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Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Viertes Vierteljahr.

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Die deutsche Hausindustrie

edelsteiue zu schleift" und die Mode dort zeitweise andre Wege einschlägt als
in der Heimat, So hat die Birkenselder Industrie eine Konkurrenz erhalten,
die sie häufiger als früher zwingt, Neuheiten auf den Markt zu bringen, ein
Umstand, den jede Hausindustrie schwer verträgt; von einem Steheulassen der
Schleifmühlen kann aber deshalb keine Rede sein.

Nach der absoluten Zahl der Hausindustrielle" nennt Stieda als die elf
wichtigsten Gelverbearten, die mehr als 10000 Hausindnstrielle aufweiseiu
1. die Seidenweberei und Sannnetverfertigung, 2. die Baumwollenweberei,
die Näherei, 4. die Leinenweberei, 5, die Strumpfwaarenfabrikation, 6. die
Schneiderei, 7. die Wvllenweberei, 8. die Weberei gemischter Waaren, 9. die
Schuhmacherei, 10. die Pvsamentenfabrikativn, 11. die Zeug-, Sensen- und
Messerschmicdcrci und die Verfertigung eiserner Kurzwaaren. Die Zahl sämt¬
licher Hansindnstriellen im deutschen Reiche wird man zur Zeit rund auf
eine halbe Million Personen angeben können.

Interessant sind die Ermittlungen Stiedas über den Familienstand der
Hausindustriellen. Bon allen Arbeitern und Gehilfen in der Industrie sind
59 Prozent ledig, 38,6 Prozent verheiratet, 2,4 Prozent verwitwet; uuter den
Hallsindustriellen dagegen finden sich 40 Prozent Ledige, 47 Prozent Ver¬
heiratete und 13 Prozent Verwitwete. Die Hausindustrie beschäftigt also mehr
Verheiratete lind Verwitwete als andre Gewerbe. Sehr bemerkenswert ist, daß
l>el den Witwen sogar die absolute Zahl größer ist. Uuter 339644 Haus-
industriellen giebt es 34927 Witwen; unter 4096243 Arbeitern und Gehilfen
nur 33 636. Stieda erklärt diese bedeutsame Erscheinung damit, daß die
Witwe, die wegen uumündiger Kinder oder durch höheres Alter ans Haus ge¬
bunden ist, manche Freistunde findet, in der sie sich gewerblich im Hanse be¬
schäftigen kann, während sie die regelmäßige Arbeitszeit in der Fabrik und die
strengere Beschäftigung dort mit nur wenigen Pausen nicht einzuhalten vermag.
Also schon um der Witwen willen, denen die Hausindustrie besonders zusagt,
wird man sich einer gesunden Fortdauer derselben freuen.

Den Hauptwert der Schrift Stiedas wird mau darin erkennen müssen,
daß er die allverbreitete Meinung, daß die Hausindustrie besondre soziale Vor¬
züge vor der Fabrikthätigkeit und auch vor dem Handwerk habe, energisch
bekämpft. Das geträumte Ideal dieser Arbeit in der Familie, wo der Vater
für die Erziehung der Kinder, die Mutter für den Haushalt sorgt, die Arbeits¬
zeit nicht von dem Willen eines Dritten abhängt, die Art der Arbeit die Ge¬
sundheit uicht schädigen soll, ist mehr in der Phantasie als in der Wirklichkeit
vorhanden. Stieda nennt sogar die Lage der Hausindustriellen eine mehrfach
elendere als die der Fabrikarbeiter. Vor allem steht fest dnrch die Berichte
der Praktiker und der Fabrikinspektoren, soweit die letztem hausindustrielle
Verhältnisse ins Auge fassen, daß die Arbeitskräfte der Kinder von den Eltern
in gesundheitsschädlicher Weise ausgenutzt werde". Eine übermäßige Verweu-


Die deutsche Hausindustrie

edelsteiue zu schleift» und die Mode dort zeitweise andre Wege einschlägt als
in der Heimat, So hat die Birkenselder Industrie eine Konkurrenz erhalten,
die sie häufiger als früher zwingt, Neuheiten auf den Markt zu bringen, ein
Umstand, den jede Hausindustrie schwer verträgt; von einem Steheulassen der
Schleifmühlen kann aber deshalb keine Rede sein.

Nach der absoluten Zahl der Hausindustrielle» nennt Stieda als die elf
wichtigsten Gelverbearten, die mehr als 10000 Hausindnstrielle aufweiseiu
1. die Seidenweberei und Sannnetverfertigung, 2. die Baumwollenweberei,
die Näherei, 4. die Leinenweberei, 5, die Strumpfwaarenfabrikation, 6. die
Schneiderei, 7. die Wvllenweberei, 8. die Weberei gemischter Waaren, 9. die
Schuhmacherei, 10. die Pvsamentenfabrikativn, 11. die Zeug-, Sensen- und
Messerschmicdcrci und die Verfertigung eiserner Kurzwaaren. Die Zahl sämt¬
licher Hansindnstriellen im deutschen Reiche wird man zur Zeit rund auf
eine halbe Million Personen angeben können.

Interessant sind die Ermittlungen Stiedas über den Familienstand der
Hausindustriellen. Bon allen Arbeitern und Gehilfen in der Industrie sind
59 Prozent ledig, 38,6 Prozent verheiratet, 2,4 Prozent verwitwet; uuter den
Hallsindustriellen dagegen finden sich 40 Prozent Ledige, 47 Prozent Ver¬
heiratete und 13 Prozent Verwitwete. Die Hausindustrie beschäftigt also mehr
Verheiratete lind Verwitwete als andre Gewerbe. Sehr bemerkenswert ist, daß
l>el den Witwen sogar die absolute Zahl größer ist. Uuter 339644 Haus-
industriellen giebt es 34927 Witwen; unter 4096243 Arbeitern und Gehilfen
nur 33 636. Stieda erklärt diese bedeutsame Erscheinung damit, daß die
Witwe, die wegen uumündiger Kinder oder durch höheres Alter ans Haus ge¬
bunden ist, manche Freistunde findet, in der sie sich gewerblich im Hanse be¬
schäftigen kann, während sie die regelmäßige Arbeitszeit in der Fabrik und die
strengere Beschäftigung dort mit nur wenigen Pausen nicht einzuhalten vermag.
Also schon um der Witwen willen, denen die Hausindustrie besonders zusagt,
wird man sich einer gesunden Fortdauer derselben freuen.

Den Hauptwert der Schrift Stiedas wird mau darin erkennen müssen,
daß er die allverbreitete Meinung, daß die Hausindustrie besondre soziale Vor¬
züge vor der Fabrikthätigkeit und auch vor dem Handwerk habe, energisch
bekämpft. Das geträumte Ideal dieser Arbeit in der Familie, wo der Vater
für die Erziehung der Kinder, die Mutter für den Haushalt sorgt, die Arbeits¬
zeit nicht von dem Willen eines Dritten abhängt, die Art der Arbeit die Ge¬
sundheit uicht schädigen soll, ist mehr in der Phantasie als in der Wirklichkeit
vorhanden. Stieda nennt sogar die Lage der Hausindustriellen eine mehrfach
elendere als die der Fabrikarbeiter. Vor allem steht fest dnrch die Berichte
der Praktiker und der Fabrikinspektoren, soweit die letztem hausindustrielle
Verhältnisse ins Auge fassen, daß die Arbeitskräfte der Kinder von den Eltern
in gesundheitsschädlicher Weise ausgenutzt werde». Eine übermäßige Verweu-


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[0267] Die deutsche Hausindustrie edelsteiue zu schleift» und die Mode dort zeitweise andre Wege einschlägt als in der Heimat, So hat die Birkenselder Industrie eine Konkurrenz erhalten, die sie häufiger als früher zwingt, Neuheiten auf den Markt zu bringen, ein Umstand, den jede Hausindustrie schwer verträgt; von einem Steheulassen der Schleifmühlen kann aber deshalb keine Rede sein. Nach der absoluten Zahl der Hausindustrielle» nennt Stieda als die elf wichtigsten Gelverbearten, die mehr als 10000 Hausindnstrielle aufweiseiu 1. die Seidenweberei und Sannnetverfertigung, 2. die Baumwollenweberei, die Näherei, 4. die Leinenweberei, 5, die Strumpfwaarenfabrikation, 6. die Schneiderei, 7. die Wvllenweberei, 8. die Weberei gemischter Waaren, 9. die Schuhmacherei, 10. die Pvsamentenfabrikativn, 11. die Zeug-, Sensen- und Messerschmicdcrci und die Verfertigung eiserner Kurzwaaren. Die Zahl sämt¬ licher Hansindnstriellen im deutschen Reiche wird man zur Zeit rund auf eine halbe Million Personen angeben können. Interessant sind die Ermittlungen Stiedas über den Familienstand der Hausindustriellen. Bon allen Arbeitern und Gehilfen in der Industrie sind 59 Prozent ledig, 38,6 Prozent verheiratet, 2,4 Prozent verwitwet; uuter den Hallsindustriellen dagegen finden sich 40 Prozent Ledige, 47 Prozent Ver¬ heiratete und 13 Prozent Verwitwete. Die Hausindustrie beschäftigt also mehr Verheiratete lind Verwitwete als andre Gewerbe. Sehr bemerkenswert ist, daß l>el den Witwen sogar die absolute Zahl größer ist. Uuter 339644 Haus- industriellen giebt es 34927 Witwen; unter 4096243 Arbeitern und Gehilfen nur 33 636. Stieda erklärt diese bedeutsame Erscheinung damit, daß die Witwe, die wegen uumündiger Kinder oder durch höheres Alter ans Haus ge¬ bunden ist, manche Freistunde findet, in der sie sich gewerblich im Hanse be¬ schäftigen kann, während sie die regelmäßige Arbeitszeit in der Fabrik und die strengere Beschäftigung dort mit nur wenigen Pausen nicht einzuhalten vermag. Also schon um der Witwen willen, denen die Hausindustrie besonders zusagt, wird man sich einer gesunden Fortdauer derselben freuen. Den Hauptwert der Schrift Stiedas wird mau darin erkennen müssen, daß er die allverbreitete Meinung, daß die Hausindustrie besondre soziale Vor¬ züge vor der Fabrikthätigkeit und auch vor dem Handwerk habe, energisch bekämpft. Das geträumte Ideal dieser Arbeit in der Familie, wo der Vater für die Erziehung der Kinder, die Mutter für den Haushalt sorgt, die Arbeits¬ zeit nicht von dem Willen eines Dritten abhängt, die Art der Arbeit die Ge¬ sundheit uicht schädigen soll, ist mehr in der Phantasie als in der Wirklichkeit vorhanden. Stieda nennt sogar die Lage der Hausindustriellen eine mehrfach elendere als die der Fabrikarbeiter. Vor allem steht fest dnrch die Berichte der Praktiker und der Fabrikinspektoren, soweit die letztem hausindustrielle Verhältnisse ins Auge fassen, daß die Arbeitskräfte der Kinder von den Eltern in gesundheitsschädlicher Weise ausgenutzt werde». Eine übermäßige Verweu-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_205998/267>, abgerufen am 02.07.2024.