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Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Viertes Vierteljahr.

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Grillparzer und die klugen Frauen

ist sie es dadurch, daß sie, was Sappho und Melitta ziert, in sich vereinigend,
trotz aller Begabung doch auch ausgestattet ist mit einem schlichten Sinn, der
nicht klügelnd beschönigt, mit einem reichen, echt weiblichen Empfinden, das
thatsächlich "sterbend das Ergriffne nur verläßt," und vor allem durch ihr
rührendes Geschick. Aber dies Geschick ist ganz von ihrem Charakter getragen,
und die Rührung gilt daher beiden. Wie bei Sappho, atmen alle ihre Reden
Überlegenheit, ja Geist, ihrer Klugheit wird uicht nur wiederholt gedacht, sondern
dnrch die Worte des Priesters, die nun wieder für alle gelten könnten:


Der Wahnsinn, der das kluge Weib befällt,
Tode Heftger als der Thorheit wildstes Rasen,

zu der Gewalt, mit der die Liebe sie ergreift, ausdrücklich in ein Wechsel-
Verhältnis gebracht. Für sie ist Sapphvs Schilderung von der Liebe des
Weibes aufs wörtlichste gegeben, ihre Sünde ist der Sieg ihrer wahren Natur
und Natürlichkeit, ihr Tod deren Triumph. Doch ich will nicht wiederholen,
was ich schon an anderm Orte ausgeführt habe, und nur noch auf zwei! Be¬
merkungen Grillparzers hinweisen, die wenigstens einigermaßen ein persönliches
Verhältnis zwischen ihm und seiner Heldin bezeugen. Die eine ist jene be¬
kannte Bemerkung: "Im dritten Akt zu gebrauchen, wie damals Charlotte
(die Tochter der Karoline Pichler), als sie den ganzen Abend wortkarger und
kälter gewesen als sonst, beim Weggehen in der Hausthüre das Licht auf den
Boden setzte und sagte: Ich muß mir die Arme frei machen, um dich zu küssen.
Nicht gerade die Begebenheit soll dort Platz finden, sondern die Gesinnung,
die Gemütsstimmung." Und die andre: "Eine wunderschöne Fran reizte mich,
ihre Gestalt, wenn auch uicht ihr Wesen durch alle diese Wechselfälle durch-
zuführen." Sie also vertrat hier die Stelle jenes Mars Moravicus beim
Ottokar. Wenn aber irgend ein Name geeignet ist, für den Namen Melittas
in jene Behauptung Scherers eingesetzt zu werde", dünn ist es der Heros.

Manches hat Libussa mit dieser und jeuer ihrer Gefährtinnen gemein.
Voraus hat sie, daß sie "von höhern Mächten" abstammt. Wie Melusina zu
Raimund, so war eine "göttergleiche Frau" zu Krokus herabgestiegen, sich ihm
.zu vermählen, und von dieser hat sie, daß sie gleich Medem "gar hoch er¬
fahren ist in geheimer Kunst." Das Priesteramt liebt sie gleich Hero, und
wie Sappho, spendet sie, eine wirkliche Herrschern!, in weiser Übung ihres Amtes
ringsum Glück und Segen. Sapphos Verderben ist, daß ihre neuerwachte Liebes¬
sehnsucht, der ersten Wallung folgend, fehlgreift. Glücklicher ist Libussa. Auch
sie gehört einer andern Sphäre an, aus der sie, dein Zwange der Umstände
und dem Verlangen des Herzens folgend, herabsteigt; aber ihre Neigung führt
sie dem Würdigen zu, der ihr gewachsen ist. Hätte Primislav in dem Kampfe
der besonnenen und die Leidenschaft beherrschenden Klugheit, den sie mit ihm
eingeht, seiner männlichen Würde etwas vergeben, nie hätte er den holden und


Grillparzer und die klugen Frauen

ist sie es dadurch, daß sie, was Sappho und Melitta ziert, in sich vereinigend,
trotz aller Begabung doch auch ausgestattet ist mit einem schlichten Sinn, der
nicht klügelnd beschönigt, mit einem reichen, echt weiblichen Empfinden, das
thatsächlich „sterbend das Ergriffne nur verläßt," und vor allem durch ihr
rührendes Geschick. Aber dies Geschick ist ganz von ihrem Charakter getragen,
und die Rührung gilt daher beiden. Wie bei Sappho, atmen alle ihre Reden
Überlegenheit, ja Geist, ihrer Klugheit wird uicht nur wiederholt gedacht, sondern
dnrch die Worte des Priesters, die nun wieder für alle gelten könnten:


Der Wahnsinn, der das kluge Weib befällt,
Tode Heftger als der Thorheit wildstes Rasen,

zu der Gewalt, mit der die Liebe sie ergreift, ausdrücklich in ein Wechsel-
Verhältnis gebracht. Für sie ist Sapphvs Schilderung von der Liebe des
Weibes aufs wörtlichste gegeben, ihre Sünde ist der Sieg ihrer wahren Natur
und Natürlichkeit, ihr Tod deren Triumph. Doch ich will nicht wiederholen,
was ich schon an anderm Orte ausgeführt habe, und nur noch auf zwei! Be¬
merkungen Grillparzers hinweisen, die wenigstens einigermaßen ein persönliches
Verhältnis zwischen ihm und seiner Heldin bezeugen. Die eine ist jene be¬
kannte Bemerkung: „Im dritten Akt zu gebrauchen, wie damals Charlotte
(die Tochter der Karoline Pichler), als sie den ganzen Abend wortkarger und
kälter gewesen als sonst, beim Weggehen in der Hausthüre das Licht auf den
Boden setzte und sagte: Ich muß mir die Arme frei machen, um dich zu küssen.
Nicht gerade die Begebenheit soll dort Platz finden, sondern die Gesinnung,
die Gemütsstimmung." Und die andre: „Eine wunderschöne Fran reizte mich,
ihre Gestalt, wenn auch uicht ihr Wesen durch alle diese Wechselfälle durch-
zuführen." Sie also vertrat hier die Stelle jenes Mars Moravicus beim
Ottokar. Wenn aber irgend ein Name geeignet ist, für den Namen Melittas
in jene Behauptung Scherers eingesetzt zu werde», dünn ist es der Heros.

Manches hat Libussa mit dieser und jeuer ihrer Gefährtinnen gemein.
Voraus hat sie, daß sie „von höhern Mächten" abstammt. Wie Melusina zu
Raimund, so war eine „göttergleiche Frau" zu Krokus herabgestiegen, sich ihm
.zu vermählen, und von dieser hat sie, daß sie gleich Medem „gar hoch er¬
fahren ist in geheimer Kunst." Das Priesteramt liebt sie gleich Hero, und
wie Sappho, spendet sie, eine wirkliche Herrschern!, in weiser Übung ihres Amtes
ringsum Glück und Segen. Sapphos Verderben ist, daß ihre neuerwachte Liebes¬
sehnsucht, der ersten Wallung folgend, fehlgreift. Glücklicher ist Libussa. Auch
sie gehört einer andern Sphäre an, aus der sie, dein Zwange der Umstände
und dem Verlangen des Herzens folgend, herabsteigt; aber ihre Neigung führt
sie dem Würdigen zu, der ihr gewachsen ist. Hätte Primislav in dem Kampfe
der besonnenen und die Leidenschaft beherrschenden Klugheit, den sie mit ihm
eingeht, seiner männlichen Würde etwas vergeben, nie hätte er den holden und


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[0156] Grillparzer und die klugen Frauen ist sie es dadurch, daß sie, was Sappho und Melitta ziert, in sich vereinigend, trotz aller Begabung doch auch ausgestattet ist mit einem schlichten Sinn, der nicht klügelnd beschönigt, mit einem reichen, echt weiblichen Empfinden, das thatsächlich „sterbend das Ergriffne nur verläßt," und vor allem durch ihr rührendes Geschick. Aber dies Geschick ist ganz von ihrem Charakter getragen, und die Rührung gilt daher beiden. Wie bei Sappho, atmen alle ihre Reden Überlegenheit, ja Geist, ihrer Klugheit wird uicht nur wiederholt gedacht, sondern dnrch die Worte des Priesters, die nun wieder für alle gelten könnten: Der Wahnsinn, der das kluge Weib befällt, Tode Heftger als der Thorheit wildstes Rasen, zu der Gewalt, mit der die Liebe sie ergreift, ausdrücklich in ein Wechsel- Verhältnis gebracht. Für sie ist Sapphvs Schilderung von der Liebe des Weibes aufs wörtlichste gegeben, ihre Sünde ist der Sieg ihrer wahren Natur und Natürlichkeit, ihr Tod deren Triumph. Doch ich will nicht wiederholen, was ich schon an anderm Orte ausgeführt habe, und nur noch auf zwei! Be¬ merkungen Grillparzers hinweisen, die wenigstens einigermaßen ein persönliches Verhältnis zwischen ihm und seiner Heldin bezeugen. Die eine ist jene be¬ kannte Bemerkung: „Im dritten Akt zu gebrauchen, wie damals Charlotte (die Tochter der Karoline Pichler), als sie den ganzen Abend wortkarger und kälter gewesen als sonst, beim Weggehen in der Hausthüre das Licht auf den Boden setzte und sagte: Ich muß mir die Arme frei machen, um dich zu küssen. Nicht gerade die Begebenheit soll dort Platz finden, sondern die Gesinnung, die Gemütsstimmung." Und die andre: „Eine wunderschöne Fran reizte mich, ihre Gestalt, wenn auch uicht ihr Wesen durch alle diese Wechselfälle durch- zuführen." Sie also vertrat hier die Stelle jenes Mars Moravicus beim Ottokar. Wenn aber irgend ein Name geeignet ist, für den Namen Melittas in jene Behauptung Scherers eingesetzt zu werde», dünn ist es der Heros. Manches hat Libussa mit dieser und jeuer ihrer Gefährtinnen gemein. Voraus hat sie, daß sie „von höhern Mächten" abstammt. Wie Melusina zu Raimund, so war eine „göttergleiche Frau" zu Krokus herabgestiegen, sich ihm .zu vermählen, und von dieser hat sie, daß sie gleich Medem „gar hoch er¬ fahren ist in geheimer Kunst." Das Priesteramt liebt sie gleich Hero, und wie Sappho, spendet sie, eine wirkliche Herrschern!, in weiser Übung ihres Amtes ringsum Glück und Segen. Sapphos Verderben ist, daß ihre neuerwachte Liebes¬ sehnsucht, der ersten Wallung folgend, fehlgreift. Glücklicher ist Libussa. Auch sie gehört einer andern Sphäre an, aus der sie, dein Zwange der Umstände und dem Verlangen des Herzens folgend, herabsteigt; aber ihre Neigung führt sie dem Würdigen zu, der ihr gewachsen ist. Hätte Primislav in dem Kampfe der besonnenen und die Leidenschaft beherrschenden Klugheit, den sie mit ihm eingeht, seiner männlichen Würde etwas vergeben, nie hätte er den holden und

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_205998/156>, abgerufen am 30.06.2024.