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Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Viertes Vierteljahr.

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Die geschichtliche Bedeutung des Sedantages

zur Seite zu stellen hat. So morsch und altersschwach das Nömertum war,
so reich waren sie an jugendlicher straft. Ein großer Monarch stand dann
unter ihnen auf und suchte mit erstaunlichem Erfolg die christlichen Völker des
Abendlandes unter sein Szepter zu sammeln. Wohl war das Weltreich der
Römer unter den wuchtigen Schlägen der Germanen zusammengebrochen, aber
der Gedanke des Weltreiches selbst wirkte verführerisch nach in dem Gemüte
der Sieger und erfaßte mit aller Energie den herrschgewaltigen Mann, der
sich am ersten Tage des neunten Jahrhunderts in der Peterskirche mit der
Kaiserkrone schmückte. Naturgemäß zersetzte sich bald nach seinem Hingang seine
kosmopolitische Schöpfung entsprechend der Nationalität in zwei neue Staaten,
Frankreich und Deutschland, aber dem letztern verblieb allen geographischen
Bedingungen zum Trotz nach kurzer Trennung das von Karl eingefügte ur¬
sprünglich germanische Nordstück Italiens, das später erweitert dein Hauptkörper
bald seine besten Lebenssäfte entziehen sollte.

Inzwischen war über das westliche Europa eine neue Weltreligion empor¬
gestiegen. In Rom, der Metropole der alten Welt, saß nun der Stellvertreter
Gottes ans Erden mit dein immer kühner und erfolgreicher betonten Anspruch,
das Haupt der Christenheit nicht bloß in geistlichen, sondern auch in weltlichen
Dingen zu sein. Beides floß in einander, und in diesen: Mangel eiuer klaren
Scheidung weltlicher und geistlicher Befugnis lag die wesentliche Ursache des
unheilvollen Kampfes, der zwischen ihren Trägern entbrennen mußte, wenn sie
sich auf demselben Herrschaftsgebiete mit widerstrebenden Ansprüchen begegneten.
Wenn aber jede Staatsform schließlich abhängig ist von dem Mehrheitswillen
der Bürger, so mußte dieser Dualismus zwischen dem theatralischen Papsttum
und dem halbtheokratischen Kaisertum mit der Niederlage des letztern endigen.
Sie war gegeben mit der allgemeinen naiven Gläubigkeit der mittelalterlichen
Menschen, die die Wonnen des Himmels ebenso leidenschaftlich erhofften wie
sie vor den Schrecken der Holle erbebten, und anderseits mit den eigentümlich
katholischen Vorstellungen von den Mitteln, welche die Aneignung dieses Seelen¬
heiles betreffen. Der Weg dahin sührt unausweichlich und ausschließlich durch
die Kirche: nnr an der Hand der Priester kann ihn der Suchende finden.
Deren von Gott bestelltes Oberhaupt aber ist der Papst. Von dem Grade
der Hingebung an diese Glaubenssätze giebt den besten Begriff die ungeheure
Thatsache der Kreuzzüge. Man erwäge, was es sagen wollte, daß die Kirche
imstande war, alle christlichen Völker des Abendlandes unter die Waffen zu rufen
und immer wieder in den fernen und weiten Abgrund undurchführbarer Er¬
oberungen hineinzutreiben, wenigstens anfänglich nur kirchlichen Zwecken zuliebe.
Vieles kam hinzu, um die Stellung des Kaisertums weiter zu schwächen. So
war es ein begreiflicher, aber verhängnisvoller Grundsatz, deu wie überhaupt
die Gesamtrichtung seiner Politik Karl der Große seinen Nachfolgern an der
Kaiserkrone vererbte, daß diese nur verliehen werden könne in Rom. Schon


Grenzboten IV 1889 34
Die geschichtliche Bedeutung des Sedantages

zur Seite zu stellen hat. So morsch und altersschwach das Nömertum war,
so reich waren sie an jugendlicher straft. Ein großer Monarch stand dann
unter ihnen auf und suchte mit erstaunlichem Erfolg die christlichen Völker des
Abendlandes unter sein Szepter zu sammeln. Wohl war das Weltreich der
Römer unter den wuchtigen Schlägen der Germanen zusammengebrochen, aber
der Gedanke des Weltreiches selbst wirkte verführerisch nach in dem Gemüte
der Sieger und erfaßte mit aller Energie den herrschgewaltigen Mann, der
sich am ersten Tage des neunten Jahrhunderts in der Peterskirche mit der
Kaiserkrone schmückte. Naturgemäß zersetzte sich bald nach seinem Hingang seine
kosmopolitische Schöpfung entsprechend der Nationalität in zwei neue Staaten,
Frankreich und Deutschland, aber dem letztern verblieb allen geographischen
Bedingungen zum Trotz nach kurzer Trennung das von Karl eingefügte ur¬
sprünglich germanische Nordstück Italiens, das später erweitert dein Hauptkörper
bald seine besten Lebenssäfte entziehen sollte.

Inzwischen war über das westliche Europa eine neue Weltreligion empor¬
gestiegen. In Rom, der Metropole der alten Welt, saß nun der Stellvertreter
Gottes ans Erden mit dein immer kühner und erfolgreicher betonten Anspruch,
das Haupt der Christenheit nicht bloß in geistlichen, sondern auch in weltlichen
Dingen zu sein. Beides floß in einander, und in diesen: Mangel eiuer klaren
Scheidung weltlicher und geistlicher Befugnis lag die wesentliche Ursache des
unheilvollen Kampfes, der zwischen ihren Trägern entbrennen mußte, wenn sie
sich auf demselben Herrschaftsgebiete mit widerstrebenden Ansprüchen begegneten.
Wenn aber jede Staatsform schließlich abhängig ist von dem Mehrheitswillen
der Bürger, so mußte dieser Dualismus zwischen dem theatralischen Papsttum
und dem halbtheokratischen Kaisertum mit der Niederlage des letztern endigen.
Sie war gegeben mit der allgemeinen naiven Gläubigkeit der mittelalterlichen
Menschen, die die Wonnen des Himmels ebenso leidenschaftlich erhofften wie
sie vor den Schrecken der Holle erbebten, und anderseits mit den eigentümlich
katholischen Vorstellungen von den Mitteln, welche die Aneignung dieses Seelen¬
heiles betreffen. Der Weg dahin sührt unausweichlich und ausschließlich durch
die Kirche: nnr an der Hand der Priester kann ihn der Suchende finden.
Deren von Gott bestelltes Oberhaupt aber ist der Papst. Von dem Grade
der Hingebung an diese Glaubenssätze giebt den besten Begriff die ungeheure
Thatsache der Kreuzzüge. Man erwäge, was es sagen wollte, daß die Kirche
imstande war, alle christlichen Völker des Abendlandes unter die Waffen zu rufen
und immer wieder in den fernen und weiten Abgrund undurchführbarer Er¬
oberungen hineinzutreiben, wenigstens anfänglich nur kirchlichen Zwecken zuliebe.
Vieles kam hinzu, um die Stellung des Kaisertums weiter zu schwächen. So
war es ein begreiflicher, aber verhängnisvoller Grundsatz, deu wie überhaupt
die Gesamtrichtung seiner Politik Karl der Große seinen Nachfolgern an der
Kaiserkrone vererbte, daß diese nur verliehen werden könne in Rom. Schon


Grenzboten IV 1889 34
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[0273] Die geschichtliche Bedeutung des Sedantages zur Seite zu stellen hat. So morsch und altersschwach das Nömertum war, so reich waren sie an jugendlicher straft. Ein großer Monarch stand dann unter ihnen auf und suchte mit erstaunlichem Erfolg die christlichen Völker des Abendlandes unter sein Szepter zu sammeln. Wohl war das Weltreich der Römer unter den wuchtigen Schlägen der Germanen zusammengebrochen, aber der Gedanke des Weltreiches selbst wirkte verführerisch nach in dem Gemüte der Sieger und erfaßte mit aller Energie den herrschgewaltigen Mann, der sich am ersten Tage des neunten Jahrhunderts in der Peterskirche mit der Kaiserkrone schmückte. Naturgemäß zersetzte sich bald nach seinem Hingang seine kosmopolitische Schöpfung entsprechend der Nationalität in zwei neue Staaten, Frankreich und Deutschland, aber dem letztern verblieb allen geographischen Bedingungen zum Trotz nach kurzer Trennung das von Karl eingefügte ur¬ sprünglich germanische Nordstück Italiens, das später erweitert dein Hauptkörper bald seine besten Lebenssäfte entziehen sollte. Inzwischen war über das westliche Europa eine neue Weltreligion empor¬ gestiegen. In Rom, der Metropole der alten Welt, saß nun der Stellvertreter Gottes ans Erden mit dein immer kühner und erfolgreicher betonten Anspruch, das Haupt der Christenheit nicht bloß in geistlichen, sondern auch in weltlichen Dingen zu sein. Beides floß in einander, und in diesen: Mangel eiuer klaren Scheidung weltlicher und geistlicher Befugnis lag die wesentliche Ursache des unheilvollen Kampfes, der zwischen ihren Trägern entbrennen mußte, wenn sie sich auf demselben Herrschaftsgebiete mit widerstrebenden Ansprüchen begegneten. Wenn aber jede Staatsform schließlich abhängig ist von dem Mehrheitswillen der Bürger, so mußte dieser Dualismus zwischen dem theatralischen Papsttum und dem halbtheokratischen Kaisertum mit der Niederlage des letztern endigen. Sie war gegeben mit der allgemeinen naiven Gläubigkeit der mittelalterlichen Menschen, die die Wonnen des Himmels ebenso leidenschaftlich erhofften wie sie vor den Schrecken der Holle erbebten, und anderseits mit den eigentümlich katholischen Vorstellungen von den Mitteln, welche die Aneignung dieses Seelen¬ heiles betreffen. Der Weg dahin sührt unausweichlich und ausschließlich durch die Kirche: nnr an der Hand der Priester kann ihn der Suchende finden. Deren von Gott bestelltes Oberhaupt aber ist der Papst. Von dem Grade der Hingebung an diese Glaubenssätze giebt den besten Begriff die ungeheure Thatsache der Kreuzzüge. Man erwäge, was es sagen wollte, daß die Kirche imstande war, alle christlichen Völker des Abendlandes unter die Waffen zu rufen und immer wieder in den fernen und weiten Abgrund undurchführbarer Er¬ oberungen hineinzutreiben, wenigstens anfänglich nur kirchlichen Zwecken zuliebe. Vieles kam hinzu, um die Stellung des Kaisertums weiter zu schwächen. So war es ein begreiflicher, aber verhängnisvoller Grundsatz, deu wie überhaupt die Gesamtrichtung seiner Politik Karl der Große seinen Nachfolgern an der Kaiserkrone vererbte, daß diese nur verliehen werden könne in Rom. Schon Grenzboten IV 1889 34

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_205998/273>, abgerufen am 22.12.2024.