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Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Viertes Vierteljahr.

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Grillparzer und die klugen Frauen

der Sappho dar, mit dessen Aufbau der Dichter bekanntlich schon nach wenige"
Stunden fertig war, und so begreifen nur, daß "der Dichter seine persönlichen
Stimmungen in das Seelenleben der Sappho hineintrug," wie Scherer sagt
und, was schon Karoline Pichler bald nach der ersten Aufführung 1818 be¬
merkte, und daß das Drama selbst so überaus rasch und in einem Zuge entstehen
konnte. Von den drei Gestalten desselben lagen ja schon zwei vollständig
fertig in ihm bereit.

Es dürfte bei uns wenig Männer des Alters geben, in welchem Grill¬
parzer das Melitta umfassende Drama schrieb, die von dem Zauber, der diesem
sanften Naturkiude entströmt, nicht bis zu der Empfindung bestrickt würden,
in ihr das geheimste und innigste Sehnen des Herzens verkörpert zu sehen.
So oft ihr Bild aufsteigt, weilt, wie bei Goethes Klärcheu und Gretchen, die
Erinnerung gern bei ihr und schwelgt in den Reizen der Naivität, der Anmut
in Wort und Geberde, die des Dichters selbstverzückte Empfindung über das
holde Mädchen auszugießen verstanden hat. Und doch -- Grillparzer ist kein
Phaon. So wenig dieser in Sappho dauerndes Genügen gefunden hätte und
sie in ihm, so wenig Grillparzer in Meinem und natürlich eben sowenig oder
noch weniger in Sappho. Aber eines hätte er doch an dieser tiefer und nach¬
haltiger zu würdigen gewußt: die geistige Bedeutuug, die er, wie Meinem
die Lieblichkeit, ihr selbst verliehen, nicht die besondre als Dichterin, sondern
jene allgemeine, wie sie in allein, was sie spricht und thut, zum Ausdruck
kommt.

Denn Klugheit und Verstand bei Frauen fesselten den Meuscheu Grill¬
parzer viel mehr als es die woher immer stammende Jdealgestalt Melitta,
von der es in vorsichtiger Wendung heißt: "obschon nicht hohen Geistes, von
mäßgeu Geben," zum Ausdruck bringt, und viel mehr, als der Dichter selbst,
damals und wohl auch später, in klarer Selbsterkenntnis es zugestanden hätte.
Doch nein, ein solches Geständnis liegt vor. In dem Gedicht Jugenderinne-
rungen im Grünen ^gedruckt 1835) lesen wir:


Da fand ich sie, die nimmer mir entschwinden.
Sich mir ersetzen wird im Leben nie;
Ich glaubte meine Seligkeit zu finden,
Und mein geheimstes Wesen rief: nur die!
Gefühl, das sich in Herzenswärme sonnte,
Verstand, wenn gleich von Güte überragt,
Ans Märchen grenzt, was sie für andre konnte,
An Heilgenschein, was sie sich selbst versagt.

Bei den letzten Zeilen tauchen unwillkürlich Bertha und Melitta vor uns auf;
aber diesmal ist vou einem leibhaftigen Wesen, von einer Jdealgestalt, die ihm
das Leben selbst entgegengeführt hatte, von Kathi Fröhlich die Rede, und
da verrät uns der Verstand, so ausdrücklich betont, daß er wohl überhaupt


Grillparzer und die klugen Frauen

der Sappho dar, mit dessen Aufbau der Dichter bekanntlich schon nach wenige»
Stunden fertig war, und so begreifen nur, daß „der Dichter seine persönlichen
Stimmungen in das Seelenleben der Sappho hineintrug," wie Scherer sagt
und, was schon Karoline Pichler bald nach der ersten Aufführung 1818 be¬
merkte, und daß das Drama selbst so überaus rasch und in einem Zuge entstehen
konnte. Von den drei Gestalten desselben lagen ja schon zwei vollständig
fertig in ihm bereit.

Es dürfte bei uns wenig Männer des Alters geben, in welchem Grill¬
parzer das Melitta umfassende Drama schrieb, die von dem Zauber, der diesem
sanften Naturkiude entströmt, nicht bis zu der Empfindung bestrickt würden,
in ihr das geheimste und innigste Sehnen des Herzens verkörpert zu sehen.
So oft ihr Bild aufsteigt, weilt, wie bei Goethes Klärcheu und Gretchen, die
Erinnerung gern bei ihr und schwelgt in den Reizen der Naivität, der Anmut
in Wort und Geberde, die des Dichters selbstverzückte Empfindung über das
holde Mädchen auszugießen verstanden hat. Und doch — Grillparzer ist kein
Phaon. So wenig dieser in Sappho dauerndes Genügen gefunden hätte und
sie in ihm, so wenig Grillparzer in Meinem und natürlich eben sowenig oder
noch weniger in Sappho. Aber eines hätte er doch an dieser tiefer und nach¬
haltiger zu würdigen gewußt: die geistige Bedeutuug, die er, wie Meinem
die Lieblichkeit, ihr selbst verliehen, nicht die besondre als Dichterin, sondern
jene allgemeine, wie sie in allein, was sie spricht und thut, zum Ausdruck
kommt.

Denn Klugheit und Verstand bei Frauen fesselten den Meuscheu Grill¬
parzer viel mehr als es die woher immer stammende Jdealgestalt Melitta,
von der es in vorsichtiger Wendung heißt: „obschon nicht hohen Geistes, von
mäßgeu Geben," zum Ausdruck bringt, und viel mehr, als der Dichter selbst,
damals und wohl auch später, in klarer Selbsterkenntnis es zugestanden hätte.
Doch nein, ein solches Geständnis liegt vor. In dem Gedicht Jugenderinne-
rungen im Grünen ^gedruckt 1835) lesen wir:


Da fand ich sie, die nimmer mir entschwinden.
Sich mir ersetzen wird im Leben nie;
Ich glaubte meine Seligkeit zu finden,
Und mein geheimstes Wesen rief: nur die!
Gefühl, das sich in Herzenswärme sonnte,
Verstand, wenn gleich von Güte überragt,
Ans Märchen grenzt, was sie für andre konnte,
An Heilgenschein, was sie sich selbst versagt.

Bei den letzten Zeilen tauchen unwillkürlich Bertha und Melitta vor uns auf;
aber diesmal ist vou einem leibhaftigen Wesen, von einer Jdealgestalt, die ihm
das Leben selbst entgegengeführt hatte, von Kathi Fröhlich die Rede, und
da verrät uns der Verstand, so ausdrücklich betont, daß er wohl überhaupt


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[0151] Grillparzer und die klugen Frauen der Sappho dar, mit dessen Aufbau der Dichter bekanntlich schon nach wenige» Stunden fertig war, und so begreifen nur, daß „der Dichter seine persönlichen Stimmungen in das Seelenleben der Sappho hineintrug," wie Scherer sagt und, was schon Karoline Pichler bald nach der ersten Aufführung 1818 be¬ merkte, und daß das Drama selbst so überaus rasch und in einem Zuge entstehen konnte. Von den drei Gestalten desselben lagen ja schon zwei vollständig fertig in ihm bereit. Es dürfte bei uns wenig Männer des Alters geben, in welchem Grill¬ parzer das Melitta umfassende Drama schrieb, die von dem Zauber, der diesem sanften Naturkiude entströmt, nicht bis zu der Empfindung bestrickt würden, in ihr das geheimste und innigste Sehnen des Herzens verkörpert zu sehen. So oft ihr Bild aufsteigt, weilt, wie bei Goethes Klärcheu und Gretchen, die Erinnerung gern bei ihr und schwelgt in den Reizen der Naivität, der Anmut in Wort und Geberde, die des Dichters selbstverzückte Empfindung über das holde Mädchen auszugießen verstanden hat. Und doch — Grillparzer ist kein Phaon. So wenig dieser in Sappho dauerndes Genügen gefunden hätte und sie in ihm, so wenig Grillparzer in Meinem und natürlich eben sowenig oder noch weniger in Sappho. Aber eines hätte er doch an dieser tiefer und nach¬ haltiger zu würdigen gewußt: die geistige Bedeutuug, die er, wie Meinem die Lieblichkeit, ihr selbst verliehen, nicht die besondre als Dichterin, sondern jene allgemeine, wie sie in allein, was sie spricht und thut, zum Ausdruck kommt. Denn Klugheit und Verstand bei Frauen fesselten den Meuscheu Grill¬ parzer viel mehr als es die woher immer stammende Jdealgestalt Melitta, von der es in vorsichtiger Wendung heißt: „obschon nicht hohen Geistes, von mäßgeu Geben," zum Ausdruck bringt, und viel mehr, als der Dichter selbst, damals und wohl auch später, in klarer Selbsterkenntnis es zugestanden hätte. Doch nein, ein solches Geständnis liegt vor. In dem Gedicht Jugenderinne- rungen im Grünen ^gedruckt 1835) lesen wir: Da fand ich sie, die nimmer mir entschwinden. Sich mir ersetzen wird im Leben nie; Ich glaubte meine Seligkeit zu finden, Und mein geheimstes Wesen rief: nur die! Gefühl, das sich in Herzenswärme sonnte, Verstand, wenn gleich von Güte überragt, Ans Märchen grenzt, was sie für andre konnte, An Heilgenschein, was sie sich selbst versagt. Bei den letzten Zeilen tauchen unwillkürlich Bertha und Melitta vor uns auf; aber diesmal ist vou einem leibhaftigen Wesen, von einer Jdealgestalt, die ihm das Leben selbst entgegengeführt hatte, von Kathi Fröhlich die Rede, und da verrät uns der Verstand, so ausdrücklich betont, daß er wohl überhaupt

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_205998/151>, abgerufen am 30.06.2024.