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Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Viertes Vierteljahr.

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Der I'raeeeptur Lrermaniae

römischen Geistes in Deutschlands und so drang er auf ihre gründliche Um¬
gestaltung, Indes hat Melanchthon auch nach dem Verrauschen des ersten
Sturmes und Dranges der Reformation seine Überzeugung von der Not-
wendigkeit einer Neubildung der Universitäten festgehalten. Daß die scholastische
Philosophie und Theologie kein geeignetes Bildungsmittel sei und durch
biblische Theologie, Lektüre der Klassiker und Studium des Urtextes der heiligen
Schrift ersetzt werden müsse, blieb eine seiner Grundanschauungen, nur machte
er sie nicht mehr so grob und ungestüm geltend.

Wie sollte sich nnn nach Melanchthons grundsätzlichen Anschauungen über
Schulen nud Lehrer die neue Schule gestalten und gliedern? Für die Volks¬
schule, die unterste Stufe, haben wir keinen Plan von ihm. Der Humanist
sah im Latein die eigentliche Sprache des Unterrichts und der Bildung, und
so war ihm das erste Glied seines Organismus die dreiklassige Lateinschule,
die er im letzten Kapitel des "Unterrichts der Visitatvreu an die Pfarrherren
im Kurfürstentum Sachsen" (1528) zeichnet. In die unterste Klasse (Melanch¬
thon sagt "Haufen") werden die Anfänger verteilt, die man im Lesen und
Schreiben sowie in den einfachsten Regeln der lateinischen Grammatik unter¬
weise. Als Fibel dient "Der Kinder Handbüchlein" mit dem Alphabet, den
Geboten, dem Vaterunser und dem Glauben; die Anfangsgründe des Lateinischen
werden aus dem Donat und der Seutenzensammlung des Cato gelernt, womit
begonnen wird, sobald die Fibel eingeprägt ist. Haben die Schüler des ersten
Haufens ihr Ziel erreicht, so werden sie in den zweiten aufgenommen, wo
Musik (Gesang), Grammatik (hier die Hauptsache) und Religion gelehrt werden.
Man beginnt hier zur Befestigung der grammatischen Kenntnisse mit einer
Auslegung der Fabeln des Äfvp, die Wort für Wort mit Deklination und
Konjugation erklärt werden, was am nächsten Morgen von den Kindern wieder¬
holt wird. Haben sie auch die Regeln der Konstruktion sich angeeignet, so
läßt man sie fleißig konstruiren. Äsvp vertritt also die Stelle einer Chresto¬
mathie, eines Hilfsbuchs für die Grammatik, deren Deklinationen und Kon¬
jugationen an seinen lehrreichen Fabeln praktisch eingeübt werden. Nach der
Vesper soll hierauf die ?g,so!o1uKig, des Mosellanus, eine Sammlung von Ge¬
sprächen über verschiedne Gegenstände, meist des Unterrichts, erklärt werden.
Dann folgt eine Auswahl ans den OollocMg. des Erasmus. Nach dem Äsvp
wird der Lustspieldichter Terenz, auch wohl ein Stück von Plautus, "das rein
ist," gelesen, immer zum Zweck grammatischer Unterweisung. So geht es
die ganze Woche fort, außer am Mittwoch oder Sonnabend, wo Neligions-
stunde ist. Der Unterricht wird hier zunächst so betrieben, daß die Schüler
jeder der Reihe nach das Vaterunser, den Glauben und die zehn Gebote auf¬
sagen müssen. Ist das geschehen, so "soll sie der Schulmeister einfältig und
recht auslegen und deu Kindern die Stücke einbilden, die not sind, recht zu
leben, als Gottesfurcht, Glaube" und gute Werke." Daneben sollen die Knaben


Der I'raeeeptur Lrermaniae

römischen Geistes in Deutschlands und so drang er auf ihre gründliche Um¬
gestaltung, Indes hat Melanchthon auch nach dem Verrauschen des ersten
Sturmes und Dranges der Reformation seine Überzeugung von der Not-
wendigkeit einer Neubildung der Universitäten festgehalten. Daß die scholastische
Philosophie und Theologie kein geeignetes Bildungsmittel sei und durch
biblische Theologie, Lektüre der Klassiker und Studium des Urtextes der heiligen
Schrift ersetzt werden müsse, blieb eine seiner Grundanschauungen, nur machte
er sie nicht mehr so grob und ungestüm geltend.

Wie sollte sich nnn nach Melanchthons grundsätzlichen Anschauungen über
Schulen nud Lehrer die neue Schule gestalten und gliedern? Für die Volks¬
schule, die unterste Stufe, haben wir keinen Plan von ihm. Der Humanist
sah im Latein die eigentliche Sprache des Unterrichts und der Bildung, und
so war ihm das erste Glied seines Organismus die dreiklassige Lateinschule,
die er im letzten Kapitel des „Unterrichts der Visitatvreu an die Pfarrherren
im Kurfürstentum Sachsen" (1528) zeichnet. In die unterste Klasse (Melanch¬
thon sagt „Haufen") werden die Anfänger verteilt, die man im Lesen und
Schreiben sowie in den einfachsten Regeln der lateinischen Grammatik unter¬
weise. Als Fibel dient „Der Kinder Handbüchlein" mit dem Alphabet, den
Geboten, dem Vaterunser und dem Glauben; die Anfangsgründe des Lateinischen
werden aus dem Donat und der Seutenzensammlung des Cato gelernt, womit
begonnen wird, sobald die Fibel eingeprägt ist. Haben die Schüler des ersten
Haufens ihr Ziel erreicht, so werden sie in den zweiten aufgenommen, wo
Musik (Gesang), Grammatik (hier die Hauptsache) und Religion gelehrt werden.
Man beginnt hier zur Befestigung der grammatischen Kenntnisse mit einer
Auslegung der Fabeln des Äfvp, die Wort für Wort mit Deklination und
Konjugation erklärt werden, was am nächsten Morgen von den Kindern wieder¬
holt wird. Haben sie auch die Regeln der Konstruktion sich angeeignet, so
läßt man sie fleißig konstruiren. Äsvp vertritt also die Stelle einer Chresto¬
mathie, eines Hilfsbuchs für die Grammatik, deren Deklinationen und Kon¬
jugationen an seinen lehrreichen Fabeln praktisch eingeübt werden. Nach der
Vesper soll hierauf die ?g,so!o1uKig, des Mosellanus, eine Sammlung von Ge¬
sprächen über verschiedne Gegenstände, meist des Unterrichts, erklärt werden.
Dann folgt eine Auswahl ans den OollocMg. des Erasmus. Nach dem Äsvp
wird der Lustspieldichter Terenz, auch wohl ein Stück von Plautus, „das rein
ist," gelesen, immer zum Zweck grammatischer Unterweisung. So geht es
die ganze Woche fort, außer am Mittwoch oder Sonnabend, wo Neligions-
stunde ist. Der Unterricht wird hier zunächst so betrieben, daß die Schüler
jeder der Reihe nach das Vaterunser, den Glauben und die zehn Gebote auf¬
sagen müssen. Ist das geschehen, so „soll sie der Schulmeister einfältig und
recht auslegen und deu Kindern die Stücke einbilden, die not sind, recht zu
leben, als Gottesfurcht, Glaube» und gute Werke." Daneben sollen die Knaben


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[0188] Der I'raeeeptur Lrermaniae römischen Geistes in Deutschlands und so drang er auf ihre gründliche Um¬ gestaltung, Indes hat Melanchthon auch nach dem Verrauschen des ersten Sturmes und Dranges der Reformation seine Überzeugung von der Not- wendigkeit einer Neubildung der Universitäten festgehalten. Daß die scholastische Philosophie und Theologie kein geeignetes Bildungsmittel sei und durch biblische Theologie, Lektüre der Klassiker und Studium des Urtextes der heiligen Schrift ersetzt werden müsse, blieb eine seiner Grundanschauungen, nur machte er sie nicht mehr so grob und ungestüm geltend. Wie sollte sich nnn nach Melanchthons grundsätzlichen Anschauungen über Schulen nud Lehrer die neue Schule gestalten und gliedern? Für die Volks¬ schule, die unterste Stufe, haben wir keinen Plan von ihm. Der Humanist sah im Latein die eigentliche Sprache des Unterrichts und der Bildung, und so war ihm das erste Glied seines Organismus die dreiklassige Lateinschule, die er im letzten Kapitel des „Unterrichts der Visitatvreu an die Pfarrherren im Kurfürstentum Sachsen" (1528) zeichnet. In die unterste Klasse (Melanch¬ thon sagt „Haufen") werden die Anfänger verteilt, die man im Lesen und Schreiben sowie in den einfachsten Regeln der lateinischen Grammatik unter¬ weise. Als Fibel dient „Der Kinder Handbüchlein" mit dem Alphabet, den Geboten, dem Vaterunser und dem Glauben; die Anfangsgründe des Lateinischen werden aus dem Donat und der Seutenzensammlung des Cato gelernt, womit begonnen wird, sobald die Fibel eingeprägt ist. Haben die Schüler des ersten Haufens ihr Ziel erreicht, so werden sie in den zweiten aufgenommen, wo Musik (Gesang), Grammatik (hier die Hauptsache) und Religion gelehrt werden. Man beginnt hier zur Befestigung der grammatischen Kenntnisse mit einer Auslegung der Fabeln des Äfvp, die Wort für Wort mit Deklination und Konjugation erklärt werden, was am nächsten Morgen von den Kindern wieder¬ holt wird. Haben sie auch die Regeln der Konstruktion sich angeeignet, so läßt man sie fleißig konstruiren. Äsvp vertritt also die Stelle einer Chresto¬ mathie, eines Hilfsbuchs für die Grammatik, deren Deklinationen und Kon¬ jugationen an seinen lehrreichen Fabeln praktisch eingeübt werden. Nach der Vesper soll hierauf die ?g,so!o1uKig, des Mosellanus, eine Sammlung von Ge¬ sprächen über verschiedne Gegenstände, meist des Unterrichts, erklärt werden. Dann folgt eine Auswahl ans den OollocMg. des Erasmus. Nach dem Äsvp wird der Lustspieldichter Terenz, auch wohl ein Stück von Plautus, „das rein ist," gelesen, immer zum Zweck grammatischer Unterweisung. So geht es die ganze Woche fort, außer am Mittwoch oder Sonnabend, wo Neligions- stunde ist. Der Unterricht wird hier zunächst so betrieben, daß die Schüler jeder der Reihe nach das Vaterunser, den Glauben und die zehn Gebote auf¬ sagen müssen. Ist das geschehen, so „soll sie der Schulmeister einfältig und recht auslegen und deu Kindern die Stücke einbilden, die not sind, recht zu leben, als Gottesfurcht, Glaube» und gute Werke." Daneben sollen die Knaben

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_205998/188>, abgerufen am 30.06.2024.