Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Viertes Vierteljahr.Grillparzer und die klugen Frauen weniger als das eines feurigen, ewig jugendlichen Phantasicmenschcu, sondern Wenn es von Melitta im Verlauf der obigen Chnrakterisiruug hieß, Nur zaudernd waget, Freuides zu berühre", so entspricht das auch dem Wesen Berthas in der Ahnfrau, wie auch umge¬ Ach so warst du schon als Kind, samt der folgenden Antwort von etwas spitzfindiger Naivität: "ut bin ich nicht wirklich schuldig? nichts in sich bergen, was nicht durch Melittas Verhalten Snppho gegenüber Grillparzer und die klugen Frauen weniger als das eines feurigen, ewig jugendlichen Phantasicmenschcu, sondern Wenn es von Melitta im Verlauf der obigen Chnrakterisiruug hieß, Nur zaudernd waget, Freuides zu berühre», so entspricht das auch dem Wesen Berthas in der Ahnfrau, wie auch umge¬ Ach so warst du schon als Kind, samt der folgenden Antwort von etwas spitzfindiger Naivität: »ut bin ich nicht wirklich schuldig? nichts in sich bergen, was nicht durch Melittas Verhalten Snppho gegenüber <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0150" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/206149"/> <fw type="header" place="top"> Grillparzer und die klugen Frauen</fw><lb/> <p xml:id="ID_539" prev="#ID_538"> weniger als das eines feurigen, ewig jugendlichen Phantasicmenschcu, sondern<lb/> viel eher das eines alten Grüblers, der uns manchmal stark an seinen Rudolf II,<lb/> erinnert. Wenn wir also trotzdem jene Behauptung Scherers gelten lasse«,<lb/> so hat dies doch mit der Einschränkung zu geschehen, daß Melitta die Ver¬<lb/> körperung des weiblichen Jugendideals unsers Dichters darstellen mag, und<lb/> diese Auffassung schlüge auch einmal bei Scherer durch, da, wo er selbst zum<lb/> Dichter werdend über Melitta sagt: „Das ist so zart und süß und keusch<lb/> geschildert, wie eine reine Jünglingsphantasie sich schüchtern die Geliebte denken<lb/> mag." Was eine solche Annahme rechtfertigt, hat Scherer in dem Abschnitt<lb/> „Des Innern stiller Friede" aufs vortrefflichste entwickelt. Wir lenken zur<lb/> Bestätigung und Ergänzung die Blicke noch auf folgendes.</p><lb/> <p xml:id="ID_540" next="#ID_541"> Wenn es von Melitta im Verlauf der obigen Chnrakterisiruug hieß,<lb/> daß sie</p><lb/> <quote> Nur zaudernd waget, Freuides zu berühre»,<lb/> Doch fest sich saugt, wenn es einmal ergriffen,<lb/> Und sterbend das Ergriffne uur verläßt,</quote><lb/> <p xml:id="ID_541" prev="#ID_540" next="#ID_542"> so entspricht das auch dem Wesen Berthas in der Ahnfrau, wie auch umge¬<lb/> kehrt Borotnis Worte von ihr:</p><lb/> <quote> Ach so warst du schon als Kind,<lb/> Trngest immerdar zugleich<lb/> Der Beleidgung herben Schmerz<lb/> Und das Unrecht des Beleidgers.<lb/> Immer gut und immer schuldlos<lb/> schienst du stets die Schuldige,</quote><lb/> <p xml:id="ID_542" prev="#ID_541" next="#ID_543"> samt der folgenden Antwort von etwas spitzfindiger Naivität:</p><lb/> <quote> »ut bin ich nicht wirklich schuldig?<lb/> Wenn much nicht als Grund des Zorns,<lb/> Ach, doch mis sein Gegenstand</quote><lb/> <p xml:id="ID_543" prev="#ID_542" next="#ID_544"> nichts in sich bergen, was nicht durch Melittas Verhalten Snppho gegenüber<lb/> als auch ihrem Wesen eigen bethätigt würde. Solche Züge sind aber so gruud-<lb/> bestimmend, daß, wo sie gemeinsam sind, eine auch noch weiter gehende innere<lb/> Verwandtschaft anzusetzen ist. Und dahin geht unsre Meinung. Melitta hat<lb/> ihre Vorgeschichte nicht nur im Leben des Dichters, sondern anch in seinen<lb/> Dichtungen. Zum erstenmal taucht ein Wesen ihrer Art auf in dem wahr¬<lb/> scheinlich schon 1L10 entstandnen Fragment Alfred der Große in der Person<lb/> der Emma. Auch diese ist ein Naturkind, voll Anmut und Unschuld, voll<lb/> Liebreiz und ahnungsloser Hingebung, nur daß mehr Lust und Leben in ihren<lb/> Adern rinnt. Das Stück blieb unvollendet, aber Emmas Gestalt lebte und<lb/> entwickelte sich im Dichter weiter. Der Stoff der Ahnfrau bot keinen Raum<lb/> für sie oder ihresgleichen; dennoch umgaukelte sie ihn, und was der Stoff<lb/> zuließ, nahm Bertha in sich ans. Dann aber bot der Zufall ihm deu Stoff</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0150]
Grillparzer und die klugen Frauen
weniger als das eines feurigen, ewig jugendlichen Phantasicmenschcu, sondern
viel eher das eines alten Grüblers, der uns manchmal stark an seinen Rudolf II,
erinnert. Wenn wir also trotzdem jene Behauptung Scherers gelten lasse«,
so hat dies doch mit der Einschränkung zu geschehen, daß Melitta die Ver¬
körperung des weiblichen Jugendideals unsers Dichters darstellen mag, und
diese Auffassung schlüge auch einmal bei Scherer durch, da, wo er selbst zum
Dichter werdend über Melitta sagt: „Das ist so zart und süß und keusch
geschildert, wie eine reine Jünglingsphantasie sich schüchtern die Geliebte denken
mag." Was eine solche Annahme rechtfertigt, hat Scherer in dem Abschnitt
„Des Innern stiller Friede" aufs vortrefflichste entwickelt. Wir lenken zur
Bestätigung und Ergänzung die Blicke noch auf folgendes.
Wenn es von Melitta im Verlauf der obigen Chnrakterisiruug hieß,
daß sie
Nur zaudernd waget, Freuides zu berühre»,
Doch fest sich saugt, wenn es einmal ergriffen,
Und sterbend das Ergriffne uur verläßt,
so entspricht das auch dem Wesen Berthas in der Ahnfrau, wie auch umge¬
kehrt Borotnis Worte von ihr:
Ach so warst du schon als Kind,
Trngest immerdar zugleich
Der Beleidgung herben Schmerz
Und das Unrecht des Beleidgers.
Immer gut und immer schuldlos
schienst du stets die Schuldige,
samt der folgenden Antwort von etwas spitzfindiger Naivität:
»ut bin ich nicht wirklich schuldig?
Wenn much nicht als Grund des Zorns,
Ach, doch mis sein Gegenstand
nichts in sich bergen, was nicht durch Melittas Verhalten Snppho gegenüber
als auch ihrem Wesen eigen bethätigt würde. Solche Züge sind aber so gruud-
bestimmend, daß, wo sie gemeinsam sind, eine auch noch weiter gehende innere
Verwandtschaft anzusetzen ist. Und dahin geht unsre Meinung. Melitta hat
ihre Vorgeschichte nicht nur im Leben des Dichters, sondern anch in seinen
Dichtungen. Zum erstenmal taucht ein Wesen ihrer Art auf in dem wahr¬
scheinlich schon 1L10 entstandnen Fragment Alfred der Große in der Person
der Emma. Auch diese ist ein Naturkind, voll Anmut und Unschuld, voll
Liebreiz und ahnungsloser Hingebung, nur daß mehr Lust und Leben in ihren
Adern rinnt. Das Stück blieb unvollendet, aber Emmas Gestalt lebte und
entwickelte sich im Dichter weiter. Der Stoff der Ahnfrau bot keinen Raum
für sie oder ihresgleichen; dennoch umgaukelte sie ihn, und was der Stoff
zuließ, nahm Bertha in sich ans. Dann aber bot der Zufall ihm deu Stoff
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