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Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Viertes Vierteljahr.

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Die französische Emigration und die öffentliche Meinung in Deutschland

thaten, UM vor der Welt bei ihren eignen, auf Frankreich gerichteten Plänen
der vollsten Zustimmung und Mitwirkung der Monarchen gewiß zu erscheinen.
Ganz offen und in offiziellster Form empfingen diese ausgewanderten Fran¬
zosen in ihrem Anspruch, die rechtmäßige Darstellung des wahren Frankreichs
zu sein, Anerkennung und Förderung von nilsehnlichen außerdeutschen Mächten.
Sardinien, die bourbonischen Höfe in Italien und Spanien ließen es nach
dieser Richtung uicht fehlen; der schwedische Gustav und die russische Katharina
hatten kaum ihrem bittern Kriege durch den Frieden von Werelo (August 1790)
ein Ende gemacht, als sie sich in Freuudschnftserweisungen für die Emigranten
und Zornentladuugen gegen das revolutionäre Frankreich vereinigten. Denke
man sich nun Tausende von ausgewanderten Franzosen an Rhein und Mosel,
sich selbst waffnend und Truppen werbend, mit einem vrgnnisirten Regierungs-
wesen versehen, denke man mit dieser Regierung mehrere große europäische
Mächte durch geregelten diplomatischen Verkehr und offenkundige Feindschaft
gegen das revolutionäre Frankreich verbunden, denke mau, daß diese Emigranten
bei Gelegenheiten wie dem Pillnitzer Kongreß nichts unversucht ließen, um
Leopolds und Friedrich Wilhelms Politik in eine Bahn zu bringen oder
wenigstens in ein Licht zu setzen, wie es zu ihren Wünschen und Absichten
stimmte, so wird mau begreifen, daß das ganze Dasein dieser Emigration un¬
zähligen nur als eine ungeheure völkerrechtswidrige Drohung des monarchisch¬
aristokratischen Europas gegen das freigewordene Frankreich erschien. Wenig
fiel dagegen ins Gewicht, wenn man etwa versuchen wollte, die Emigranten-
hegung als eine berechtigte Vergeltung des Unrechts darzustellen, das einer
Anzahl von westdeutschen Reichsständen bei der Neuorganisation des französische"
Staats- und Kirchenwesens zugefügt worden war; und wenn von revolutions¬
feindlicher Seite die Anfeindungen des monarchischen Europas durch die fran¬
zösische Propaganda als verbrecherisch ausgerufen wurde -- was wollten die
schwachen und zweifelhaften Spuren dieser Propaganda auf deutschen Boden
sagen im Vergleich mit den massenhaften, ganz öffentlichen Nnsammlnngen und
Rüstungen französischer Prinzen und Edelleute zu Koblenz und an andern
Orten! Als Frankreich im Sommer l7!)1 bei den Nachbarmüchten mit ernsten
diplomatischen Schritten gegen diese Einigrantenhegnng vorzugehen begann, fand
Georg Förster, es habe damit ganz das rechte Mittel ergriffen, um sich vor
Erschöpfung zu bewahren; denn die Absicht der Mächte, Frankreich in fort¬
währender Unruhe zik erhalten, und die Ungefährlichkeit der Emigranten, sobald
sie um den Mächten keinen Nückenhalt mehr Hütten, liege am Tage. Und als
der Krieg zwischen Frankreich und den luoiinrchischen Mächten ausbrach, übte
auf die Ansicht, die sich über diesen Krieg in Deutschland bildete, jene vorher¬
gegangene Beunruhigung Frankreichs durch die Emigranten einen ganz wesent¬
lichen Einfluß. Obgleich sowohl die Kriegserklärung als die thatsächliche
Eröffnung des Krieges (durch den verunglückten Einbrnchsversnch in Belgien,


Die französische Emigration und die öffentliche Meinung in Deutschland

thaten, UM vor der Welt bei ihren eignen, auf Frankreich gerichteten Plänen
der vollsten Zustimmung und Mitwirkung der Monarchen gewiß zu erscheinen.
Ganz offen und in offiziellster Form empfingen diese ausgewanderten Fran¬
zosen in ihrem Anspruch, die rechtmäßige Darstellung des wahren Frankreichs
zu sein, Anerkennung und Förderung von nilsehnlichen außerdeutschen Mächten.
Sardinien, die bourbonischen Höfe in Italien und Spanien ließen es nach
dieser Richtung uicht fehlen; der schwedische Gustav und die russische Katharina
hatten kaum ihrem bittern Kriege durch den Frieden von Werelo (August 1790)
ein Ende gemacht, als sie sich in Freuudschnftserweisungen für die Emigranten
und Zornentladuugen gegen das revolutionäre Frankreich vereinigten. Denke
man sich nun Tausende von ausgewanderten Franzosen an Rhein und Mosel,
sich selbst waffnend und Truppen werbend, mit einem vrgnnisirten Regierungs-
wesen versehen, denke man mit dieser Regierung mehrere große europäische
Mächte durch geregelten diplomatischen Verkehr und offenkundige Feindschaft
gegen das revolutionäre Frankreich verbunden, denke mau, daß diese Emigranten
bei Gelegenheiten wie dem Pillnitzer Kongreß nichts unversucht ließen, um
Leopolds und Friedrich Wilhelms Politik in eine Bahn zu bringen oder
wenigstens in ein Licht zu setzen, wie es zu ihren Wünschen und Absichten
stimmte, so wird mau begreifen, daß das ganze Dasein dieser Emigration un¬
zähligen nur als eine ungeheure völkerrechtswidrige Drohung des monarchisch¬
aristokratischen Europas gegen das freigewordene Frankreich erschien. Wenig
fiel dagegen ins Gewicht, wenn man etwa versuchen wollte, die Emigranten-
hegung als eine berechtigte Vergeltung des Unrechts darzustellen, das einer
Anzahl von westdeutschen Reichsständen bei der Neuorganisation des französische»
Staats- und Kirchenwesens zugefügt worden war; und wenn von revolutions¬
feindlicher Seite die Anfeindungen des monarchischen Europas durch die fran¬
zösische Propaganda als verbrecherisch ausgerufen wurde — was wollten die
schwachen und zweifelhaften Spuren dieser Propaganda auf deutschen Boden
sagen im Vergleich mit den massenhaften, ganz öffentlichen Nnsammlnngen und
Rüstungen französischer Prinzen und Edelleute zu Koblenz und an andern
Orten! Als Frankreich im Sommer l7!)1 bei den Nachbarmüchten mit ernsten
diplomatischen Schritten gegen diese Einigrantenhegnng vorzugehen begann, fand
Georg Förster, es habe damit ganz das rechte Mittel ergriffen, um sich vor
Erschöpfung zu bewahren; denn die Absicht der Mächte, Frankreich in fort¬
währender Unruhe zik erhalten, und die Ungefährlichkeit der Emigranten, sobald
sie um den Mächten keinen Nückenhalt mehr Hütten, liege am Tage. Und als
der Krieg zwischen Frankreich und den luoiinrchischen Mächten ausbrach, übte
auf die Ansicht, die sich über diesen Krieg in Deutschland bildete, jene vorher¬
gegangene Beunruhigung Frankreichs durch die Emigranten einen ganz wesent¬
lichen Einfluß. Obgleich sowohl die Kriegserklärung als die thatsächliche
Eröffnung des Krieges (durch den verunglückten Einbrnchsversnch in Belgien,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_205998/178>, abgerufen am 30.06.2024.