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Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Viertes Vierteljahr.

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Erinnerungen an F. Th, Bischer

täglich eine Welle Gesellschaft, damit sie sich in der Einsamkeit bei ihm nicht
zu sehr langweilte. Im Wirtshause setzte er sich abends, wenn er keinen seiner
alten Herren traf, oft an den Tisch der Studenten und machte Scherze mit ihnen.
Kaum wies er je einen Besuch ab; mitten von der Arbeit stand er auf, ihn
zu empfangen. Briefschulden nahm er sehr gewissenhaft, so sauer es ihm oft
ankam, alle dichterischen Zusendungen zu beurteilen. Wenn er tadeln oder
ablehnen mußte, so hüllte er sein Urteil in die mildesten Worte. Für Frnueu
hatte er die größte Artigkeit bereit. Er verfehlte keinen der bestimmten Kaffee¬
abende bei den alten Freundinnen, Pfarrerin Hartlaub, Witwe Märklin n. s. w.,
weil er wußte, wie viel Freude er ihnen machte. Dabei war er unerschöpflich
in Erzählungen aus seinem langen, erfahrungsreicher Leben, von seinen
Freunden Mörike, Strauß, Auerbach, vou seinen Wanderungen durch Griechen¬
land, Italien, Deutschland, von seinen Beobachtungen des Volkslebens an allen
Orten. Bischer hatte die seltne Gabe, sich mit dem Boll unmittelbar ver¬
ständigen zu können. "Die Bauern der Dörfer, in denen er Geistlicher ge¬
wesen, die Wirtsleute, bei denen er abgestiegen war, die Leute, die für ihn
gearbeitet hatten, alle erinnerten sich gern an ihn, wußten von ihm zu erzählen.
Seine Schwägerin sagte mir mit Recht: "Großen Anteil an diesem Eindruck
hatte seiue sympathische Stimme, denn für diese haben die Menschen oft viel
mehr Empfindung als für die Worte". Als in den siebziger Jahren Krawall
in Stuttgart war, fand Bischer, als er zum Nachtessen in sein Wirtshaus
"Zur Schule" gehen wollte, die Straßen von einer Linie Soldaten gesperrt.
Keine Möglichkeit, in die Quergasse zu gelange", sie hielte" die Bajonette vor.
Da trat er auf einen der wackern Burschen zu und sagte- "Wisset Sie, jetzt
hab' i de ganze Tag ".'schafft, jetzt muß i an ebbes z'esse hau ^ lasse Sie
mi durch, daß i in mein' Kneip komm." Der Soldat sah ihm ins Gesicht:
"Ja, besah wieder ebbes anders," erwiederte er kopfnickend, und Bischer konnte
ungehindert durchgehe,?." Diese seine gute Laune nahm Bischer auch aufs
Katheder mit. "Als er in Tübingen Kolleg las, nahmen sich auf den hintersten
Bänken einige junge Leute die Freiheit zu rauchen. "Meine Herren -- rief
er -- ich mache Ihnen hier keinen blauen Dunst vor, ich ersuche Sie, mir
aber auch keinen vorzumachen."" Nichts war ihm widerwärtiger als Senti¬
mentalität. Er war streug gegen alles, was bloße Schwärmerei, Gefühls-
schwelgerei genannt werden kann. So sagte er einmal in einer Vorlesung:
"Gefühl hat keinen Paß! zu den? Gefühl sagt man mit Recht: weise dich durch
Thaten aus als das, was du zu sein behauptest -- nicht durch die enthusi¬
astische That, die beweist nichts, aber durch lauge Geduldsproben, durch Ent¬
sagung, durch Aufopferung. Mit seinem Hymnus auf das - Gefühl, das alles
ist" wird FausteGretchens Mörder."

Von Bischer auf dem Katheder berichtet Ilse Frapan mit wahrer Be-
geisterung. Im höchsten Maße besaß er die Kunst zu sprechen, dichterische


Erinnerungen an F. Th, Bischer

täglich eine Welle Gesellschaft, damit sie sich in der Einsamkeit bei ihm nicht
zu sehr langweilte. Im Wirtshause setzte er sich abends, wenn er keinen seiner
alten Herren traf, oft an den Tisch der Studenten und machte Scherze mit ihnen.
Kaum wies er je einen Besuch ab; mitten von der Arbeit stand er auf, ihn
zu empfangen. Briefschulden nahm er sehr gewissenhaft, so sauer es ihm oft
ankam, alle dichterischen Zusendungen zu beurteilen. Wenn er tadeln oder
ablehnen mußte, so hüllte er sein Urteil in die mildesten Worte. Für Frnueu
hatte er die größte Artigkeit bereit. Er verfehlte keinen der bestimmten Kaffee¬
abende bei den alten Freundinnen, Pfarrerin Hartlaub, Witwe Märklin n. s. w.,
weil er wußte, wie viel Freude er ihnen machte. Dabei war er unerschöpflich
in Erzählungen aus seinem langen, erfahrungsreicher Leben, von seinen
Freunden Mörike, Strauß, Auerbach, vou seinen Wanderungen durch Griechen¬
land, Italien, Deutschland, von seinen Beobachtungen des Volkslebens an allen
Orten. Bischer hatte die seltne Gabe, sich mit dem Boll unmittelbar ver¬
ständigen zu können. „Die Bauern der Dörfer, in denen er Geistlicher ge¬
wesen, die Wirtsleute, bei denen er abgestiegen war, die Leute, die für ihn
gearbeitet hatten, alle erinnerten sich gern an ihn, wußten von ihm zu erzählen.
Seine Schwägerin sagte mir mit Recht: »Großen Anteil an diesem Eindruck
hatte seiue sympathische Stimme, denn für diese haben die Menschen oft viel
mehr Empfindung als für die Worte«. Als in den siebziger Jahren Krawall
in Stuttgart war, fand Bischer, als er zum Nachtessen in sein Wirtshaus
»Zur Schule« gehen wollte, die Straßen von einer Linie Soldaten gesperrt.
Keine Möglichkeit, in die Quergasse zu gelange«, sie hielte» die Bajonette vor.
Da trat er auf einen der wackern Burschen zu und sagte- »Wisset Sie, jetzt
hab' i de ganze Tag «.'schafft, jetzt muß i an ebbes z'esse hau ^ lasse Sie
mi durch, daß i in mein' Kneip komm.« Der Soldat sah ihm ins Gesicht:
»Ja, besah wieder ebbes anders,« erwiederte er kopfnickend, und Bischer konnte
ungehindert durchgehe,?." Diese seine gute Laune nahm Bischer auch aufs
Katheder mit. „Als er in Tübingen Kolleg las, nahmen sich auf den hintersten
Bänken einige junge Leute die Freiheit zu rauchen. »Meine Herren — rief
er — ich mache Ihnen hier keinen blauen Dunst vor, ich ersuche Sie, mir
aber auch keinen vorzumachen.«" Nichts war ihm widerwärtiger als Senti¬
mentalität. Er war streug gegen alles, was bloße Schwärmerei, Gefühls-
schwelgerei genannt werden kann. So sagte er einmal in einer Vorlesung:
„Gefühl hat keinen Paß! zu den? Gefühl sagt man mit Recht: weise dich durch
Thaten aus als das, was du zu sein behauptest — nicht durch die enthusi¬
astische That, die beweist nichts, aber durch lauge Geduldsproben, durch Ent¬
sagung, durch Aufopferung. Mit seinem Hymnus auf das - Gefühl, das alles
ist« wird FausteGretchens Mörder."

Von Bischer auf dem Katheder berichtet Ilse Frapan mit wahrer Be-
geisterung. Im höchsten Maße besaß er die Kunst zu sprechen, dichterische


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[0196] Erinnerungen an F. Th, Bischer täglich eine Welle Gesellschaft, damit sie sich in der Einsamkeit bei ihm nicht zu sehr langweilte. Im Wirtshause setzte er sich abends, wenn er keinen seiner alten Herren traf, oft an den Tisch der Studenten und machte Scherze mit ihnen. Kaum wies er je einen Besuch ab; mitten von der Arbeit stand er auf, ihn zu empfangen. Briefschulden nahm er sehr gewissenhaft, so sauer es ihm oft ankam, alle dichterischen Zusendungen zu beurteilen. Wenn er tadeln oder ablehnen mußte, so hüllte er sein Urteil in die mildesten Worte. Für Frnueu hatte er die größte Artigkeit bereit. Er verfehlte keinen der bestimmten Kaffee¬ abende bei den alten Freundinnen, Pfarrerin Hartlaub, Witwe Märklin n. s. w., weil er wußte, wie viel Freude er ihnen machte. Dabei war er unerschöpflich in Erzählungen aus seinem langen, erfahrungsreicher Leben, von seinen Freunden Mörike, Strauß, Auerbach, vou seinen Wanderungen durch Griechen¬ land, Italien, Deutschland, von seinen Beobachtungen des Volkslebens an allen Orten. Bischer hatte die seltne Gabe, sich mit dem Boll unmittelbar ver¬ ständigen zu können. „Die Bauern der Dörfer, in denen er Geistlicher ge¬ wesen, die Wirtsleute, bei denen er abgestiegen war, die Leute, die für ihn gearbeitet hatten, alle erinnerten sich gern an ihn, wußten von ihm zu erzählen. Seine Schwägerin sagte mir mit Recht: »Großen Anteil an diesem Eindruck hatte seiue sympathische Stimme, denn für diese haben die Menschen oft viel mehr Empfindung als für die Worte«. Als in den siebziger Jahren Krawall in Stuttgart war, fand Bischer, als er zum Nachtessen in sein Wirtshaus »Zur Schule« gehen wollte, die Straßen von einer Linie Soldaten gesperrt. Keine Möglichkeit, in die Quergasse zu gelange«, sie hielte» die Bajonette vor. Da trat er auf einen der wackern Burschen zu und sagte- »Wisset Sie, jetzt hab' i de ganze Tag «.'schafft, jetzt muß i an ebbes z'esse hau ^ lasse Sie mi durch, daß i in mein' Kneip komm.« Der Soldat sah ihm ins Gesicht: »Ja, besah wieder ebbes anders,« erwiederte er kopfnickend, und Bischer konnte ungehindert durchgehe,?." Diese seine gute Laune nahm Bischer auch aufs Katheder mit. „Als er in Tübingen Kolleg las, nahmen sich auf den hintersten Bänken einige junge Leute die Freiheit zu rauchen. »Meine Herren — rief er — ich mache Ihnen hier keinen blauen Dunst vor, ich ersuche Sie, mir aber auch keinen vorzumachen.«" Nichts war ihm widerwärtiger als Senti¬ mentalität. Er war streug gegen alles, was bloße Schwärmerei, Gefühls- schwelgerei genannt werden kann. So sagte er einmal in einer Vorlesung: „Gefühl hat keinen Paß! zu den? Gefühl sagt man mit Recht: weise dich durch Thaten aus als das, was du zu sein behauptest — nicht durch die enthusi¬ astische That, die beweist nichts, aber durch lauge Geduldsproben, durch Ent¬ sagung, durch Aufopferung. Mit seinem Hymnus auf das - Gefühl, das alles ist« wird FausteGretchens Mörder." Von Bischer auf dem Katheder berichtet Ilse Frapan mit wahrer Be- geisterung. Im höchsten Maße besaß er die Kunst zu sprechen, dichterische

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_205998/196>, abgerufen am 22.12.2024.