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Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Viertes Vierteljahr.

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hatte, und dessen Einfluß fortdauerte, bis die Osiandrischeu Streitigkeiten ihm
ein Ende machten. Endlich war Melanchthon auch bei der Gründung der
Hochschule in Jena thätig, namentlich durch Vorschläge zur Besetzung der zu
errichtenden Lehrstühle, ja er war eine Zeit lang bereit, selbst einen davon zu
besteigen. Zwar wurde ihm das bald leid, aber die Eröffnung der Universität
im März 1548 fand nnter Melanchthous Auspizien und mit lateinischen
Reden seiner Freunde und Schüler Seigel und Strigel statt. Es ist also
falsch, wenn man meint, der Plan zur Errichtung der neuen Hochschule sei
ans dem Gegensatze zur Richtung Melanchthons hervorgegangen, vielmehr
wollte man anfangs diese Richtung hier hegen und pflegen und bot alles auf,
deren Urheber zu gewinnen. Erst die spätere Zeit erzeugte den scharfen Gegen¬
satz, der Jena zum Hauptlager der Feinde Melanchthons machte.

Blicken wir zurück, so sehen wir den Freund und Mitarbeiter Luthers in
hvchbedentsamer Thätigkeit auf dem Gebiete der deutscheu Schule. Der Süd¬
westen, die Mitte und der Norden Deutschlands verlangen von ihm Rat, er¬
bitten sich bei ihm Lehrer, die er ausgebildet hat, gestalten ihre Unterrichts¬
anstalten, hohe und niedere, nach seinen Vorschlägen um und gründen nach
seinen Grundsätzen neue. Vom Neckar bis zur Weichsel lehren seine Anhänger
in seinem Geiste und nach seiner Weise. Er ist der I^ÄgczePwr (Z^rnmumL,
weil er dein protestantischen Deutschland zahllose treffliche Lehrer erzogen und
geschult hat, er ist es durch den unermeßlich umfangreichen Briefwechsel, den
er in Sachen des Schulwesen? führte, und der für seinen Einfluß und für die
einzige Stellung zeugt, die er namentlich zu dem gelehrten Unterricht als
Humanist wie als Vertreter des evangelischen Geistes einnahm - eine Stellung,
die nur auf dem Vertrauen zu seiner Person beruhte, und die er einerseits
durch hohe wissenschaftliche Bildung und praktischen Sinn, anderseits durch die
sittlichen Tugenden der Gewissenhaftigkeit, der Uneigennützigkeit und der Be¬
scheidenheit rechtfertigte; er ist es endlich dadurch, daß er dem neuen Unter-
richtswesen seine Lehrbücher verfaßte. Melanchthons Kompendien der griechischen
und der lateinischen Grammatik, der Rhetorik und Dialektik, der Physik, Psycho¬
logie. Ethik und Dogmatik dienten bis in das achtzehnte Jahrhundert hinein
dein Unterricht ans den Gymnasien und Universitäten als Grundlage. Er war
kein Mann wie Luther, er war ein weicher, mehr weiblich angelegter Charakter,
aber eine treffliche Ergänzung Luthers und ein großer Segen für das Werk
der Reformation, an das er sich allein sicher niemals gewagt hätte, das er
aber, als es begonnen war, mit seinen Gaben wesentlich unterstützt und ver¬
edelt hat.




hatte, und dessen Einfluß fortdauerte, bis die Osiandrischeu Streitigkeiten ihm
ein Ende machten. Endlich war Melanchthon auch bei der Gründung der
Hochschule in Jena thätig, namentlich durch Vorschläge zur Besetzung der zu
errichtenden Lehrstühle, ja er war eine Zeit lang bereit, selbst einen davon zu
besteigen. Zwar wurde ihm das bald leid, aber die Eröffnung der Universität
im März 1548 fand nnter Melanchthous Auspizien und mit lateinischen
Reden seiner Freunde und Schüler Seigel und Strigel statt. Es ist also
falsch, wenn man meint, der Plan zur Errichtung der neuen Hochschule sei
ans dem Gegensatze zur Richtung Melanchthons hervorgegangen, vielmehr
wollte man anfangs diese Richtung hier hegen und pflegen und bot alles auf,
deren Urheber zu gewinnen. Erst die spätere Zeit erzeugte den scharfen Gegen¬
satz, der Jena zum Hauptlager der Feinde Melanchthons machte.

Blicken wir zurück, so sehen wir den Freund und Mitarbeiter Luthers in
hvchbedentsamer Thätigkeit auf dem Gebiete der deutscheu Schule. Der Süd¬
westen, die Mitte und der Norden Deutschlands verlangen von ihm Rat, er¬
bitten sich bei ihm Lehrer, die er ausgebildet hat, gestalten ihre Unterrichts¬
anstalten, hohe und niedere, nach seinen Vorschlägen um und gründen nach
seinen Grundsätzen neue. Vom Neckar bis zur Weichsel lehren seine Anhänger
in seinem Geiste und nach seiner Weise. Er ist der I^ÄgczePwr (Z^rnmumL,
weil er dein protestantischen Deutschland zahllose treffliche Lehrer erzogen und
geschult hat, er ist es durch den unermeßlich umfangreichen Briefwechsel, den
er in Sachen des Schulwesen? führte, und der für seinen Einfluß und für die
einzige Stellung zeugt, die er namentlich zu dem gelehrten Unterricht als
Humanist wie als Vertreter des evangelischen Geistes einnahm - eine Stellung,
die nur auf dem Vertrauen zu seiner Person beruhte, und die er einerseits
durch hohe wissenschaftliche Bildung und praktischen Sinn, anderseits durch die
sittlichen Tugenden der Gewissenhaftigkeit, der Uneigennützigkeit und der Be¬
scheidenheit rechtfertigte; er ist es endlich dadurch, daß er dem neuen Unter-
richtswesen seine Lehrbücher verfaßte. Melanchthons Kompendien der griechischen
und der lateinischen Grammatik, der Rhetorik und Dialektik, der Physik, Psycho¬
logie. Ethik und Dogmatik dienten bis in das achtzehnte Jahrhundert hinein
dein Unterricht ans den Gymnasien und Universitäten als Grundlage. Er war
kein Mann wie Luther, er war ein weicher, mehr weiblich angelegter Charakter,
aber eine treffliche Ergänzung Luthers und ein großer Segen für das Werk
der Reformation, an das er sich allein sicher niemals gewagt hätte, das er
aber, als es begonnen war, mit seinen Gaben wesentlich unterstützt und ver¬
edelt hat.




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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_205998/240>, abgerufen am 28.06.2024.