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Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Viertes Vierteljahr.

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Erinnerungen an F. Th, Bischer

Zeit, den Begründer unsrer Ästhetik sich als ein "Original" vorstellen zu müssen,
konnte aber kaum erfreulich sein. Daß uns nun dieses mehr tragisch-rührende
als ehrfurchtgebietende Bild Wischers durch ein andres, würdigeres, mit liebe¬
vollster Sorgfalt und mit vertrauenerweckender Wahrhaftigkeit aus genauer
Kenntnis des wirklichen Bischer entworfenes Bild ersetzt wird, verdanken wir
den Vischer-Erinnerungen von Ilse Frapan.'^) Dies heben wir zunächst
als ein unzweifelhaftes Verdienst ihres liebenswürdigen Buches hervor. Wenn
es anch sonst nichts als diese Belehrung erteilte, so wäre seine Veröffentlichung,
die von manchen Seiten mit Tadel aufgenommen worden ist, durchaus gerecht¬
fertigt. Ilse Frapan hat Bischer erst in seinen letzten Lebensjahren, 1883,
kennen gelernt. Bon Hamburg aus war sie lernbegierig nach Stuttgart ge¬
pilgert, nachdem ein aufmunternder Brief Bischers und sein Roman sie in
Begeisterung für ihn versetzt hatten. Er selbst war es dann, der sie in die
Stuttgarter Gesellschaftskreise einführte, und sie hatte bis zu seinem achtzigsten
Geburtstage (30. Juni 1886) viel Gelegenheit, ihn im Hörsanl, im eignen
Heim und in Gesellschaft zu hören, zu sehen und zu sprechen. Sie machte
sich fleißig Notizen, schrieb alles auf, was ihr von seinen Gesprächen und
Äußerungen im Gedächtnis blieb, vertiefte sich, wie man anerkennen muß, mit
Erfolg in seine Lehre und in seine Dichtungen, horchte auch auf das, was
andre Menschen seines Kreises von ihm zu erzählen wußten, kam sogar mit
seiner Familie in nähere Berührung, und aus diesem reichen Stoff entstand
ihr Buch. Dies Buch soll weder der in Aussicht gestellte" ausführlichen
Lebensbeschreibung Wischers von Richard Weltrich, noch der Ausgabe von
Vischers Briefen, die sein Sohn plant, den Weg verstellen; es soll nur einst¬
weilen, bis jene schwer herzustellenden Werke erschienen sein werden, dem Kreise
von Verehrern Bischers, der wohl das ganze deutsche Volk umsaßt, das Bild
seiner Persönlichkeit vermitteln. Und das ist ein dankenswertes Unternehmen.
Denn Friedrich Theodor Bischer gehört zu jenen höchst seltenen litterarischen
Charakteren, in denen sich der Mensch völlig mit dem Schriftsteller deckt. Seine
Schriften sind Teile seines Lebens, wie bei allen richtigen Künstlernaturen,
und seine volle Persönlichkeit kommt anch in kleinen, zufälligen Äußerungen
seiner Seele zum Ausdruck. Er ist eine jener großen Naturen, die von allen
Seiten gleich zugänglich sind, da er sich immer, ohne es unmittelbar zu be¬
absichtige", als solche ganz gab. Darum der Wert der Anekdote für die
Kenntnis seines Charakters, darum unser lebhaftes Interesse für sein ganzes
Privatleben. Bischer ist einer der wahrhaft großen Typen unsers Volkes, und
er wird es noch mehr werden, je mehr die Wissenschaft sein Bild im Geiste
ausgestalten wird. Eigentlich ist seine Schriftstellerei bei seinen Lebzeiten zu



*) Wischer-Erinnerungen. Äußerungen und Worte. Ein Beitrag zur Biographie
Fr. Th. Wischers von Ilse Frapan. Stuttgart, Göschen, 1889.
Greuzlwten IV 1839 24
Erinnerungen an F. Th, Bischer

Zeit, den Begründer unsrer Ästhetik sich als ein „Original" vorstellen zu müssen,
konnte aber kaum erfreulich sein. Daß uns nun dieses mehr tragisch-rührende
als ehrfurchtgebietende Bild Wischers durch ein andres, würdigeres, mit liebe¬
vollster Sorgfalt und mit vertrauenerweckender Wahrhaftigkeit aus genauer
Kenntnis des wirklichen Bischer entworfenes Bild ersetzt wird, verdanken wir
den Vischer-Erinnerungen von Ilse Frapan.'^) Dies heben wir zunächst
als ein unzweifelhaftes Verdienst ihres liebenswürdigen Buches hervor. Wenn
es anch sonst nichts als diese Belehrung erteilte, so wäre seine Veröffentlichung,
die von manchen Seiten mit Tadel aufgenommen worden ist, durchaus gerecht¬
fertigt. Ilse Frapan hat Bischer erst in seinen letzten Lebensjahren, 1883,
kennen gelernt. Bon Hamburg aus war sie lernbegierig nach Stuttgart ge¬
pilgert, nachdem ein aufmunternder Brief Bischers und sein Roman sie in
Begeisterung für ihn versetzt hatten. Er selbst war es dann, der sie in die
Stuttgarter Gesellschaftskreise einführte, und sie hatte bis zu seinem achtzigsten
Geburtstage (30. Juni 1886) viel Gelegenheit, ihn im Hörsanl, im eignen
Heim und in Gesellschaft zu hören, zu sehen und zu sprechen. Sie machte
sich fleißig Notizen, schrieb alles auf, was ihr von seinen Gesprächen und
Äußerungen im Gedächtnis blieb, vertiefte sich, wie man anerkennen muß, mit
Erfolg in seine Lehre und in seine Dichtungen, horchte auch auf das, was
andre Menschen seines Kreises von ihm zu erzählen wußten, kam sogar mit
seiner Familie in nähere Berührung, und aus diesem reichen Stoff entstand
ihr Buch. Dies Buch soll weder der in Aussicht gestellte» ausführlichen
Lebensbeschreibung Wischers von Richard Weltrich, noch der Ausgabe von
Vischers Briefen, die sein Sohn plant, den Weg verstellen; es soll nur einst¬
weilen, bis jene schwer herzustellenden Werke erschienen sein werden, dem Kreise
von Verehrern Bischers, der wohl das ganze deutsche Volk umsaßt, das Bild
seiner Persönlichkeit vermitteln. Und das ist ein dankenswertes Unternehmen.
Denn Friedrich Theodor Bischer gehört zu jenen höchst seltenen litterarischen
Charakteren, in denen sich der Mensch völlig mit dem Schriftsteller deckt. Seine
Schriften sind Teile seines Lebens, wie bei allen richtigen Künstlernaturen,
und seine volle Persönlichkeit kommt anch in kleinen, zufälligen Äußerungen
seiner Seele zum Ausdruck. Er ist eine jener großen Naturen, die von allen
Seiten gleich zugänglich sind, da er sich immer, ohne es unmittelbar zu be¬
absichtige», als solche ganz gab. Darum der Wert der Anekdote für die
Kenntnis seines Charakters, darum unser lebhaftes Interesse für sein ganzes
Privatleben. Bischer ist einer der wahrhaft großen Typen unsers Volkes, und
er wird es noch mehr werden, je mehr die Wissenschaft sein Bild im Geiste
ausgestalten wird. Eigentlich ist seine Schriftstellerei bei seinen Lebzeiten zu



*) Wischer-Erinnerungen. Äußerungen und Worte. Ein Beitrag zur Biographie
Fr. Th. Wischers von Ilse Frapan. Stuttgart, Göschen, 1889.
Greuzlwten IV 1839 24
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[0193] Erinnerungen an F. Th, Bischer Zeit, den Begründer unsrer Ästhetik sich als ein „Original" vorstellen zu müssen, konnte aber kaum erfreulich sein. Daß uns nun dieses mehr tragisch-rührende als ehrfurchtgebietende Bild Wischers durch ein andres, würdigeres, mit liebe¬ vollster Sorgfalt und mit vertrauenerweckender Wahrhaftigkeit aus genauer Kenntnis des wirklichen Bischer entworfenes Bild ersetzt wird, verdanken wir den Vischer-Erinnerungen von Ilse Frapan.'^) Dies heben wir zunächst als ein unzweifelhaftes Verdienst ihres liebenswürdigen Buches hervor. Wenn es anch sonst nichts als diese Belehrung erteilte, so wäre seine Veröffentlichung, die von manchen Seiten mit Tadel aufgenommen worden ist, durchaus gerecht¬ fertigt. Ilse Frapan hat Bischer erst in seinen letzten Lebensjahren, 1883, kennen gelernt. Bon Hamburg aus war sie lernbegierig nach Stuttgart ge¬ pilgert, nachdem ein aufmunternder Brief Bischers und sein Roman sie in Begeisterung für ihn versetzt hatten. Er selbst war es dann, der sie in die Stuttgarter Gesellschaftskreise einführte, und sie hatte bis zu seinem achtzigsten Geburtstage (30. Juni 1886) viel Gelegenheit, ihn im Hörsanl, im eignen Heim und in Gesellschaft zu hören, zu sehen und zu sprechen. Sie machte sich fleißig Notizen, schrieb alles auf, was ihr von seinen Gesprächen und Äußerungen im Gedächtnis blieb, vertiefte sich, wie man anerkennen muß, mit Erfolg in seine Lehre und in seine Dichtungen, horchte auch auf das, was andre Menschen seines Kreises von ihm zu erzählen wußten, kam sogar mit seiner Familie in nähere Berührung, und aus diesem reichen Stoff entstand ihr Buch. Dies Buch soll weder der in Aussicht gestellte» ausführlichen Lebensbeschreibung Wischers von Richard Weltrich, noch der Ausgabe von Vischers Briefen, die sein Sohn plant, den Weg verstellen; es soll nur einst¬ weilen, bis jene schwer herzustellenden Werke erschienen sein werden, dem Kreise von Verehrern Bischers, der wohl das ganze deutsche Volk umsaßt, das Bild seiner Persönlichkeit vermitteln. Und das ist ein dankenswertes Unternehmen. Denn Friedrich Theodor Bischer gehört zu jenen höchst seltenen litterarischen Charakteren, in denen sich der Mensch völlig mit dem Schriftsteller deckt. Seine Schriften sind Teile seines Lebens, wie bei allen richtigen Künstlernaturen, und seine volle Persönlichkeit kommt anch in kleinen, zufälligen Äußerungen seiner Seele zum Ausdruck. Er ist eine jener großen Naturen, die von allen Seiten gleich zugänglich sind, da er sich immer, ohne es unmittelbar zu be¬ absichtige», als solche ganz gab. Darum der Wert der Anekdote für die Kenntnis seines Charakters, darum unser lebhaftes Interesse für sein ganzes Privatleben. Bischer ist einer der wahrhaft großen Typen unsers Volkes, und er wird es noch mehr werden, je mehr die Wissenschaft sein Bild im Geiste ausgestalten wird. Eigentlich ist seine Schriftstellerei bei seinen Lebzeiten zu *) Wischer-Erinnerungen. Äußerungen und Worte. Ein Beitrag zur Biographie Fr. Th. Wischers von Ilse Frapan. Stuttgart, Göschen, 1889. Greuzlwten IV 1839 24

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_205998/193>, abgerufen am 30.06.2024.