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Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Viertes Vierteljahr.

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Ludcimcmismns wider Pessimismus

des Eigenwertes? In dem sich selbst schätzenden nicht, denn eS handelt sich
hier zunächst nicht mehr um subjektiven Wert, sondern um Wert des Subjekts
selbst, der also ein objektiver, nicht ans seiner Bedeutung für das Individuum
selbst, sondern auf einer Bedeutung des Individuums selbst für etwas außer
ihm befindliches Allgemeines ist, nämlich für untre fühlende Wesen. Erst aus
dein Bewußtsein dieses objektiven Wertes entwickelt sich dann auch subjektiver
Wert. Es kann also zunächst symptomatische Lust, die uns unsern Wert
verrät, mir in den andern fühlende" Wesen vorhanden sein. Aber von deren
Schätzung sollen wir uns ja, wie der Verfasser so beredt ausführt, nicht ab¬
hängig machen, und auch unser Mitgefühl mit fremder Lust und Unlust ist
nur ein unsicherer Leitstern. Der Verfasser befindet sich demnach hier in Ver¬
legenheit, räumt ein, daß es rätselhaft sei, wie das Bedürfnis des Bewußtseins
des Eigenwerts entspringe, und sagt: "Wir kommen hier nicht über die un¬
mittelbare Thatsache eines Bedürfnisses des Eigenwertes hinaus; dasselbe
bildet einen thatsächlichen Charakterzug der menschlichen Natur, der tief im
unbewußten Geistesleben wurzelt, gleichsam ein naturgeschichtliches Faktums!)
im höhern Sinne." Damit ist aber an Stelle des Grundprinzips ein Dogma
getreten, das, ohne erklärt zu werden, Anerkennung fordert. Der Eudämonismus
ist durch den Begriff des objektiven Wertes durchbrochen.

Doch uicht dagegen ist etwas einzuwenden, daß der Verfasser die Hand¬
lungen fast durchweg von Gefühlen als Triebfedern ausgehen läßt: er könnte
dies vielmehr in noch umfassenderen Maße thun, wie ja die neuere Philosophie
dazu ganz besonders neigt.

Wenn aber auch Gefühle immer und überall die Triebfedern der Hand¬
lungen sind, so sind sie darum doch nicht deren einzige Ursachen. Wenn eine
Uhr auch fortwährend durch eine Triebfeder in Bewegung gesetzt wird, so ist
doch diese nicht die alleinige Ursache, daß der Mechanismus in Bewegung ist,
sondern daneben der gesamte von der zwecksetzenden Thätigkeit des Uhrmachers
geschaffene Van. Hinter jeder einzelnen Handlung steht doch mehr oder weniger
als treibende Macht die ganze Persönlichkeit. Nun ist diese zwar unter steter
Mitwirkung von Lust und Unlust herangebildet, sie hat keinen bewußten Augen¬
blick erlebt, wo ihre Richtung nicht dnrch Gefühle mitbestimmt worden wäre.
Aber sie tritt zunächst fast unbewußt mit einer Fülle von Anlagen in die Welt
ein. Während der Erziehung werden ihre Gefühle großenteils von außen her
unter Mitwirkung von mehr oder weniger Zwang erzeugt, und es pflegt ja
beim Erzogenwerden nicht ohne manche abgenötigte Unlust abzugehen. Nach
Vollendung der Erziehung hat dann der Einzelne gelernt, sich Zwecke zu setzen
und sich für die Zukunft durch Wahl eines Berufs oder sonstwie Zwangslagen
zu schaffen, die von dem entscheidendsten Einfluß auf sein Streben sind. Die
Frage der Lebensführung, die Ethik, ist also zum Teil von der Eigenlust der
Einzelnen unabhängig. Die für das sittliche Leben vorhandnen, nicht aus eignen


Ludcimcmismns wider Pessimismus

des Eigenwertes? In dem sich selbst schätzenden nicht, denn eS handelt sich
hier zunächst nicht mehr um subjektiven Wert, sondern um Wert des Subjekts
selbst, der also ein objektiver, nicht ans seiner Bedeutung für das Individuum
selbst, sondern auf einer Bedeutung des Individuums selbst für etwas außer
ihm befindliches Allgemeines ist, nämlich für untre fühlende Wesen. Erst aus
dein Bewußtsein dieses objektiven Wertes entwickelt sich dann auch subjektiver
Wert. Es kann also zunächst symptomatische Lust, die uns unsern Wert
verrät, mir in den andern fühlende» Wesen vorhanden sein. Aber von deren
Schätzung sollen wir uns ja, wie der Verfasser so beredt ausführt, nicht ab¬
hängig machen, und auch unser Mitgefühl mit fremder Lust und Unlust ist
nur ein unsicherer Leitstern. Der Verfasser befindet sich demnach hier in Ver¬
legenheit, räumt ein, daß es rätselhaft sei, wie das Bedürfnis des Bewußtseins
des Eigenwerts entspringe, und sagt: „Wir kommen hier nicht über die un¬
mittelbare Thatsache eines Bedürfnisses des Eigenwertes hinaus; dasselbe
bildet einen thatsächlichen Charakterzug der menschlichen Natur, der tief im
unbewußten Geistesleben wurzelt, gleichsam ein naturgeschichtliches Faktums!)
im höhern Sinne." Damit ist aber an Stelle des Grundprinzips ein Dogma
getreten, das, ohne erklärt zu werden, Anerkennung fordert. Der Eudämonismus
ist durch den Begriff des objektiven Wertes durchbrochen.

Doch uicht dagegen ist etwas einzuwenden, daß der Verfasser die Hand¬
lungen fast durchweg von Gefühlen als Triebfedern ausgehen läßt: er könnte
dies vielmehr in noch umfassenderen Maße thun, wie ja die neuere Philosophie
dazu ganz besonders neigt.

Wenn aber auch Gefühle immer und überall die Triebfedern der Hand¬
lungen sind, so sind sie darum doch nicht deren einzige Ursachen. Wenn eine
Uhr auch fortwährend durch eine Triebfeder in Bewegung gesetzt wird, so ist
doch diese nicht die alleinige Ursache, daß der Mechanismus in Bewegung ist,
sondern daneben der gesamte von der zwecksetzenden Thätigkeit des Uhrmachers
geschaffene Van. Hinter jeder einzelnen Handlung steht doch mehr oder weniger
als treibende Macht die ganze Persönlichkeit. Nun ist diese zwar unter steter
Mitwirkung von Lust und Unlust herangebildet, sie hat keinen bewußten Augen¬
blick erlebt, wo ihre Richtung nicht dnrch Gefühle mitbestimmt worden wäre.
Aber sie tritt zunächst fast unbewußt mit einer Fülle von Anlagen in die Welt
ein. Während der Erziehung werden ihre Gefühle großenteils von außen her
unter Mitwirkung von mehr oder weniger Zwang erzeugt, und es pflegt ja
beim Erzogenwerden nicht ohne manche abgenötigte Unlust abzugehen. Nach
Vollendung der Erziehung hat dann der Einzelne gelernt, sich Zwecke zu setzen
und sich für die Zukunft durch Wahl eines Berufs oder sonstwie Zwangslagen
zu schaffen, die von dem entscheidendsten Einfluß auf sein Streben sind. Die
Frage der Lebensführung, die Ethik, ist also zum Teil von der Eigenlust der
Einzelnen unabhängig. Die für das sittliche Leben vorhandnen, nicht aus eignen


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[0229] Ludcimcmismns wider Pessimismus des Eigenwertes? In dem sich selbst schätzenden nicht, denn eS handelt sich hier zunächst nicht mehr um subjektiven Wert, sondern um Wert des Subjekts selbst, der also ein objektiver, nicht ans seiner Bedeutung für das Individuum selbst, sondern auf einer Bedeutung des Individuums selbst für etwas außer ihm befindliches Allgemeines ist, nämlich für untre fühlende Wesen. Erst aus dein Bewußtsein dieses objektiven Wertes entwickelt sich dann auch subjektiver Wert. Es kann also zunächst symptomatische Lust, die uns unsern Wert verrät, mir in den andern fühlende» Wesen vorhanden sein. Aber von deren Schätzung sollen wir uns ja, wie der Verfasser so beredt ausführt, nicht ab¬ hängig machen, und auch unser Mitgefühl mit fremder Lust und Unlust ist nur ein unsicherer Leitstern. Der Verfasser befindet sich demnach hier in Ver¬ legenheit, räumt ein, daß es rätselhaft sei, wie das Bedürfnis des Bewußtseins des Eigenwerts entspringe, und sagt: „Wir kommen hier nicht über die un¬ mittelbare Thatsache eines Bedürfnisses des Eigenwertes hinaus; dasselbe bildet einen thatsächlichen Charakterzug der menschlichen Natur, der tief im unbewußten Geistesleben wurzelt, gleichsam ein naturgeschichtliches Faktums!) im höhern Sinne." Damit ist aber an Stelle des Grundprinzips ein Dogma getreten, das, ohne erklärt zu werden, Anerkennung fordert. Der Eudämonismus ist durch den Begriff des objektiven Wertes durchbrochen. Doch uicht dagegen ist etwas einzuwenden, daß der Verfasser die Hand¬ lungen fast durchweg von Gefühlen als Triebfedern ausgehen läßt: er könnte dies vielmehr in noch umfassenderen Maße thun, wie ja die neuere Philosophie dazu ganz besonders neigt. Wenn aber auch Gefühle immer und überall die Triebfedern der Hand¬ lungen sind, so sind sie darum doch nicht deren einzige Ursachen. Wenn eine Uhr auch fortwährend durch eine Triebfeder in Bewegung gesetzt wird, so ist doch diese nicht die alleinige Ursache, daß der Mechanismus in Bewegung ist, sondern daneben der gesamte von der zwecksetzenden Thätigkeit des Uhrmachers geschaffene Van. Hinter jeder einzelnen Handlung steht doch mehr oder weniger als treibende Macht die ganze Persönlichkeit. Nun ist diese zwar unter steter Mitwirkung von Lust und Unlust herangebildet, sie hat keinen bewußten Augen¬ blick erlebt, wo ihre Richtung nicht dnrch Gefühle mitbestimmt worden wäre. Aber sie tritt zunächst fast unbewußt mit einer Fülle von Anlagen in die Welt ein. Während der Erziehung werden ihre Gefühle großenteils von außen her unter Mitwirkung von mehr oder weniger Zwang erzeugt, und es pflegt ja beim Erzogenwerden nicht ohne manche abgenötigte Unlust abzugehen. Nach Vollendung der Erziehung hat dann der Einzelne gelernt, sich Zwecke zu setzen und sich für die Zukunft durch Wahl eines Berufs oder sonstwie Zwangslagen zu schaffen, die von dem entscheidendsten Einfluß auf sein Streben sind. Die Frage der Lebensführung, die Ethik, ist also zum Teil von der Eigenlust der Einzelnen unabhängig. Die für das sittliche Leben vorhandnen, nicht aus eignen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_205998/229>, abgerufen am 30.06.2024.