigung
zur Eigenwilligkeit und llnbvtmäßigkeit nnr zu sehr eutgegenkaiu. Um die Sache
noch schlimmer zu macheu, behaupteten die fürstlichen Vasallen das gemein¬
schädliche Recht, deu König zu wählen und damit ihn von vornherein in seiner
freien Bewegung zu behindern. Namentlich im dreizehnten Jahrhundert traten
zu diesen besondern Mächten geistlicher und weltlicher Art noch neue hinzu in
den Städten, die in plötzlicher Fülle die deutschen Grue bedeckten. So kam
eine kräftige Einheit des politischen Lebens niemals ans und konnte es auch
schon aus dein Grunde nicht, weil keine genügende Gemeinschaft wirtschaftlicher
Interessen dazu nötigte, wie sich das unter anderm in dein Mangel jedweder
Reichssteuer überzeugend ausdrückt. Auch nach dieser Seite bildeten die einzelnen
Teilgebiete, die Fürstentümer und Stifter, die Ritterschaften und Städte im
großen und ganzen abgeschlossene Gruppen für sich. Und wenn der König
früher an den von ihn: eingesetzten zahlreichen geistlichen Würdenträgern einen
leidlich starken und sichern Rückhalt gegen die weltlichen gehabt hatte, die
mittels der mehr und mehr beanspruchten und geduldeten Erblichkeit ihrer Lehen
ihrem ohnehin lockern Unterthanenverhültnis fast gänzlich entschlüpften, so ge¬
lang es schon Gregor VII. und seinen nächsten Nachfolgern, durch Verkürzung
des königlichen Jnvestiturrechts auch diese Stütze dem Gegner zu eignem
Gebrauche zu entwinde". Bei diesem Sachverhalt muß es uns doppelt Wunder
nehmen, daß es großen Herrschern und Herrschergeschlechtern, so den Ottonen,
den Saliern und Staufern, Jahrhunderte hindurch gelungen ist, den Mangel
an nationalen Bindemitteln dnrch den Schwung und die Macht ihrer Persön¬
lichkeiten einigermaßen zu ersetzen und die Nation mit Hingebung an gemein¬
same große Aufgaben und so zugleich mit dem Bewußtsein zu erfüllen, daß
ihr die erste Stelle in der Welt gehöre und gebühre. Dieses Hochgefühl spricht
uns noch heute unmittelbar an in den erhaltenen Kunstschöpfungen jener Zeiten,
in den hehren Erzeugnissen der Baukunst nicht minder als in den edeln Her-
vorbringungen der Poesie.

Aber dem romantischen Rausch folgte eine ebenso plötzliche wie gründliche
Ernüchterung. Italien ward aufgegeben, und insofern gewann die ausgeprägt


Die geschichtliche Bedeutung des Sedcmtages

aus diesem Grunde konnte Italien von deu deutschen Kmiigen nicht aufgegeben
werden, so lange sie zugleich Träger der abenteuerliche» „imperialistischen Idee"
blieben. Dagegen lehnte sich aber mehr und mehr das erstarkende Nntional-
gefühl der romanisirten Bevölkerung ans, deren Interesse auch hierin mit dem
päpstlichen zusammentraf. Und auf welche Machtmittel Sachen sich dem gegen¬
über unsre Kaiser und Könige angewiesen! Sie verfügten weder über zuverlässige
Heerführer noch über zuverlässige Beamte. Der Staatsgedanke war und blieb
im Mittelalter nnr sehr oberflächlich. So ist es ein weiterer bezeichnender Grund-
zug seiner politischen Ordnung, daß alle wichtigern Diener des Staates für
ihre Thätigkeit in Krieg und Frieden nicht nur mit Landbesitz, sondern zugleich
mit Hoheitsrechten gelohnt wurde», eine Einrichtung, die der urdeutschen Neigung
zur Eigenwilligkeit und llnbvtmäßigkeit nnr zu sehr eutgegenkaiu. Um die Sache
noch schlimmer zu macheu, behaupteten die fürstlichen Vasallen das gemein¬
schädliche Recht, deu König zu wählen und damit ihn von vornherein in seiner
freien Bewegung zu behindern. Namentlich im dreizehnten Jahrhundert traten
zu diesen besondern Mächten geistlicher und weltlicher Art noch neue hinzu in
den Städten, die in plötzlicher Fülle die deutschen Grue bedeckten. So kam
eine kräftige Einheit des politischen Lebens niemals ans und konnte es auch
schon aus dein Grunde nicht, weil keine genügende Gemeinschaft wirtschaftlicher
Interessen dazu nötigte, wie sich das unter anderm in dein Mangel jedweder
Reichssteuer überzeugend ausdrückt. Auch nach dieser Seite bildeten die einzelnen
Teilgebiete, die Fürstentümer und Stifter, die Ritterschaften und Städte im
großen und ganzen abgeschlossene Gruppen für sich. Und wenn der König
früher an den von ihn: eingesetzten zahlreichen geistlichen Würdenträgern einen
leidlich starken und sichern Rückhalt gegen die weltlichen gehabt hatte, die
mittels der mehr und mehr beanspruchten und geduldeten Erblichkeit ihrer Lehen
ihrem ohnehin lockern Unterthanenverhültnis fast gänzlich entschlüpften, so ge¬
lang es schon Gregor VII. und seinen nächsten Nachfolgern, durch Verkürzung
des königlichen Jnvestiturrechts auch diese Stütze dem Gegner zu eignem
Gebrauche zu entwinde«. Bei diesem Sachverhalt muß es uns doppelt Wunder
nehmen, daß es großen Herrschern und Herrschergeschlechtern, so den Ottonen,
den Saliern und Staufern, Jahrhunderte hindurch gelungen ist, den Mangel
an nationalen Bindemitteln dnrch den Schwung und die Macht ihrer Persön¬
lichkeiten einigermaßen zu ersetzen und die Nation mit Hingebung an gemein¬
same große Aufgaben und so zugleich mit dem Bewußtsein zu erfüllen, daß
ihr die erste Stelle in der Welt gehöre und gebühre. Dieses Hochgefühl spricht
uns noch heute unmittelbar an in den erhaltenen Kunstschöpfungen jener Zeiten,
in den hehren Erzeugnissen der Baukunst nicht minder als in den edeln Her-
vorbringungen der Poesie.

Aber dem romantischen Rausch folgte eine ebenso plötzliche wie gründliche
Ernüchterung. Italien ward aufgegeben, und insofern gewann die ausgeprägt


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[0274] Die geschichtliche Bedeutung des Sedcmtages aus diesem Grunde konnte Italien von deu deutschen Kmiigen nicht aufgegeben werden, so lange sie zugleich Träger der abenteuerliche» „imperialistischen Idee" blieben. Dagegen lehnte sich aber mehr und mehr das erstarkende Nntional- gefühl der romanisirten Bevölkerung ans, deren Interesse auch hierin mit dem päpstlichen zusammentraf. Und auf welche Machtmittel Sachen sich dem gegen¬ über unsre Kaiser und Könige angewiesen! Sie verfügten weder über zuverlässige Heerführer noch über zuverlässige Beamte. Der Staatsgedanke war und blieb im Mittelalter nnr sehr oberflächlich. So ist es ein weiterer bezeichnender Grund- zug seiner politischen Ordnung, daß alle wichtigern Diener des Staates für ihre Thätigkeit in Krieg und Frieden nicht nur mit Landbesitz, sondern zugleich mit Hoheitsrechten gelohnt wurde», eine Einrichtung, die der urdeutschen Neigung zur Eigenwilligkeit und llnbvtmäßigkeit nnr zu sehr eutgegenkaiu. Um die Sache noch schlimmer zu macheu, behaupteten die fürstlichen Vasallen das gemein¬ schädliche Recht, deu König zu wählen und damit ihn von vornherein in seiner freien Bewegung zu behindern. Namentlich im dreizehnten Jahrhundert traten zu diesen besondern Mächten geistlicher und weltlicher Art noch neue hinzu in den Städten, die in plötzlicher Fülle die deutschen Grue bedeckten. So kam eine kräftige Einheit des politischen Lebens niemals ans und konnte es auch schon aus dein Grunde nicht, weil keine genügende Gemeinschaft wirtschaftlicher Interessen dazu nötigte, wie sich das unter anderm in dein Mangel jedweder Reichssteuer überzeugend ausdrückt. Auch nach dieser Seite bildeten die einzelnen Teilgebiete, die Fürstentümer und Stifter, die Ritterschaften und Städte im großen und ganzen abgeschlossene Gruppen für sich. Und wenn der König früher an den von ihn: eingesetzten zahlreichen geistlichen Würdenträgern einen leidlich starken und sichern Rückhalt gegen die weltlichen gehabt hatte, die mittels der mehr und mehr beanspruchten und geduldeten Erblichkeit ihrer Lehen ihrem ohnehin lockern Unterthanenverhültnis fast gänzlich entschlüpften, so ge¬ lang es schon Gregor VII. und seinen nächsten Nachfolgern, durch Verkürzung des königlichen Jnvestiturrechts auch diese Stütze dem Gegner zu eignem Gebrauche zu entwinde«. Bei diesem Sachverhalt muß es uns doppelt Wunder nehmen, daß es großen Herrschern und Herrschergeschlechtern, so den Ottonen, den Saliern und Staufern, Jahrhunderte hindurch gelungen ist, den Mangel an nationalen Bindemitteln dnrch den Schwung und die Macht ihrer Persön¬ lichkeiten einigermaßen zu ersetzen und die Nation mit Hingebung an gemein¬ same große Aufgaben und so zugleich mit dem Bewußtsein zu erfüllen, daß ihr die erste Stelle in der Welt gehöre und gebühre. Dieses Hochgefühl spricht uns noch heute unmittelbar an in den erhaltenen Kunstschöpfungen jener Zeiten, in den hehren Erzeugnissen der Baukunst nicht minder als in den edeln Her- vorbringungen der Poesie. Aber dem romantischen Rausch folgte eine ebenso plötzliche wie gründliche Ernüchterung. Italien ward aufgegeben, und insofern gewann die ausgeprägt

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_205998/274>, abgerufen am 02.07.2024.