Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Viertes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Die deutsche Hausindustrie

ausführlich die Nagelschmiederei, Filetstrickerei, Drahtwareufabrikatioti und
Verfertigung von Friedhofskränzen aus Perle" in den einsamen Taunusdörfern
Oberreifenberg, Niederreifeiiberg, Seelenberg, Schnitte" >tut Arnvlsheim be¬
handelt. Mögen sich noch mehr derartige verständnisvolle Beobachter finden,
insbesondre für Berlin, Schlesien, das Königreich Sachsen und Elsaß-Loth¬
ringen; die Interessen der Volkswirtschaftslehre und der Industrie würden
durch sie in gleichem Maße gefördert werden.

Was die geographische Verbreitung der Hausindustrie betrifft, so zeigt
schon die Reichsstatistik von 1882, daß ihr Gebiet großenteils zusammenhängt.
Stieda bezeichnet als den Hauptherd der Hausindustrie in Deutschland ein
Gebiet, das sich vom Glatzer Gebirgskessel aus längs der böhmischen Grenze
bis zum Fichtelgebirge und von da nach Norden bis zum Eichsfelde erstreckt.
Ferner finden sich bedeutende hausindustrielle Gebiete an der Westgrenze des
Reichs (so der Düsseldorfer und Aachener Bezirk), in Lothringen und Unter¬
elsaß, sowie in Württemberg (der Schwarzwaldkreis). Vereinzelt erscheinen als
hausindustriell wichtige Orte Bremen (Tabakfabrikation) und Berlin (Kon¬
fektion). In allen diesen Gebieten hebt Stieda mit Recht eine große Dichtig¬
keit der Bevölkerung und Zersplitterung des Grundeigentums hervor.

Die Hausindustrie kann die Konkurrenz mit der Fabrikthätigkeit auf die
Dauer uicht ertragen, weil sie an Teilung und Vereinigung der Arbeit hinter
ihr zurücksteht, unter sonst gleichen Verhältnissen. Sie ist nnr da konkurrenz¬
fähig und daher einer längern Dauer sicher, wo keine größern Maschinen
technisch erforderlich sind, denn diese kann sie bei zersplitterten Kapital und
daneben fortdauernder Verbesserungen der Maschinentechnik nicht anschaffen, und
wo durch keine weitere Arbeitsteilung die Produktionskosten verringert werden
können. Einen wesentlichen Einfluß auf eine gedeihliche Entwicklung der Haus¬
industrie weist Stieda dem Umstände zu, ob bei der Arbeit Frauenhand Ver¬
wendung finden kann, ferner soll große Transpvrtfähigkeit der Erzeugnisse, die
Möglichkeit, sie bequem von den Produktivusstätteu zum Verleger und ans
dessen Händen zu den Konsumenten gelangen zu lassen, auch künstlerischer Sinn
sie befördern. Von der kunstgewerblichen Hausindustrie wird man sogar sage"
können, daß sie eiuer Atisdehnung in Zukunft sicher sein kann, wenn sie die
entsprechende staatliche Fürsorge erhält, dein: im Kunstgewerbe dürfte wie das
Handwerk so auch die Hausindustrie der Fabrikthätigkeit überlegen sein. Umso
weniger ist zu verstehen, wenn Stieda gestützt auf einen Aufsatz der Kölnische"
Zeitung vom 15. Juni 188!! i" der Knustschleifindustrie der Achate und untrer
Halbedelsteine im Fürstentum Birkenfeld, z. B. zu Jdar, eine abwärtsgehende
Industrie zu erkennen glnnbt, weil infolge veränderten Modegeschmacks die
Schleifmühlen stehe" bliebe". Es sind im Fürstentum Birkenfeld zeitweise
Stockungen der dortigen Schleifindustrie eingetreten, weil der Hauptabsatzplal.
seiner Erzeugnisse, Amerika, seit ungefähr derselbe!, Zeit selbst anfängt, Halb-


Die deutsche Hausindustrie

ausführlich die Nagelschmiederei, Filetstrickerei, Drahtwareufabrikatioti und
Verfertigung von Friedhofskränzen aus Perle» in den einsamen Taunusdörfern
Oberreifenberg, Niederreifeiiberg, Seelenberg, Schnitte» >tut Arnvlsheim be¬
handelt. Mögen sich noch mehr derartige verständnisvolle Beobachter finden,
insbesondre für Berlin, Schlesien, das Königreich Sachsen und Elsaß-Loth¬
ringen; die Interessen der Volkswirtschaftslehre und der Industrie würden
durch sie in gleichem Maße gefördert werden.

Was die geographische Verbreitung der Hausindustrie betrifft, so zeigt
schon die Reichsstatistik von 1882, daß ihr Gebiet großenteils zusammenhängt.
Stieda bezeichnet als den Hauptherd der Hausindustrie in Deutschland ein
Gebiet, das sich vom Glatzer Gebirgskessel aus längs der böhmischen Grenze
bis zum Fichtelgebirge und von da nach Norden bis zum Eichsfelde erstreckt.
Ferner finden sich bedeutende hausindustrielle Gebiete an der Westgrenze des
Reichs (so der Düsseldorfer und Aachener Bezirk), in Lothringen und Unter¬
elsaß, sowie in Württemberg (der Schwarzwaldkreis). Vereinzelt erscheinen als
hausindustriell wichtige Orte Bremen (Tabakfabrikation) und Berlin (Kon¬
fektion). In allen diesen Gebieten hebt Stieda mit Recht eine große Dichtig¬
keit der Bevölkerung und Zersplitterung des Grundeigentums hervor.

Die Hausindustrie kann die Konkurrenz mit der Fabrikthätigkeit auf die
Dauer uicht ertragen, weil sie an Teilung und Vereinigung der Arbeit hinter
ihr zurücksteht, unter sonst gleichen Verhältnissen. Sie ist nnr da konkurrenz¬
fähig und daher einer längern Dauer sicher, wo keine größern Maschinen
technisch erforderlich sind, denn diese kann sie bei zersplitterten Kapital und
daneben fortdauernder Verbesserungen der Maschinentechnik nicht anschaffen, und
wo durch keine weitere Arbeitsteilung die Produktionskosten verringert werden
können. Einen wesentlichen Einfluß auf eine gedeihliche Entwicklung der Haus¬
industrie weist Stieda dem Umstände zu, ob bei der Arbeit Frauenhand Ver¬
wendung finden kann, ferner soll große Transpvrtfähigkeit der Erzeugnisse, die
Möglichkeit, sie bequem von den Produktivusstätteu zum Verleger und ans
dessen Händen zu den Konsumenten gelangen zu lassen, auch künstlerischer Sinn
sie befördern. Von der kunstgewerblichen Hausindustrie wird man sogar sage»
können, daß sie eiuer Atisdehnung in Zukunft sicher sein kann, wenn sie die
entsprechende staatliche Fürsorge erhält, dein: im Kunstgewerbe dürfte wie das
Handwerk so auch die Hausindustrie der Fabrikthätigkeit überlegen sein. Umso
weniger ist zu verstehen, wenn Stieda gestützt auf einen Aufsatz der Kölnische»
Zeitung vom 15. Juni 188!! i» der Knustschleifindustrie der Achate und untrer
Halbedelsteine im Fürstentum Birkenfeld, z. B. zu Jdar, eine abwärtsgehende
Industrie zu erkennen glnnbt, weil infolge veränderten Modegeschmacks die
Schleifmühlen stehe» bliebe». Es sind im Fürstentum Birkenfeld zeitweise
Stockungen der dortigen Schleifindustrie eingetreten, weil der Hauptabsatzplal.
seiner Erzeugnisse, Amerika, seit ungefähr derselbe!, Zeit selbst anfängt, Halb-


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0266" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/206265"/>
          <fw type="header" place="top"> Die deutsche Hausindustrie</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_900" prev="#ID_899"> ausführlich die Nagelschmiederei, Filetstrickerei, Drahtwareufabrikatioti und<lb/>
Verfertigung von Friedhofskränzen aus Perle» in den einsamen Taunusdörfern<lb/>
Oberreifenberg, Niederreifeiiberg, Seelenberg, Schnitte» &gt;tut Arnvlsheim be¬<lb/>
handelt. Mögen sich noch mehr derartige verständnisvolle Beobachter finden,<lb/>
insbesondre für Berlin, Schlesien, das Königreich Sachsen und Elsaß-Loth¬<lb/>
ringen; die Interessen der Volkswirtschaftslehre und der Industrie würden<lb/>
durch sie in gleichem Maße gefördert werden.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_901"> Was die geographische Verbreitung der Hausindustrie betrifft, so zeigt<lb/>
schon die Reichsstatistik von 1882, daß ihr Gebiet großenteils zusammenhängt.<lb/>
Stieda bezeichnet als den Hauptherd der Hausindustrie in Deutschland ein<lb/>
Gebiet, das sich vom Glatzer Gebirgskessel aus längs der böhmischen Grenze<lb/>
bis zum Fichtelgebirge und von da nach Norden bis zum Eichsfelde erstreckt.<lb/>
Ferner finden sich bedeutende hausindustrielle Gebiete an der Westgrenze des<lb/>
Reichs (so der Düsseldorfer und Aachener Bezirk), in Lothringen und Unter¬<lb/>
elsaß, sowie in Württemberg (der Schwarzwaldkreis). Vereinzelt erscheinen als<lb/>
hausindustriell wichtige Orte Bremen (Tabakfabrikation) und Berlin (Kon¬<lb/>
fektion). In allen diesen Gebieten hebt Stieda mit Recht eine große Dichtig¬<lb/>
keit der Bevölkerung und Zersplitterung des Grundeigentums hervor.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_902" next="#ID_903"> Die Hausindustrie kann die Konkurrenz mit der Fabrikthätigkeit auf die<lb/>
Dauer uicht ertragen, weil sie an Teilung und Vereinigung der Arbeit hinter<lb/>
ihr zurücksteht, unter sonst gleichen Verhältnissen. Sie ist nnr da konkurrenz¬<lb/>
fähig und daher einer längern Dauer sicher, wo keine größern Maschinen<lb/>
technisch erforderlich sind, denn diese kann sie bei zersplitterten Kapital und<lb/>
daneben fortdauernder Verbesserungen der Maschinentechnik nicht anschaffen, und<lb/>
wo durch keine weitere Arbeitsteilung die Produktionskosten verringert werden<lb/>
können. Einen wesentlichen Einfluß auf eine gedeihliche Entwicklung der Haus¬<lb/>
industrie weist Stieda dem Umstände zu, ob bei der Arbeit Frauenhand Ver¬<lb/>
wendung finden kann, ferner soll große Transpvrtfähigkeit der Erzeugnisse, die<lb/>
Möglichkeit, sie bequem von den Produktivusstätteu zum Verleger und ans<lb/>
dessen Händen zu den Konsumenten gelangen zu lassen, auch künstlerischer Sinn<lb/>
sie befördern. Von der kunstgewerblichen Hausindustrie wird man sogar sage»<lb/>
können, daß sie eiuer Atisdehnung in Zukunft sicher sein kann, wenn sie die<lb/>
entsprechende staatliche Fürsorge erhält, dein: im Kunstgewerbe dürfte wie das<lb/>
Handwerk so auch die Hausindustrie der Fabrikthätigkeit überlegen sein. Umso<lb/>
weniger ist zu verstehen, wenn Stieda gestützt auf einen Aufsatz der Kölnische»<lb/>
Zeitung vom 15. Juni 188!! i» der Knustschleifindustrie der Achate und untrer<lb/>
Halbedelsteine im Fürstentum Birkenfeld, z. B. zu Jdar, eine abwärtsgehende<lb/>
Industrie zu erkennen glnnbt, weil infolge veränderten Modegeschmacks die<lb/>
Schleifmühlen stehe» bliebe». Es sind im Fürstentum Birkenfeld zeitweise<lb/>
Stockungen der dortigen Schleifindustrie eingetreten, weil der Hauptabsatzplal.<lb/>
seiner Erzeugnisse, Amerika, seit ungefähr derselbe!, Zeit selbst anfängt, Halb-</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0266] Die deutsche Hausindustrie ausführlich die Nagelschmiederei, Filetstrickerei, Drahtwareufabrikatioti und Verfertigung von Friedhofskränzen aus Perle» in den einsamen Taunusdörfern Oberreifenberg, Niederreifeiiberg, Seelenberg, Schnitte» >tut Arnvlsheim be¬ handelt. Mögen sich noch mehr derartige verständnisvolle Beobachter finden, insbesondre für Berlin, Schlesien, das Königreich Sachsen und Elsaß-Loth¬ ringen; die Interessen der Volkswirtschaftslehre und der Industrie würden durch sie in gleichem Maße gefördert werden. Was die geographische Verbreitung der Hausindustrie betrifft, so zeigt schon die Reichsstatistik von 1882, daß ihr Gebiet großenteils zusammenhängt. Stieda bezeichnet als den Hauptherd der Hausindustrie in Deutschland ein Gebiet, das sich vom Glatzer Gebirgskessel aus längs der böhmischen Grenze bis zum Fichtelgebirge und von da nach Norden bis zum Eichsfelde erstreckt. Ferner finden sich bedeutende hausindustrielle Gebiete an der Westgrenze des Reichs (so der Düsseldorfer und Aachener Bezirk), in Lothringen und Unter¬ elsaß, sowie in Württemberg (der Schwarzwaldkreis). Vereinzelt erscheinen als hausindustriell wichtige Orte Bremen (Tabakfabrikation) und Berlin (Kon¬ fektion). In allen diesen Gebieten hebt Stieda mit Recht eine große Dichtig¬ keit der Bevölkerung und Zersplitterung des Grundeigentums hervor. Die Hausindustrie kann die Konkurrenz mit der Fabrikthätigkeit auf die Dauer uicht ertragen, weil sie an Teilung und Vereinigung der Arbeit hinter ihr zurücksteht, unter sonst gleichen Verhältnissen. Sie ist nnr da konkurrenz¬ fähig und daher einer längern Dauer sicher, wo keine größern Maschinen technisch erforderlich sind, denn diese kann sie bei zersplitterten Kapital und daneben fortdauernder Verbesserungen der Maschinentechnik nicht anschaffen, und wo durch keine weitere Arbeitsteilung die Produktionskosten verringert werden können. Einen wesentlichen Einfluß auf eine gedeihliche Entwicklung der Haus¬ industrie weist Stieda dem Umstände zu, ob bei der Arbeit Frauenhand Ver¬ wendung finden kann, ferner soll große Transpvrtfähigkeit der Erzeugnisse, die Möglichkeit, sie bequem von den Produktivusstätteu zum Verleger und ans dessen Händen zu den Konsumenten gelangen zu lassen, auch künstlerischer Sinn sie befördern. Von der kunstgewerblichen Hausindustrie wird man sogar sage» können, daß sie eiuer Atisdehnung in Zukunft sicher sein kann, wenn sie die entsprechende staatliche Fürsorge erhält, dein: im Kunstgewerbe dürfte wie das Handwerk so auch die Hausindustrie der Fabrikthätigkeit überlegen sein. Umso weniger ist zu verstehen, wenn Stieda gestützt auf einen Aufsatz der Kölnische» Zeitung vom 15. Juni 188!! i» der Knustschleifindustrie der Achate und untrer Halbedelsteine im Fürstentum Birkenfeld, z. B. zu Jdar, eine abwärtsgehende Industrie zu erkennen glnnbt, weil infolge veränderten Modegeschmacks die Schleifmühlen stehe» bliebe». Es sind im Fürstentum Birkenfeld zeitweise Stockungen der dortigen Schleifindustrie eingetreten, weil der Hauptabsatzplal. seiner Erzeugnisse, Amerika, seit ungefähr derselbe!, Zeit selbst anfängt, Halb-

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_205998
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_205998/266
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_205998/266>, abgerufen am 02.07.2024.