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Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Viertes Vierteljahr.

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Linse und Jetzt

bekränzt, der Sänger schlägt jubelnd die Laute. Schwärmender Thor! ruft
der moderne Künstler, welch andres Bild das von Guignard in Paris auf
der Ausstellung: Einschiffung einer Viehherde! Das kam: man beobachten,
jeder hat es gesehen und kann beurteilen, wie herrlich das Licht auf den breiten
Rücken der lebensgroßen Tiere genullt ist.

Moritz von Schwind hatte sich lange Jahre darnach gesehnt, die Rückkehr
des Grafen von Gleichen aus dem heiligen Lande in einem großen: Bilde
darzustellen, beileibe aber nicht lebensgroß, denn der Gegenstand ist nnr eine
Sage, die sich am schönsten anhört erzählt am traulichen Herdfeuer. Doch
der Erzähler wird an den Hauptstellen die Stimme kräftig erheben, denn der
Inhalt ist dramatisch, und es handelt sich um große Gefühle, deshalb werden
anch in der bildlichen Darstellung mindestens halblebensgroße Figuren am
Platze sein. Als Graf Schack den Künstler kennen lernte, gab er ihm den
Auftrag zu dem Bilde. Die Geburtssage Karls des Großen hat Bode in
einem dreiteilige!: Gemälde von gleich großen Verhältnissen dargestellt. Ans
vielen kleinen Bildchen erzählt Schwind in der Galerie Schack von einsamen
Waldknpellen, vor denen ein Mädchen nur von: scheuen Reh belauscht betet,
vou der köstlichen Morgenfrühe, die dein im traulichen Zimmer erwachenden
durchs Fenster entgegenglänzt, von der murmelnden Quelle mit den schönen
Nixen darin, entdeckt vom verirrten Jäger, vom Spukgeist Rübezahl, vom
Vater Rhein, der auf dem Wasser schwimmt, vom unheimlichen Rauschen in
deu Erlen bei nächtlicher Stunde, von: gespenstigen Wallen der Nebel ans
feuchten Wiesen, verkörpert in der Goethischen Ballade vom Erlkönig. Nen-
reuther hat den Traum der Rezia aus Oberon gemalt. Was Märchen!
Was Träume! Was sollen sie uns, die Nur im Getriebe der großen
Städte leben, die wir durch die stillen Waldschluchten und die nächtlichen
Sümpfe dahinsausen in den: keuchenden Dampfzugc? Der rauschende Wald¬
bach wird eingefangen in geradlinigen Kanälen und in die Stadt geführt,
da knien die Weiber daran und waschen die schmutzige Wäsche. Das Wäldchen
bei der Stadt, sonst die Freude von Jung und Alt, wird ausgerodet, und
rußige Fabrikgebäude erheben sich an seiner Stelle, da pocht nicht mehr der
Specht an die Bäume, da hallt das betäubende Lärmen der Dampfhammer,
da klappert das Räderwerk der Maschinen.

Der Künstler soll ja nur noch ein Organ haben: das Auge, und da
wird er am besten darstellen, was jeder täglich vor Augen hat. Wie selten
kommt der viel beschäftigte Städter -- er muß ja arbeiten, Reichtum und
Stellung erjagen -- einmal aufs Land oder in den Wald hinaus! Die
Frauen und Kinder schickt er auf einige Ferienwochen in eine möglichst nahe
Sommerfrische, der Herr des Hauses selbst hat natürlich keine Zeit mit ihnen
zu gehen, er besucht sie des Sonntags und in der Woche einmal nachmittags.
Hat nicht Goethe gesagt: Greift nnr hinein ins volle Menschenleben, und


Linse und Jetzt

bekränzt, der Sänger schlägt jubelnd die Laute. Schwärmender Thor! ruft
der moderne Künstler, welch andres Bild das von Guignard in Paris auf
der Ausstellung: Einschiffung einer Viehherde! Das kam: man beobachten,
jeder hat es gesehen und kann beurteilen, wie herrlich das Licht auf den breiten
Rücken der lebensgroßen Tiere genullt ist.

Moritz von Schwind hatte sich lange Jahre darnach gesehnt, die Rückkehr
des Grafen von Gleichen aus dem heiligen Lande in einem großen: Bilde
darzustellen, beileibe aber nicht lebensgroß, denn der Gegenstand ist nnr eine
Sage, die sich am schönsten anhört erzählt am traulichen Herdfeuer. Doch
der Erzähler wird an den Hauptstellen die Stimme kräftig erheben, denn der
Inhalt ist dramatisch, und es handelt sich um große Gefühle, deshalb werden
anch in der bildlichen Darstellung mindestens halblebensgroße Figuren am
Platze sein. Als Graf Schack den Künstler kennen lernte, gab er ihm den
Auftrag zu dem Bilde. Die Geburtssage Karls des Großen hat Bode in
einem dreiteilige!: Gemälde von gleich großen Verhältnissen dargestellt. Ans
vielen kleinen Bildchen erzählt Schwind in der Galerie Schack von einsamen
Waldknpellen, vor denen ein Mädchen nur von: scheuen Reh belauscht betet,
vou der köstlichen Morgenfrühe, die dein im traulichen Zimmer erwachenden
durchs Fenster entgegenglänzt, von der murmelnden Quelle mit den schönen
Nixen darin, entdeckt vom verirrten Jäger, vom Spukgeist Rübezahl, vom
Vater Rhein, der auf dem Wasser schwimmt, vom unheimlichen Rauschen in
deu Erlen bei nächtlicher Stunde, von: gespenstigen Wallen der Nebel ans
feuchten Wiesen, verkörpert in der Goethischen Ballade vom Erlkönig. Nen-
reuther hat den Traum der Rezia aus Oberon gemalt. Was Märchen!
Was Träume! Was sollen sie uns, die Nur im Getriebe der großen
Städte leben, die wir durch die stillen Waldschluchten und die nächtlichen
Sümpfe dahinsausen in den: keuchenden Dampfzugc? Der rauschende Wald¬
bach wird eingefangen in geradlinigen Kanälen und in die Stadt geführt,
da knien die Weiber daran und waschen die schmutzige Wäsche. Das Wäldchen
bei der Stadt, sonst die Freude von Jung und Alt, wird ausgerodet, und
rußige Fabrikgebäude erheben sich an seiner Stelle, da pocht nicht mehr der
Specht an die Bäume, da hallt das betäubende Lärmen der Dampfhammer,
da klappert das Räderwerk der Maschinen.

Der Künstler soll ja nur noch ein Organ haben: das Auge, und da
wird er am besten darstellen, was jeder täglich vor Augen hat. Wie selten
kommt der viel beschäftigte Städter — er muß ja arbeiten, Reichtum und
Stellung erjagen — einmal aufs Land oder in den Wald hinaus! Die
Frauen und Kinder schickt er auf einige Ferienwochen in eine möglichst nahe
Sommerfrische, der Herr des Hauses selbst hat natürlich keine Zeit mit ihnen
zu gehen, er besucht sie des Sonntags und in der Woche einmal nachmittags.
Hat nicht Goethe gesagt: Greift nnr hinein ins volle Menschenleben, und


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[0242] Linse und Jetzt bekränzt, der Sänger schlägt jubelnd die Laute. Schwärmender Thor! ruft der moderne Künstler, welch andres Bild das von Guignard in Paris auf der Ausstellung: Einschiffung einer Viehherde! Das kam: man beobachten, jeder hat es gesehen und kann beurteilen, wie herrlich das Licht auf den breiten Rücken der lebensgroßen Tiere genullt ist. Moritz von Schwind hatte sich lange Jahre darnach gesehnt, die Rückkehr des Grafen von Gleichen aus dem heiligen Lande in einem großen: Bilde darzustellen, beileibe aber nicht lebensgroß, denn der Gegenstand ist nnr eine Sage, die sich am schönsten anhört erzählt am traulichen Herdfeuer. Doch der Erzähler wird an den Hauptstellen die Stimme kräftig erheben, denn der Inhalt ist dramatisch, und es handelt sich um große Gefühle, deshalb werden anch in der bildlichen Darstellung mindestens halblebensgroße Figuren am Platze sein. Als Graf Schack den Künstler kennen lernte, gab er ihm den Auftrag zu dem Bilde. Die Geburtssage Karls des Großen hat Bode in einem dreiteilige!: Gemälde von gleich großen Verhältnissen dargestellt. Ans vielen kleinen Bildchen erzählt Schwind in der Galerie Schack von einsamen Waldknpellen, vor denen ein Mädchen nur von: scheuen Reh belauscht betet, vou der köstlichen Morgenfrühe, die dein im traulichen Zimmer erwachenden durchs Fenster entgegenglänzt, von der murmelnden Quelle mit den schönen Nixen darin, entdeckt vom verirrten Jäger, vom Spukgeist Rübezahl, vom Vater Rhein, der auf dem Wasser schwimmt, vom unheimlichen Rauschen in deu Erlen bei nächtlicher Stunde, von: gespenstigen Wallen der Nebel ans feuchten Wiesen, verkörpert in der Goethischen Ballade vom Erlkönig. Nen- reuther hat den Traum der Rezia aus Oberon gemalt. Was Märchen! Was Träume! Was sollen sie uns, die Nur im Getriebe der großen Städte leben, die wir durch die stillen Waldschluchten und die nächtlichen Sümpfe dahinsausen in den: keuchenden Dampfzugc? Der rauschende Wald¬ bach wird eingefangen in geradlinigen Kanälen und in die Stadt geführt, da knien die Weiber daran und waschen die schmutzige Wäsche. Das Wäldchen bei der Stadt, sonst die Freude von Jung und Alt, wird ausgerodet, und rußige Fabrikgebäude erheben sich an seiner Stelle, da pocht nicht mehr der Specht an die Bäume, da hallt das betäubende Lärmen der Dampfhammer, da klappert das Räderwerk der Maschinen. Der Künstler soll ja nur noch ein Organ haben: das Auge, und da wird er am besten darstellen, was jeder täglich vor Augen hat. Wie selten kommt der viel beschäftigte Städter — er muß ja arbeiten, Reichtum und Stellung erjagen — einmal aufs Land oder in den Wald hinaus! Die Frauen und Kinder schickt er auf einige Ferienwochen in eine möglichst nahe Sommerfrische, der Herr des Hauses selbst hat natürlich keine Zeit mit ihnen zu gehen, er besucht sie des Sonntags und in der Woche einmal nachmittags. Hat nicht Goethe gesagt: Greift nnr hinein ins volle Menschenleben, und

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_205998/242>, abgerufen am 28.06.2024.