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Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Viertes Vierteljahr.

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Der l'raevvptor (Zsrmmüsv

die Geschichte lehrt vielmehr, daß gerade die protestantischen Hochschulen
Deutschlands die freieste wissenschaftliche Entwicklung ermöglicht haben, sie
glänzen durch Namen wie Kant, Fichte, Schelling, Schleiermacher und Bauer,
während die fast ebenso zahlreichen katholischen Hochschulen deutscher Zunge,
denen die reZultr liäsi erspart blieb, kaum einen Mann von gleichem Werte
auszuweisen haben.

Zu den Vorlesungen traten die Disputationen, von deren Nutzen Melauch-
thcm eine sehr hohe Meinung hatte und die vormals bei allen Fakultäten
üblich waren, ihre Hauptstätte aber in der philosophischen hatten, wo jeder
zweite Sonnabend dafür bestimmt war, während an dem andern Deklamationen
stattfanden. Neben der wissenschaftlichen Zucht sollte die Universität aber auch
eine sittliche ausüben. Deshalb gab es zunächst für den Lebenswandel der
Professoren strenge Vorschriften. In den Statuten für die Artistenfakultät
von 1546 werden die Professoren ermahnt, kein Ärgernis zu geben, sondern
den Studenten durch Reinheit, Keuschheit und friedfertiges Verhalten als Vor¬
bild zu diene", "eingedenk der Gemeinschaft, in der sie sich befinden, nicht
unter Cyklopen oder Centauren, noch in einer platonischen Akademie, sondern
'in der Kirche Gottes, wo der einige Gott und sein Sohn Jesus Christus
zugegen sind und der heilige Geist in die Herzen vieler Jünglinge ausgegasten
ist." Fehlt aber einer gegen die Gesetze der Sittlichkeit, so soll der Dekan,
der über sie die Oberaufsicht führt, ihn dem Rektor anzeigen, und wird der
Betreffende schuldig befunden, so verliert er Amt und Gehalt. Auch die
Schüler Stande" unter strenger Zucht; denn das Lernen soll anch zu edler
Menschlichkeit erziehen. Die Hochschule hat ihre eigne Obrigkeit mit Straf¬
befugnis. Bestraft werden von ihr alle Vergehen gegen die bürgerlichen Ge¬
setze, dann aber auch Zauberei und Mißbrauch des göttlichen Namens in
gewöhnlicher Rede, ja mit.Kärzer und nötigenfalls mit Relegation Nichtbesuch
der Predigt und des Gottesdienstes. Ferner ist bei Strase verboten die Er¬
regung von Tumulten, das Eindringen in Häuser, die Verwüstung von Gärten,
die Herausforderung zum Kampfe und das Schleudern von Bleikugeln. Ein
ferneres Verbot wendet sich gegen die Unzucht, wobei eine Kleidung empfohlen
wird, "die die Körperteile bedeckt, welche nach dem Willen Gottes verborgen
sein sollen." Eben dahin gehört das Verhalten bei Hochzeiten; streng bestraft
wird jeder, der dabei roh lärmt oder sich beim Tanz unanständig aufführt.
Relegation trifft die Verfasser und Verbreiter von Schuuihschrifteu. Untersagt
sind Maskeraden lind das Tragen von Waffen, "Schwertern, Messern, Thsäcken,
Hessen, Bleikugeln, Wnrfkreuzen, Barten, Flegeln, Hämmern und Büchsen."
Im Winter sollen die Studenten die Schenken um nenn, im Sommer um
zehn verlassen. Der Tag soll von ihnen mit Bibellesen und Gebet begonnen
und geschloffen werden, ebenso ist vor und nach Tische zu beten. "Stürzt
mau sich auf die Speisen ohne Anstand und ohne Äebet wie die Schweine, so


Der l'raevvptor (Zsrmmüsv

die Geschichte lehrt vielmehr, daß gerade die protestantischen Hochschulen
Deutschlands die freieste wissenschaftliche Entwicklung ermöglicht haben, sie
glänzen durch Namen wie Kant, Fichte, Schelling, Schleiermacher und Bauer,
während die fast ebenso zahlreichen katholischen Hochschulen deutscher Zunge,
denen die reZultr liäsi erspart blieb, kaum einen Mann von gleichem Werte
auszuweisen haben.

Zu den Vorlesungen traten die Disputationen, von deren Nutzen Melauch-
thcm eine sehr hohe Meinung hatte und die vormals bei allen Fakultäten
üblich waren, ihre Hauptstätte aber in der philosophischen hatten, wo jeder
zweite Sonnabend dafür bestimmt war, während an dem andern Deklamationen
stattfanden. Neben der wissenschaftlichen Zucht sollte die Universität aber auch
eine sittliche ausüben. Deshalb gab es zunächst für den Lebenswandel der
Professoren strenge Vorschriften. In den Statuten für die Artistenfakultät
von 1546 werden die Professoren ermahnt, kein Ärgernis zu geben, sondern
den Studenten durch Reinheit, Keuschheit und friedfertiges Verhalten als Vor¬
bild zu diene», „eingedenk der Gemeinschaft, in der sie sich befinden, nicht
unter Cyklopen oder Centauren, noch in einer platonischen Akademie, sondern
'in der Kirche Gottes, wo der einige Gott und sein Sohn Jesus Christus
zugegen sind und der heilige Geist in die Herzen vieler Jünglinge ausgegasten
ist." Fehlt aber einer gegen die Gesetze der Sittlichkeit, so soll der Dekan,
der über sie die Oberaufsicht führt, ihn dem Rektor anzeigen, und wird der
Betreffende schuldig befunden, so verliert er Amt und Gehalt. Auch die
Schüler Stande» unter strenger Zucht; denn das Lernen soll anch zu edler
Menschlichkeit erziehen. Die Hochschule hat ihre eigne Obrigkeit mit Straf¬
befugnis. Bestraft werden von ihr alle Vergehen gegen die bürgerlichen Ge¬
setze, dann aber auch Zauberei und Mißbrauch des göttlichen Namens in
gewöhnlicher Rede, ja mit.Kärzer und nötigenfalls mit Relegation Nichtbesuch
der Predigt und des Gottesdienstes. Ferner ist bei Strase verboten die Er¬
regung von Tumulten, das Eindringen in Häuser, die Verwüstung von Gärten,
die Herausforderung zum Kampfe und das Schleudern von Bleikugeln. Ein
ferneres Verbot wendet sich gegen die Unzucht, wobei eine Kleidung empfohlen
wird, „die die Körperteile bedeckt, welche nach dem Willen Gottes verborgen
sein sollen." Eben dahin gehört das Verhalten bei Hochzeiten; streng bestraft
wird jeder, der dabei roh lärmt oder sich beim Tanz unanständig aufführt.
Relegation trifft die Verfasser und Verbreiter von Schuuihschrifteu. Untersagt
sind Maskeraden lind das Tragen von Waffen, „Schwertern, Messern, Thsäcken,
Hessen, Bleikugeln, Wnrfkreuzen, Barten, Flegeln, Hämmern und Büchsen."
Im Winter sollen die Studenten die Schenken um nenn, im Sommer um
zehn verlassen. Der Tag soll von ihnen mit Bibellesen und Gebet begonnen
und geschloffen werden, ebenso ist vor und nach Tische zu beten. „Stürzt
mau sich auf die Speisen ohne Anstand und ohne Äebet wie die Schweine, so


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[0235] Der l'raevvptor (Zsrmmüsv die Geschichte lehrt vielmehr, daß gerade die protestantischen Hochschulen Deutschlands die freieste wissenschaftliche Entwicklung ermöglicht haben, sie glänzen durch Namen wie Kant, Fichte, Schelling, Schleiermacher und Bauer, während die fast ebenso zahlreichen katholischen Hochschulen deutscher Zunge, denen die reZultr liäsi erspart blieb, kaum einen Mann von gleichem Werte auszuweisen haben. Zu den Vorlesungen traten die Disputationen, von deren Nutzen Melauch- thcm eine sehr hohe Meinung hatte und die vormals bei allen Fakultäten üblich waren, ihre Hauptstätte aber in der philosophischen hatten, wo jeder zweite Sonnabend dafür bestimmt war, während an dem andern Deklamationen stattfanden. Neben der wissenschaftlichen Zucht sollte die Universität aber auch eine sittliche ausüben. Deshalb gab es zunächst für den Lebenswandel der Professoren strenge Vorschriften. In den Statuten für die Artistenfakultät von 1546 werden die Professoren ermahnt, kein Ärgernis zu geben, sondern den Studenten durch Reinheit, Keuschheit und friedfertiges Verhalten als Vor¬ bild zu diene», „eingedenk der Gemeinschaft, in der sie sich befinden, nicht unter Cyklopen oder Centauren, noch in einer platonischen Akademie, sondern 'in der Kirche Gottes, wo der einige Gott und sein Sohn Jesus Christus zugegen sind und der heilige Geist in die Herzen vieler Jünglinge ausgegasten ist." Fehlt aber einer gegen die Gesetze der Sittlichkeit, so soll der Dekan, der über sie die Oberaufsicht führt, ihn dem Rektor anzeigen, und wird der Betreffende schuldig befunden, so verliert er Amt und Gehalt. Auch die Schüler Stande» unter strenger Zucht; denn das Lernen soll anch zu edler Menschlichkeit erziehen. Die Hochschule hat ihre eigne Obrigkeit mit Straf¬ befugnis. Bestraft werden von ihr alle Vergehen gegen die bürgerlichen Ge¬ setze, dann aber auch Zauberei und Mißbrauch des göttlichen Namens in gewöhnlicher Rede, ja mit.Kärzer und nötigenfalls mit Relegation Nichtbesuch der Predigt und des Gottesdienstes. Ferner ist bei Strase verboten die Er¬ regung von Tumulten, das Eindringen in Häuser, die Verwüstung von Gärten, die Herausforderung zum Kampfe und das Schleudern von Bleikugeln. Ein ferneres Verbot wendet sich gegen die Unzucht, wobei eine Kleidung empfohlen wird, „die die Körperteile bedeckt, welche nach dem Willen Gottes verborgen sein sollen." Eben dahin gehört das Verhalten bei Hochzeiten; streng bestraft wird jeder, der dabei roh lärmt oder sich beim Tanz unanständig aufführt. Relegation trifft die Verfasser und Verbreiter von Schuuihschrifteu. Untersagt sind Maskeraden lind das Tragen von Waffen, „Schwertern, Messern, Thsäcken, Hessen, Bleikugeln, Wnrfkreuzen, Barten, Flegeln, Hämmern und Büchsen." Im Winter sollen die Studenten die Schenken um nenn, im Sommer um zehn verlassen. Der Tag soll von ihnen mit Bibellesen und Gebet begonnen und geschloffen werden, ebenso ist vor und nach Tische zu beten. „Stürzt mau sich auf die Speisen ohne Anstand und ohne Äebet wie die Schweine, so

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_205998/235>, abgerufen am 30.06.2024.