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Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Viertes Vierteljahr.

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Grillparzer und die klugen Frauen

den König in der Jüdin auf alle paßt jene Darstellung, nur daß sie mehr
oder minder in die Lage kommen, auch jeden einzelnen Zug zu bethätigen.
Und dasselbe gilt für die Frauen, für Emma, Bertha (Ahnfrau), Sappho und
Melitta, Medea, Hero, Libusfa, selbst für Bertha im Ottokar, die durch ihr
Liebesleid zur Närrin wird. Auch unsre vier .Klugen sind darunter, ja sie vor
allen-, und wie mit dieser Liebe ihre Klugheit fertig, d. h. nicht fertig wird,
das ist das besondre und jedesmal anders behandelte Thema.

Sappho ist auf eine sehr hohe geistige Stufe gestellt, ja ihre Dichtergabe
stellt sie auf die höchste. Der Gegensatz erforderte es, der Gegensatz sowohl
zu Phaon wie zu Melitta, zur augenfälligen Begründung ihrer Liebe als eines
Irrtums und ihrer Verschmähung dnrch den, "der ohne Maßstab ist für
ihren Wert," als einer notwendigen. So enthält dasselbe Stück unter der
Gestalteureihe der Dramen zwei Höhepunkte; aber während Melitta in die
Vergangenheit des Dichters weist, weist Sappho in die Zukunft. Gewiß,
Melitta ist ihm ans Herz gewachsen; aber Sappho nicht minder: man lese die
Strafreden des Rhamnes und vergegenwärtige sich die Jammerrolle, die Phaon
im fünften Akte spielt. Dessen Ausspruch, daß "stiller Sinn des Weibes
höchster Schmuck" sei, so schön er ist, erschöpft doch nicht die Ansprüche, die
ein so mächtiger Geist wie Grillparzer an das Weib seiner höchsten Sympathie
zu stellen berechtigt ist lind unwillkürlich wirklich stellt, wenn er auch selbst
eine leidliche Philisterehe mit einer andern hätte führen können. Da stand ihm
Sappho näher.

Schon das nächste Werk ist das Goldne Vließ. So bald reizte es ihn,
wieder eine mit Stärke, Leidenschaft und auch Klugheit ausgestattete und
überdies, wie Sappho in der Dichtkunst, so auch in "geheimen Künsten"
andrer Art erfahrne Frau, die wie Sappho in allen das Gegenstück bildet zu
dem "Kinde" Melitta, der "Kleinen," durch die Wirrnisse einer tragischen
Liebesverkettuug zu führen, sogar in verwandter Lage; denn wie Philon zwischen
Sappho und Melitta steht, so Jason zwischen Medea und Kreusa. Ihre
geistige Überlegenheit war Sapphos Unglück; denn diese konnte bei Phaon wohl
Bewunderung, nicht aber Liebe wecken. Sie hinderte dies geradezu, seine ge¬
sunde, kräftige Natur sträubte sich gegen die Unterordnung unter das Weib
seiner Wahl. Anders hier; aber Medeas Wissen in geheimen Dingen, das sie
vor ihm voraus hatte, erweiterte dnrch das Grauen, das es einflößte, doch die
Kluft der Entfremdung, und umgekehrt steigerte ihre Klugheit infolge der größern
Feinfühligkeit sowohl das Bewußtsein ihres Elends als auch den Haß und
den Rachedurst. Diese Rache ist grausig, unmenschlich; und doch, wie hat der
Dichter sich bemüht und es auch erreicht, sie als die Rache einer aufs höchste
gereizten Barbarin begreiflich erscheinen zu lassen und für die Mörderin das
Mitleid so zu erregen, daß nicht sie, sondern Jason als der Schuldige erscheint,
und wir kalten Sinnes sein Geschick als gerecht hinnehmen.


Grillparzer und die klugen Frauen

den König in der Jüdin auf alle paßt jene Darstellung, nur daß sie mehr
oder minder in die Lage kommen, auch jeden einzelnen Zug zu bethätigen.
Und dasselbe gilt für die Frauen, für Emma, Bertha (Ahnfrau), Sappho und
Melitta, Medea, Hero, Libusfa, selbst für Bertha im Ottokar, die durch ihr
Liebesleid zur Närrin wird. Auch unsre vier .Klugen sind darunter, ja sie vor
allen-, und wie mit dieser Liebe ihre Klugheit fertig, d. h. nicht fertig wird,
das ist das besondre und jedesmal anders behandelte Thema.

Sappho ist auf eine sehr hohe geistige Stufe gestellt, ja ihre Dichtergabe
stellt sie auf die höchste. Der Gegensatz erforderte es, der Gegensatz sowohl
zu Phaon wie zu Melitta, zur augenfälligen Begründung ihrer Liebe als eines
Irrtums und ihrer Verschmähung dnrch den, „der ohne Maßstab ist für
ihren Wert," als einer notwendigen. So enthält dasselbe Stück unter der
Gestalteureihe der Dramen zwei Höhepunkte; aber während Melitta in die
Vergangenheit des Dichters weist, weist Sappho in die Zukunft. Gewiß,
Melitta ist ihm ans Herz gewachsen; aber Sappho nicht minder: man lese die
Strafreden des Rhamnes und vergegenwärtige sich die Jammerrolle, die Phaon
im fünften Akte spielt. Dessen Ausspruch, daß „stiller Sinn des Weibes
höchster Schmuck" sei, so schön er ist, erschöpft doch nicht die Ansprüche, die
ein so mächtiger Geist wie Grillparzer an das Weib seiner höchsten Sympathie
zu stellen berechtigt ist lind unwillkürlich wirklich stellt, wenn er auch selbst
eine leidliche Philisterehe mit einer andern hätte führen können. Da stand ihm
Sappho näher.

Schon das nächste Werk ist das Goldne Vließ. So bald reizte es ihn,
wieder eine mit Stärke, Leidenschaft und auch Klugheit ausgestattete und
überdies, wie Sappho in der Dichtkunst, so auch in „geheimen Künsten"
andrer Art erfahrne Frau, die wie Sappho in allen das Gegenstück bildet zu
dem „Kinde" Melitta, der „Kleinen," durch die Wirrnisse einer tragischen
Liebesverkettuug zu führen, sogar in verwandter Lage; denn wie Philon zwischen
Sappho und Melitta steht, so Jason zwischen Medea und Kreusa. Ihre
geistige Überlegenheit war Sapphos Unglück; denn diese konnte bei Phaon wohl
Bewunderung, nicht aber Liebe wecken. Sie hinderte dies geradezu, seine ge¬
sunde, kräftige Natur sträubte sich gegen die Unterordnung unter das Weib
seiner Wahl. Anders hier; aber Medeas Wissen in geheimen Dingen, das sie
vor ihm voraus hatte, erweiterte dnrch das Grauen, das es einflößte, doch die
Kluft der Entfremdung, und umgekehrt steigerte ihre Klugheit infolge der größern
Feinfühligkeit sowohl das Bewußtsein ihres Elends als auch den Haß und
den Rachedurst. Diese Rache ist grausig, unmenschlich; und doch, wie hat der
Dichter sich bemüht und es auch erreicht, sie als die Rache einer aufs höchste
gereizten Barbarin begreiflich erscheinen zu lassen und für die Mörderin das
Mitleid so zu erregen, daß nicht sie, sondern Jason als der Schuldige erscheint,
und wir kalten Sinnes sein Geschick als gerecht hinnehmen.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_205998/154>, abgerufen am 30.06.2024.