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Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Viertes Vierteljahr.

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Grillparzer und die klugen Frauen

uicht fehlen durfte, wo des nun schon gereiftern Mannes sympathisches
Empfinden sich bis zur dauernde" Liebe steigern sollte.

Schon dies eine Zeugnis könnte uns, weil der Lyrik Grillparzers ent¬
nommen, befriedigen. Wir dürfen aber wohl weiter gehen und mit Scherer
den Eindruck verwerten, den wir aus Dramen, aus der Betrachtung einzelner
und Vergleichung mehrerer gewinnen. Und da finden wir denn bald eine
weitere Bestätigung.

Es giebt wohl keinen Dramatiker, bei dem sich so häufig im Munde der
Mitspielenden Abschätzungen der geistigen Begabung dieser und jener andern
Gestalt des Stückes fänden, wie bei Grillparzer, und auch keinen, bei denen
Klugheit oder geringe Begabung und Thorheit in der Charakteristik so stark
herausgehoben und für die Gestaltung der Handlung bis zum Ausgang als
stündig wirkende Hebel so kräftig verwendet würden. Es gehört das zu seineu
hervorstechendsten Eigentümlichkeiten, und daran haben die Frauen nicht nur
den gleichen Anteil wie die Männer, sondern sie werden sogar auffallend be¬
vorzugt. Erstens in der Weise, daß auf eine so tiefe Stufe, wie- sie Galvmir
vertritt, bei ihnen nicht hinabgestiegen wird, sodann dadurch, daß als geistig
hervorragend hingestellte Frauen wiederholt die Heldinnen und Trägerinnen
der Stücke sind. Das wird einzelnen Männern in dem Maße nirgends zu teil,
im Gegenteil, ziehen wir noch den armen Spielmann heran, so haben wir da
geradezu den geistig Armen zum Helden. Sowenig nun sich einerseits die Ab¬
sicht des Dichters verkennen läßt, durch die Geschicke, die diese Heldinnen er¬
leiden, zu betonen, daß jene Überlegenheit nicht in der Sphäre der unbedingt
weiblichen Vorzüge liege, und so wenig sie vor Irrtum, Thorheiten und Ver¬
derben schützt, ja in diese geradezu hineinführt, ebenso sehr nötigt doch auch
jene sichtbare Bevorzugung zu der Annahme, daß geistige Überlegenheit bei
Frauen, wenn er sie mich mit Kopfschütteln betrachtet, doch einen geheimen
Reiz auf ihn ausübte, sich bestündig mit ihr zu beschäftige" und sie geradezu
zum Gegenstande seines Studiums zu machen. Denn für den Schriftsteller
ist jede derartige Arbeit zugleich eine Schule neuer Erkenntnis, für die Kunst
sowohl wie für das Leben. Und so würde denn Wohl folgendes das wahre
Verhältnis sein. Melitta und die ihr mehr oder weniger verwandten Gestalten,
wie Bertha, Emma, Kreusa, Edrita, entzückte,, wohl sein Auge, wenn es ans
ihnen verweilte, und die Phantasie, wenn sie mit ihnen spielte; tiefer und
dauernder aber als Mensch und als Künstler fesselten ihn jene andern Ge¬
stalten: Sappho, Medea, Hero, Libnssa. Und sie treten zugleich aus der
laugen Reihe der Bühnengestalten Grillparzers am stärksten hervor; sie stehen
vor allen vor dein Auge der Erinnerung, wenn Grillparzer als Dramatiker
genannt wird.

Die Stücke, deren Trägerinnen die vier genannten sind, sind aber auch
die, in denen ^- von der Jüdin von Toledo später -- Liebe ausschließlich oder


Grillparzer und die klugen Frauen

uicht fehlen durfte, wo des nun schon gereiftern Mannes sympathisches
Empfinden sich bis zur dauernde» Liebe steigern sollte.

Schon dies eine Zeugnis könnte uns, weil der Lyrik Grillparzers ent¬
nommen, befriedigen. Wir dürfen aber wohl weiter gehen und mit Scherer
den Eindruck verwerten, den wir aus Dramen, aus der Betrachtung einzelner
und Vergleichung mehrerer gewinnen. Und da finden wir denn bald eine
weitere Bestätigung.

Es giebt wohl keinen Dramatiker, bei dem sich so häufig im Munde der
Mitspielenden Abschätzungen der geistigen Begabung dieser und jener andern
Gestalt des Stückes fänden, wie bei Grillparzer, und auch keinen, bei denen
Klugheit oder geringe Begabung und Thorheit in der Charakteristik so stark
herausgehoben und für die Gestaltung der Handlung bis zum Ausgang als
stündig wirkende Hebel so kräftig verwendet würden. Es gehört das zu seineu
hervorstechendsten Eigentümlichkeiten, und daran haben die Frauen nicht nur
den gleichen Anteil wie die Männer, sondern sie werden sogar auffallend be¬
vorzugt. Erstens in der Weise, daß auf eine so tiefe Stufe, wie- sie Galvmir
vertritt, bei ihnen nicht hinabgestiegen wird, sodann dadurch, daß als geistig
hervorragend hingestellte Frauen wiederholt die Heldinnen und Trägerinnen
der Stücke sind. Das wird einzelnen Männern in dem Maße nirgends zu teil,
im Gegenteil, ziehen wir noch den armen Spielmann heran, so haben wir da
geradezu den geistig Armen zum Helden. Sowenig nun sich einerseits die Ab¬
sicht des Dichters verkennen läßt, durch die Geschicke, die diese Heldinnen er¬
leiden, zu betonen, daß jene Überlegenheit nicht in der Sphäre der unbedingt
weiblichen Vorzüge liege, und so wenig sie vor Irrtum, Thorheiten und Ver¬
derben schützt, ja in diese geradezu hineinführt, ebenso sehr nötigt doch auch
jene sichtbare Bevorzugung zu der Annahme, daß geistige Überlegenheit bei
Frauen, wenn er sie mich mit Kopfschütteln betrachtet, doch einen geheimen
Reiz auf ihn ausübte, sich bestündig mit ihr zu beschäftige» und sie geradezu
zum Gegenstande seines Studiums zu machen. Denn für den Schriftsteller
ist jede derartige Arbeit zugleich eine Schule neuer Erkenntnis, für die Kunst
sowohl wie für das Leben. Und so würde denn Wohl folgendes das wahre
Verhältnis sein. Melitta und die ihr mehr oder weniger verwandten Gestalten,
wie Bertha, Emma, Kreusa, Edrita, entzückte,, wohl sein Auge, wenn es ans
ihnen verweilte, und die Phantasie, wenn sie mit ihnen spielte; tiefer und
dauernder aber als Mensch und als Künstler fesselten ihn jene andern Ge¬
stalten: Sappho, Medea, Hero, Libnssa. Und sie treten zugleich aus der
laugen Reihe der Bühnengestalten Grillparzers am stärksten hervor; sie stehen
vor allen vor dein Auge der Erinnerung, wenn Grillparzer als Dramatiker
genannt wird.

Die Stücke, deren Trägerinnen die vier genannten sind, sind aber auch
die, in denen ^- von der Jüdin von Toledo später — Liebe ausschließlich oder


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[0152] Grillparzer und die klugen Frauen uicht fehlen durfte, wo des nun schon gereiftern Mannes sympathisches Empfinden sich bis zur dauernde» Liebe steigern sollte. Schon dies eine Zeugnis könnte uns, weil der Lyrik Grillparzers ent¬ nommen, befriedigen. Wir dürfen aber wohl weiter gehen und mit Scherer den Eindruck verwerten, den wir aus Dramen, aus der Betrachtung einzelner und Vergleichung mehrerer gewinnen. Und da finden wir denn bald eine weitere Bestätigung. Es giebt wohl keinen Dramatiker, bei dem sich so häufig im Munde der Mitspielenden Abschätzungen der geistigen Begabung dieser und jener andern Gestalt des Stückes fänden, wie bei Grillparzer, und auch keinen, bei denen Klugheit oder geringe Begabung und Thorheit in der Charakteristik so stark herausgehoben und für die Gestaltung der Handlung bis zum Ausgang als stündig wirkende Hebel so kräftig verwendet würden. Es gehört das zu seineu hervorstechendsten Eigentümlichkeiten, und daran haben die Frauen nicht nur den gleichen Anteil wie die Männer, sondern sie werden sogar auffallend be¬ vorzugt. Erstens in der Weise, daß auf eine so tiefe Stufe, wie- sie Galvmir vertritt, bei ihnen nicht hinabgestiegen wird, sodann dadurch, daß als geistig hervorragend hingestellte Frauen wiederholt die Heldinnen und Trägerinnen der Stücke sind. Das wird einzelnen Männern in dem Maße nirgends zu teil, im Gegenteil, ziehen wir noch den armen Spielmann heran, so haben wir da geradezu den geistig Armen zum Helden. Sowenig nun sich einerseits die Ab¬ sicht des Dichters verkennen läßt, durch die Geschicke, die diese Heldinnen er¬ leiden, zu betonen, daß jene Überlegenheit nicht in der Sphäre der unbedingt weiblichen Vorzüge liege, und so wenig sie vor Irrtum, Thorheiten und Ver¬ derben schützt, ja in diese geradezu hineinführt, ebenso sehr nötigt doch auch jene sichtbare Bevorzugung zu der Annahme, daß geistige Überlegenheit bei Frauen, wenn er sie mich mit Kopfschütteln betrachtet, doch einen geheimen Reiz auf ihn ausübte, sich bestündig mit ihr zu beschäftige» und sie geradezu zum Gegenstande seines Studiums zu machen. Denn für den Schriftsteller ist jede derartige Arbeit zugleich eine Schule neuer Erkenntnis, für die Kunst sowohl wie für das Leben. Und so würde denn Wohl folgendes das wahre Verhältnis sein. Melitta und die ihr mehr oder weniger verwandten Gestalten, wie Bertha, Emma, Kreusa, Edrita, entzückte,, wohl sein Auge, wenn es ans ihnen verweilte, und die Phantasie, wenn sie mit ihnen spielte; tiefer und dauernder aber als Mensch und als Künstler fesselten ihn jene andern Ge¬ stalten: Sappho, Medea, Hero, Libnssa. Und sie treten zugleich aus der laugen Reihe der Bühnengestalten Grillparzers am stärksten hervor; sie stehen vor allen vor dein Auge der Erinnerung, wenn Grillparzer als Dramatiker genannt wird. Die Stücke, deren Trägerinnen die vier genannten sind, sind aber auch die, in denen ^- von der Jüdin von Toledo später — Liebe ausschließlich oder

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_205998/152>, abgerufen am 30.06.2024.