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Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Viertes Vierteljahr.

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die bloße Unterhaltung voll Festungen, Artillerieparks. Zeughäusern, Kuvalleric-
ställen und Panzerschiffen verschlingt ungeheure Summen, se^och mehr aber
ist der Verlust zu beklagen, den der Volkswohlstand dadurch erleidet, daß der
Exerzierplatz und das Manöverfeld viele Hunderttausende vo" Armen der
Arbeit lind dem Verdienst auf dem Acker und in der Werkstatt entziehen, was
an so schwerer gefühlt wird, als wir in einer Zeit leben, deren Gedanken
mehr denn je auf fleißiges Erwerben gerichtet sind. Die Heere wachse" mit
jedem Jahre und mit ihnen die Anleihen und Schulden. Werden sie bei schon
stark verschuldeten und schwer besteuerten Staate" wie Frankreich und Rußland
wenig oder auch nur uoch lauge wachsen können? Werden solche Staaten sich
nicht bald gezwungen glauben, dein mit Erschöpfung drohenden Zustande mit
einem Kriege, dessen Ausgang im ungünstigsten Falle nicht viel mehr kosten
kann als der jetzige bis an die Zähne gewassnete Friede, während ein Sieg
die ungeheure Rüstung zu lohnen oder doch zu verzinsen verspricht, ein
schleuniges Ende zu machen? Sodann ist in Betracht zu ziehen, daß in Ru߬
land wie in Frankreich ein Grund oder wenigstens ein Vorwand zum Streite
mit den Waffen vorhanden, gleichsam gar geworden und immer zur Hand
ist. Der Zar würde, wenn er kampflustig wäre, vor sich die Überlieferung
aus den Tagen seiner Vorfahren mit deren Eroberungen auf dein Wege uach
Stambul sehen und hinter sich den Deutschenhaß weiter russischer Kreise, die
abergläubische Einbildung seiner byzantinischen höhern und niedern Pvpenschast,
sie seien berufen, den westlichen "Heiden" das wahre Christentum aufzunötigen,
den ähnlichen Aberglauben der Slawophilen, die Weltherrschaft gehöre dein
Volte im Osten, und den Ehrgeiz seiner Generale. In Frankreich dürstet das
Volk, soweit es in politischen Dingen laut wird, nach Rache für Sedan, nach
Wiedergewinn der Verlornen Provinzen und nach Zurückeroberung der alten
Stellung in Europa. Das sind Gründe der Beunruhigung, die sich auch dem
uicht scharfblickender Beobachter aufdrängen. Indes ist nicht so leicht zu sehen,
ob die darin liegende Gefahr im Laufe dieses Jahres gewachsen ist. In Frank¬
reich spricht manches für das Gegenteil. Boulanger trat in den Bordergrund
infolge der Meinung, daß er der keckste Draufgeher der französischen Armee
sei, und daß er sich, wenn der Tag der Abrechnung mit Deutschland anbreche
und es notwendig erscheine, die Soldaten mit Zuversicht auf raschen Sieg zu
erfüllen, als glänzende Persönlichkeit dazu empfehlen werde, sie als ein zweiter
Vonaparte zu begeistern. In Paris wie in der Provinz dachten viele, daß
er, während andre das parlamentarische Geschäft betrieben und über Politik
nur windige Reden hielten, die Armee für das große Kampfspiel vorbereiten,
rüsten und einüben solle. Diese Voulangerlegende war nnr unter Franzosen,
dem Volke des Scheins, möglich, sie gründete sich ans wenig Thatsachen und
viel Pose und Phrase, aber sie bildete sich und wirkte, sie trug sehr viel
zu den ersten Wahlerfolgen des Generals bei, und wären seine spätern Be-


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die bloße Unterhaltung voll Festungen, Artillerieparks. Zeughäusern, Kuvalleric-
ställen und Panzerschiffen verschlingt ungeheure Summen, se^och mehr aber
ist der Verlust zu beklagen, den der Volkswohlstand dadurch erleidet, daß der
Exerzierplatz und das Manöverfeld viele Hunderttausende vo» Armen der
Arbeit lind dem Verdienst auf dem Acker und in der Werkstatt entziehen, was
an so schwerer gefühlt wird, als wir in einer Zeit leben, deren Gedanken
mehr denn je auf fleißiges Erwerben gerichtet sind. Die Heere wachse» mit
jedem Jahre und mit ihnen die Anleihen und Schulden. Werden sie bei schon
stark verschuldeten und schwer besteuerten Staate» wie Frankreich und Rußland
wenig oder auch nur uoch lauge wachsen können? Werden solche Staaten sich
nicht bald gezwungen glauben, dein mit Erschöpfung drohenden Zustande mit
einem Kriege, dessen Ausgang im ungünstigsten Falle nicht viel mehr kosten
kann als der jetzige bis an die Zähne gewassnete Friede, während ein Sieg
die ungeheure Rüstung zu lohnen oder doch zu verzinsen verspricht, ein
schleuniges Ende zu machen? Sodann ist in Betracht zu ziehen, daß in Ru߬
land wie in Frankreich ein Grund oder wenigstens ein Vorwand zum Streite
mit den Waffen vorhanden, gleichsam gar geworden und immer zur Hand
ist. Der Zar würde, wenn er kampflustig wäre, vor sich die Überlieferung
aus den Tagen seiner Vorfahren mit deren Eroberungen auf dein Wege uach
Stambul sehen und hinter sich den Deutschenhaß weiter russischer Kreise, die
abergläubische Einbildung seiner byzantinischen höhern und niedern Pvpenschast,
sie seien berufen, den westlichen „Heiden" das wahre Christentum aufzunötigen,
den ähnlichen Aberglauben der Slawophilen, die Weltherrschaft gehöre dein
Volte im Osten, und den Ehrgeiz seiner Generale. In Frankreich dürstet das
Volk, soweit es in politischen Dingen laut wird, nach Rache für Sedan, nach
Wiedergewinn der Verlornen Provinzen und nach Zurückeroberung der alten
Stellung in Europa. Das sind Gründe der Beunruhigung, die sich auch dem
uicht scharfblickender Beobachter aufdrängen. Indes ist nicht so leicht zu sehen,
ob die darin liegende Gefahr im Laufe dieses Jahres gewachsen ist. In Frank¬
reich spricht manches für das Gegenteil. Boulanger trat in den Bordergrund
infolge der Meinung, daß er der keckste Draufgeher der französischen Armee
sei, und daß er sich, wenn der Tag der Abrechnung mit Deutschland anbreche
und es notwendig erscheine, die Soldaten mit Zuversicht auf raschen Sieg zu
erfüllen, als glänzende Persönlichkeit dazu empfehlen werde, sie als ein zweiter
Vonaparte zu begeistern. In Paris wie in der Provinz dachten viele, daß
er, während andre das parlamentarische Geschäft betrieben und über Politik
nur windige Reden hielten, die Armee für das große Kampfspiel vorbereiten,
rüsten und einüben solle. Diese Voulangerlegende war nnr unter Franzosen,
dem Volke des Scheins, möglich, sie gründete sich ans wenig Thatsachen und
viel Pose und Phrase, aber sie bildete sich und wirkte, sie trug sehr viel
zu den ersten Wahlerfolgen des Generals bei, und wären seine spätern Be-


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[0213] Lnedeiishoffmmgen die bloße Unterhaltung voll Festungen, Artillerieparks. Zeughäusern, Kuvalleric- ställen und Panzerschiffen verschlingt ungeheure Summen, se^och mehr aber ist der Verlust zu beklagen, den der Volkswohlstand dadurch erleidet, daß der Exerzierplatz und das Manöverfeld viele Hunderttausende vo» Armen der Arbeit lind dem Verdienst auf dem Acker und in der Werkstatt entziehen, was an so schwerer gefühlt wird, als wir in einer Zeit leben, deren Gedanken mehr denn je auf fleißiges Erwerben gerichtet sind. Die Heere wachse» mit jedem Jahre und mit ihnen die Anleihen und Schulden. Werden sie bei schon stark verschuldeten und schwer besteuerten Staate» wie Frankreich und Rußland wenig oder auch nur uoch lauge wachsen können? Werden solche Staaten sich nicht bald gezwungen glauben, dein mit Erschöpfung drohenden Zustande mit einem Kriege, dessen Ausgang im ungünstigsten Falle nicht viel mehr kosten kann als der jetzige bis an die Zähne gewassnete Friede, während ein Sieg die ungeheure Rüstung zu lohnen oder doch zu verzinsen verspricht, ein schleuniges Ende zu machen? Sodann ist in Betracht zu ziehen, daß in Ru߬ land wie in Frankreich ein Grund oder wenigstens ein Vorwand zum Streite mit den Waffen vorhanden, gleichsam gar geworden und immer zur Hand ist. Der Zar würde, wenn er kampflustig wäre, vor sich die Überlieferung aus den Tagen seiner Vorfahren mit deren Eroberungen auf dein Wege uach Stambul sehen und hinter sich den Deutschenhaß weiter russischer Kreise, die abergläubische Einbildung seiner byzantinischen höhern und niedern Pvpenschast, sie seien berufen, den westlichen „Heiden" das wahre Christentum aufzunötigen, den ähnlichen Aberglauben der Slawophilen, die Weltherrschaft gehöre dein Volte im Osten, und den Ehrgeiz seiner Generale. In Frankreich dürstet das Volk, soweit es in politischen Dingen laut wird, nach Rache für Sedan, nach Wiedergewinn der Verlornen Provinzen und nach Zurückeroberung der alten Stellung in Europa. Das sind Gründe der Beunruhigung, die sich auch dem uicht scharfblickender Beobachter aufdrängen. Indes ist nicht so leicht zu sehen, ob die darin liegende Gefahr im Laufe dieses Jahres gewachsen ist. In Frank¬ reich spricht manches für das Gegenteil. Boulanger trat in den Bordergrund infolge der Meinung, daß er der keckste Draufgeher der französischen Armee sei, und daß er sich, wenn der Tag der Abrechnung mit Deutschland anbreche und es notwendig erscheine, die Soldaten mit Zuversicht auf raschen Sieg zu erfüllen, als glänzende Persönlichkeit dazu empfehlen werde, sie als ein zweiter Vonaparte zu begeistern. In Paris wie in der Provinz dachten viele, daß er, während andre das parlamentarische Geschäft betrieben und über Politik nur windige Reden hielten, die Armee für das große Kampfspiel vorbereiten, rüsten und einüben solle. Diese Voulangerlegende war nnr unter Franzosen, dem Volke des Scheins, möglich, sie gründete sich ans wenig Thatsachen und viel Pose und Phrase, aber sie bildete sich und wirkte, sie trug sehr viel zu den ersten Wahlerfolgen des Generals bei, und wären seine spätern Be-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_205998/213>, abgerufen am 30.06.2024.