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Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Viertes Vierteljahr.

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Vorurteile auf dein Gebiete der Sprachen

in unsrer innersten Natur. Einen Gedanken in zwei Sprachen ausdrücken (nicht
etwa "übersetzen," sondern zwiefach nach den Gesetzen jeder Sprachen denken)
heißt ihn völlig beherrschen. Der geniale Mensch kommt freilich dabei mit
einer einzigen aus; aber wer nicht genial ist -- und für die sind doch die
Schulen einzurichten -- spricht regelmäßig in geborgten Denkformen und kann
dem originalen Denken durch das große Wunder der Sprache allein einiger¬
maßen angenähert werden."

Ich will hier keinen Wert legen auf die Worte "geborgte Denkformen,
originales Denken," oder auf "die Gesetze, nach denen man in einer fremden
Sprache denkt." Ob die Wissenschaft der Logik oder die Philologie sie als sehr
glückliche anerkennen wird, bleibe dahingestellt. Ich stelle mir die Sache so vor.
Eine Sprache besteht aus Wörtern. Diese Wörter haben einen Sinn, wir ver¬
binden mit ihnen einen Begriff. Wir haben die Wörter jedoch nicht selbst ge¬
schaffen, sondern wir haben sie als etwas Festes überkommen, und zwar mit
einem bestimmten Inhalte, den wir nicht ohne weiteres verändern können.
So hat der Begriff "Tugend" seinen bestimmten Inhalt, und wir sind nicht
berechtigt, für das Wort Tugend (das Kleid des Begriffes) urplötzlich "Laster"
zu setzen. Die geistige That, die sich in der Bildung der Sprache vollzog,
ist also nicht die unsre, und wenn wir reden, so thun wir dies in Wörtern,
die wir nicht geschaffen haben, oder wie Mommsen sagt - - ich wüßte sonst
nicht, wie ich seine Worte anders deuten sollte --, in geborgten Denkformen.
Doch halt! Ist denn die Sache richtig? Die Sprache liegt allerdings fertig
vor, aber sie ist nicht gleich mein Besitztum. Dies kostbare Gut wird mir nicht
bei der Geburt geschenkt, ich muß es mir erringen, langsam und unaufhörlich,
ich muß mich hineinleben, und glücklich der, der sich rühmen kann, daß er seine
Muttersprache beherrsche. Und nur die andre Frage: Wenn ich eine fremde
Sprache betreibe, spreche ich, denke ich da nicht auch in "geborgten Denkformen"?
Gilt nicht dasselbe, was ich für die Muttersprache anführte, uicht auch für jene?
Doch ich befinde mich Wohl auf einer falschen Fährte. Dem "Denken in ge¬
borgten Denkformen" wird ja das "originale Denken" gegenübergestellt und
gesagt: Einen Gedanken in zwei Sprachen ausdrücken, heißt ihn völlig beherrschen.
Die Worte sind mir freilich wieder nicht ganz klar. Sollen sie bedeuten: Wenn
ich einen Gedanke" in einer fremden Sprache ausdrücke, so werde ich nur erst
recht klar, was die Worte, die Trüger des Gedankens, in der Muttersprache
ausdrücken? Wer fremde Sprachen nicht kennt, sagt ja Goethe, kennt auch seine
eigne nicht! Durch die Vergleichung der beiden Sprachen würde ich dann finden,
daß man ein und denselben Gedanken ganz verschieden ausdrückt, und da ich nun
das Subjekt bin, das den Gedanken zum Ausdruck verhilft, so würde ich mich
daun auf der Stufe des "originalen Denkens" befinden. Schade nur, daß in
jener fremden Sprache auch wieder so viele Denkformen bestehen, und daß ich
immer wieder meine Gedanken in die Wort- und Phrasenformen der maß-


Gn'uzbvten IV 1389 t"
Vorurteile auf dein Gebiete der Sprachen

in unsrer innersten Natur. Einen Gedanken in zwei Sprachen ausdrücken (nicht
etwa „übersetzen," sondern zwiefach nach den Gesetzen jeder Sprachen denken)
heißt ihn völlig beherrschen. Der geniale Mensch kommt freilich dabei mit
einer einzigen aus; aber wer nicht genial ist — und für die sind doch die
Schulen einzurichten — spricht regelmäßig in geborgten Denkformen und kann
dem originalen Denken durch das große Wunder der Sprache allein einiger¬
maßen angenähert werden."

Ich will hier keinen Wert legen auf die Worte „geborgte Denkformen,
originales Denken," oder auf „die Gesetze, nach denen man in einer fremden
Sprache denkt." Ob die Wissenschaft der Logik oder die Philologie sie als sehr
glückliche anerkennen wird, bleibe dahingestellt. Ich stelle mir die Sache so vor.
Eine Sprache besteht aus Wörtern. Diese Wörter haben einen Sinn, wir ver¬
binden mit ihnen einen Begriff. Wir haben die Wörter jedoch nicht selbst ge¬
schaffen, sondern wir haben sie als etwas Festes überkommen, und zwar mit
einem bestimmten Inhalte, den wir nicht ohne weiteres verändern können.
So hat der Begriff „Tugend" seinen bestimmten Inhalt, und wir sind nicht
berechtigt, für das Wort Tugend (das Kleid des Begriffes) urplötzlich „Laster"
zu setzen. Die geistige That, die sich in der Bildung der Sprache vollzog,
ist also nicht die unsre, und wenn wir reden, so thun wir dies in Wörtern,
die wir nicht geschaffen haben, oder wie Mommsen sagt - - ich wüßte sonst
nicht, wie ich seine Worte anders deuten sollte —, in geborgten Denkformen.
Doch halt! Ist denn die Sache richtig? Die Sprache liegt allerdings fertig
vor, aber sie ist nicht gleich mein Besitztum. Dies kostbare Gut wird mir nicht
bei der Geburt geschenkt, ich muß es mir erringen, langsam und unaufhörlich,
ich muß mich hineinleben, und glücklich der, der sich rühmen kann, daß er seine
Muttersprache beherrsche. Und nur die andre Frage: Wenn ich eine fremde
Sprache betreibe, spreche ich, denke ich da nicht auch in „geborgten Denkformen"?
Gilt nicht dasselbe, was ich für die Muttersprache anführte, uicht auch für jene?
Doch ich befinde mich Wohl auf einer falschen Fährte. Dem „Denken in ge¬
borgten Denkformen" wird ja das „originale Denken" gegenübergestellt und
gesagt: Einen Gedanken in zwei Sprachen ausdrücken, heißt ihn völlig beherrschen.
Die Worte sind mir freilich wieder nicht ganz klar. Sollen sie bedeuten: Wenn
ich einen Gedanke» in einer fremden Sprache ausdrücke, so werde ich nur erst
recht klar, was die Worte, die Trüger des Gedankens, in der Muttersprache
ausdrücken? Wer fremde Sprachen nicht kennt, sagt ja Goethe, kennt auch seine
eigne nicht! Durch die Vergleichung der beiden Sprachen würde ich dann finden,
daß man ein und denselben Gedanken ganz verschieden ausdrückt, und da ich nun
das Subjekt bin, das den Gedanken zum Ausdruck verhilft, so würde ich mich
daun auf der Stufe des „originalen Denkens" befinden. Schade nur, daß in
jener fremden Sprache auch wieder so viele Denkformen bestehen, und daß ich
immer wieder meine Gedanken in die Wort- und Phrasenformen der maß-


Gn'uzbvten IV 1389 t»
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[0145] Vorurteile auf dein Gebiete der Sprachen in unsrer innersten Natur. Einen Gedanken in zwei Sprachen ausdrücken (nicht etwa „übersetzen," sondern zwiefach nach den Gesetzen jeder Sprachen denken) heißt ihn völlig beherrschen. Der geniale Mensch kommt freilich dabei mit einer einzigen aus; aber wer nicht genial ist — und für die sind doch die Schulen einzurichten — spricht regelmäßig in geborgten Denkformen und kann dem originalen Denken durch das große Wunder der Sprache allein einiger¬ maßen angenähert werden." Ich will hier keinen Wert legen auf die Worte „geborgte Denkformen, originales Denken," oder auf „die Gesetze, nach denen man in einer fremden Sprache denkt." Ob die Wissenschaft der Logik oder die Philologie sie als sehr glückliche anerkennen wird, bleibe dahingestellt. Ich stelle mir die Sache so vor. Eine Sprache besteht aus Wörtern. Diese Wörter haben einen Sinn, wir ver¬ binden mit ihnen einen Begriff. Wir haben die Wörter jedoch nicht selbst ge¬ schaffen, sondern wir haben sie als etwas Festes überkommen, und zwar mit einem bestimmten Inhalte, den wir nicht ohne weiteres verändern können. So hat der Begriff „Tugend" seinen bestimmten Inhalt, und wir sind nicht berechtigt, für das Wort Tugend (das Kleid des Begriffes) urplötzlich „Laster" zu setzen. Die geistige That, die sich in der Bildung der Sprache vollzog, ist also nicht die unsre, und wenn wir reden, so thun wir dies in Wörtern, die wir nicht geschaffen haben, oder wie Mommsen sagt - - ich wüßte sonst nicht, wie ich seine Worte anders deuten sollte —, in geborgten Denkformen. Doch halt! Ist denn die Sache richtig? Die Sprache liegt allerdings fertig vor, aber sie ist nicht gleich mein Besitztum. Dies kostbare Gut wird mir nicht bei der Geburt geschenkt, ich muß es mir erringen, langsam und unaufhörlich, ich muß mich hineinleben, und glücklich der, der sich rühmen kann, daß er seine Muttersprache beherrsche. Und nur die andre Frage: Wenn ich eine fremde Sprache betreibe, spreche ich, denke ich da nicht auch in „geborgten Denkformen"? Gilt nicht dasselbe, was ich für die Muttersprache anführte, uicht auch für jene? Doch ich befinde mich Wohl auf einer falschen Fährte. Dem „Denken in ge¬ borgten Denkformen" wird ja das „originale Denken" gegenübergestellt und gesagt: Einen Gedanken in zwei Sprachen ausdrücken, heißt ihn völlig beherrschen. Die Worte sind mir freilich wieder nicht ganz klar. Sollen sie bedeuten: Wenn ich einen Gedanke» in einer fremden Sprache ausdrücke, so werde ich nur erst recht klar, was die Worte, die Trüger des Gedankens, in der Muttersprache ausdrücken? Wer fremde Sprachen nicht kennt, sagt ja Goethe, kennt auch seine eigne nicht! Durch die Vergleichung der beiden Sprachen würde ich dann finden, daß man ein und denselben Gedanken ganz verschieden ausdrückt, und da ich nun das Subjekt bin, das den Gedanken zum Ausdruck verhilft, so würde ich mich daun auf der Stufe des „originalen Denkens" befinden. Schade nur, daß in jener fremden Sprache auch wieder so viele Denkformen bestehen, und daß ich immer wieder meine Gedanken in die Wort- und Phrasenformen der maß- Gn'uzbvten IV 1389 t»

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_205998/145>, abgerufen am 28.06.2024.