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Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Viertes Vierteljahr.

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Friedenshoffnungen

6. Februar 1888 vor dein Reichstage abgab, und die im wesentlichen darauf
hinausliefen, die deutsche Politik stehe diesen Fragen und namentlich der bul¬
garischen objektiv gegenüber. Und das ist heute wie zur Zeit jener großen
Rede die Wahrheit, was auch die Blätter fabeln, die jetzt wie damals das
Interesse der bulgarischen Machthaber vertreten. Eins dieser Organe behauptete
vor kurzem, schon deshalb, weil alle realpvlitischen Auffassungen mit der Ver¬
änderung der Dinge wechselten, könnte nicht die Rede davon sein, daß der
deutsche Reichskanzler gegenwärtig über Bulgarien noch so denke wie vor
anderthalb Jahren. Nun wird zwar der Reichskanzler ohne Zweifel immer
bereit gewesen sein, seiue Ansichten im Hinblick auf die Entwicklung der Dinge
zu ändern, nur unterläßt das Blatt, uus zu sagen, wie er auf diesem Wege
dahin hätte gelangen müssen, sich für den Prinzen von Koburg und das Re¬
giment seiner Herren Minister zu begeistern und sich irgendwie der Meinung
zu nähern, es sei gestattet oder geboten, einem selbständigen Leben der Bul¬
garen gegen das vertragsmäßige Recht und die wohlerworbenen Ansprüche
Rußlands Vorschub zu leisten. '

Wie dem allen auch sei, gewiß scheint bis auf weiteres, daß die Reife
des Zaren nach Berlin zu einer Besserung des bisherigen Verhältnisses zwischen
Deutschland und Rußland geführt hat. Sie hat bei uus die Überzeugung be¬
festigt, daß der Zar für seine Person den Frieden liebt und will, und daß er
verstündiger Vorstellung zugänglich ist. Sie hat seine Besorgnisse verscheucht
oder doch gemindert, sein Vertrauen auf den guten Willen des Lenkers der
deutschen Politik gestärkt, und sie wird nicht verfehlen, auch auf die Parteien
zu wirken, die in Rußland neben dem Träger der Krone Politik zu machen
streben und bisher andern Anschauungen huldigten als er. Welche andern Er¬
gebnisse die Begegnung der beiden Kaiser auch haben mag, hier kann sie vor
der Hand nur ein erfreuliches haben: sie muß schlechterdings dazu beitragen,
dem Haß einflußreicher russischer Kreise gegen Deutschland, der, in den letzten
Jahren fortdauernd gestiegen, vor kurzem fast unlenkbar, ja fast unaufhaltsam
geworden zu Schein schien, wieder zu beschwichtigen und unter seine Dämme zu
bannen. Es giebt eine öffentliche Meinung in Rußland, aber noch ist der
Zar ihr gegenüber eine Macht und ein Beispiel und Muster. Vermag er aber
einmal die wieder gestiegne Flut nicht mehr zu bündigen, wie sein Vater nud
Vorgänger auf dem Throne dies vor dem letzten Türkenkriege nicht mehr ver¬
mochte -- nun denn in Gottes Namen, so werden wir und unsre Freunde im
Dreibunde dafür sorgen müssen und zu sorgen wissen, daß die Bäume nicht
in deu Himmel wachsen. Für jetzt und die nächste Zeit ist solche unliebsame
Pflicht nicht zu befürchten. Freuen wir uns dessen, aber hüten wir uns, über
den Friedenshoffnnngen die Hände in den Schoß zu legen und die Angen vor
der Möglichkeit zu schließen, daß wir uus mit ihnen tänscyen.

Wir knüpfen hieran noch eine andre Betrachtung. Die Balkaufrage ist und


Friedenshoffnungen

6. Februar 1888 vor dein Reichstage abgab, und die im wesentlichen darauf
hinausliefen, die deutsche Politik stehe diesen Fragen und namentlich der bul¬
garischen objektiv gegenüber. Und das ist heute wie zur Zeit jener großen
Rede die Wahrheit, was auch die Blätter fabeln, die jetzt wie damals das
Interesse der bulgarischen Machthaber vertreten. Eins dieser Organe behauptete
vor kurzem, schon deshalb, weil alle realpvlitischen Auffassungen mit der Ver¬
änderung der Dinge wechselten, könnte nicht die Rede davon sein, daß der
deutsche Reichskanzler gegenwärtig über Bulgarien noch so denke wie vor
anderthalb Jahren. Nun wird zwar der Reichskanzler ohne Zweifel immer
bereit gewesen sein, seiue Ansichten im Hinblick auf die Entwicklung der Dinge
zu ändern, nur unterläßt das Blatt, uus zu sagen, wie er auf diesem Wege
dahin hätte gelangen müssen, sich für den Prinzen von Koburg und das Re¬
giment seiner Herren Minister zu begeistern und sich irgendwie der Meinung
zu nähern, es sei gestattet oder geboten, einem selbständigen Leben der Bul¬
garen gegen das vertragsmäßige Recht und die wohlerworbenen Ansprüche
Rußlands Vorschub zu leisten. '

Wie dem allen auch sei, gewiß scheint bis auf weiteres, daß die Reife
des Zaren nach Berlin zu einer Besserung des bisherigen Verhältnisses zwischen
Deutschland und Rußland geführt hat. Sie hat bei uus die Überzeugung be¬
festigt, daß der Zar für seine Person den Frieden liebt und will, und daß er
verstündiger Vorstellung zugänglich ist. Sie hat seine Besorgnisse verscheucht
oder doch gemindert, sein Vertrauen auf den guten Willen des Lenkers der
deutschen Politik gestärkt, und sie wird nicht verfehlen, auch auf die Parteien
zu wirken, die in Rußland neben dem Träger der Krone Politik zu machen
streben und bisher andern Anschauungen huldigten als er. Welche andern Er¬
gebnisse die Begegnung der beiden Kaiser auch haben mag, hier kann sie vor
der Hand nur ein erfreuliches haben: sie muß schlechterdings dazu beitragen,
dem Haß einflußreicher russischer Kreise gegen Deutschland, der, in den letzten
Jahren fortdauernd gestiegen, vor kurzem fast unlenkbar, ja fast unaufhaltsam
geworden zu Schein schien, wieder zu beschwichtigen und unter seine Dämme zu
bannen. Es giebt eine öffentliche Meinung in Rußland, aber noch ist der
Zar ihr gegenüber eine Macht und ein Beispiel und Muster. Vermag er aber
einmal die wieder gestiegne Flut nicht mehr zu bündigen, wie sein Vater nud
Vorgänger auf dem Throne dies vor dem letzten Türkenkriege nicht mehr ver¬
mochte — nun denn in Gottes Namen, so werden wir und unsre Freunde im
Dreibunde dafür sorgen müssen und zu sorgen wissen, daß die Bäume nicht
in deu Himmel wachsen. Für jetzt und die nächste Zeit ist solche unliebsame
Pflicht nicht zu befürchten. Freuen wir uns dessen, aber hüten wir uns, über
den Friedenshoffnnngen die Hände in den Schoß zu legen und die Angen vor
der Möglichkeit zu schließen, daß wir uus mit ihnen tänscyen.

Wir knüpfen hieran noch eine andre Betrachtung. Die Balkaufrage ist und


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_205998/211>, abgerufen am 30.06.2024.