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Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Viertes Vierteljahr.

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Die deutsche Hausindustrie

scheidet sich die Hausindustrie'durch die Art des Absatzes, sofern das Hand¬
werk Kundenarbeit liefert, von der Fabrik dnrch den Ort der Beschäftigung
des Arbeiters. Nicht eigentümlich ist der Hausindustrie der Maugel oder die
geringe Benutzung vou Maschinen, wie man früher öfters annahm, da z. B.
die sächsische Hausstickereiiudustrie ohne die Stickmaschinc gar nicht gedacht
werden kann. Auch gehört es nicht zu ihren Kennzeichen, daß sie Landes¬
produkte verwertet, so naheliegend das anch für eine gedeihliche Entwicklung
der gewerblichen Hausindustrie erscheinen mag. Nach Alexander Zieglers
Geschichte des Meerschaums (zweite Auflage, Dresden, 1883), die besonders
die Ruhlaer Industrie berücksichtigt, muß für die thüringische Tabakspfeifen¬
hausindustrie der Meerschaum aus Kleinasien, der Bernstein von der Ostsee,
Weichselrohr aus Baden bei Wien, Messingblech ans Augsburg oder Kassel,
Harz aus Ostindien, Cedernholz von dem Libanon, Bruhereholz aus den
Pyrenäen, Birken- und Buchsbaumholz aus Schweden bezogen werden, und
dennoch blüht diese thüringische Hausindustrie.

Älter als die Studien der genannten Theoretiker sind die Schriften der¬
jenigen Männer, die Professor Stieda als Praktiker bezeichnet, weil sie teils
ihre eigne Beobachtung des Lebens an Ort und Stelle, teils die durch Verkehr
mit Ortskundigen gewonnenen Eindrücke darstellen. An solchen Schriften
herrscht unzweifelhaft noch großer Mangel; für einige Gegenden Deutschlands
sind die hansindustriellen Verhältnisse noch gar nicht, für andre nnr in un-
genügender Weise gewürdigt. Hoffentlich werden die Veröffentlichungen des
Vereins für Sozialpolitik den Anlaß geben zu einer größern Thätigkeit auf
diesem Gebiet Geeignete Persönlichkeiten, die in dem liebevollen Versenken in
die heimischen hansindustriellcn Zustände eine würdige Aufgabe finden könnten,
fehlen heutzutage nicht mehr, wie uns einzelne höchst wertvolle Schilderungen
von Praktikern ans der neuesten Zeit beweisen. Bahnbrechend nennt z. B.
Stieda mit Recht das zweibändige Werk von Alphons Thum Die Industrie
am Niederrhein und ihre Arbeiter (Leipzig, 1879), das eine Schilderung
der Tuchindustrie im Aachener Bezirk, der linksrheinischen Seiden- und
Saininetiudustrie, der Baumwolleniudustrie in Gladbach und Nhehdt, der
Solinger und Remscheider Metnllwaarenindnstrie und der Textilindustrie in
Elberfeld und Barmer enthält. Gleiches Lob verdienen die 1882 bis 1888
erschienenen Schilderungen der Holz- und Spielivaareuindustrie, der Schiefer¬
griffel- und -tafelindustrie und der Glasindustrie im Kreise Sonneberg, der
Meerschaumindustrie in Ruhla, der Holzschnitzerei und Korkindustrie im
Eisenacher Oberlande, der Korbflechterei im Kobnrgischen, der Phosphor-
zsmdhölzchenindnstrie in Neustadt am Nennsteig, der Töpferei in Bürget und
der Korbwaarenindustrie in Oberfranken, kurz eines Teiles der Thüringer Haus-
industrie, die or. Emanuel Sax veröffentlicht, auch die Schrift des Dr. Schnnpper-
Arndt: Fünf Dorfgemeinden auf dem hohen Taurus (Leipzig, 1883), die


Grinybvte" IV 1889 ZZ
Die deutsche Hausindustrie

scheidet sich die Hausindustrie'durch die Art des Absatzes, sofern das Hand¬
werk Kundenarbeit liefert, von der Fabrik dnrch den Ort der Beschäftigung
des Arbeiters. Nicht eigentümlich ist der Hausindustrie der Maugel oder die
geringe Benutzung vou Maschinen, wie man früher öfters annahm, da z. B.
die sächsische Hausstickereiiudustrie ohne die Stickmaschinc gar nicht gedacht
werden kann. Auch gehört es nicht zu ihren Kennzeichen, daß sie Landes¬
produkte verwertet, so naheliegend das anch für eine gedeihliche Entwicklung
der gewerblichen Hausindustrie erscheinen mag. Nach Alexander Zieglers
Geschichte des Meerschaums (zweite Auflage, Dresden, 1883), die besonders
die Ruhlaer Industrie berücksichtigt, muß für die thüringische Tabakspfeifen¬
hausindustrie der Meerschaum aus Kleinasien, der Bernstein von der Ostsee,
Weichselrohr aus Baden bei Wien, Messingblech ans Augsburg oder Kassel,
Harz aus Ostindien, Cedernholz von dem Libanon, Bruhereholz aus den
Pyrenäen, Birken- und Buchsbaumholz aus Schweden bezogen werden, und
dennoch blüht diese thüringische Hausindustrie.

Älter als die Studien der genannten Theoretiker sind die Schriften der¬
jenigen Männer, die Professor Stieda als Praktiker bezeichnet, weil sie teils
ihre eigne Beobachtung des Lebens an Ort und Stelle, teils die durch Verkehr
mit Ortskundigen gewonnenen Eindrücke darstellen. An solchen Schriften
herrscht unzweifelhaft noch großer Mangel; für einige Gegenden Deutschlands
sind die hansindustriellen Verhältnisse noch gar nicht, für andre nnr in un-
genügender Weise gewürdigt. Hoffentlich werden die Veröffentlichungen des
Vereins für Sozialpolitik den Anlaß geben zu einer größern Thätigkeit auf
diesem Gebiet Geeignete Persönlichkeiten, die in dem liebevollen Versenken in
die heimischen hansindustriellcn Zustände eine würdige Aufgabe finden könnten,
fehlen heutzutage nicht mehr, wie uns einzelne höchst wertvolle Schilderungen
von Praktikern ans der neuesten Zeit beweisen. Bahnbrechend nennt z. B.
Stieda mit Recht das zweibändige Werk von Alphons Thum Die Industrie
am Niederrhein und ihre Arbeiter (Leipzig, 1879), das eine Schilderung
der Tuchindustrie im Aachener Bezirk, der linksrheinischen Seiden- und
Saininetiudustrie, der Baumwolleniudustrie in Gladbach und Nhehdt, der
Solinger und Remscheider Metnllwaarenindnstrie und der Textilindustrie in
Elberfeld und Barmer enthält. Gleiches Lob verdienen die 1882 bis 1888
erschienenen Schilderungen der Holz- und Spielivaareuindustrie, der Schiefer¬
griffel- und -tafelindustrie und der Glasindustrie im Kreise Sonneberg, der
Meerschaumindustrie in Ruhla, der Holzschnitzerei und Korkindustrie im
Eisenacher Oberlande, der Korbflechterei im Kobnrgischen, der Phosphor-
zsmdhölzchenindnstrie in Neustadt am Nennsteig, der Töpferei in Bürget und
der Korbwaarenindustrie in Oberfranken, kurz eines Teiles der Thüringer Haus-
industrie, die or. Emanuel Sax veröffentlicht, auch die Schrift des Dr. Schnnpper-
Arndt: Fünf Dorfgemeinden auf dem hohen Taurus (Leipzig, 1883), die


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[0265] Die deutsche Hausindustrie scheidet sich die Hausindustrie'durch die Art des Absatzes, sofern das Hand¬ werk Kundenarbeit liefert, von der Fabrik dnrch den Ort der Beschäftigung des Arbeiters. Nicht eigentümlich ist der Hausindustrie der Maugel oder die geringe Benutzung vou Maschinen, wie man früher öfters annahm, da z. B. die sächsische Hausstickereiiudustrie ohne die Stickmaschinc gar nicht gedacht werden kann. Auch gehört es nicht zu ihren Kennzeichen, daß sie Landes¬ produkte verwertet, so naheliegend das anch für eine gedeihliche Entwicklung der gewerblichen Hausindustrie erscheinen mag. Nach Alexander Zieglers Geschichte des Meerschaums (zweite Auflage, Dresden, 1883), die besonders die Ruhlaer Industrie berücksichtigt, muß für die thüringische Tabakspfeifen¬ hausindustrie der Meerschaum aus Kleinasien, der Bernstein von der Ostsee, Weichselrohr aus Baden bei Wien, Messingblech ans Augsburg oder Kassel, Harz aus Ostindien, Cedernholz von dem Libanon, Bruhereholz aus den Pyrenäen, Birken- und Buchsbaumholz aus Schweden bezogen werden, und dennoch blüht diese thüringische Hausindustrie. Älter als die Studien der genannten Theoretiker sind die Schriften der¬ jenigen Männer, die Professor Stieda als Praktiker bezeichnet, weil sie teils ihre eigne Beobachtung des Lebens an Ort und Stelle, teils die durch Verkehr mit Ortskundigen gewonnenen Eindrücke darstellen. An solchen Schriften herrscht unzweifelhaft noch großer Mangel; für einige Gegenden Deutschlands sind die hansindustriellen Verhältnisse noch gar nicht, für andre nnr in un- genügender Weise gewürdigt. Hoffentlich werden die Veröffentlichungen des Vereins für Sozialpolitik den Anlaß geben zu einer größern Thätigkeit auf diesem Gebiet Geeignete Persönlichkeiten, die in dem liebevollen Versenken in die heimischen hansindustriellcn Zustände eine würdige Aufgabe finden könnten, fehlen heutzutage nicht mehr, wie uns einzelne höchst wertvolle Schilderungen von Praktikern ans der neuesten Zeit beweisen. Bahnbrechend nennt z. B. Stieda mit Recht das zweibändige Werk von Alphons Thum Die Industrie am Niederrhein und ihre Arbeiter (Leipzig, 1879), das eine Schilderung der Tuchindustrie im Aachener Bezirk, der linksrheinischen Seiden- und Saininetiudustrie, der Baumwolleniudustrie in Gladbach und Nhehdt, der Solinger und Remscheider Metnllwaarenindnstrie und der Textilindustrie in Elberfeld und Barmer enthält. Gleiches Lob verdienen die 1882 bis 1888 erschienenen Schilderungen der Holz- und Spielivaareuindustrie, der Schiefer¬ griffel- und -tafelindustrie und der Glasindustrie im Kreise Sonneberg, der Meerschaumindustrie in Ruhla, der Holzschnitzerei und Korkindustrie im Eisenacher Oberlande, der Korbflechterei im Kobnrgischen, der Phosphor- zsmdhölzchenindnstrie in Neustadt am Nennsteig, der Töpferei in Bürget und der Korbwaarenindustrie in Oberfranken, kurz eines Teiles der Thüringer Haus- industrie, die or. Emanuel Sax veröffentlicht, auch die Schrift des Dr. Schnnpper- Arndt: Fünf Dorfgemeinden auf dem hohen Taurus (Leipzig, 1883), die Grinybvte» IV 1889 ZZ

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_205998/265>, abgerufen am 02.07.2024.