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Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Viertes Vierteljahr.

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Friedvushoffiiungcii

Werbungen "in ein Mandat ebenso günstig für ihn ausgefallen und er irgendwie
dann ans Unter gelangt, so N'urbe uns ohne Zweifel der Krieg mit Frankreich
nur einen großen Schritt näher gerückt sein. Ist das in der That so, dann hat
die jetzt vollständig entschiedne Niederlage Boulangers und seiner Anhängerschaft
die Bedeutung eines großen Rückschrittes zum Frieden. Allerdings verbürgt sie
seine Erhaltung nicht mit Sicherheit, aber wenn Frankreich nach Krieg mit uns
brannte und sich darnach sehnte, eine kecke Herausforderung dazu nach Berlin
ergehen zu sehen, so wäre doch der leichteste und kürzeste Weg zur Erfüllung
dieses Begehrens Unterstützung der Wahl des abenteuernden Soldaten gewesen.
Statt dessen hat das allgemeine Stimmrecht eine Anzahl gemäßigter Republi¬
kaner in das Pariser Abgeordnetenhaus gesendet, die beinahe die Hälfte des¬
selben ausmacht. An der Spitze des Staates aber steht Carnot, der, statt
wie sein Bater "Siege zu organisiren," sich begnügt und glücklich fühlt, bei
einem großen friedlichen Wettbewerbe des internationalen Gewerbfleißes den
Vorsitz zu führen. Sind wir nicht völlig auf falscher Fährte, so bedeuten die
letzte" Wahlergebnisse, daß Frankreich jetzt nichts weniger als begierig nach
Abenteuern und verliebt in Abenteurer ist und auf die nächsten fünf Jahre,
zufrieden mit Befestigung seiner Republik, davon nbseheu wird, unbesonnen den
Frieden zu stören.

So bleibt nun noch Rußland übrig, Rußland, abgesehen von dem Be¬
suche des Zaren in Berlin. Es will als der Anwalt und Beschützer der
Christen unter dem Halbmonde angesehen sein. Aber diese klagen jetzt nnr
auf einer Insel und in einer asiatischen Provinz des Reiches der Pforte, auf
Kreta und in Armenien, und diese Klagen scheinen überdies wenig begründet
zu sein. Macedonien und der schmale Küstenstrich, der in Europa noch dem
Sultan gehört, sind vollkommen ruhig. Der Anwalt hat also kaum Anlaß
zur Thätigkeit. Hinter frühern Kriegen mit den Türken stand die Teilnahme
des russischen Christentums für die bedrückten "Brüder," die jetzt gänzlich
mangelt, da niemand mehr Druck empfindet. Auch die militärische Lage hat
sich geändert. 1854 überschritten die Russen den Pruth, 1877 die Donau,
und sofort begann der Kampf mit den Türken. Jetzt hätte ein russisches
Angriffsheer einen langen Weg zu Lande zurückzulegen, ehe es anf den Gegner
träfe, und zwar führte er durch das Gebiet zweifelhafter Bundesgenossen und
wahrscheinlicher Gegner, und man hätte dabei Österreich in der Flanke. Daher
muß ein Krieg Rußlands mit der Türkei, der die Einnahme Konstantinopels
bezweckt, mit der Belagerung dieser Stadt beginnen. Hier aber würde dem
Zaren seine militärische Überlegenheit nicht zu statten kommen; denn Stambul
kann zur See verteidigt werden, und dabei würde dem Sultan der Beistand
Englands und wohl auch einer oder der andern festländischen Seemächte kumm
fehlen. Zweifelsohne würde ein Krieg Rußlands mit der Türkei, der die Ein¬
verleibung Armeniens zum Gegenstand hätte und damit zufrieden wäre, möglich


Friedvushoffiiungcii

Werbungen »in ein Mandat ebenso günstig für ihn ausgefallen und er irgendwie
dann ans Unter gelangt, so N'urbe uns ohne Zweifel der Krieg mit Frankreich
nur einen großen Schritt näher gerückt sein. Ist das in der That so, dann hat
die jetzt vollständig entschiedne Niederlage Boulangers und seiner Anhängerschaft
die Bedeutung eines großen Rückschrittes zum Frieden. Allerdings verbürgt sie
seine Erhaltung nicht mit Sicherheit, aber wenn Frankreich nach Krieg mit uns
brannte und sich darnach sehnte, eine kecke Herausforderung dazu nach Berlin
ergehen zu sehen, so wäre doch der leichteste und kürzeste Weg zur Erfüllung
dieses Begehrens Unterstützung der Wahl des abenteuernden Soldaten gewesen.
Statt dessen hat das allgemeine Stimmrecht eine Anzahl gemäßigter Republi¬
kaner in das Pariser Abgeordnetenhaus gesendet, die beinahe die Hälfte des¬
selben ausmacht. An der Spitze des Staates aber steht Carnot, der, statt
wie sein Bater „Siege zu organisiren," sich begnügt und glücklich fühlt, bei
einem großen friedlichen Wettbewerbe des internationalen Gewerbfleißes den
Vorsitz zu führen. Sind wir nicht völlig auf falscher Fährte, so bedeuten die
letzte» Wahlergebnisse, daß Frankreich jetzt nichts weniger als begierig nach
Abenteuern und verliebt in Abenteurer ist und auf die nächsten fünf Jahre,
zufrieden mit Befestigung seiner Republik, davon nbseheu wird, unbesonnen den
Frieden zu stören.

So bleibt nun noch Rußland übrig, Rußland, abgesehen von dem Be¬
suche des Zaren in Berlin. Es will als der Anwalt und Beschützer der
Christen unter dem Halbmonde angesehen sein. Aber diese klagen jetzt nnr
auf einer Insel und in einer asiatischen Provinz des Reiches der Pforte, auf
Kreta und in Armenien, und diese Klagen scheinen überdies wenig begründet
zu sein. Macedonien und der schmale Küstenstrich, der in Europa noch dem
Sultan gehört, sind vollkommen ruhig. Der Anwalt hat also kaum Anlaß
zur Thätigkeit. Hinter frühern Kriegen mit den Türken stand die Teilnahme
des russischen Christentums für die bedrückten „Brüder," die jetzt gänzlich
mangelt, da niemand mehr Druck empfindet. Auch die militärische Lage hat
sich geändert. 1854 überschritten die Russen den Pruth, 1877 die Donau,
und sofort begann der Kampf mit den Türken. Jetzt hätte ein russisches
Angriffsheer einen langen Weg zu Lande zurückzulegen, ehe es anf den Gegner
träfe, und zwar führte er durch das Gebiet zweifelhafter Bundesgenossen und
wahrscheinlicher Gegner, und man hätte dabei Österreich in der Flanke. Daher
muß ein Krieg Rußlands mit der Türkei, der die Einnahme Konstantinopels
bezweckt, mit der Belagerung dieser Stadt beginnen. Hier aber würde dem
Zaren seine militärische Überlegenheit nicht zu statten kommen; denn Stambul
kann zur See verteidigt werden, und dabei würde dem Sultan der Beistand
Englands und wohl auch einer oder der andern festländischen Seemächte kumm
fehlen. Zweifelsohne würde ein Krieg Rußlands mit der Türkei, der die Ein¬
verleibung Armeniens zum Gegenstand hätte und damit zufrieden wäre, möglich


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_205998/214>, abgerufen am 28.06.2024.