Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Viertes Vierteljahr.Friedenshosfunngen bleibt die wichtigste für die Freunde des Friedens, aber lediglich deshalb kümmert So viel über unsre Stellung zu deu Fragen, die zunächst zu einem Kriege Friedenshosfunngen bleibt die wichtigste für die Freunde des Friedens, aber lediglich deshalb kümmert So viel über unsre Stellung zu deu Fragen, die zunächst zu einem Kriege <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0212" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/206211"/> <fw type="header" place="top"> Friedenshosfunngen</fw><lb/> <p xml:id="ID_731" prev="#ID_730"> bleibt die wichtigste für die Freunde des Friedens, aber lediglich deshalb kümmert<lb/> sie uns Deutsche, Unmittelbar geht sie gleich der ganzen orientalischen Frage,<lb/> deren vornehmstes Glied sie seit 1378 ist, außer der Pforte und Rußland nur<lb/> Österreich und England an. In Betreff Rußlands können Mir hier nur wünschen,<lb/> daß es sich unter Festhaltung seiner im Berliner Frieden begründeten Ansprüche<lb/> auf Einfluß der Beunruhigung Bulgariens durch Sendlinge fernerhin enthalte<lb/> wohlgemerkt, nur wünschen, und zwar im Interesse Rußlands selbst, weil solche<lb/> Aufwiegelung sich als nutzloses Bemühen erwiesen hat. Mit Österreich sind<lb/> wir verbündet, aber nnr zur Verteidigung gegen einen Angriff, nicht zur Mit¬<lb/> wirkung bei Eingriffen, sei es diplomatischer oder sei es militärischer Natur,<lb/> über seine Grenzen hinaus, an die übrigens gegenwärtig in Wien nicht gedacht<lb/> wird. Sonst sind wir in Bezug auf die serbischen und bulgarischen Angelegen¬<lb/> heiten und ebenso hinsichtlich andrer Gebiete der orientalischen Frage bei nichts<lb/> interessirt und zu nichts verpflichtet, als bei dein und zu dem, was uns infolge<lb/> unsrer Beteiligung am Berliner Vertrage obliegt und wozu uns der Wunsch,<lb/> den Frieden im allgemeinen gewahrt zu sehen, berechtigt und verpflichtet. Ganz<lb/> und gar fern liegt uns eine Rolle, wie sie Frankreich vor dem Jahre 1870<lb/> und 1870 selbst, zuletzt in der Frage der Besetzung des spanische» Thrones,<lb/> gespielt hat. Serbien und Bulgarien mögen innerhalb der Grenzen der Berliner<lb/> Abmachungen thun, was ihnen gut und nützlich dünkt,, und es ist uns gleich-<lb/> giltig, ob dort die Dynastie des schwarzen Georg oder die Familie Obreno-<lb/> witsch auf dem Königsthron sitzt oder ob der Fürst Alexander oder Ferdinand<lb/> heißt, wenn er nur seine Pflicht und Schuldigkeit gegen Europa, d. h. gegen<lb/> dessen Vertreter, die Großmächte, und deren in Berlin vertragsmäßig nns-<lb/> gesprvchnen Willen thut. Wenn durch die Revolution von Philippvpel, die<lb/> Vereinigung Bulgariens mit Ostrumelien und durch Nichteinholuug der Be¬<lb/> stätigung der Wahl des Kvbnrgers in Sofia, zu der die Großmächte ihre<lb/> Einwilligung zu erteilen hatten, dagegen verstoßen worden ist, so haben wir<lb/> das als Rechtsbruch stillschweigend gemißbilligt, und weder ein Großbulgaricn<lb/> noch ein Fürst Ferdinand an seiner Spitze existirt für uns; aber zu irgend<lb/> welchem Einschreiten dagegen konnten wir uns nicht berufen finden.</p><lb/> <p xml:id="ID_732" next="#ID_733"> So viel über unsre Stellung zu deu Fragen, die zunächst zu einem Kriege<lb/> führen könnten. Englische Blätter wollten wissen, daß in diplomatischen Kreisen<lb/> Petersburgs vom Ausbruch eines solchen im nächsten Frühjahr die Rede ge¬<lb/> wesen sei, und wollte» dieses Gerücht für glaubwürdig schou deshalb ansehen,<lb/> weil der bewaffnete Friede die Nationen Europas »»erträglich belaste. Wir<lb/> Deutschen fühlen diese Unerträglichkeit nicht, geben aber die Schwere der Last<lb/> zu, so sehr sie mich durch die Überzeugung erleichtert wird, daß der Heeres¬<lb/> dienst für die Ratio» eine Schul»»g zu höchst wertvollen Tugenden sei. Andre<lb/> Völker aber mögen ja anders empfinden. Die Friedensstärke der Heere ist jetzt<lb/> allenthalben wohl das Doppelte ihrer Kriegsstärke vor fünfzig Jahren, und</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0212]
Friedenshosfunngen
bleibt die wichtigste für die Freunde des Friedens, aber lediglich deshalb kümmert
sie uns Deutsche, Unmittelbar geht sie gleich der ganzen orientalischen Frage,
deren vornehmstes Glied sie seit 1378 ist, außer der Pforte und Rußland nur
Österreich und England an. In Betreff Rußlands können Mir hier nur wünschen,
daß es sich unter Festhaltung seiner im Berliner Frieden begründeten Ansprüche
auf Einfluß der Beunruhigung Bulgariens durch Sendlinge fernerhin enthalte
wohlgemerkt, nur wünschen, und zwar im Interesse Rußlands selbst, weil solche
Aufwiegelung sich als nutzloses Bemühen erwiesen hat. Mit Österreich sind
wir verbündet, aber nnr zur Verteidigung gegen einen Angriff, nicht zur Mit¬
wirkung bei Eingriffen, sei es diplomatischer oder sei es militärischer Natur,
über seine Grenzen hinaus, an die übrigens gegenwärtig in Wien nicht gedacht
wird. Sonst sind wir in Bezug auf die serbischen und bulgarischen Angelegen¬
heiten und ebenso hinsichtlich andrer Gebiete der orientalischen Frage bei nichts
interessirt und zu nichts verpflichtet, als bei dein und zu dem, was uns infolge
unsrer Beteiligung am Berliner Vertrage obliegt und wozu uns der Wunsch,
den Frieden im allgemeinen gewahrt zu sehen, berechtigt und verpflichtet. Ganz
und gar fern liegt uns eine Rolle, wie sie Frankreich vor dem Jahre 1870
und 1870 selbst, zuletzt in der Frage der Besetzung des spanische» Thrones,
gespielt hat. Serbien und Bulgarien mögen innerhalb der Grenzen der Berliner
Abmachungen thun, was ihnen gut und nützlich dünkt,, und es ist uns gleich-
giltig, ob dort die Dynastie des schwarzen Georg oder die Familie Obreno-
witsch auf dem Königsthron sitzt oder ob der Fürst Alexander oder Ferdinand
heißt, wenn er nur seine Pflicht und Schuldigkeit gegen Europa, d. h. gegen
dessen Vertreter, die Großmächte, und deren in Berlin vertragsmäßig nns-
gesprvchnen Willen thut. Wenn durch die Revolution von Philippvpel, die
Vereinigung Bulgariens mit Ostrumelien und durch Nichteinholuug der Be¬
stätigung der Wahl des Kvbnrgers in Sofia, zu der die Großmächte ihre
Einwilligung zu erteilen hatten, dagegen verstoßen worden ist, so haben wir
das als Rechtsbruch stillschweigend gemißbilligt, und weder ein Großbulgaricn
noch ein Fürst Ferdinand an seiner Spitze existirt für uns; aber zu irgend
welchem Einschreiten dagegen konnten wir uns nicht berufen finden.
So viel über unsre Stellung zu deu Fragen, die zunächst zu einem Kriege
führen könnten. Englische Blätter wollten wissen, daß in diplomatischen Kreisen
Petersburgs vom Ausbruch eines solchen im nächsten Frühjahr die Rede ge¬
wesen sei, und wollte» dieses Gerücht für glaubwürdig schou deshalb ansehen,
weil der bewaffnete Friede die Nationen Europas »»erträglich belaste. Wir
Deutschen fühlen diese Unerträglichkeit nicht, geben aber die Schwere der Last
zu, so sehr sie mich durch die Überzeugung erleichtert wird, daß der Heeres¬
dienst für die Ratio» eine Schul»»g zu höchst wertvollen Tugenden sei. Andre
Völker aber mögen ja anders empfinden. Die Friedensstärke der Heere ist jetzt
allenthalben wohl das Doppelte ihrer Kriegsstärke vor fünfzig Jahren, und
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