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Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Viertes Vierteljahr.

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Vorurteile auf dein Gebiete der Sprachen

dabei geben kann. "Jeder -- sagt er -- muß sich so viel Französisch an¬
eignen können, um einzusehen, daß er für ein derartiges Wagnis nicht genug
Französisch versteht." Die Mahnung hat einigermaßen gewirkt, aber ganz ist
das Übel nicht verschwunden. In: zehnten Bande der genannten Zeitschrift
unterzieht fünf Jahre später ein sehr verständiger und dabei höchst liebens¬
würdiger Franzose, A. Ahmerie, zwei andre Abhandlungen einer gründlichen
Besprechung xcmr Mriz voir los äg-riAsrs imxqusls iss milvurs s'sxposönt. Und
er selbst gesteht: II ^ ^ xlns als eux g-us <zu"z hö sais ein ^lleirmMö, se pour-
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Doch schrieben nicht Alexander von Humboldt und Friedrich der Große
französisch? Allerdings. Aber sie bestätigen nur die Regel. Da wo die
Korrektur ihres Stiles durch nationale Hand fehlte, find ihre Arbeiten
durchaus nicht tadellos.

Woher nun die wunderbare Ansicht, daß die modernen Sprachen so leicht
seien? Der Grund ist in verschiednen Umständen zu finden. Französisch und
Englisch sind lebende Sprachen, deren sich ein großer Teil von uns bedienen
muß, und das Lebende, das Gegenwärtige flößt uns nicht immer den Respekt
ein, wie die Dinge, die durch einen Zeitraum von zweitausend Jahren von
uns getrennt sind. Auch die Art und Weise, wie die neuern Sprachen noch
häufig betriebe" werdeu, ist geeignet, ihren Wert herabzusetzen. Verhehlen wir
uns das nicht! Auf unsern Ghmnasien spielt das Französische eine unter¬
geordnete Rolle, und die Zeit ist noch nicht ganz vorüber, wo jeder klassische
Philologe für befähigt gehalten wurde, diesen Unterricht zu erteilen. Noch ein
andrer Umstand kommt hinzu. Auf deu Höhen, Schulen beginnt der fremd¬
sprachliche Unterricht meistens mit dem Lateinischen. Eine Reihe grammatischer
Gesichtspunkte und eine ganze Anzahl von Vokabeln sind dem Französisch
anfangenden Quintaner aus dem Lateinischen schon bekannt. Die moderne
Sprache erscheint ihm deshalb natürlich leichter, und wenn nun noch das fran¬
zösische Lehrbuch für alle Arten vou Schulen eingerichtet und so beschaffen ist,
daß es als Quintanerbuch viel weniger Schwierigkeiten darbietet, als das in
Sexta gebrauchte lateinische, dann ist es freilich kein Wunder, daß schon der
Knabe sich sein abfälliges Urteil über die lebende Sprache bildet. Und noch
ein Umstand ist zu berücksichtigen, der, wie ich glaube, die meisten Gebildeten
unwillkürlich beeinflußt. Die neuern Sprachen haben eine Masse formaler
Dinge über Bord geworfen. Die fünf lateinischen Deklinationen, zu deren Ein¬
übung eine geraume Zeit nötig ist, sind auf eine einzige zusantmengeschmolzeu;
die durch Flexion ausgedrückten Kasus sind verschwunden, und auch die Kon¬
jugation hat Einbuße erlitten. Kein Wunder, wenn der Mangel an Dingen,
deren Erlernung uns so viel Mühe gekostet hat, nun die Ansicht hervorruft,


Vorurteile auf dein Gebiete der Sprachen

dabei geben kann. „Jeder — sagt er — muß sich so viel Französisch an¬
eignen können, um einzusehen, daß er für ein derartiges Wagnis nicht genug
Französisch versteht." Die Mahnung hat einigermaßen gewirkt, aber ganz ist
das Übel nicht verschwunden. In: zehnten Bande der genannten Zeitschrift
unterzieht fünf Jahre später ein sehr verständiger und dabei höchst liebens¬
würdiger Franzose, A. Ahmerie, zwei andre Abhandlungen einer gründlichen
Besprechung xcmr Mriz voir los äg-riAsrs imxqusls iss milvurs s'sxposönt. Und
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Doch schrieben nicht Alexander von Humboldt und Friedrich der Große
französisch? Allerdings. Aber sie bestätigen nur die Regel. Da wo die
Korrektur ihres Stiles durch nationale Hand fehlte, find ihre Arbeiten
durchaus nicht tadellos.

Woher nun die wunderbare Ansicht, daß die modernen Sprachen so leicht
seien? Der Grund ist in verschiednen Umständen zu finden. Französisch und
Englisch sind lebende Sprachen, deren sich ein großer Teil von uns bedienen
muß, und das Lebende, das Gegenwärtige flößt uns nicht immer den Respekt
ein, wie die Dinge, die durch einen Zeitraum von zweitausend Jahren von
uns getrennt sind. Auch die Art und Weise, wie die neuern Sprachen noch
häufig betriebe» werdeu, ist geeignet, ihren Wert herabzusetzen. Verhehlen wir
uns das nicht! Auf unsern Ghmnasien spielt das Französische eine unter¬
geordnete Rolle, und die Zeit ist noch nicht ganz vorüber, wo jeder klassische
Philologe für befähigt gehalten wurde, diesen Unterricht zu erteilen. Noch ein
andrer Umstand kommt hinzu. Auf deu Höhen, Schulen beginnt der fremd¬
sprachliche Unterricht meistens mit dem Lateinischen. Eine Reihe grammatischer
Gesichtspunkte und eine ganze Anzahl von Vokabeln sind dem Französisch
anfangenden Quintaner aus dem Lateinischen schon bekannt. Die moderne
Sprache erscheint ihm deshalb natürlich leichter, und wenn nun noch das fran¬
zösische Lehrbuch für alle Arten vou Schulen eingerichtet und so beschaffen ist,
daß es als Quintanerbuch viel weniger Schwierigkeiten darbietet, als das in
Sexta gebrauchte lateinische, dann ist es freilich kein Wunder, daß schon der
Knabe sich sein abfälliges Urteil über die lebende Sprache bildet. Und noch
ein Umstand ist zu berücksichtigen, der, wie ich glaube, die meisten Gebildeten
unwillkürlich beeinflußt. Die neuern Sprachen haben eine Masse formaler
Dinge über Bord geworfen. Die fünf lateinischen Deklinationen, zu deren Ein¬
übung eine geraume Zeit nötig ist, sind auf eine einzige zusantmengeschmolzeu;
die durch Flexion ausgedrückten Kasus sind verschwunden, und auch die Kon¬
jugation hat Einbuße erlitten. Kein Wunder, wenn der Mangel an Dingen,
deren Erlernung uns so viel Mühe gekostet hat, nun die Ansicht hervorruft,


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[0140] Vorurteile auf dein Gebiete der Sprachen dabei geben kann. „Jeder — sagt er — muß sich so viel Französisch an¬ eignen können, um einzusehen, daß er für ein derartiges Wagnis nicht genug Französisch versteht." Die Mahnung hat einigermaßen gewirkt, aber ganz ist das Übel nicht verschwunden. In: zehnten Bande der genannten Zeitschrift unterzieht fünf Jahre später ein sehr verständiger und dabei höchst liebens¬ würdiger Franzose, A. Ahmerie, zwei andre Abhandlungen einer gründlichen Besprechung xcmr Mriz voir los äg-riAsrs imxqusls iss milvurs s'sxposönt. Und er selbst gesteht: II ^ ^ xlns als eux g-us <zu«z hö sais ein ^lleirmMö, se pour- Wirt, Sö n'Mrais pÄ8 is ooruÄAv as publior, MLllmncl, un er^v-in av «sie« MVörAllre, SMS 1s lair« voir i,myn'g,og.ut, ^ c^list^n'un «^ni lui roA'und un xsu los 5>.it68. Doch schrieben nicht Alexander von Humboldt und Friedrich der Große französisch? Allerdings. Aber sie bestätigen nur die Regel. Da wo die Korrektur ihres Stiles durch nationale Hand fehlte, find ihre Arbeiten durchaus nicht tadellos. Woher nun die wunderbare Ansicht, daß die modernen Sprachen so leicht seien? Der Grund ist in verschiednen Umständen zu finden. Französisch und Englisch sind lebende Sprachen, deren sich ein großer Teil von uns bedienen muß, und das Lebende, das Gegenwärtige flößt uns nicht immer den Respekt ein, wie die Dinge, die durch einen Zeitraum von zweitausend Jahren von uns getrennt sind. Auch die Art und Weise, wie die neuern Sprachen noch häufig betriebe» werdeu, ist geeignet, ihren Wert herabzusetzen. Verhehlen wir uns das nicht! Auf unsern Ghmnasien spielt das Französische eine unter¬ geordnete Rolle, und die Zeit ist noch nicht ganz vorüber, wo jeder klassische Philologe für befähigt gehalten wurde, diesen Unterricht zu erteilen. Noch ein andrer Umstand kommt hinzu. Auf deu Höhen, Schulen beginnt der fremd¬ sprachliche Unterricht meistens mit dem Lateinischen. Eine Reihe grammatischer Gesichtspunkte und eine ganze Anzahl von Vokabeln sind dem Französisch anfangenden Quintaner aus dem Lateinischen schon bekannt. Die moderne Sprache erscheint ihm deshalb natürlich leichter, und wenn nun noch das fran¬ zösische Lehrbuch für alle Arten vou Schulen eingerichtet und so beschaffen ist, daß es als Quintanerbuch viel weniger Schwierigkeiten darbietet, als das in Sexta gebrauchte lateinische, dann ist es freilich kein Wunder, daß schon der Knabe sich sein abfälliges Urteil über die lebende Sprache bildet. Und noch ein Umstand ist zu berücksichtigen, der, wie ich glaube, die meisten Gebildeten unwillkürlich beeinflußt. Die neuern Sprachen haben eine Masse formaler Dinge über Bord geworfen. Die fünf lateinischen Deklinationen, zu deren Ein¬ übung eine geraume Zeit nötig ist, sind auf eine einzige zusantmengeschmolzeu; die durch Flexion ausgedrückten Kasus sind verschwunden, und auch die Kon¬ jugation hat Einbuße erlitten. Kein Wunder, wenn der Mangel an Dingen, deren Erlernung uns so viel Mühe gekostet hat, nun die Ansicht hervorruft,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_205998/140>, abgerufen am 30.06.2024.