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Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Viertes Vierteljahr.

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Grillparzer und die klugen Frauen

fast ausschließlich den Gegenstand der Behandlung bildet. Gleichmäßig ist die
Frage behandelt, wie kluge Frauen, wenn die Liebe an sie herantritt, an ihren
Klippen scheitern oder ihnen entgehen. So betrat er mit Sappho, die die
Reihe eröffnet, ein Gebiet, das sein dichterisches Vermögen endlich als das ihm
angemessenste erkannte, und auf dem er sich dann erging wie auf sonst keinem.
Welche besondre Verwandtschaft zwischen Hero und Sappho besteht, habe ich
bereits an einem andern Orte (Grillparzerstndien, Wien, 1886) dargelegt.
Aber auch für die andern Stücke liegen solche verwandtschaftliche Beziehungen
vor, deren einige aufzudecken hier noch unternommen werden soll.

Liebe ist das ständige Thema, und durch der Menschenkennerin Sappho
redegewandten Mund verkündet Grillparzer, wie Mann und Frau nach seiner
Meinung naturgemäß lieben:


Nach Fraueuglut mißt Männerliebe nicht.

Wer Liebe kennt und Leben, Manu und Frau.

Gar wechselnd ist des Mannes rascher Sinn,

Dem Leben Unterthan, dem wechselnden.

Frei tritt er in des Daseins offne Bahn,

Vom Morgenrot der Hoffnung rings umflossen,

Mit Mut und Stärke, wie mit Schild und Schwert,

Zum ruhmbekränzten Kampfe ausgerüstet.

Zu eng dünkt ihm des Innern stille Welt,

Nach außen geht sein rastlos wildes Streben;

Und findet er die Lieb, bückt er sich wohl,

Das holde Blümchen von dem Grund zu lesen,

Befiehl es, freut sich sein und stecktS dann kalt

Zu andern Siegeszeichen aus den Helm.

Er kennet nicht die stille, mcichtge Glut,

Die Liebe weckt in eines Weibes Busen;

Wie all ihr Sem, ihr Denken und Begehren

Um diesen eiuzgeu Punkt sich einzig dreht,

Wie alle Wünsche, jungen Bügeln gleich,

Die angstvoll ihrer Mutter Nest umflattern,

Die Liebe, ihre Wiege und ihr Grab

Mit furchtsamer Beklemmung schüchtern hüten,

Das ganze Leben als ein Edelstein

Am Halse hängt der neugebornen Liebe!

Er liebt; allein in seinem weiten Busen

Ist noch für andres Raum: als bloß für Liebe,

Und manches, was dem Weibe Frevel dünkt,

Erlaubt er sich als Scherz nud freie Lust.


Überblickt man die Werke Grillparzers, so nehmen sich diese Verse als eine
bündige Norm aus, nach der in den folgenden Dramen Männer und Frauen
in ihrem Verhalten in der Liebe gewissenhaft behandelt sind. Man überblicke
sie, die Männer: Phaon, Jason, Zawisch, Otto von Meran, Leander, Primislnv,


Grenzboten IV 1889 19
Grillparzer und die klugen Frauen

fast ausschließlich den Gegenstand der Behandlung bildet. Gleichmäßig ist die
Frage behandelt, wie kluge Frauen, wenn die Liebe an sie herantritt, an ihren
Klippen scheitern oder ihnen entgehen. So betrat er mit Sappho, die die
Reihe eröffnet, ein Gebiet, das sein dichterisches Vermögen endlich als das ihm
angemessenste erkannte, und auf dem er sich dann erging wie auf sonst keinem.
Welche besondre Verwandtschaft zwischen Hero und Sappho besteht, habe ich
bereits an einem andern Orte (Grillparzerstndien, Wien, 1886) dargelegt.
Aber auch für die andern Stücke liegen solche verwandtschaftliche Beziehungen
vor, deren einige aufzudecken hier noch unternommen werden soll.

Liebe ist das ständige Thema, und durch der Menschenkennerin Sappho
redegewandten Mund verkündet Grillparzer, wie Mann und Frau nach seiner
Meinung naturgemäß lieben:


Nach Fraueuglut mißt Männerliebe nicht.

Wer Liebe kennt und Leben, Manu und Frau.

Gar wechselnd ist des Mannes rascher Sinn,

Dem Leben Unterthan, dem wechselnden.

Frei tritt er in des Daseins offne Bahn,

Vom Morgenrot der Hoffnung rings umflossen,

Mit Mut und Stärke, wie mit Schild und Schwert,

Zum ruhmbekränzten Kampfe ausgerüstet.

Zu eng dünkt ihm des Innern stille Welt,

Nach außen geht sein rastlos wildes Streben;

Und findet er die Lieb, bückt er sich wohl,

Das holde Blümchen von dem Grund zu lesen,

Befiehl es, freut sich sein und stecktS dann kalt

Zu andern Siegeszeichen aus den Helm.

Er kennet nicht die stille, mcichtge Glut,

Die Liebe weckt in eines Weibes Busen;

Wie all ihr Sem, ihr Denken und Begehren

Um diesen eiuzgeu Punkt sich einzig dreht,

Wie alle Wünsche, jungen Bügeln gleich,

Die angstvoll ihrer Mutter Nest umflattern,

Die Liebe, ihre Wiege und ihr Grab

Mit furchtsamer Beklemmung schüchtern hüten,

Das ganze Leben als ein Edelstein

Am Halse hängt der neugebornen Liebe!

Er liebt; allein in seinem weiten Busen

Ist noch für andres Raum: als bloß für Liebe,

Und manches, was dem Weibe Frevel dünkt,

Erlaubt er sich als Scherz nud freie Lust.


Überblickt man die Werke Grillparzers, so nehmen sich diese Verse als eine
bündige Norm aus, nach der in den folgenden Dramen Männer und Frauen
in ihrem Verhalten in der Liebe gewissenhaft behandelt sind. Man überblicke
sie, die Männer: Phaon, Jason, Zawisch, Otto von Meran, Leander, Primislnv,


Grenzboten IV 1889 19
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[0153] Grillparzer und die klugen Frauen fast ausschließlich den Gegenstand der Behandlung bildet. Gleichmäßig ist die Frage behandelt, wie kluge Frauen, wenn die Liebe an sie herantritt, an ihren Klippen scheitern oder ihnen entgehen. So betrat er mit Sappho, die die Reihe eröffnet, ein Gebiet, das sein dichterisches Vermögen endlich als das ihm angemessenste erkannte, und auf dem er sich dann erging wie auf sonst keinem. Welche besondre Verwandtschaft zwischen Hero und Sappho besteht, habe ich bereits an einem andern Orte (Grillparzerstndien, Wien, 1886) dargelegt. Aber auch für die andern Stücke liegen solche verwandtschaftliche Beziehungen vor, deren einige aufzudecken hier noch unternommen werden soll. Liebe ist das ständige Thema, und durch der Menschenkennerin Sappho redegewandten Mund verkündet Grillparzer, wie Mann und Frau nach seiner Meinung naturgemäß lieben: Nach Fraueuglut mißt Männerliebe nicht. Wer Liebe kennt und Leben, Manu und Frau. Gar wechselnd ist des Mannes rascher Sinn, Dem Leben Unterthan, dem wechselnden. Frei tritt er in des Daseins offne Bahn, Vom Morgenrot der Hoffnung rings umflossen, Mit Mut und Stärke, wie mit Schild und Schwert, Zum ruhmbekränzten Kampfe ausgerüstet. Zu eng dünkt ihm des Innern stille Welt, Nach außen geht sein rastlos wildes Streben; Und findet er die Lieb, bückt er sich wohl, Das holde Blümchen von dem Grund zu lesen, Befiehl es, freut sich sein und stecktS dann kalt Zu andern Siegeszeichen aus den Helm. Er kennet nicht die stille, mcichtge Glut, Die Liebe weckt in eines Weibes Busen; Wie all ihr Sem, ihr Denken und Begehren Um diesen eiuzgeu Punkt sich einzig dreht, Wie alle Wünsche, jungen Bügeln gleich, Die angstvoll ihrer Mutter Nest umflattern, Die Liebe, ihre Wiege und ihr Grab Mit furchtsamer Beklemmung schüchtern hüten, Das ganze Leben als ein Edelstein Am Halse hängt der neugebornen Liebe! Er liebt; allein in seinem weiten Busen Ist noch für andres Raum: als bloß für Liebe, Und manches, was dem Weibe Frevel dünkt, Erlaubt er sich als Scherz nud freie Lust. Überblickt man die Werke Grillparzers, so nehmen sich diese Verse als eine bündige Norm aus, nach der in den folgenden Dramen Männer und Frauen in ihrem Verhalten in der Liebe gewissenhaft behandelt sind. Man überblicke sie, die Männer: Phaon, Jason, Zawisch, Otto von Meran, Leander, Primislnv, Grenzboten IV 1889 19

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_205998/153>, abgerufen am 30.06.2024.