Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Viertes Vierteljahr.Die strafrechtliche Haftung des verantwortlichen Redakteurs den Verhandlungen über das Gesetz gingen die Ansichten innerhalb des Reichs¬ Es giebt ja eine auch von Loening bekämpfte Richtung, die im Anschluß Die strafrechtliche Haftung des verantwortlichen Redakteurs den Verhandlungen über das Gesetz gingen die Ansichten innerhalb des Reichs¬ Es giebt ja eine auch von Loening bekämpfte Richtung, die im Anschluß <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0171" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/206170"/> <fw type="header" place="top"> Die strafrechtliche Haftung des verantwortlichen Redakteurs</fw><lb/> <p xml:id="ID_631" prev="#ID_630"> den Verhandlungen über das Gesetz gingen die Ansichten innerhalb des Reichs¬<lb/> tags und des Bundesrath weit ans einander, namentlich wurden im Reichstage die<lb/> weitestgehenden Forderungen gestellt. Nachdem diese dann von der Mehrheit<lb/> abgelehnt waren und eine Einigung zwischen dieser und dein Bundesrat über<lb/> die bestehenden Meinungsverschiedenheiten erzielt war, kam das Preßgesetz, wie<lb/> so viele andre Gesetze, als ein Komprvmißgesetz zustande. Solche Gesetze be¬<lb/> friedigen zunächst eigentlich niemanden, es können auch infolge der Vertretung<lb/> der verschiedensten Ansichten leicht einzelne Bestimmungen in ein solches Gesetz<lb/> hineinkommen, die scheinbare Widersprüche enthalten und nur aus dem Gesamt¬<lb/> inhalt des Gesetzes heraus ihre Erklärung finden; im ganzen aber wird in<lb/> solchen Gesetzen das ausgesprochen, was den verschiednen Anschauungen ge¬<lb/> meinsam ist. So kann man auch von unserm Preßgesetze sagen, daß es einen<lb/> neutralen Grund herstelle, worauf nach Beseitigung der zu weit gehenden<lb/> Forderungen der Parteien etwas neues, die verschiednen Ansichten möglichst<lb/> vereinigendes aufgebaut wird. Auch zwischen Theorie und Praxis galt es<lb/> bei Erlaß des Preßgesetzes Vermittelung zu schaffen, und daß bei diesem<lb/> Streit die Bedürfnisse des Lebens denen der Theorie vorgehen mußten, liegt<lb/> auf der Hand; die Wissenschaft wird auf der neuen Grundlage eine neue<lb/> Theorie aufbauen müssen und sicher aufbauen, wie auch Fürst Bismcirck bei<lb/> Beratung der Reichsverfassung dem Einwände, daß der Verfassungsentwurf<lb/> keiner der anerkannten staatsrechtlichen Theorien entspreche, mit der Bemerkung<lb/> begegnete, dann müsse eben für diese Verfassung eine neue Theorie gebildet<lb/> werden.</p><lb/> <p xml:id="ID_632" next="#ID_633"> Es giebt ja eine auch von Loening bekämpfte Richtung, die im Anschluß<lb/> an die französische „Erklärung der Menschenrechte" vom 26. Angust 1789 die<lb/> Freiheit, seine Gedanken durch Wort, Schrift und Druck ohne jede Beschränkung<lb/> mitzuteilen, sür ein menschliches Urrecht ansieht. Diese Ansicht war der Rück¬<lb/> schlag gegen die Knebelung der Presse durch die Zensur, aber er ging nach<lb/> der andern Seite zu weit; wie niemand ein Recht hat, seine Ansichten über<lb/> die Staatseinrichtungen oder seine Mitmenschen mündlich in jeder beliebigen,<lb/> auch einer beleidigenden Form auszusprechen, ebenso kann auch niemand dies Recht<lb/> für die schriftliche Mitteilung seiner Gedanken in Anspruch nehmen, wenn nicht,<lb/> um mich eines landläufigen Ausdrucks zu bedienen, die Preßfreiheit in die<lb/> Preßfrechheit ausarten soll. Das Jahr 1848 konnte französisch-revolutionären<lb/> Vorbildern nachjagen und in die „Grundrechte des deutschen Volkes" die Be¬<lb/> stimmung aufnehmen, daß „die Preßfreiheit unter keinen Umstanden und in keiner<lb/> Weise durch vorbeugende Maßregeln beschränkt, suspendirt oder aufgehoben<lb/> werden" dürfe; dies ist die Richtung, die in der Presse die sechste Großmacht,<lb/> die vierte Staatsgewalt erkennt. Als sich die Wogen von 1848 legten, kam<lb/> man aber von solchen Ansichten zurück, zog auch dein Ausdruck der Ge¬<lb/> danken durch die Presse wieder Schranken und konnte nicht mehr alter-</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0171]
Die strafrechtliche Haftung des verantwortlichen Redakteurs
den Verhandlungen über das Gesetz gingen die Ansichten innerhalb des Reichs¬
tags und des Bundesrath weit ans einander, namentlich wurden im Reichstage die
weitestgehenden Forderungen gestellt. Nachdem diese dann von der Mehrheit
abgelehnt waren und eine Einigung zwischen dieser und dein Bundesrat über
die bestehenden Meinungsverschiedenheiten erzielt war, kam das Preßgesetz, wie
so viele andre Gesetze, als ein Komprvmißgesetz zustande. Solche Gesetze be¬
friedigen zunächst eigentlich niemanden, es können auch infolge der Vertretung
der verschiedensten Ansichten leicht einzelne Bestimmungen in ein solches Gesetz
hineinkommen, die scheinbare Widersprüche enthalten und nur aus dem Gesamt¬
inhalt des Gesetzes heraus ihre Erklärung finden; im ganzen aber wird in
solchen Gesetzen das ausgesprochen, was den verschiednen Anschauungen ge¬
meinsam ist. So kann man auch von unserm Preßgesetze sagen, daß es einen
neutralen Grund herstelle, worauf nach Beseitigung der zu weit gehenden
Forderungen der Parteien etwas neues, die verschiednen Ansichten möglichst
vereinigendes aufgebaut wird. Auch zwischen Theorie und Praxis galt es
bei Erlaß des Preßgesetzes Vermittelung zu schaffen, und daß bei diesem
Streit die Bedürfnisse des Lebens denen der Theorie vorgehen mußten, liegt
auf der Hand; die Wissenschaft wird auf der neuen Grundlage eine neue
Theorie aufbauen müssen und sicher aufbauen, wie auch Fürst Bismcirck bei
Beratung der Reichsverfassung dem Einwände, daß der Verfassungsentwurf
keiner der anerkannten staatsrechtlichen Theorien entspreche, mit der Bemerkung
begegnete, dann müsse eben für diese Verfassung eine neue Theorie gebildet
werden.
Es giebt ja eine auch von Loening bekämpfte Richtung, die im Anschluß
an die französische „Erklärung der Menschenrechte" vom 26. Angust 1789 die
Freiheit, seine Gedanken durch Wort, Schrift und Druck ohne jede Beschränkung
mitzuteilen, sür ein menschliches Urrecht ansieht. Diese Ansicht war der Rück¬
schlag gegen die Knebelung der Presse durch die Zensur, aber er ging nach
der andern Seite zu weit; wie niemand ein Recht hat, seine Ansichten über
die Staatseinrichtungen oder seine Mitmenschen mündlich in jeder beliebigen,
auch einer beleidigenden Form auszusprechen, ebenso kann auch niemand dies Recht
für die schriftliche Mitteilung seiner Gedanken in Anspruch nehmen, wenn nicht,
um mich eines landläufigen Ausdrucks zu bedienen, die Preßfreiheit in die
Preßfrechheit ausarten soll. Das Jahr 1848 konnte französisch-revolutionären
Vorbildern nachjagen und in die „Grundrechte des deutschen Volkes" die Be¬
stimmung aufnehmen, daß „die Preßfreiheit unter keinen Umstanden und in keiner
Weise durch vorbeugende Maßregeln beschränkt, suspendirt oder aufgehoben
werden" dürfe; dies ist die Richtung, die in der Presse die sechste Großmacht,
die vierte Staatsgewalt erkennt. Als sich die Wogen von 1848 legten, kam
man aber von solchen Ansichten zurück, zog auch dein Ausdruck der Ge¬
danken durch die Presse wieder Schranken und konnte nicht mehr alter-
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