Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Viertes Vierteljahr.Und unbehilflich für der Künste Übung, Nun ist es richtig: die Gestalten der Phantasie können sich nicht ans Etwas kühne Bezeichnung, den nicht sehr poetisch numntenden Vergleich mit der Schnecke
erträglich zu machen. Und unbehilflich für der Künste Übung, Nun ist es richtig: die Gestalten der Phantasie können sich nicht ans Etwas kühne Bezeichnung, den nicht sehr poetisch numntenden Vergleich mit der Schnecke
erträglich zu machen. <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0149" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/206148"/> <fw type="header" place="top"/><lb/> <quote> Und unbehilflich für der Künste Übung,<lb/> Wnr sie mir doch vor andern lieb und wert<lb/> Durch anspruchsloses, fromm bescheidnes Wesen,<lb/> Durch jene liebevolle Innigkeit, ,<lb/> Die, langsam gleich dem stillen Garteuwürmche»,*)<lb/> Das Haus ist und Bewohnerin zugleich.<lb/> Stets fertig, bei dem leisesten Geräusche,<lb/> Erschreckt sich in sich selbst zurückzuziehen,<lb/> Und um sich fühlend mit den weichen Fäden<lb/> Nur zaudernd waget, Fremdes zu berühren,<lb/> Doch fest sich saugt, wenn es einmal ergriffen,<lb/> Und sterbend das Ergriffne uur verläßt.</quote><lb/> <p xml:id="ID_538" next="#ID_539"> Nun ist es richtig: die Gestalten der Phantasie können sich nicht ans<lb/> andern Bestandteilen zusammensetzen als ans solchen, die sich im dauernden<lb/> Vorrat des Geistes finden. Und vollends bei einer geistigen Vertiefung, wie<lb/> sie die Schöpfung eines dramatischen Charakters erfordert, kann in diesen nur<lb/> überfließen, was in längerer Erfahrung und unter steter Teilnahme auch eines<lb/> gemütlichen Interesses eine feste Gestalt gewonnen hat, und wird es umsomehr,<lb/> je rascher gearbeitet wird, und die Sappho ist in drei Wochen entstanden.<lb/> Aber Grillparzer hat mehrere weibliche Idealgestalten und, so weit ihre Durch¬<lb/> arbeitung dies verrät, alle mit derselben liebevollen Wärme und persönlichen<lb/> Teilnahme geschaffen. Daß für Melitta diese Teilnahme die innigste und<lb/> Persönlichste gewesen sei, dafür fehlt jede unmittelbare Bestätigung; es kann<lb/> nur erschlossen werden, und unser Schlußmaterial führt nicht eben dahin. Die<lb/> Ideale ferner wechseln wie alle Wünsche; sie wechseln nicht nur mit der<lb/> reifenden Erfahrung, sie wechseln sogar nach Stimmungen. Vollends das<lb/> Ideal des Weibes, das ein jugendlich glühendes und schwärmendes Gemüt<lb/> sich gestaltet, wird unausweichlich anders, wenn der ruhige Verstand mehr<lb/> und mehr im Gewoge des Seelenlebens sich zu einer herrschenden Stellung<lb/> emporarbeitet. Und nicht nur diesen gesetzmäßigen Entwicklungsgang hat auch<lb/> Grillparzer zurückgelegt, sondern er rang sogar nach Vertiefung, nach grübelnder<lb/> Versenkung in die Dinge, die seinen Geist umgaben und beschäftigten. Des<lb/> sind Zeugnis viele seiner Epigramme, seine Neigung zu Sentenzen, an denen<lb/> schon die Jugendwerke nicht arm sind, und in denen wir Schillerschen Einfluß<lb/> erblicken, jene langatmigen Ergüsse, hinsichtlich deren er selbst einmal sagt:<lb/> „Daß ich bei länger dauernden Arbeiten leicht dem ersten Plane untren werde,<lb/> liegt auch mit darin, daß ich Lieblingsthemata und Ansichten in mir herum<lb/> trage, die sich mir unbewußt einmischen, wo es uur immer erträglich ist."<lb/> Doch das ist ja allbekannt; das Bild, das wir von ihm hegen, ist nichts</p><lb/> <note xml:id="FID_28" place="foot"> Etwas kühne Bezeichnung, den nicht sehr poetisch numntenden Vergleich mit der Schnecke<lb/> erträglich zu machen.</note><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0149]
Und unbehilflich für der Künste Übung,
Wnr sie mir doch vor andern lieb und wert
Durch anspruchsloses, fromm bescheidnes Wesen,
Durch jene liebevolle Innigkeit, ,
Die, langsam gleich dem stillen Garteuwürmche»,*)
Das Haus ist und Bewohnerin zugleich.
Stets fertig, bei dem leisesten Geräusche,
Erschreckt sich in sich selbst zurückzuziehen,
Und um sich fühlend mit den weichen Fäden
Nur zaudernd waget, Fremdes zu berühren,
Doch fest sich saugt, wenn es einmal ergriffen,
Und sterbend das Ergriffne uur verläßt.
Nun ist es richtig: die Gestalten der Phantasie können sich nicht ans
andern Bestandteilen zusammensetzen als ans solchen, die sich im dauernden
Vorrat des Geistes finden. Und vollends bei einer geistigen Vertiefung, wie
sie die Schöpfung eines dramatischen Charakters erfordert, kann in diesen nur
überfließen, was in längerer Erfahrung und unter steter Teilnahme auch eines
gemütlichen Interesses eine feste Gestalt gewonnen hat, und wird es umsomehr,
je rascher gearbeitet wird, und die Sappho ist in drei Wochen entstanden.
Aber Grillparzer hat mehrere weibliche Idealgestalten und, so weit ihre Durch¬
arbeitung dies verrät, alle mit derselben liebevollen Wärme und persönlichen
Teilnahme geschaffen. Daß für Melitta diese Teilnahme die innigste und
Persönlichste gewesen sei, dafür fehlt jede unmittelbare Bestätigung; es kann
nur erschlossen werden, und unser Schlußmaterial führt nicht eben dahin. Die
Ideale ferner wechseln wie alle Wünsche; sie wechseln nicht nur mit der
reifenden Erfahrung, sie wechseln sogar nach Stimmungen. Vollends das
Ideal des Weibes, das ein jugendlich glühendes und schwärmendes Gemüt
sich gestaltet, wird unausweichlich anders, wenn der ruhige Verstand mehr
und mehr im Gewoge des Seelenlebens sich zu einer herrschenden Stellung
emporarbeitet. Und nicht nur diesen gesetzmäßigen Entwicklungsgang hat auch
Grillparzer zurückgelegt, sondern er rang sogar nach Vertiefung, nach grübelnder
Versenkung in die Dinge, die seinen Geist umgaben und beschäftigten. Des
sind Zeugnis viele seiner Epigramme, seine Neigung zu Sentenzen, an denen
schon die Jugendwerke nicht arm sind, und in denen wir Schillerschen Einfluß
erblicken, jene langatmigen Ergüsse, hinsichtlich deren er selbst einmal sagt:
„Daß ich bei länger dauernden Arbeiten leicht dem ersten Plane untren werde,
liegt auch mit darin, daß ich Lieblingsthemata und Ansichten in mir herum
trage, die sich mir unbewußt einmischen, wo es uur immer erträglich ist."
Doch das ist ja allbekannt; das Bild, das wir von ihm hegen, ist nichts
Etwas kühne Bezeichnung, den nicht sehr poetisch numntenden Vergleich mit der Schnecke
erträglich zu machen.
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