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Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Viertes Vierteljahr.

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Die Instizorganisation von i^3?9 in ministerieller Beleuchtung

die Folge davon, daß mitunter auch dem besten Rechte es an der Sicherheit
des Beweises fehlt. Endlich muß aber auch ein Gläubiger, der das beste Recht
hat, sich oft genug fragen, ob denn sein Schuldner Mittel genug habe, die
auf Einklagung verwendeten Kosten zu ersetzen? Will man nun etwa sagen:
Wer solche Zweifel hegt, braucht ja keinen Prozeß zu führen? Daß heißt
nichts andres, als: Es soll nicht mehr Recht, sondern die Macht der Thatsachen
im Staate gelten. Es ist unbestreitbar, daß in allen Fällen dieser Art die
hohen Kosten schwer aus dem Rechte drücken und es vielfach unterdrücke".
Hierauf und nicht bloß auf der Beseitigung schlechter und frivoler Prozesse
(die übrigens auch heute noch, zumal mit Hilfe des Armenrechts, vielfach ge¬
führt werden) beruht die Berminderuug der Prozesse.

Aber auch wo die Prozesse nicht unterdrückt, sondern geführt werden,
laufen die hohen Kosten oft auf eine große Härte hinaus. Ist es auch all¬
gemein bekannt, daß die Prozeßkvsten jetzt hoch sind, so werden doch noch
immer Unzählige, die einen Prozeß zu führen wagen, getäuscht, in dem die
erwachsenden Kosten jedes vernünftige Maß, das sie erwarten konnten, über¬
schreiten. Und ist denn der Verlust eines Prozesses immer die Folge wirk¬
lichen Unrechts? Gehen nicht viele Prozesse an einem leidigen Zufall zu
Grunde? Hat nicht die Zivilprozeßordnung selbst solche Zufälle zahlreich her¬
aufbeschworen? Wie glaubt man Wohl, daß es einem Manne zu Mute sei,
der seinen Prozeß an einer Zustellungsfrage verliert und dann neben dem Verlust
der Sache selbst auch noch die schweren Kosten dreier Instanzen zu tragen hat?

Die Befriedigung, die der Bericht über die Wirksamkeit der Kostengesetze
ausspricht, ist hiernach sehr unberechtigt. Es steht ihm darin auch die ein¬
mütige Überzeugung von ganz Deutschland gegenüber.

Die einzige relative Rechtfertigung der hohemKosten kann nur etwa darin
gefunden werden, daß Richter und Anwälte doch alle bezahlt sein wollen, der
heutige Prozeß aber weit mehr an Richter- und Urwalds kräften fordert als
der frühere. Trotz der hohen Kostensätze ist wegen der gewaltigen Verminde¬
rung der Prozesse die Einnahme an Gerichtskosten zurückgegangen, und die
Anwälte klagen darüber, daß sie trotz der hohen Gebühren jetzt weniger zu
leben hätten als früher. Das kommt von den verkehrten Einrichtungen, die
man diesem Prozesse gegeben hat. Man beseitige die nutzlosen Auswüchse, die
jetzt an der Kraft der Justiz zehren. Dann wird mau wieder, statt einer
Ausbeutungsanstalt, eine vernünftige Justiz haben, die unser Volk auch be¬
zahlen kann.


auftretende Kläger wurde in den beiden Vorinstanzen auf Grund des vermeintlichen Inhalts
früherer Reichsgerichtsentscheidnngen abgewiesen. Das Reichsgericht aber erkannte, daß das
Rechtsgeschäft nur mit einem Stempel von l Mark 60 Pf. zu besteuern sei. In diesem Prozesse
waren mehrere tausend Mark Kosten entstanden, die diesmal freilich der Fiskus zu bezahlen
hatte. Wer aber ist schuld darau, daß solche Prozesse geführt werden müssen?
Die Instizorganisation von i^3?9 in ministerieller Beleuchtung

die Folge davon, daß mitunter auch dem besten Rechte es an der Sicherheit
des Beweises fehlt. Endlich muß aber auch ein Gläubiger, der das beste Recht
hat, sich oft genug fragen, ob denn sein Schuldner Mittel genug habe, die
auf Einklagung verwendeten Kosten zu ersetzen? Will man nun etwa sagen:
Wer solche Zweifel hegt, braucht ja keinen Prozeß zu führen? Daß heißt
nichts andres, als: Es soll nicht mehr Recht, sondern die Macht der Thatsachen
im Staate gelten. Es ist unbestreitbar, daß in allen Fällen dieser Art die
hohen Kosten schwer aus dem Rechte drücken und es vielfach unterdrücke«.
Hierauf und nicht bloß auf der Beseitigung schlechter und frivoler Prozesse
(die übrigens auch heute noch, zumal mit Hilfe des Armenrechts, vielfach ge¬
führt werden) beruht die Berminderuug der Prozesse.

Aber auch wo die Prozesse nicht unterdrückt, sondern geführt werden,
laufen die hohen Kosten oft auf eine große Härte hinaus. Ist es auch all¬
gemein bekannt, daß die Prozeßkvsten jetzt hoch sind, so werden doch noch
immer Unzählige, die einen Prozeß zu führen wagen, getäuscht, in dem die
erwachsenden Kosten jedes vernünftige Maß, das sie erwarten konnten, über¬
schreiten. Und ist denn der Verlust eines Prozesses immer die Folge wirk¬
lichen Unrechts? Gehen nicht viele Prozesse an einem leidigen Zufall zu
Grunde? Hat nicht die Zivilprozeßordnung selbst solche Zufälle zahlreich her¬
aufbeschworen? Wie glaubt man Wohl, daß es einem Manne zu Mute sei,
der seinen Prozeß an einer Zustellungsfrage verliert und dann neben dem Verlust
der Sache selbst auch noch die schweren Kosten dreier Instanzen zu tragen hat?

Die Befriedigung, die der Bericht über die Wirksamkeit der Kostengesetze
ausspricht, ist hiernach sehr unberechtigt. Es steht ihm darin auch die ein¬
mütige Überzeugung von ganz Deutschland gegenüber.

Die einzige relative Rechtfertigung der hohemKosten kann nur etwa darin
gefunden werden, daß Richter und Anwälte doch alle bezahlt sein wollen, der
heutige Prozeß aber weit mehr an Richter- und Urwalds kräften fordert als
der frühere. Trotz der hohen Kostensätze ist wegen der gewaltigen Verminde¬
rung der Prozesse die Einnahme an Gerichtskosten zurückgegangen, und die
Anwälte klagen darüber, daß sie trotz der hohen Gebühren jetzt weniger zu
leben hätten als früher. Das kommt von den verkehrten Einrichtungen, die
man diesem Prozesse gegeben hat. Man beseitige die nutzlosen Auswüchse, die
jetzt an der Kraft der Justiz zehren. Dann wird mau wieder, statt einer
Ausbeutungsanstalt, eine vernünftige Justiz haben, die unser Volk auch be¬
zahlen kann.


auftretende Kläger wurde in den beiden Vorinstanzen auf Grund des vermeintlichen Inhalts
früherer Reichsgerichtsentscheidnngen abgewiesen. Das Reichsgericht aber erkannte, daß das
Rechtsgeschäft nur mit einem Stempel von l Mark 60 Pf. zu besteuern sei. In diesem Prozesse
waren mehrere tausend Mark Kosten entstanden, die diesmal freilich der Fiskus zu bezahlen
hatte. Wer aber ist schuld darau, daß solche Prozesse geführt werden müssen?
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[0136] Die Instizorganisation von i^3?9 in ministerieller Beleuchtung die Folge davon, daß mitunter auch dem besten Rechte es an der Sicherheit des Beweises fehlt. Endlich muß aber auch ein Gläubiger, der das beste Recht hat, sich oft genug fragen, ob denn sein Schuldner Mittel genug habe, die auf Einklagung verwendeten Kosten zu ersetzen? Will man nun etwa sagen: Wer solche Zweifel hegt, braucht ja keinen Prozeß zu führen? Daß heißt nichts andres, als: Es soll nicht mehr Recht, sondern die Macht der Thatsachen im Staate gelten. Es ist unbestreitbar, daß in allen Fällen dieser Art die hohen Kosten schwer aus dem Rechte drücken und es vielfach unterdrücke«. Hierauf und nicht bloß auf der Beseitigung schlechter und frivoler Prozesse (die übrigens auch heute noch, zumal mit Hilfe des Armenrechts, vielfach ge¬ führt werden) beruht die Berminderuug der Prozesse. Aber auch wo die Prozesse nicht unterdrückt, sondern geführt werden, laufen die hohen Kosten oft auf eine große Härte hinaus. Ist es auch all¬ gemein bekannt, daß die Prozeßkvsten jetzt hoch sind, so werden doch noch immer Unzählige, die einen Prozeß zu führen wagen, getäuscht, in dem die erwachsenden Kosten jedes vernünftige Maß, das sie erwarten konnten, über¬ schreiten. Und ist denn der Verlust eines Prozesses immer die Folge wirk¬ lichen Unrechts? Gehen nicht viele Prozesse an einem leidigen Zufall zu Grunde? Hat nicht die Zivilprozeßordnung selbst solche Zufälle zahlreich her¬ aufbeschworen? Wie glaubt man Wohl, daß es einem Manne zu Mute sei, der seinen Prozeß an einer Zustellungsfrage verliert und dann neben dem Verlust der Sache selbst auch noch die schweren Kosten dreier Instanzen zu tragen hat? Die Befriedigung, die der Bericht über die Wirksamkeit der Kostengesetze ausspricht, ist hiernach sehr unberechtigt. Es steht ihm darin auch die ein¬ mütige Überzeugung von ganz Deutschland gegenüber. Die einzige relative Rechtfertigung der hohemKosten kann nur etwa darin gefunden werden, daß Richter und Anwälte doch alle bezahlt sein wollen, der heutige Prozeß aber weit mehr an Richter- und Urwalds kräften fordert als der frühere. Trotz der hohen Kostensätze ist wegen der gewaltigen Verminde¬ rung der Prozesse die Einnahme an Gerichtskosten zurückgegangen, und die Anwälte klagen darüber, daß sie trotz der hohen Gebühren jetzt weniger zu leben hätten als früher. Das kommt von den verkehrten Einrichtungen, die man diesem Prozesse gegeben hat. Man beseitige die nutzlosen Auswüchse, die jetzt an der Kraft der Justiz zehren. Dann wird mau wieder, statt einer Ausbeutungsanstalt, eine vernünftige Justiz haben, die unser Volk auch be¬ zahlen kann. auftretende Kläger wurde in den beiden Vorinstanzen auf Grund des vermeintlichen Inhalts früherer Reichsgerichtsentscheidnngen abgewiesen. Das Reichsgericht aber erkannte, daß das Rechtsgeschäft nur mit einem Stempel von l Mark 60 Pf. zu besteuern sei. In diesem Prozesse waren mehrere tausend Mark Kosten entstanden, die diesmal freilich der Fiskus zu bezahlen hatte. Wer aber ist schuld darau, daß solche Prozesse geführt werden müssen?

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_205998/136>, abgerufen am 30.06.2024.