und mehrere konnten berichten, daß sie als Primaner einen großen Teil von Schillers Dreißigjährigen Kriege ins Lateinische übersetzt hätten Bei der darauf folgenden Besprechung, die sich um die Zweckmäßigkeit solcher Übungen drehte, wies ich auf das beneidenswerte Los der klassischen Philologen hin: kein Cieero und kein Cäsar könne ihren Stil kontrvliren, sie auf Redensarten aufmerksam machen, die doch nicht ganz den echten oolar l^linn" darstellten. Ich wurde mit etwas erstaunten Augen angesehen, und die Verwunderung wurde noch größer, als ich die Behauptung aufstellte, daß für einen neuern Philologen eine solche Arbeit ein thörichtes Unterfangen sein und ein Deutscher sich dem Fluche der Lächerlichkeit aussetzen würde, wenn er es wagen wollte, den Dreißigjährigen Krieg ins Französische oder Englische zu übersetzen, lind wieder hörte ich die Worte: Aber Französisch und Englisch sind doch so leicht. Sollte denn das wirklich nicht zu erreichen sein?
Nein, es ist nicht zu erreichen. Nicht zu erreichen für den Lehrer und noch viel iveniger für den Schüler. Wohl könnte man ein paar Namen nennen, denen vielleicht der große Wurf gelingen würde, ein paar hochbegabte Männer der Wissenschaft, die Jahrzehnte lang im Auslande gelebt haben und zum Teil noch dort leben, aber ich weiß, daß sie am allerersten sich da¬ gegen verwahren würden, wenn man ihnen die Fähigkeit, zwei Sprachen voll¬ kommen zu beherrschen, zuschreiben wollte. Auch auf andre könnte man hin¬ weisen. Es giebt ja eine große Zahl solcher, die mit der fremden Sprache so vertraut geworden sind, daß sie darüber ihre Muttersprache fast vergesse" haben, ihr wenigstens in recht bedenklicher Weise Gewalt anthun.
Das ganze Fühlen und Denken eines Volkes prägt sich in seiner Sprache ans, und dieses ist selbst bei nahe verwandten Völkern, wie den Deutschen und den Engländern, allzu verschieden, als daß man je hoffen könnte, zur voll- kommnen Beherrschung der fremden Sprache zu gelangen. Ich sage: zu einer vollkommnen Beherrschung, denn das ist ja selbstverständlich nicht ausgeschlossen, daß ich mir eine gewisse Fertigkeit im Sprechen und Schreiben erwerben, einen Geschäftsbrief z.B. oder eine grammatische Abhandlung u. dergl. tadellos ab¬ fassen kann. Aber an das freie "Komponiren" oder an das ebenso schwere Übersetzen eines Werkes wie Schillers Dreißigjährigen Krieg sollte man sich erst wagen, wenn man weiß, Huici villökmt Numeri.
Das wissen aber leider viele nicht. In einigen bemerkenswerten Aufsätzen der Zeitschrift für ueufrauzösischc Sprache und Litteratur (herausgegeben von Koschwitz und Körting, Jnhrgaug 1882, Bd. IV) hat PH. Plattuer, vielleicht der bedeutendste Kenner des neufranzösischen Sprachgebrauches, warnend seine Stimme erhoben und in einer eingehenden Kritik der französisch geschriebnen Abhandlungen zweier Jahre jedermann und vor allen den jünger" Philologen eindringlich zu Gemüte geführt, wie unmöglich es ist, eine fremde Sprache so wie seine Muttersprache zu handhaben, wie unendlich viele Blößen man sich
Vorurteile auf dem Gebiete der Sprachen
und mehrere konnten berichten, daß sie als Primaner einen großen Teil von Schillers Dreißigjährigen Kriege ins Lateinische übersetzt hätten Bei der darauf folgenden Besprechung, die sich um die Zweckmäßigkeit solcher Übungen drehte, wies ich auf das beneidenswerte Los der klassischen Philologen hin: kein Cieero und kein Cäsar könne ihren Stil kontrvliren, sie auf Redensarten aufmerksam machen, die doch nicht ganz den echten oolar l^linn» darstellten. Ich wurde mit etwas erstaunten Augen angesehen, und die Verwunderung wurde noch größer, als ich die Behauptung aufstellte, daß für einen neuern Philologen eine solche Arbeit ein thörichtes Unterfangen sein und ein Deutscher sich dem Fluche der Lächerlichkeit aussetzen würde, wenn er es wagen wollte, den Dreißigjährigen Krieg ins Französische oder Englische zu übersetzen, lind wieder hörte ich die Worte: Aber Französisch und Englisch sind doch so leicht. Sollte denn das wirklich nicht zu erreichen sein?
Nein, es ist nicht zu erreichen. Nicht zu erreichen für den Lehrer und noch viel iveniger für den Schüler. Wohl könnte man ein paar Namen nennen, denen vielleicht der große Wurf gelingen würde, ein paar hochbegabte Männer der Wissenschaft, die Jahrzehnte lang im Auslande gelebt haben und zum Teil noch dort leben, aber ich weiß, daß sie am allerersten sich da¬ gegen verwahren würden, wenn man ihnen die Fähigkeit, zwei Sprachen voll¬ kommen zu beherrschen, zuschreiben wollte. Auch auf andre könnte man hin¬ weisen. Es giebt ja eine große Zahl solcher, die mit der fremden Sprache so vertraut geworden sind, daß sie darüber ihre Muttersprache fast vergesse» haben, ihr wenigstens in recht bedenklicher Weise Gewalt anthun.
Das ganze Fühlen und Denken eines Volkes prägt sich in seiner Sprache ans, und dieses ist selbst bei nahe verwandten Völkern, wie den Deutschen und den Engländern, allzu verschieden, als daß man je hoffen könnte, zur voll- kommnen Beherrschung der fremden Sprache zu gelangen. Ich sage: zu einer vollkommnen Beherrschung, denn das ist ja selbstverständlich nicht ausgeschlossen, daß ich mir eine gewisse Fertigkeit im Sprechen und Schreiben erwerben, einen Geschäftsbrief z.B. oder eine grammatische Abhandlung u. dergl. tadellos ab¬ fassen kann. Aber an das freie „Komponiren" oder an das ebenso schwere Übersetzen eines Werkes wie Schillers Dreißigjährigen Krieg sollte man sich erst wagen, wenn man weiß, Huici villökmt Numeri.
Das wissen aber leider viele nicht. In einigen bemerkenswerten Aufsätzen der Zeitschrift für ueufrauzösischc Sprache und Litteratur (herausgegeben von Koschwitz und Körting, Jnhrgaug 1882, Bd. IV) hat PH. Plattuer, vielleicht der bedeutendste Kenner des neufranzösischen Sprachgebrauches, warnend seine Stimme erhoben und in einer eingehenden Kritik der französisch geschriebnen Abhandlungen zweier Jahre jedermann und vor allen den jünger» Philologen eindringlich zu Gemüte geführt, wie unmöglich es ist, eine fremde Sprache so wie seine Muttersprache zu handhaben, wie unendlich viele Blößen man sich
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Vorurteile auf dem Gebiete der Sprachen
und mehrere konnten berichten, daß sie als Primaner einen großen Teil von
Schillers Dreißigjährigen Kriege ins Lateinische übersetzt hätten Bei der
darauf folgenden Besprechung, die sich um die Zweckmäßigkeit solcher Übungen
drehte, wies ich auf das beneidenswerte Los der klassischen Philologen hin:
kein Cieero und kein Cäsar könne ihren Stil kontrvliren, sie auf Redensarten
aufmerksam machen, die doch nicht ganz den echten oolar l^linn» darstellten.
Ich wurde mit etwas erstaunten Augen angesehen, und die Verwunderung
wurde noch größer, als ich die Behauptung aufstellte, daß für einen neuern
Philologen eine solche Arbeit ein thörichtes Unterfangen sein und ein Deutscher
sich dem Fluche der Lächerlichkeit aussetzen würde, wenn er es wagen wollte,
den Dreißigjährigen Krieg ins Französische oder Englische zu übersetzen, lind
wieder hörte ich die Worte: Aber Französisch und Englisch sind doch so leicht.
Sollte denn das wirklich nicht zu erreichen sein?
Nein, es ist nicht zu erreichen. Nicht zu erreichen für den Lehrer und
noch viel iveniger für den Schüler. Wohl könnte man ein paar Namen nennen,
denen vielleicht der große Wurf gelingen würde, ein paar hochbegabte
Männer der Wissenschaft, die Jahrzehnte lang im Auslande gelebt haben und
zum Teil noch dort leben, aber ich weiß, daß sie am allerersten sich da¬
gegen verwahren würden, wenn man ihnen die Fähigkeit, zwei Sprachen voll¬
kommen zu beherrschen, zuschreiben wollte. Auch auf andre könnte man hin¬
weisen. Es giebt ja eine große Zahl solcher, die mit der fremden Sprache
so vertraut geworden sind, daß sie darüber ihre Muttersprache fast vergesse»
haben, ihr wenigstens in recht bedenklicher Weise Gewalt anthun.
Das ganze Fühlen und Denken eines Volkes prägt sich in seiner Sprache
ans, und dieses ist selbst bei nahe verwandten Völkern, wie den Deutschen und
den Engländern, allzu verschieden, als daß man je hoffen könnte, zur voll-
kommnen Beherrschung der fremden Sprache zu gelangen. Ich sage: zu einer
vollkommnen Beherrschung, denn das ist ja selbstverständlich nicht ausgeschlossen,
daß ich mir eine gewisse Fertigkeit im Sprechen und Schreiben erwerben, einen
Geschäftsbrief z.B. oder eine grammatische Abhandlung u. dergl. tadellos ab¬
fassen kann. Aber an das freie „Komponiren" oder an das ebenso schwere
Übersetzen eines Werkes wie Schillers Dreißigjährigen Krieg sollte man sich
erst wagen, wenn man weiß, Huici villökmt Numeri.
Das wissen aber leider viele nicht. In einigen bemerkenswerten Aufsätzen
der Zeitschrift für ueufrauzösischc Sprache und Litteratur (herausgegeben von
Koschwitz und Körting, Jnhrgaug 1882, Bd. IV) hat PH. Plattuer, vielleicht
der bedeutendste Kenner des neufranzösischen Sprachgebrauches, warnend seine
Stimme erhoben und in einer eingehenden Kritik der französisch geschriebnen
Abhandlungen zweier Jahre jedermann und vor allen den jünger» Philologen
eindringlich zu Gemüte geführt, wie unmöglich es ist, eine fremde Sprache
so wie seine Muttersprache zu handhaben, wie unendlich viele Blößen man sich
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Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_205998/139>, abgerufen am 30.12.2024.
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