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Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Viertes Vierteljahr.

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Die französische Linigration und die öffentliche Meinung in Deutschland

April 1792) von Frankreich ausging, betrachtete man doch die Feinde Frank¬
reichs als die Urheber des Krieges. Frankreich habe, so fand man, ebenso
guten Grund und ebenso viel Recht gehabt, wie Friedrich der Große beim Ein¬
tritt in den siebenjährigen Krieg, gegen das ihm zugedachte Verderben sich
dadurch zu verteidigen, daß es seinerseits den Feinden mit dem offnen Angriffe
zuvorkäme.

Daß aber anderseits heftige Widersacher des revolutionären Frankreichs sich
der Emigranten annahmen und den Unwillen, der sie traf, bekämpften, war
natürlich mit alledem nicht ausgeschlossen. Die Wiener Zeitschrift brachte die
Lieblosigkeit, ans die diese ans der Heimat entwichnen Frauzosen in Deutsch¬
land stießen, in Gegensatz zu dem Mitgefühl und der warmen Aufnahme, die
vor hundert Jahren den Landsleuten derselben, den Tausenden von flüchtigen
Hugenotten, in so vielen Gegenden von Deutschland zu teil geworden waren. Für
das Hamburger politische Journal waren die großen und kleinen Begebenheiten
von Koblenz, die Handlungen und Kundgebungen der Grafen von der Pro¬
vence, von Artois und andrer Prinzen, das Leben und Treiben der Dueh,
Marquis und Abbss ein Gegenstand ebenso respektvoller Aufmerksamkeit und
redseliger Berichterstattung, wie die Tagesereignisse irgend eines mounrchischeu
Hofes und Refidenzvrtes. Und für beide Journale bildete diese Emigration
noch insbesondre nnter einem Gesichtspunkt eine willkommene Erscheinung.

Wenn die deutsche Aufklärung bis dahin im ganzen, weltbürgerlich wie
sie war, auf das Recht des einzelnen Staates oder Volkes, in seiner innern
Entwicklung unbehelligt zu bleiben vor den Einmischungen fremder Gewalt,
kein übergroßes Gewicht gelegt hatte, so trat hierin eine Änderung ein ange¬
sichts der französischen Revolution. Daß die Sache der Menschheit der größten
Niederlage entginge, erschien jetzt durchaus abhängig davon, daß die französische
Nation und was in ihr emporkaut, vor jeder Störung und Zerstörung bewahrt
bliebe, die von außen drohte. Ganz wesentlich kam dabei aber auch in Be¬
tracht, daß man jetzt an den Beschlüssen der Nationalversammlung in Frankreich
etwas andres vor sich sah, als etwa Beschlüsse von ständischen Körperschaften
oder sonstigen gesetzgeberischen Autoritäten herkömmlicher Art, daß man viel¬
mehr hier eine wirkliche Vertretung des Volkes und mithin an dem, was sie
gewollt habe, einen Volkswillen vor sich zu haben glaubte, wie ein solcher noch
nie zu einer so unanfechtbaren Erscheinung gekommen sei. Der Gedanke, daß
eine Nation, gleichviel ob das, was in ihr vorging, Lob oder Tadel verdiene,
eilt unveräußerliches Recht habe, ihren innern Zustand nach ihrem Willen,
ohne Einrede des Auslandes, zu gestalten, trat mit außerordentlicher Schnellig¬
keit ni das Bewußtsein weiterer Kreise ein. Die Frage sei nicht, sagt Wie¬
land im Hinblick auf ein mögliches Einschreiten der Mächte in Frankreich, wie
reif, unreif oder überreif die Franzosen für die Freiheit seien, nicht ob ihnen
eine (sogenannte) republikanische oder eine monarchische Regierungsform am zu-


Die französische Linigration und die öffentliche Meinung in Deutschland

April 1792) von Frankreich ausging, betrachtete man doch die Feinde Frank¬
reichs als die Urheber des Krieges. Frankreich habe, so fand man, ebenso
guten Grund und ebenso viel Recht gehabt, wie Friedrich der Große beim Ein¬
tritt in den siebenjährigen Krieg, gegen das ihm zugedachte Verderben sich
dadurch zu verteidigen, daß es seinerseits den Feinden mit dem offnen Angriffe
zuvorkäme.

Daß aber anderseits heftige Widersacher des revolutionären Frankreichs sich
der Emigranten annahmen und den Unwillen, der sie traf, bekämpften, war
natürlich mit alledem nicht ausgeschlossen. Die Wiener Zeitschrift brachte die
Lieblosigkeit, ans die diese ans der Heimat entwichnen Frauzosen in Deutsch¬
land stießen, in Gegensatz zu dem Mitgefühl und der warmen Aufnahme, die
vor hundert Jahren den Landsleuten derselben, den Tausenden von flüchtigen
Hugenotten, in so vielen Gegenden von Deutschland zu teil geworden waren. Für
das Hamburger politische Journal waren die großen und kleinen Begebenheiten
von Koblenz, die Handlungen und Kundgebungen der Grafen von der Pro¬
vence, von Artois und andrer Prinzen, das Leben und Treiben der Dueh,
Marquis und Abbss ein Gegenstand ebenso respektvoller Aufmerksamkeit und
redseliger Berichterstattung, wie die Tagesereignisse irgend eines mounrchischeu
Hofes und Refidenzvrtes. Und für beide Journale bildete diese Emigration
noch insbesondre nnter einem Gesichtspunkt eine willkommene Erscheinung.

Wenn die deutsche Aufklärung bis dahin im ganzen, weltbürgerlich wie
sie war, auf das Recht des einzelnen Staates oder Volkes, in seiner innern
Entwicklung unbehelligt zu bleiben vor den Einmischungen fremder Gewalt,
kein übergroßes Gewicht gelegt hatte, so trat hierin eine Änderung ein ange¬
sichts der französischen Revolution. Daß die Sache der Menschheit der größten
Niederlage entginge, erschien jetzt durchaus abhängig davon, daß die französische
Nation und was in ihr emporkaut, vor jeder Störung und Zerstörung bewahrt
bliebe, die von außen drohte. Ganz wesentlich kam dabei aber auch in Be¬
tracht, daß man jetzt an den Beschlüssen der Nationalversammlung in Frankreich
etwas andres vor sich sah, als etwa Beschlüsse von ständischen Körperschaften
oder sonstigen gesetzgeberischen Autoritäten herkömmlicher Art, daß man viel¬
mehr hier eine wirkliche Vertretung des Volkes und mithin an dem, was sie
gewollt habe, einen Volkswillen vor sich zu haben glaubte, wie ein solcher noch
nie zu einer so unanfechtbaren Erscheinung gekommen sei. Der Gedanke, daß
eine Nation, gleichviel ob das, was in ihr vorging, Lob oder Tadel verdiene,
eilt unveräußerliches Recht habe, ihren innern Zustand nach ihrem Willen,
ohne Einrede des Auslandes, zu gestalten, trat mit außerordentlicher Schnellig¬
keit ni das Bewußtsein weiterer Kreise ein. Die Frage sei nicht, sagt Wie¬
land im Hinblick auf ein mögliches Einschreiten der Mächte in Frankreich, wie
reif, unreif oder überreif die Franzosen für die Freiheit seien, nicht ob ihnen
eine (sogenannte) republikanische oder eine monarchische Regierungsform am zu-


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[0179] Die französische Linigration und die öffentliche Meinung in Deutschland April 1792) von Frankreich ausging, betrachtete man doch die Feinde Frank¬ reichs als die Urheber des Krieges. Frankreich habe, so fand man, ebenso guten Grund und ebenso viel Recht gehabt, wie Friedrich der Große beim Ein¬ tritt in den siebenjährigen Krieg, gegen das ihm zugedachte Verderben sich dadurch zu verteidigen, daß es seinerseits den Feinden mit dem offnen Angriffe zuvorkäme. Daß aber anderseits heftige Widersacher des revolutionären Frankreichs sich der Emigranten annahmen und den Unwillen, der sie traf, bekämpften, war natürlich mit alledem nicht ausgeschlossen. Die Wiener Zeitschrift brachte die Lieblosigkeit, ans die diese ans der Heimat entwichnen Frauzosen in Deutsch¬ land stießen, in Gegensatz zu dem Mitgefühl und der warmen Aufnahme, die vor hundert Jahren den Landsleuten derselben, den Tausenden von flüchtigen Hugenotten, in so vielen Gegenden von Deutschland zu teil geworden waren. Für das Hamburger politische Journal waren die großen und kleinen Begebenheiten von Koblenz, die Handlungen und Kundgebungen der Grafen von der Pro¬ vence, von Artois und andrer Prinzen, das Leben und Treiben der Dueh, Marquis und Abbss ein Gegenstand ebenso respektvoller Aufmerksamkeit und redseliger Berichterstattung, wie die Tagesereignisse irgend eines mounrchischeu Hofes und Refidenzvrtes. Und für beide Journale bildete diese Emigration noch insbesondre nnter einem Gesichtspunkt eine willkommene Erscheinung. Wenn die deutsche Aufklärung bis dahin im ganzen, weltbürgerlich wie sie war, auf das Recht des einzelnen Staates oder Volkes, in seiner innern Entwicklung unbehelligt zu bleiben vor den Einmischungen fremder Gewalt, kein übergroßes Gewicht gelegt hatte, so trat hierin eine Änderung ein ange¬ sichts der französischen Revolution. Daß die Sache der Menschheit der größten Niederlage entginge, erschien jetzt durchaus abhängig davon, daß die französische Nation und was in ihr emporkaut, vor jeder Störung und Zerstörung bewahrt bliebe, die von außen drohte. Ganz wesentlich kam dabei aber auch in Be¬ tracht, daß man jetzt an den Beschlüssen der Nationalversammlung in Frankreich etwas andres vor sich sah, als etwa Beschlüsse von ständischen Körperschaften oder sonstigen gesetzgeberischen Autoritäten herkömmlicher Art, daß man viel¬ mehr hier eine wirkliche Vertretung des Volkes und mithin an dem, was sie gewollt habe, einen Volkswillen vor sich zu haben glaubte, wie ein solcher noch nie zu einer so unanfechtbaren Erscheinung gekommen sei. Der Gedanke, daß eine Nation, gleichviel ob das, was in ihr vorging, Lob oder Tadel verdiene, eilt unveräußerliches Recht habe, ihren innern Zustand nach ihrem Willen, ohne Einrede des Auslandes, zu gestalten, trat mit außerordentlicher Schnellig¬ keit ni das Bewußtsein weiterer Kreise ein. Die Frage sei nicht, sagt Wie¬ land im Hinblick auf ein mögliches Einschreiten der Mächte in Frankreich, wie reif, unreif oder überreif die Franzosen für die Freiheit seien, nicht ob ihnen eine (sogenannte) republikanische oder eine monarchische Regierungsform am zu-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_205998/179>, abgerufen am 30.06.2024.