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Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Viertes Vierteljahr.

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Ludnmonismus wider Pessimismus

sekundäre Übel, denn als Begehren, das mehr sekundäre Güter schafft. Erst
der feste Wille, als das nnter wertvergleichender Vernunft stehende Streben
nach Handlungen, die objektiven Wert haben, das in seinen Konsequenzen den
fühlenden Wesen "Förderliche, Heilsame, das sittlich Gute bezwecken, erhebt sich
zu einem höhern Standpunkt.

Im zweiten Teil, in der< Glückseligkeitslehre, weist der Verfasser gegen die
überspannten Ansichten Hartmanns nach, daß allerdings von einer überwiegenden
Lust im menschlichen Leben die Rede sein kann. Zwar eine vollkommene Selig¬
keit, wie sie sich die ^christliche Anschauung großenteils denkt, ein^völlig unlnst-
freicr Zustand im Jenseits erscheint nicht möglich. Aber schon die christliche
Hoffnung erzeugt eine universelle Freudigkeit, die der . wahre und natürliche
Ausdruck unzweifelhafter Lust als Wirkung von Überzeugungen ist, denen solche
Wirkung mit Notwendigkeit entspringen muß. Und auch ans dem Standpunkte
des populären Bewußtseins ergiebt sich die Möglichkeit überwiegender Lust als
innere und äußere: Leichtsinn, Illusionen, Müßigkeit, Genügsamkeit und Gunst
des Schicksals erzeugen ein nicht geringes Maß glücklicher Stimmungen.
Namentlich die Beobachtung mancher einfachen Menschen, die nie über ein
geringes Maß der Auffassung von Welt und Menschen hinauskommen, beweist
dies unwiderleglich.

In viel höherm Maße aber wird eine gewisse Glückseligkeit erreicht, wenn
man, wie Pluto, Aristoteles, die Stoiker und Epikurecr ein gewisses Gut als
höchstes betrachtet, dem sich alle unterordnen müssen. Und in höchstem Maße
soll als solches alles andre übertreffende Gut das Bewußtsein des wahren
Eigenwertes erscheinen, da gegenüber dem Bedürfnisse der Selbstschätzung alle
übrigen Güter nur als Zustandsgüter anzusehen sind, und da, wenn jenes
Bedürfnis nicht illusorisch, sondern wahrhaft real befriedigt wird, ein unein¬
geschränktes Zustandekommen der Stärke und Dauer der darauf beruhenden
Lust verbürgt ist. Es kann aber das Bedürfnis des Eigenwertes nur durch
Streben befriedigt werden, zumal da auch das formale Bedürfnis der Bethätigung
unsers Strebens und unsre Schicksalslage dahin drängt. Es setzt ferner voraus,
daß der objektive Wert, den wir erreichen müssen, wenn wir uns selbst sollen
schätzen können, durch Streben nach dem Wohlsein von Wesen, die gleichen
Bedürfnisstand mit uns haben, zustande komme. Indem sich nun diesem Wert¬
streben alles andre Streben zur Willenseinheit unterordnen läßt, ergeben sich
die drei direkten Kardinaltugenden der Gerechtigkeit, der Güte und der
Berufstreue, die beiden indirekten der Besonnenheit und der Beständigkeit, dazu
die alle übrigen Tugenden regelnde Weisheit. Der wahre Wert aber kommt
allein der Richtung des Strebens zu, da es von äußern Erfolgen nicht ab¬
hängen darf. So gefaßt aber, vermag sich dies Streben gegen alle innern
Zustände als beherrschendes durchzusetzen, wenn es den natürlichen Zustand
des Menschen als solchen nach den: Vorbilde der christlichen Religion und der


Ludnmonismus wider Pessimismus

sekundäre Übel, denn als Begehren, das mehr sekundäre Güter schafft. Erst
der feste Wille, als das nnter wertvergleichender Vernunft stehende Streben
nach Handlungen, die objektiven Wert haben, das in seinen Konsequenzen den
fühlenden Wesen »Förderliche, Heilsame, das sittlich Gute bezwecken, erhebt sich
zu einem höhern Standpunkt.

Im zweiten Teil, in der< Glückseligkeitslehre, weist der Verfasser gegen die
überspannten Ansichten Hartmanns nach, daß allerdings von einer überwiegenden
Lust im menschlichen Leben die Rede sein kann. Zwar eine vollkommene Selig¬
keit, wie sie sich die ^christliche Anschauung großenteils denkt, ein^völlig unlnst-
freicr Zustand im Jenseits erscheint nicht möglich. Aber schon die christliche
Hoffnung erzeugt eine universelle Freudigkeit, die der . wahre und natürliche
Ausdruck unzweifelhafter Lust als Wirkung von Überzeugungen ist, denen solche
Wirkung mit Notwendigkeit entspringen muß. Und auch ans dem Standpunkte
des populären Bewußtseins ergiebt sich die Möglichkeit überwiegender Lust als
innere und äußere: Leichtsinn, Illusionen, Müßigkeit, Genügsamkeit und Gunst
des Schicksals erzeugen ein nicht geringes Maß glücklicher Stimmungen.
Namentlich die Beobachtung mancher einfachen Menschen, die nie über ein
geringes Maß der Auffassung von Welt und Menschen hinauskommen, beweist
dies unwiderleglich.

In viel höherm Maße aber wird eine gewisse Glückseligkeit erreicht, wenn
man, wie Pluto, Aristoteles, die Stoiker und Epikurecr ein gewisses Gut als
höchstes betrachtet, dem sich alle unterordnen müssen. Und in höchstem Maße
soll als solches alles andre übertreffende Gut das Bewußtsein des wahren
Eigenwertes erscheinen, da gegenüber dem Bedürfnisse der Selbstschätzung alle
übrigen Güter nur als Zustandsgüter anzusehen sind, und da, wenn jenes
Bedürfnis nicht illusorisch, sondern wahrhaft real befriedigt wird, ein unein¬
geschränktes Zustandekommen der Stärke und Dauer der darauf beruhenden
Lust verbürgt ist. Es kann aber das Bedürfnis des Eigenwertes nur durch
Streben befriedigt werden, zumal da auch das formale Bedürfnis der Bethätigung
unsers Strebens und unsre Schicksalslage dahin drängt. Es setzt ferner voraus,
daß der objektive Wert, den wir erreichen müssen, wenn wir uns selbst sollen
schätzen können, durch Streben nach dem Wohlsein von Wesen, die gleichen
Bedürfnisstand mit uns haben, zustande komme. Indem sich nun diesem Wert¬
streben alles andre Streben zur Willenseinheit unterordnen läßt, ergeben sich
die drei direkten Kardinaltugenden der Gerechtigkeit, der Güte und der
Berufstreue, die beiden indirekten der Besonnenheit und der Beständigkeit, dazu
die alle übrigen Tugenden regelnde Weisheit. Der wahre Wert aber kommt
allein der Richtung des Strebens zu, da es von äußern Erfolgen nicht ab¬
hängen darf. So gefaßt aber, vermag sich dies Streben gegen alle innern
Zustände als beherrschendes durchzusetzen, wenn es den natürlichen Zustand
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[0227] Ludnmonismus wider Pessimismus sekundäre Übel, denn als Begehren, das mehr sekundäre Güter schafft. Erst der feste Wille, als das nnter wertvergleichender Vernunft stehende Streben nach Handlungen, die objektiven Wert haben, das in seinen Konsequenzen den fühlenden Wesen »Förderliche, Heilsame, das sittlich Gute bezwecken, erhebt sich zu einem höhern Standpunkt. Im zweiten Teil, in der< Glückseligkeitslehre, weist der Verfasser gegen die überspannten Ansichten Hartmanns nach, daß allerdings von einer überwiegenden Lust im menschlichen Leben die Rede sein kann. Zwar eine vollkommene Selig¬ keit, wie sie sich die ^christliche Anschauung großenteils denkt, ein^völlig unlnst- freicr Zustand im Jenseits erscheint nicht möglich. Aber schon die christliche Hoffnung erzeugt eine universelle Freudigkeit, die der . wahre und natürliche Ausdruck unzweifelhafter Lust als Wirkung von Überzeugungen ist, denen solche Wirkung mit Notwendigkeit entspringen muß. Und auch ans dem Standpunkte des populären Bewußtseins ergiebt sich die Möglichkeit überwiegender Lust als innere und äußere: Leichtsinn, Illusionen, Müßigkeit, Genügsamkeit und Gunst des Schicksals erzeugen ein nicht geringes Maß glücklicher Stimmungen. Namentlich die Beobachtung mancher einfachen Menschen, die nie über ein geringes Maß der Auffassung von Welt und Menschen hinauskommen, beweist dies unwiderleglich. In viel höherm Maße aber wird eine gewisse Glückseligkeit erreicht, wenn man, wie Pluto, Aristoteles, die Stoiker und Epikurecr ein gewisses Gut als höchstes betrachtet, dem sich alle unterordnen müssen. Und in höchstem Maße soll als solches alles andre übertreffende Gut das Bewußtsein des wahren Eigenwertes erscheinen, da gegenüber dem Bedürfnisse der Selbstschätzung alle übrigen Güter nur als Zustandsgüter anzusehen sind, und da, wenn jenes Bedürfnis nicht illusorisch, sondern wahrhaft real befriedigt wird, ein unein¬ geschränktes Zustandekommen der Stärke und Dauer der darauf beruhenden Lust verbürgt ist. Es kann aber das Bedürfnis des Eigenwertes nur durch Streben befriedigt werden, zumal da auch das formale Bedürfnis der Bethätigung unsers Strebens und unsre Schicksalslage dahin drängt. Es setzt ferner voraus, daß der objektive Wert, den wir erreichen müssen, wenn wir uns selbst sollen schätzen können, durch Streben nach dem Wohlsein von Wesen, die gleichen Bedürfnisstand mit uns haben, zustande komme. Indem sich nun diesem Wert¬ streben alles andre Streben zur Willenseinheit unterordnen läßt, ergeben sich die drei direkten Kardinaltugenden der Gerechtigkeit, der Güte und der Berufstreue, die beiden indirekten der Besonnenheit und der Beständigkeit, dazu die alle übrigen Tugenden regelnde Weisheit. Der wahre Wert aber kommt allein der Richtung des Strebens zu, da es von äußern Erfolgen nicht ab¬ hängen darf. So gefaßt aber, vermag sich dies Streben gegen alle innern Zustände als beherrschendes durchzusetzen, wenn es den natürlichen Zustand des Menschen als solchen nach den: Vorbilde der christlichen Religion und der

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_205998/227>, abgerufen am 30.06.2024.