Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Viertes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Vorurteile auf dem Gebiete der Sprachen

und der Ausdruck ist nicht deutsch? Doch was rede ich von Schülern! Wie
viele gute und gewissenhafte Übersetzer von Werken der alten nud der neuen
Zeit könnte man namhaft machen, denen doch dann und wann ein undeutscher
Ausdruck und eine undeutsche Wendung mit unterläuft"). So sehr ich deshalb
auch eine Übersetzung als eine Kraftprobe und meinetwegen auch als einen
Maßstab der geistigen Reife anerkenne, und so sehr ich es ster eine ernste Pflicht
des Lehrers halte, keinen undeutschen Ausdruck durchzulassen, ebenso sehr möchte
ich davor warnen, gerade in der Übersetzung das zweckmäßigste Mittel zur
Bildung des deutschen Stils zu sehen. Wer könnte überhaupt ein Besseres
empfehlen, als eine eingehende Beschäftigung mit unsern besten deutscheu Schrift¬
stellern?

Und uun komme ich zu einem letzten Punkte. "Meines Erachtens -- sagt
Mommsen -- ruht alle geistige Erziehung und deren Produkt, die Bildung, auf
der Sprnchkeuntnis, und zwar auf einer solchen, die sich nicht auf die Mutter¬
sprache beschränkt. Wer fremde Sprachen nicht kennt, sagt Goethe, weiß nichts
von der eignen, und er hat Recht, wie gewöhnlich. Daß der Mensch spricht,
macht ihn zum Menschen, daß er zwei Sprachen spricht, zum gebildeten Menschen.
Ans die schönen Kinderzeiten, in denen die Ilias und die Nibelungen entstanden,
und auf exzeptionelle Naturen, wie Shakespeare, paßt dies allerdings nicht,
aber nnr, weil hier für Bildung im heutigen Sinne überhaupt kein Platz ist.
Aber der gebildete Römer sprach auch griechisch, der gebildete Mann im Mittel¬
alter sprach Latein, und wer heutzutage sich nur auf Deutsch ausdrücken kann --
nun, der Rest ist Schweigen."

Eine sehr gewagte Behauptung. Die Griechen sprachen in ihrer Blütezeit
nnr griechisch, also -- der Rest ist Schweigen.

Wer heutzutage sich nur auf Deutsch ausdrücken kann, soll deshalb ein
Ungebildeter sein? Nun, dann können wir mehr als die Hälfte aus der Liste
der Gebildeten streichen, und das Prädikat der Bildung nur den Philologen,
Kaufleuten und ein paar andern erteilen. Glaubt Mommsen wirklich, daß die
große Masse unsrer Richter, Ärzte, Baumeister, Militärs u. a. sich noch in
einer andern Sprache als der deutschen nnsdrücken kann? Oder verstehe ich
die Worte falsch? Er will damit doch Wohl nicht sagen: dann und wann
einen griechischen, lateinischen, französischen Satz oder Vers dazwischen werfe",
sondern: eine ganze Gedankenreihe in der fremden Sprache wiedergeben? Gottlob,
möchte ich ausrufen, daß die Leute das nicht können, denn sonst würde es
schlecht bestellt sein mit unsrer Rechtspflege und Heilkunde, mit unsern Häusern
und unsrer nationalen Sicherheit.

"Ich glaube -- sührt Mommsen fort -- in diesem Sinn an die allein selig¬
machende fremde Sprache; und es hat dies -- für mich -- feinen guten Grund



*) Und erst unser heutiges Zeitungsdeutsch! Es wimmelt ja von kopflos und denkfaul
D. Red. aus den ausländischen Zeitungen hernbergenvnnneuen gänzlich undeutschen Wenduuge"!
Vorurteile auf dem Gebiete der Sprachen

und der Ausdruck ist nicht deutsch? Doch was rede ich von Schülern! Wie
viele gute und gewissenhafte Übersetzer von Werken der alten nud der neuen
Zeit könnte man namhaft machen, denen doch dann und wann ein undeutscher
Ausdruck und eine undeutsche Wendung mit unterläuft"). So sehr ich deshalb
auch eine Übersetzung als eine Kraftprobe und meinetwegen auch als einen
Maßstab der geistigen Reife anerkenne, und so sehr ich es ster eine ernste Pflicht
des Lehrers halte, keinen undeutschen Ausdruck durchzulassen, ebenso sehr möchte
ich davor warnen, gerade in der Übersetzung das zweckmäßigste Mittel zur
Bildung des deutschen Stils zu sehen. Wer könnte überhaupt ein Besseres
empfehlen, als eine eingehende Beschäftigung mit unsern besten deutscheu Schrift¬
stellern?

Und uun komme ich zu einem letzten Punkte. „Meines Erachtens — sagt
Mommsen — ruht alle geistige Erziehung und deren Produkt, die Bildung, auf
der Sprnchkeuntnis, und zwar auf einer solchen, die sich nicht auf die Mutter¬
sprache beschränkt. Wer fremde Sprachen nicht kennt, sagt Goethe, weiß nichts
von der eignen, und er hat Recht, wie gewöhnlich. Daß der Mensch spricht,
macht ihn zum Menschen, daß er zwei Sprachen spricht, zum gebildeten Menschen.
Ans die schönen Kinderzeiten, in denen die Ilias und die Nibelungen entstanden,
und auf exzeptionelle Naturen, wie Shakespeare, paßt dies allerdings nicht,
aber nnr, weil hier für Bildung im heutigen Sinne überhaupt kein Platz ist.
Aber der gebildete Römer sprach auch griechisch, der gebildete Mann im Mittel¬
alter sprach Latein, und wer heutzutage sich nur auf Deutsch ausdrücken kann —
nun, der Rest ist Schweigen."

Eine sehr gewagte Behauptung. Die Griechen sprachen in ihrer Blütezeit
nnr griechisch, also — der Rest ist Schweigen.

Wer heutzutage sich nur auf Deutsch ausdrücken kann, soll deshalb ein
Ungebildeter sein? Nun, dann können wir mehr als die Hälfte aus der Liste
der Gebildeten streichen, und das Prädikat der Bildung nur den Philologen,
Kaufleuten und ein paar andern erteilen. Glaubt Mommsen wirklich, daß die
große Masse unsrer Richter, Ärzte, Baumeister, Militärs u. a. sich noch in
einer andern Sprache als der deutschen nnsdrücken kann? Oder verstehe ich
die Worte falsch? Er will damit doch Wohl nicht sagen: dann und wann
einen griechischen, lateinischen, französischen Satz oder Vers dazwischen werfe»,
sondern: eine ganze Gedankenreihe in der fremden Sprache wiedergeben? Gottlob,
möchte ich ausrufen, daß die Leute das nicht können, denn sonst würde es
schlecht bestellt sein mit unsrer Rechtspflege und Heilkunde, mit unsern Häusern
und unsrer nationalen Sicherheit.

„Ich glaube — sührt Mommsen fort — in diesem Sinn an die allein selig¬
machende fremde Sprache; und es hat dies — für mich — feinen guten Grund



*) Und erst unser heutiges Zeitungsdeutsch! Es wimmelt ja von kopflos und denkfaul
D. Red. aus den ausländischen Zeitungen hernbergenvnnneuen gänzlich undeutschen Wenduuge»!
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0144" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/206143"/>
          <fw type="header" place="top"> Vorurteile auf dem Gebiete der Sprachen</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_522" prev="#ID_521"> und der Ausdruck ist nicht deutsch? Doch was rede ich von Schülern! Wie<lb/>
viele gute und gewissenhafte Übersetzer von Werken der alten nud der neuen<lb/>
Zeit könnte man namhaft machen, denen doch dann und wann ein undeutscher<lb/>
Ausdruck und eine undeutsche Wendung mit unterläuft"). So sehr ich deshalb<lb/>
auch eine Übersetzung als eine Kraftprobe und meinetwegen auch als einen<lb/>
Maßstab der geistigen Reife anerkenne, und so sehr ich es ster eine ernste Pflicht<lb/>
des Lehrers halte, keinen undeutschen Ausdruck durchzulassen, ebenso sehr möchte<lb/>
ich davor warnen, gerade in der Übersetzung das zweckmäßigste Mittel zur<lb/>
Bildung des deutschen Stils zu sehen. Wer könnte überhaupt ein Besseres<lb/>
empfehlen, als eine eingehende Beschäftigung mit unsern besten deutscheu Schrift¬<lb/>
stellern?</p><lb/>
          <p xml:id="ID_523"> Und uun komme ich zu einem letzten Punkte. &#x201E;Meines Erachtens &#x2014; sagt<lb/>
Mommsen &#x2014; ruht alle geistige Erziehung und deren Produkt, die Bildung, auf<lb/>
der Sprnchkeuntnis, und zwar auf einer solchen, die sich nicht auf die Mutter¬<lb/>
sprache beschränkt. Wer fremde Sprachen nicht kennt, sagt Goethe, weiß nichts<lb/>
von der eignen, und er hat Recht, wie gewöhnlich. Daß der Mensch spricht,<lb/>
macht ihn zum Menschen, daß er zwei Sprachen spricht, zum gebildeten Menschen.<lb/>
Ans die schönen Kinderzeiten, in denen die Ilias und die Nibelungen entstanden,<lb/>
und auf exzeptionelle Naturen, wie Shakespeare, paßt dies allerdings nicht,<lb/>
aber nnr, weil hier für Bildung im heutigen Sinne überhaupt kein Platz ist.<lb/>
Aber der gebildete Römer sprach auch griechisch, der gebildete Mann im Mittel¬<lb/>
alter sprach Latein, und wer heutzutage sich nur auf Deutsch ausdrücken kann &#x2014;<lb/>
nun, der Rest ist Schweigen."</p><lb/>
          <p xml:id="ID_524"> Eine sehr gewagte Behauptung. Die Griechen sprachen in ihrer Blütezeit<lb/>
nnr griechisch, also &#x2014; der Rest ist Schweigen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_525"> Wer heutzutage sich nur auf Deutsch ausdrücken kann, soll deshalb ein<lb/>
Ungebildeter sein? Nun, dann können wir mehr als die Hälfte aus der Liste<lb/>
der Gebildeten streichen, und das Prädikat der Bildung nur den Philologen,<lb/>
Kaufleuten und ein paar andern erteilen. Glaubt Mommsen wirklich, daß die<lb/>
große Masse unsrer Richter, Ärzte, Baumeister, Militärs u. a. sich noch in<lb/>
einer andern Sprache als der deutschen nnsdrücken kann? Oder verstehe ich<lb/>
die Worte falsch? Er will damit doch Wohl nicht sagen: dann und wann<lb/>
einen griechischen, lateinischen, französischen Satz oder Vers dazwischen werfe»,<lb/>
sondern: eine ganze Gedankenreihe in der fremden Sprache wiedergeben? Gottlob,<lb/>
möchte ich ausrufen, daß die Leute das nicht können, denn sonst würde es<lb/>
schlecht bestellt sein mit unsrer Rechtspflege und Heilkunde, mit unsern Häusern<lb/>
und unsrer nationalen Sicherheit.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_526" next="#ID_527"> &#x201E;Ich glaube &#x2014; sührt Mommsen fort &#x2014; in diesem Sinn an die allein selig¬<lb/>
machende fremde Sprache; und es hat dies &#x2014; für mich &#x2014; feinen guten Grund</p><lb/>
          <note xml:id="FID_27" place="foot"> *) Und erst unser heutiges Zeitungsdeutsch! Es wimmelt ja von kopflos und denkfaul<lb/><note type="byline"> D. Red.</note> aus den ausländischen Zeitungen hernbergenvnnneuen gänzlich undeutschen Wenduuge»! </note><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0144] Vorurteile auf dem Gebiete der Sprachen und der Ausdruck ist nicht deutsch? Doch was rede ich von Schülern! Wie viele gute und gewissenhafte Übersetzer von Werken der alten nud der neuen Zeit könnte man namhaft machen, denen doch dann und wann ein undeutscher Ausdruck und eine undeutsche Wendung mit unterläuft"). So sehr ich deshalb auch eine Übersetzung als eine Kraftprobe und meinetwegen auch als einen Maßstab der geistigen Reife anerkenne, und so sehr ich es ster eine ernste Pflicht des Lehrers halte, keinen undeutschen Ausdruck durchzulassen, ebenso sehr möchte ich davor warnen, gerade in der Übersetzung das zweckmäßigste Mittel zur Bildung des deutschen Stils zu sehen. Wer könnte überhaupt ein Besseres empfehlen, als eine eingehende Beschäftigung mit unsern besten deutscheu Schrift¬ stellern? Und uun komme ich zu einem letzten Punkte. „Meines Erachtens — sagt Mommsen — ruht alle geistige Erziehung und deren Produkt, die Bildung, auf der Sprnchkeuntnis, und zwar auf einer solchen, die sich nicht auf die Mutter¬ sprache beschränkt. Wer fremde Sprachen nicht kennt, sagt Goethe, weiß nichts von der eignen, und er hat Recht, wie gewöhnlich. Daß der Mensch spricht, macht ihn zum Menschen, daß er zwei Sprachen spricht, zum gebildeten Menschen. Ans die schönen Kinderzeiten, in denen die Ilias und die Nibelungen entstanden, und auf exzeptionelle Naturen, wie Shakespeare, paßt dies allerdings nicht, aber nnr, weil hier für Bildung im heutigen Sinne überhaupt kein Platz ist. Aber der gebildete Römer sprach auch griechisch, der gebildete Mann im Mittel¬ alter sprach Latein, und wer heutzutage sich nur auf Deutsch ausdrücken kann — nun, der Rest ist Schweigen." Eine sehr gewagte Behauptung. Die Griechen sprachen in ihrer Blütezeit nnr griechisch, also — der Rest ist Schweigen. Wer heutzutage sich nur auf Deutsch ausdrücken kann, soll deshalb ein Ungebildeter sein? Nun, dann können wir mehr als die Hälfte aus der Liste der Gebildeten streichen, und das Prädikat der Bildung nur den Philologen, Kaufleuten und ein paar andern erteilen. Glaubt Mommsen wirklich, daß die große Masse unsrer Richter, Ärzte, Baumeister, Militärs u. a. sich noch in einer andern Sprache als der deutschen nnsdrücken kann? Oder verstehe ich die Worte falsch? Er will damit doch Wohl nicht sagen: dann und wann einen griechischen, lateinischen, französischen Satz oder Vers dazwischen werfe», sondern: eine ganze Gedankenreihe in der fremden Sprache wiedergeben? Gottlob, möchte ich ausrufen, daß die Leute das nicht können, denn sonst würde es schlecht bestellt sein mit unsrer Rechtspflege und Heilkunde, mit unsern Häusern und unsrer nationalen Sicherheit. „Ich glaube — sührt Mommsen fort — in diesem Sinn an die allein selig¬ machende fremde Sprache; und es hat dies — für mich — feinen guten Grund *) Und erst unser heutiges Zeitungsdeutsch! Es wimmelt ja von kopflos und denkfaul D. Red. aus den ausländischen Zeitungen hernbergenvnnneuen gänzlich undeutschen Wenduuge»!

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_205998
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_205998/144
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_205998/144>, abgerufen am 22.12.2024.