Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Viertes Vierteljahr.Maßgebliches und Unmaßgebliches Mit dieser Fürsprache für die tanzlustige Dorfjugend soll natürlich nicht etwa Der Michel ist ein trüber Wicht, Mit einem solchen trüben Wicht geschieht von drei Dingen eins. Entweder er wird Die Zusammendrängung der Menschen und die Verwicklung der Verhältnisse Maßgebliches und Unmaßgebliches Mit dieser Fürsprache für die tanzlustige Dorfjugend soll natürlich nicht etwa Der Michel ist ein trüber Wicht, Mit einem solchen trüben Wicht geschieht von drei Dingen eins. Entweder er wird Die Zusammendrängung der Menschen und die Verwicklung der Verhältnisse <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0204" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/206203"/> <fw type="header" place="top"> Maßgebliches und Unmaßgebliches</fw><lb/> <p xml:id="ID_709" next="#ID_710"> Mit dieser Fürsprache für die tanzlustige Dorfjugend soll natürlich nicht etwa<lb/> das cäsarische „Brot und Spiele" empfohlen werden oder gar das Rezept Metternichs:<lb/> den Geist des Volkes im Phäalentum zu ersäufen. Sondern ich denke nur an ein<lb/> Sprüchlein mis der Zeit, da msrr^ viel MA-Jana puritanisch N'urbe: ^11 porte auel<lb/> ne> xls,/ nmKsL ^g.oll clM do^:</p><lb/> <quote> Der Michel ist ein trüber Wicht,<lb/> Weils ihm an jedem Spaß gebricht.</quote><lb/> <p xml:id="ID_710" prev="#ID_709"> Mit einem solchen trüben Wicht geschieht von drei Dingen eins. Entweder er wird<lb/> ein schlapper Mensch, der uns weder auf dem Schlachtfelde noch im gewerblichen<lb/> Wettkampf Lorbeeren holt. Oder die an der natürlichen Äußerung verhinderten<lb/> Lebenskräfte wühlen und bohren inwendig und machen ans dem harmlosen Burschen<lb/> einen giftigen Fanatiker oder einen verbissenen Verschwörer. Daß alle zurück¬<lb/> gedrängte Spannkraft sich in nützlichem Schaffen entladen sollte, ist nicht zu erwarten,<lb/> denn der Durchschnittsmensch ist weder ein Held noch ein Heiliger. Shakespeares<lb/> Cäsar null fette Leute um sich sehen; jede verständige Regierung aber wird sich<lb/> ein fröhliches Volk wünschen, daS ist ein zufriedenes, glückliches und gesundes Volk.<lb/> Außerdem: je seltener die natürliche Lustigkeit der Jugend und des Volkes Gelegen¬<lb/> heit hat, sich in allerlei Äußerungen zu üben, desto täppischer und gröber fällt es<lb/> aus, wenn sie es einmal wagen darf. Hie und da machen sich die gewaltsam<lb/> zurückgedrängten Lebensgeister Wohl auch in einem viehischen Verbrechen Luft.</p><lb/> <p xml:id="ID_711" next="#ID_712"> Die Zusammendrängung der Menschen und die Verwicklung der Verhältnisse<lb/> bringen ja Einschränkungen aller Art mit sich, in der Stadt noch mehr als auf<lb/> dem Lande. Schon Goethe bedauerte die arme» Kleinen Weimars, die sich bei<lb/> ihren Spiele» vor der Polizei fürchteten, und beklagte es, daß kein Bursche mehr<lb/> mit der Peitsche knalle» dürfe (Gespräch mit Eckermaun am 12. März 1828).<lb/> Wenn ich früh um ein halb sechs Uhr einen Bäckerjungen dnrch die Straße pfeifen<lb/> hören könnte, so würde ich mich dreimal freuen. Erstens, weil zur frischen Morgen¬<lb/> luft ein frischer Pfiff gar trefflich paßt und die muntere Arbeitsstimmung erhöht.<lb/> Zweitens, weil ich denken müßte: Wackerer Bursche, der die Müdigkeit der durch¬<lb/> wachten und durchschwitzten Nacht sich wegpfeift! Möge ihn die Plage seines Be¬<lb/> rufes niemals zum Hypochonder mache»! Drittens, weil ich ja dann nicht mehr<lb/> taub wäre. Aber die Hvnoratiore» im Städtchen denken anders. Sie sind alle<lb/> mit einander nervös. Die Fliege an der Wand ärgert sie, wie viel mehr ein fünf<lb/> Schuh langer Junge, der pfeift oder springt. Auch haben sie alle viel Nachtarbeit<lb/> im Verein und im Klub und wollen im Morgenschlaf nicht gestört sein. Und so<lb/> entladet sich denu zuerst ein polizeiliches Donnerwetter über den frevlen Honvratioren-<lb/> nervenpeiniger und dann noch ein publizistisches im Klatschblättchen des Ortes. In<lb/> der Zeit meiner Kinderjahre pflegten Lehrjungen und Schüler des Abends Arm in<lb/> Arm singend durchs Städtchen zu ziehen. Ich erinnere mich noch, wie ich einmal<lb/> schon im Bett lag und die Mutter mir sagte: Hör doch, was für ein schönes Lied<lb/> die singen! Als Gymnasiast bin ich mit »'einen Kameraden zwar nicht »lehr durchs<lb/> Städtchen, aber im Freie» stundenlangj singend, mitunter auch brüllend umher¬<lb/> gezogen. Heute würde die ganze Polizei der Schlag rühren, wenn einmal Gesang<lb/> in den Straßen ertönte. Aber auch im Freien hört man keinen. Trifft man<lb/> einmal Gymnasiasten außerhalb der Stadt, was nicht oft vorkommt, so schreiten<lb/> sie — natürlich in Glacehandschuhen — als gesetzte junge Herren neben einander<lb/> her, im Flüstertöne sich unterhaltend. Als vor ein paar Jahren der Kultusminister<lb/> öftere Schülerspazicrgäuge angeordnet hatte, machte die Masse, in der der Einzelne</p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0204]
Maßgebliches und Unmaßgebliches
Mit dieser Fürsprache für die tanzlustige Dorfjugend soll natürlich nicht etwa
das cäsarische „Brot und Spiele" empfohlen werden oder gar das Rezept Metternichs:
den Geist des Volkes im Phäalentum zu ersäufen. Sondern ich denke nur an ein
Sprüchlein mis der Zeit, da msrr^ viel MA-Jana puritanisch N'urbe: ^11 porte auel
ne> xls,/ nmKsL ^g.oll clM do^:
Der Michel ist ein trüber Wicht,
Weils ihm an jedem Spaß gebricht.
Mit einem solchen trüben Wicht geschieht von drei Dingen eins. Entweder er wird
ein schlapper Mensch, der uns weder auf dem Schlachtfelde noch im gewerblichen
Wettkampf Lorbeeren holt. Oder die an der natürlichen Äußerung verhinderten
Lebenskräfte wühlen und bohren inwendig und machen ans dem harmlosen Burschen
einen giftigen Fanatiker oder einen verbissenen Verschwörer. Daß alle zurück¬
gedrängte Spannkraft sich in nützlichem Schaffen entladen sollte, ist nicht zu erwarten,
denn der Durchschnittsmensch ist weder ein Held noch ein Heiliger. Shakespeares
Cäsar null fette Leute um sich sehen; jede verständige Regierung aber wird sich
ein fröhliches Volk wünschen, daS ist ein zufriedenes, glückliches und gesundes Volk.
Außerdem: je seltener die natürliche Lustigkeit der Jugend und des Volkes Gelegen¬
heit hat, sich in allerlei Äußerungen zu üben, desto täppischer und gröber fällt es
aus, wenn sie es einmal wagen darf. Hie und da machen sich die gewaltsam
zurückgedrängten Lebensgeister Wohl auch in einem viehischen Verbrechen Luft.
Die Zusammendrängung der Menschen und die Verwicklung der Verhältnisse
bringen ja Einschränkungen aller Art mit sich, in der Stadt noch mehr als auf
dem Lande. Schon Goethe bedauerte die arme» Kleinen Weimars, die sich bei
ihren Spiele» vor der Polizei fürchteten, und beklagte es, daß kein Bursche mehr
mit der Peitsche knalle» dürfe (Gespräch mit Eckermaun am 12. März 1828).
Wenn ich früh um ein halb sechs Uhr einen Bäckerjungen dnrch die Straße pfeifen
hören könnte, so würde ich mich dreimal freuen. Erstens, weil zur frischen Morgen¬
luft ein frischer Pfiff gar trefflich paßt und die muntere Arbeitsstimmung erhöht.
Zweitens, weil ich denken müßte: Wackerer Bursche, der die Müdigkeit der durch¬
wachten und durchschwitzten Nacht sich wegpfeift! Möge ihn die Plage seines Be¬
rufes niemals zum Hypochonder mache»! Drittens, weil ich ja dann nicht mehr
taub wäre. Aber die Hvnoratiore» im Städtchen denken anders. Sie sind alle
mit einander nervös. Die Fliege an der Wand ärgert sie, wie viel mehr ein fünf
Schuh langer Junge, der pfeift oder springt. Auch haben sie alle viel Nachtarbeit
im Verein und im Klub und wollen im Morgenschlaf nicht gestört sein. Und so
entladet sich denu zuerst ein polizeiliches Donnerwetter über den frevlen Honvratioren-
nervenpeiniger und dann noch ein publizistisches im Klatschblättchen des Ortes. In
der Zeit meiner Kinderjahre pflegten Lehrjungen und Schüler des Abends Arm in
Arm singend durchs Städtchen zu ziehen. Ich erinnere mich noch, wie ich einmal
schon im Bett lag und die Mutter mir sagte: Hör doch, was für ein schönes Lied
die singen! Als Gymnasiast bin ich mit »'einen Kameraden zwar nicht »lehr durchs
Städtchen, aber im Freie» stundenlangj singend, mitunter auch brüllend umher¬
gezogen. Heute würde die ganze Polizei der Schlag rühren, wenn einmal Gesang
in den Straßen ertönte. Aber auch im Freien hört man keinen. Trifft man
einmal Gymnasiasten außerhalb der Stadt, was nicht oft vorkommt, so schreiten
sie — natürlich in Glacehandschuhen — als gesetzte junge Herren neben einander
her, im Flüstertöne sich unterhaltend. Als vor ein paar Jahren der Kultusminister
öftere Schülerspazicrgäuge angeordnet hatte, machte die Masse, in der der Einzelne
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