Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Viertes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Grillparzer und die klugen Flaum

hohen Preis errungen. Aber er besteht die Probe, und nun ist ihre Unter¬
werfung so vollständig wie ihr Glück. Freilich von keiner Dauer. Was
Sappho von sich sagt:


Der Menschen und der Überirdschen Los,
Es mischt sich nimmer in denselben Becher.
Von beiden Welten eine mußt du wählen:
Hast dn gewählt, dann ist kein Rückschritt mehr,

das Wird auch ihr Verderben, nur etwas spater. Sie will, im letzten Akt,
den Rückschritt thun, und das kostet ihr das Leben, wie es Kascha verkündet hat:


Wenn du's noch kannst, vom Irdische" umnachtet.

Man wird nach alledem, das sich noch um manche Züge hätte vermehren
lassen, wohl der Auffassung zustimmen, daß die vier Dramen zu einander stehen,
wie etwa auf einem eingehegten Raum vier Bäume, deren Wurzeln und Zweige
sich mehr noch, als hier aufgedeckt worden ist, vielfach mit einander verschlingen.
Daß sie über den Zaun weg auch noch in andre greifen, wird dadurch nicht
gehindert. Zu jenen vieren gesellt sich jedoch noch ein fünfter von eigner
Beschaffenheit, aber doch ihr Genosse: Die Jüdin von Toledo. Auch in diesem
Stück bewegen wir uns in dem durchgesprochenem Gedankenkreise. Nur sind
die Rollen vertauscht. Diesmal ist der Mann der Kluge, der durch eine Liebes¬
wallung in die Irre gerät. Denn auch König Alfonso ist kein Durchschnitts¬
mensch. Ihn preisen die seinen:


Denn so viel Könige noch in Spanien waren.
Bergleicht sich keiner ihm an hohem Sinn. , .
Nicht hoch an Rang und Stand und Würde nur,
Nein, much an Gaben, so daß, schaun wir rückwärts
In unsrer Vorzeit anfgeschlngnes Buch,
Wir seinesgleichen kaum noch einmal finden.

Von Ruhm übersättigt sehnte sich Sappho nach anderen, nach Liebe, Leben,
Doppelleben. Nicht ganz so, aber doch verwandt ist des Königs Verfassung.
Für zärtliches Liebesempfinden und Tändelei hat sein arbeitsreiches, ruheloses
Leben bisher keine Muße geboten. Nun wirfts sich ihm in den Weg, und da
umstrickt ihn der neue Zauber. Er holt, aber zur Unzeit, eine Lebenserfahrung
nach und befriedigt ein Empfiudnugsbedürfnis, daß eben auch einmal befriedigt
sein will. Aber eine Erfahrung wird es wie manche andre auch, weiter nichts;
kein Wendepunkt des Lebens, an dem sich Sein oder Nichtsein entschiede, wie
bei den Frauen. Denn wieder hören wir Sappho:


Und findet er die Lieb, bückt er sich wohl n. s. w.

So wird sei" Wollen wohl eine Zeit lang gelähmt durch den Reiz des Aben¬
teuers; aber als wirkliche Gefahr droht, rafft er sich auf, und nur der Mord,
der an dem unglücklichem Geschöpf vollzogen wird, wirft seine schwarzen Schatten
in die Zukunft, nicht die Liebesverirrung.


Grillparzer und die klugen Flaum

hohen Preis errungen. Aber er besteht die Probe, und nun ist ihre Unter¬
werfung so vollständig wie ihr Glück. Freilich von keiner Dauer. Was
Sappho von sich sagt:


Der Menschen und der Überirdschen Los,
Es mischt sich nimmer in denselben Becher.
Von beiden Welten eine mußt du wählen:
Hast dn gewählt, dann ist kein Rückschritt mehr,

das Wird auch ihr Verderben, nur etwas spater. Sie will, im letzten Akt,
den Rückschritt thun, und das kostet ihr das Leben, wie es Kascha verkündet hat:


Wenn du's noch kannst, vom Irdische» umnachtet.

Man wird nach alledem, das sich noch um manche Züge hätte vermehren
lassen, wohl der Auffassung zustimmen, daß die vier Dramen zu einander stehen,
wie etwa auf einem eingehegten Raum vier Bäume, deren Wurzeln und Zweige
sich mehr noch, als hier aufgedeckt worden ist, vielfach mit einander verschlingen.
Daß sie über den Zaun weg auch noch in andre greifen, wird dadurch nicht
gehindert. Zu jenen vieren gesellt sich jedoch noch ein fünfter von eigner
Beschaffenheit, aber doch ihr Genosse: Die Jüdin von Toledo. Auch in diesem
Stück bewegen wir uns in dem durchgesprochenem Gedankenkreise. Nur sind
die Rollen vertauscht. Diesmal ist der Mann der Kluge, der durch eine Liebes¬
wallung in die Irre gerät. Denn auch König Alfonso ist kein Durchschnitts¬
mensch. Ihn preisen die seinen:


Denn so viel Könige noch in Spanien waren.
Bergleicht sich keiner ihm an hohem Sinn. , .
Nicht hoch an Rang und Stand und Würde nur,
Nein, much an Gaben, so daß, schaun wir rückwärts
In unsrer Vorzeit anfgeschlngnes Buch,
Wir seinesgleichen kaum noch einmal finden.

Von Ruhm übersättigt sehnte sich Sappho nach anderen, nach Liebe, Leben,
Doppelleben. Nicht ganz so, aber doch verwandt ist des Königs Verfassung.
Für zärtliches Liebesempfinden und Tändelei hat sein arbeitsreiches, ruheloses
Leben bisher keine Muße geboten. Nun wirfts sich ihm in den Weg, und da
umstrickt ihn der neue Zauber. Er holt, aber zur Unzeit, eine Lebenserfahrung
nach und befriedigt ein Empfiudnugsbedürfnis, daß eben auch einmal befriedigt
sein will. Aber eine Erfahrung wird es wie manche andre auch, weiter nichts;
kein Wendepunkt des Lebens, an dem sich Sein oder Nichtsein entschiede, wie
bei den Frauen. Denn wieder hören wir Sappho:


Und findet er die Lieb, bückt er sich wohl n. s. w.

So wird sei» Wollen wohl eine Zeit lang gelähmt durch den Reiz des Aben¬
teuers; aber als wirkliche Gefahr droht, rafft er sich auf, und nur der Mord,
der an dem unglücklichem Geschöpf vollzogen wird, wirft seine schwarzen Schatten
in die Zukunft, nicht die Liebesverirrung.


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0157" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/206156"/>
          <fw type="header" place="top"> Grillparzer und die klugen Flaum</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_596" prev="#ID_595" next="#ID_597"> hohen Preis errungen. Aber er besteht die Probe, und nun ist ihre Unter¬<lb/>
werfung so vollständig wie ihr Glück. Freilich von keiner Dauer. Was<lb/>
Sappho von sich sagt:</p><lb/>
          <quote> Der Menschen und der Überirdschen Los,<lb/>
Es mischt sich nimmer in denselben Becher.<lb/>
Von beiden Welten eine mußt du wählen:<lb/>
Hast dn gewählt, dann ist kein Rückschritt mehr,</quote><lb/>
          <p xml:id="ID_597" prev="#ID_596"> das Wird auch ihr Verderben, nur etwas spater.  Sie will, im letzten Akt,<lb/>
den Rückschritt thun, und das kostet ihr das Leben, wie es Kascha verkündet hat:</p><lb/>
          <quote> Wenn du's noch kannst, vom Irdische» umnachtet.</quote><lb/>
          <p xml:id="ID_598"> Man wird nach alledem, das sich noch um manche Züge hätte vermehren<lb/>
lassen, wohl der Auffassung zustimmen, daß die vier Dramen zu einander stehen,<lb/>
wie etwa auf einem eingehegten Raum vier Bäume, deren Wurzeln und Zweige<lb/>
sich mehr noch, als hier aufgedeckt worden ist, vielfach mit einander verschlingen.<lb/>
Daß sie über den Zaun weg auch noch in andre greifen, wird dadurch nicht<lb/>
gehindert. Zu jenen vieren gesellt sich jedoch noch ein fünfter von eigner<lb/>
Beschaffenheit, aber doch ihr Genosse: Die Jüdin von Toledo. Auch in diesem<lb/>
Stück bewegen wir uns in dem durchgesprochenem Gedankenkreise. Nur sind<lb/>
die Rollen vertauscht. Diesmal ist der Mann der Kluge, der durch eine Liebes¬<lb/>
wallung in die Irre gerät. Denn auch König Alfonso ist kein Durchschnitts¬<lb/>
mensch.  Ihn preisen die seinen:</p><lb/>
          <quote> Denn so viel Könige noch in Spanien waren.<lb/>
Bergleicht sich keiner ihm an hohem Sinn. , .<lb/>
Nicht hoch an Rang und Stand und Würde nur,<lb/>
Nein, much an Gaben, so daß, schaun wir rückwärts<lb/>
In unsrer Vorzeit anfgeschlngnes Buch,<lb/>
Wir seinesgleichen kaum noch einmal finden.</quote><lb/>
          <p xml:id="ID_599" next="#ID_600"> Von Ruhm übersättigt sehnte sich Sappho nach anderen, nach Liebe, Leben,<lb/>
Doppelleben. Nicht ganz so, aber doch verwandt ist des Königs Verfassung.<lb/>
Für zärtliches Liebesempfinden und Tändelei hat sein arbeitsreiches, ruheloses<lb/>
Leben bisher keine Muße geboten. Nun wirfts sich ihm in den Weg, und da<lb/>
umstrickt ihn der neue Zauber. Er holt, aber zur Unzeit, eine Lebenserfahrung<lb/>
nach und befriedigt ein Empfiudnugsbedürfnis, daß eben auch einmal befriedigt<lb/>
sein will. Aber eine Erfahrung wird es wie manche andre auch, weiter nichts;<lb/>
kein Wendepunkt des Lebens, an dem sich Sein oder Nichtsein entschiede, wie<lb/>
bei den Frauen.  Denn wieder hören wir Sappho:</p><lb/>
          <quote> Und findet er die Lieb, bückt er sich wohl n. s. w.</quote><lb/>
          <p xml:id="ID_600" prev="#ID_599"> So wird sei» Wollen wohl eine Zeit lang gelähmt durch den Reiz des Aben¬<lb/>
teuers; aber als wirkliche Gefahr droht, rafft er sich auf, und nur der Mord,<lb/>
der an dem unglücklichem Geschöpf vollzogen wird, wirft seine schwarzen Schatten<lb/>
in die Zukunft, nicht die Liebesverirrung.</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0157] Grillparzer und die klugen Flaum hohen Preis errungen. Aber er besteht die Probe, und nun ist ihre Unter¬ werfung so vollständig wie ihr Glück. Freilich von keiner Dauer. Was Sappho von sich sagt: Der Menschen und der Überirdschen Los, Es mischt sich nimmer in denselben Becher. Von beiden Welten eine mußt du wählen: Hast dn gewählt, dann ist kein Rückschritt mehr, das Wird auch ihr Verderben, nur etwas spater. Sie will, im letzten Akt, den Rückschritt thun, und das kostet ihr das Leben, wie es Kascha verkündet hat: Wenn du's noch kannst, vom Irdische» umnachtet. Man wird nach alledem, das sich noch um manche Züge hätte vermehren lassen, wohl der Auffassung zustimmen, daß die vier Dramen zu einander stehen, wie etwa auf einem eingehegten Raum vier Bäume, deren Wurzeln und Zweige sich mehr noch, als hier aufgedeckt worden ist, vielfach mit einander verschlingen. Daß sie über den Zaun weg auch noch in andre greifen, wird dadurch nicht gehindert. Zu jenen vieren gesellt sich jedoch noch ein fünfter von eigner Beschaffenheit, aber doch ihr Genosse: Die Jüdin von Toledo. Auch in diesem Stück bewegen wir uns in dem durchgesprochenem Gedankenkreise. Nur sind die Rollen vertauscht. Diesmal ist der Mann der Kluge, der durch eine Liebes¬ wallung in die Irre gerät. Denn auch König Alfonso ist kein Durchschnitts¬ mensch. Ihn preisen die seinen: Denn so viel Könige noch in Spanien waren. Bergleicht sich keiner ihm an hohem Sinn. , . Nicht hoch an Rang und Stand und Würde nur, Nein, much an Gaben, so daß, schaun wir rückwärts In unsrer Vorzeit anfgeschlngnes Buch, Wir seinesgleichen kaum noch einmal finden. Von Ruhm übersättigt sehnte sich Sappho nach anderen, nach Liebe, Leben, Doppelleben. Nicht ganz so, aber doch verwandt ist des Königs Verfassung. Für zärtliches Liebesempfinden und Tändelei hat sein arbeitsreiches, ruheloses Leben bisher keine Muße geboten. Nun wirfts sich ihm in den Weg, und da umstrickt ihn der neue Zauber. Er holt, aber zur Unzeit, eine Lebenserfahrung nach und befriedigt ein Empfiudnugsbedürfnis, daß eben auch einmal befriedigt sein will. Aber eine Erfahrung wird es wie manche andre auch, weiter nichts; kein Wendepunkt des Lebens, an dem sich Sein oder Nichtsein entschiede, wie bei den Frauen. Denn wieder hören wir Sappho: Und findet er die Lieb, bückt er sich wohl n. s. w. So wird sei» Wollen wohl eine Zeit lang gelähmt durch den Reiz des Aben¬ teuers; aber als wirkliche Gefahr droht, rafft er sich auf, und nur der Mord, der an dem unglücklichem Geschöpf vollzogen wird, wirft seine schwarzen Schatten in die Zukunft, nicht die Liebesverirrung.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_205998
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_205998/157
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_205998/157>, abgerufen am 22.12.2024.