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Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Viertes Vierteljahr.

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Die strafrechtliche Haftung des verantwortlichen Redakteurs

einer strafbaren Handlung begründet, ohne daß die genannten Personen als
Thaler haftbar gemacht werden können. Es wird dadurch für den Redakteur
nicht nur eine doppelte Haftbarkeit, fondern eine Ergänzung seiner zuerst ge¬
nannten Haftung als Thäter herbeigeführt, indem man ihn "wegen Vernach¬
lässigung der pflichtmäßigen Sorgfalt in der Überwachung der rechtmäßigen
Haltung seines Blattes, wegen fahrlässiger Verletzung der dem Verantwortlicher
Redakteur als solchem obliegenden rechtlichen Verpflichtungen" zur Verant¬
wortung zieht. Hierin liegt eine den deutschen Rechtsanschauungen entsprechende
Fortbildung des französischen Gerantcnwesens, es wird eine prcßrechtliche
Strafbarkeit für ein besondres preßrechtliches Vergehen aufgestellt. Der Re¬
dakteur darf, um wegen dieser Fahrlässigkeit bestraft zu werden, keine Kenntnis
von der Strafbarkeit des Artikels gehabt, haben, sonst würde er als Thäter
bestraft werden müssen, aber er muß in der Lage gewesen sein, bei gehöriger
Sorgfalt die Gesetzesübertretung verhindern zu können. Verreise er, ohne einen
Vertreter zu bestellen, unterläßt er es, im Fall einer Erkrankung für eine ge¬
eignete Vertretung zu sorgen, nimmt er im Vertrauen ans die Zuverlässigkeit
eines gewissen Korrespondenten dessen Artikel ungelesen auf, fo handelt er fahr¬
lässig und macht sich dadurch strafbar, da er alles dies vermeiden konnte. Er
soll aber in diesem Falle nicht schlechter stehen als der Hauptthäler selbst, und
deshalb kommt ihm die Verjährung, die Antragsfrist u. s. w., die dem Haupt¬
thäler zu gute kommt, gleichfalls zu gute; ja er kann sich durch die Nennung
seines Vormanns, da diesen die größere Schuld trifft, ganz straffrei machen.
In derselben Lage befinden sich Drucker, Verleger und Verbreiter; sie sollen
und können gleichfalls prüfen, was sie zur Verbreitung bringen, und müssen,
wenn sie im Vertrauen auf ihren Vormann fahrlässig handeln, dafür büßen.

Dies ist mit kurzen Worten das jetzt geltende Recht. Es ist nun gewiß
dem Verfasser darin Recht zu geben, daß diese Bestimmungen eine Ausnahme
von deu allgemeinen Rechtsgrundsätzen bilden. Bestreiter aber muß man die
Ansicht des Verfassers, daß diese Bestimmungen "die allgemeinen Prinzipien
des Strafrechts aufs schroffste verletzten," "jeden Juristen zu revoltiren,
ja das Rechtsgefühl schwer zu kränken und den Wert des Preßgesetzes wesentlich
in Frage zu stellen geeignet seien," daß die Praxis aus dem Gesetz irrtümlich
etwas ganz andres gemacht habe, als dies gewollt, "und auf eigne Faust und
unter Hintansetzung der durch die neuere Gesetzgebung errungenen Fortschritte
um beinahe vierzig Jahre in unserm Rechtszustand zurückzuwerfen bestrebt
sei" u. s. w. Es kann dem Verfasser darin zugestimmt werden, daß, wie
dies auch das Reichsgericht anerkannt hat, der Reichstag z. B. die Frage be¬
züglich der Haftung des Redakteurs und der Strafausschließungsgründe "nicht
scharf genug ins Auge gefaßt" habe; trotzdem wird man sagen müssen, daß der
Reichstag im ganzen sehr wohl gewußt hat, was er wollte, und daß auch
die Praxis die Gedanken des Reichspreßgesetzes richtig aufgefaßt habe. Bei


Die strafrechtliche Haftung des verantwortlichen Redakteurs

einer strafbaren Handlung begründet, ohne daß die genannten Personen als
Thaler haftbar gemacht werden können. Es wird dadurch für den Redakteur
nicht nur eine doppelte Haftbarkeit, fondern eine Ergänzung seiner zuerst ge¬
nannten Haftung als Thäter herbeigeführt, indem man ihn „wegen Vernach¬
lässigung der pflichtmäßigen Sorgfalt in der Überwachung der rechtmäßigen
Haltung seines Blattes, wegen fahrlässiger Verletzung der dem Verantwortlicher
Redakteur als solchem obliegenden rechtlichen Verpflichtungen" zur Verant¬
wortung zieht. Hierin liegt eine den deutschen Rechtsanschauungen entsprechende
Fortbildung des französischen Gerantcnwesens, es wird eine prcßrechtliche
Strafbarkeit für ein besondres preßrechtliches Vergehen aufgestellt. Der Re¬
dakteur darf, um wegen dieser Fahrlässigkeit bestraft zu werden, keine Kenntnis
von der Strafbarkeit des Artikels gehabt, haben, sonst würde er als Thäter
bestraft werden müssen, aber er muß in der Lage gewesen sein, bei gehöriger
Sorgfalt die Gesetzesübertretung verhindern zu können. Verreise er, ohne einen
Vertreter zu bestellen, unterläßt er es, im Fall einer Erkrankung für eine ge¬
eignete Vertretung zu sorgen, nimmt er im Vertrauen ans die Zuverlässigkeit
eines gewissen Korrespondenten dessen Artikel ungelesen auf, fo handelt er fahr¬
lässig und macht sich dadurch strafbar, da er alles dies vermeiden konnte. Er
soll aber in diesem Falle nicht schlechter stehen als der Hauptthäler selbst, und
deshalb kommt ihm die Verjährung, die Antragsfrist u. s. w., die dem Haupt¬
thäler zu gute kommt, gleichfalls zu gute; ja er kann sich durch die Nennung
seines Vormanns, da diesen die größere Schuld trifft, ganz straffrei machen.
In derselben Lage befinden sich Drucker, Verleger und Verbreiter; sie sollen
und können gleichfalls prüfen, was sie zur Verbreitung bringen, und müssen,
wenn sie im Vertrauen auf ihren Vormann fahrlässig handeln, dafür büßen.

Dies ist mit kurzen Worten das jetzt geltende Recht. Es ist nun gewiß
dem Verfasser darin Recht zu geben, daß diese Bestimmungen eine Ausnahme
von deu allgemeinen Rechtsgrundsätzen bilden. Bestreiter aber muß man die
Ansicht des Verfassers, daß diese Bestimmungen „die allgemeinen Prinzipien
des Strafrechts aufs schroffste verletzten," „jeden Juristen zu revoltiren,
ja das Rechtsgefühl schwer zu kränken und den Wert des Preßgesetzes wesentlich
in Frage zu stellen geeignet seien," daß die Praxis aus dem Gesetz irrtümlich
etwas ganz andres gemacht habe, als dies gewollt, „und auf eigne Faust und
unter Hintansetzung der durch die neuere Gesetzgebung errungenen Fortschritte
um beinahe vierzig Jahre in unserm Rechtszustand zurückzuwerfen bestrebt
sei" u. s. w. Es kann dem Verfasser darin zugestimmt werden, daß, wie
dies auch das Reichsgericht anerkannt hat, der Reichstag z. B. die Frage be¬
züglich der Haftung des Redakteurs und der Strafausschließungsgründe „nicht
scharf genug ins Auge gefaßt" habe; trotzdem wird man sagen müssen, daß der
Reichstag im ganzen sehr wohl gewußt hat, was er wollte, und daß auch
die Praxis die Gedanken des Reichspreßgesetzes richtig aufgefaßt habe. Bei


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[0170] Die strafrechtliche Haftung des verantwortlichen Redakteurs einer strafbaren Handlung begründet, ohne daß die genannten Personen als Thaler haftbar gemacht werden können. Es wird dadurch für den Redakteur nicht nur eine doppelte Haftbarkeit, fondern eine Ergänzung seiner zuerst ge¬ nannten Haftung als Thäter herbeigeführt, indem man ihn „wegen Vernach¬ lässigung der pflichtmäßigen Sorgfalt in der Überwachung der rechtmäßigen Haltung seines Blattes, wegen fahrlässiger Verletzung der dem Verantwortlicher Redakteur als solchem obliegenden rechtlichen Verpflichtungen" zur Verant¬ wortung zieht. Hierin liegt eine den deutschen Rechtsanschauungen entsprechende Fortbildung des französischen Gerantcnwesens, es wird eine prcßrechtliche Strafbarkeit für ein besondres preßrechtliches Vergehen aufgestellt. Der Re¬ dakteur darf, um wegen dieser Fahrlässigkeit bestraft zu werden, keine Kenntnis von der Strafbarkeit des Artikels gehabt, haben, sonst würde er als Thäter bestraft werden müssen, aber er muß in der Lage gewesen sein, bei gehöriger Sorgfalt die Gesetzesübertretung verhindern zu können. Verreise er, ohne einen Vertreter zu bestellen, unterläßt er es, im Fall einer Erkrankung für eine ge¬ eignete Vertretung zu sorgen, nimmt er im Vertrauen ans die Zuverlässigkeit eines gewissen Korrespondenten dessen Artikel ungelesen auf, fo handelt er fahr¬ lässig und macht sich dadurch strafbar, da er alles dies vermeiden konnte. Er soll aber in diesem Falle nicht schlechter stehen als der Hauptthäler selbst, und deshalb kommt ihm die Verjährung, die Antragsfrist u. s. w., die dem Haupt¬ thäler zu gute kommt, gleichfalls zu gute; ja er kann sich durch die Nennung seines Vormanns, da diesen die größere Schuld trifft, ganz straffrei machen. In derselben Lage befinden sich Drucker, Verleger und Verbreiter; sie sollen und können gleichfalls prüfen, was sie zur Verbreitung bringen, und müssen, wenn sie im Vertrauen auf ihren Vormann fahrlässig handeln, dafür büßen. Dies ist mit kurzen Worten das jetzt geltende Recht. Es ist nun gewiß dem Verfasser darin Recht zu geben, daß diese Bestimmungen eine Ausnahme von deu allgemeinen Rechtsgrundsätzen bilden. Bestreiter aber muß man die Ansicht des Verfassers, daß diese Bestimmungen „die allgemeinen Prinzipien des Strafrechts aufs schroffste verletzten," „jeden Juristen zu revoltiren, ja das Rechtsgefühl schwer zu kränken und den Wert des Preßgesetzes wesentlich in Frage zu stellen geeignet seien," daß die Praxis aus dem Gesetz irrtümlich etwas ganz andres gemacht habe, als dies gewollt, „und auf eigne Faust und unter Hintansetzung der durch die neuere Gesetzgebung errungenen Fortschritte um beinahe vierzig Jahre in unserm Rechtszustand zurückzuwerfen bestrebt sei" u. s. w. Es kann dem Verfasser darin zugestimmt werden, daß, wie dies auch das Reichsgericht anerkannt hat, der Reichstag z. B. die Frage be¬ züglich der Haftung des Redakteurs und der Strafausschließungsgründe „nicht scharf genug ins Auge gefaßt" habe; trotzdem wird man sagen müssen, daß der Reichstag im ganzen sehr wohl gewußt hat, was er wollte, und daß auch die Praxis die Gedanken des Reichspreßgesetzes richtig aufgefaßt habe. Bei

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_205998/170>, abgerufen am 30.06.2024.